Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Ungewaschen in die Oper

Gesellschaft|Psychologie

Ungewaschen in die Oper
Klassikhörer legen nicht so viel Wert auf Körperhygiene, und Pop-Fans sind weniger offen für Neues. Eine Umfrage zum Musikgeschmack brachte Überraschendes ans licht.

Die alten Griechen haben es gewusst: Psyche und Musik beeinflussen einander. Platon philosophierte, die Musik sei „der wichtigste Teil der Erziehung. Rhythmen und Töne dringen am tiefsten in die Seele und erschüttern sie am gewaltigsten“. Und sein Schüler Aristoteles erklärte: „Wir fühlen uns innerlich verändert, umgewandelt, wenn wir Musik hören. Wie könnte das geschehen, wenn nicht Harmonie und Rhythmen eine innere Verwandtschaft mit der Seele und ihren Zuständen und Bewegungen hätten?“ Was die großen Denker intuitiv erfassten, hat die Wissenschaft mehr als zwei Jahrtausende später mit aufwendigen Studien belegt.

Junge Menschen lassen sich nicht nur pausenlos bedudeln, sie reden auch mehr über Britney Spears und Co als über Kleidung, Bücher, Filme oder Sport. Samuel Gosling und Peter Rentfrow von der University of Texas at Austin verfolgen deshalb die These: Musik hat einen so hohen Stellenwert im Leben des Einzelnen, dass sie ein Tor zu dessen Persönlichkeit sein muss.

Um dieses Tor aufzuschließen, entwickelten die Psychologen den „Short Test of Musical Preferences“ (Kurztest für musikalische Vorlieben). Über 3200 Studenten gaben darin Auskunft über ihre Gewohnheiten, Vorlieben, Abneigungen und bekundeten ihre Selbsteinschätzung. Dann verrieten sie, welche von 140 Musiktiteln (je 10 aus 14 Genres) ihrem persönlichen Geschmack entsprachen. Anschließend spielten die Forscher den Studenten Musikstücke vor und fragten: Welche Leute hören wohl solche Musik?

Goslings und Rentfrows These wurde bestätigt. Ob jemand lieber Madonna, Stevie Wonder oder Giacomo Puccini lauscht, verrät einiges über seine Charaktereigenschaften, seine Weltanschauung und sein Selbstbild. Und: Ähnliche Charaktere haben auch einen ähnlichen Musikgeschmack.

Anzeige

Vier Musikstile haben die Amerikaner aus den Bergen von Fragebögen herausgefiltert und bestimmten Personengruppen zugeordnet:

• „Reflexiv und komplex“: Wer Folk, Blues, Jazz oder Klassik bevorzugt, legt nach eigenem Bekunden Wert auf Ästhetik, hat ein gutes Vorstellungsvermögen, ist angeblich einfallsreich, tolerant, politisch liberal oder konservativ und wenig sportlich.

• „Rebellisch und intensiv“: Heavy-Metal-, Rock- und Alternative-Anhänger halten sich nicht für besonders attraktiv, schätzen sich dafür aber als intelligent ein, als eloquent, risikobereit, neugierig, politisch liberal und sportlich.

• „Euphorisch und konventionell“: Wer am liebsten Pop- und Country-Musik hört, sieht sich als extrovertiert, fröhlich, hilfsbereit und sexuell attraktiv an, ist aber wenig offen für Neues und dementsprechend politisch eher konservativ.

• „Energiegeladen und rhythmisch“: Hip-Hop, Funk, Soul und Electronica- wie Techno-Fans schätzen sich als extrovertiert, gesprächig, tolerant, aktiv und sexuell attraktiv ein und lehnen konservative Ideen ab.

Auch wenn die Grenzen fließend sind, halten es die Forscher für unwahrscheinlich, dass ein Klassikfan gerne Heavy Metal hört. Ob solche Aussagen global gültig sind – ob der Klassikliebhaber in Texas ähnlich gestrickt ist wie der in Japan oder Russland –, ist allerdings fraglich.

Eine Antwort darauf suchen die Briten Adrian North und David Hargreaves. Über das Internet haben sie Musikhörer aus der ganzen Welt dazu aufgefordert, sich nicht nur über Musikgeschmack und Charaktereigenschaften zu äußern, sondern auch zu berichten, wo sie derzeit leben und in welchem Land sie ihre Jugend verbracht haben. 37 000 Musikhörer nahmen an der Online-Umfrage teil, wobei die meisten aus Großbritannien, den USA und Skandinavien kamen. „ Es wird noch eine Weile dauern, bis wir sagen können, ob sich ein brasilianischer und ein deutscher Fan von Justin Timberlake ähnlich sind“, räumt Musikpsychologie Adrian North ein.

Dass der Musikgeschmack auch Rückschlüsse auf den Lebensstil zulässt, steht für die Forscher außer Frage. In zwei Aufsätzen im Journal „Psychology of Music“ präsentierten sie die Ergebnisse einer Studie mit 2500 Briten, die ihre Lieblingsmusik verraten hatten und bereitwillig in jeden Winkel ihres Lebens blicken ließen: wie religiös sie sind, wie finanzkräftig, wie oft sie Alkohol trinken, ob sie Drogen konsumieren, wie häufig sie zum Zahnarzt gehen, wie wichtig ihnen Körperpflege ist.

North und Hargreaves fanden neben der Bestätigung von Klischees auch einige überraschende Ergebnisse. „Dass Opern-und Klassikfans genauso gerne Cannabis ausprobieren wie die Fans anderer Musikstile, hätte ich nicht erwartet“, sagt North. Auch das Ergebnis, dass Operngänger es mit der Körperhygiene am wenigsten genau nehmen, ein Vollbad und frisch gewaschene Haare nicht sehr schätzen, überraschte ihn.

Musical-Fans scheinen die unauffälligsten Zeitgenossen zu sein: Sie greifen selten zu Drogen, treten kaum kriminell in Erscheinung und engagieren sich häufig für wohltätige Zwecke. Ganz anders die Hip-Hop- und Dance-Gemeinde: Etliche davon konsumieren verschiedene illegale Drogen, und mehr als die Hälfte bekennt sich zu Straftaten. Auch beim Umweltbewusstsein hapert es: Recycling ist für sie kein Thema, und die Entwicklung alternativer Energien ist ihnen nicht wichtig.

Dass Hip-Hop, Techno oder Heavy Metal Auslöser für Drogenexzesse, Alkoholmissbrauch oder Umweltfrevel sind, halten die Wissenschaftler allerdings für wenig wahrscheinlich. Die Ursachen dafür sehen sie eher in der Persönlichkeit des Einzelnen, die eben auch der Grund sei, warum sich jemand für Marilyn Manson (Heavy Metal), die Backstreet Boys oder Vivaldi entscheidet.

„Die Bereitschaft, sich auf eine bestimmte Musikkultur einzulassen, ist eingebettet in persönlichkeitspsychologische Merkmale“, sagt Musikpsychologe Klaus-Ernst Behne. Kinder zwischen fünf und zehn Jahren verfügen noch über ein offenes Ohr für die unterschiedlichen Musikstile, meint der emeritierte Professor der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Erst mit der Pubertät und dem Aufbegehren gegen die Eltern nehme die Begeisterungsfähigkeit für das komplette musikalische Spektrum ab. Klassik und Oper sinken meist deutlich in der Gunst, und Volksmusikanten wie Stefanie Hertel und Hansi Hinterseer werden vernichtend beurteilt. Das fand Behne bereits in den Achtziger- und Neunzigerjahren in Studien zur Entwicklung des Musikgeschmacks bei Kindern und Jugendlichen heraus.

In diesem Alter bekommt Musik auch eine soziale Komponente. „ Es gibt ein großes Bedürfnis, öffentlich eine musikalisch definierte Identität zu bekennen“, meint Klaus-Ernst Behne. Musik dient dabei als eine Art soziale Währung, die den anderen ein Bild von sich vermittelt. Zuhören heißt dann auch, zu einem Wertesystem zu gehören, für das ein bestimmter Musikstil steht. „ Sage mir, welche Musik du hörst, und ich weiß viel über dich“, sagt Klaus-Ernst Behne. Er selbst ist leidenschaftlicher Anhänger von Klassik, Kirchenmusik und Jazz. Kathryn Kortmann ■

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Coif|fure  〈[koafyr] f. 19〉 I 〈unz.〉 Kunst des Frisierens II 〈zählb.〉 1 kunstvoll gestaltete Frisur … mehr

Pro|be|druck  〈m. 1〉 1 〈Buchw.〉 Probeabzug 2 〈Tech.〉 versuchsweise ausgeübter Druck (auf ein Werkstück usw.) … mehr

♦ Ka|ta|stro|phen|the|o|rie  〈f. 19; unz.〉 1 〈Biol.〉 Annahme, dass die Tierwelt früherer Erdzeitalter mehrmals durch Naturkatastrophen vernichtet worden sei; Sy Kataklysmentheorie … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige