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Das rasende Herz der Sonne

Astronomie|Physik

Das rasende Herz der Sonne
Im Zentrum dreht sich die Sonne wesentlich schneller als weiter außen – ein Relikt aus der Entstehungszeit?

Die Sonne ist ein riesiger Gasball, in dem die Erde weit über eine Million Mal Platz fände. Es gibt keine Möglichkeiten, tief in ihren heißen Körper hineinzublicken. Dennoch wissen die Astronomen recht genau über ihren Aufbau und ihre Energieerzeugung Bescheid. Hierfür haben sie mehrere Methoden entwickelt. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Helioseismologie, die Erforschung von Sonnenbeben. Diese Erschütterungen entstehen freilich ganz anders als auf der Erde: Aus dem Innern der Sonne steigen unablässig heiße Gasmassen bis zur Oberfläche, kühlen ab und sinken wieder nach unten. Dieses Auf und Ab, wie es sich ganz ähnlich in einem Kochtopf abspielt, bezeichnen die Physiker als Konvektion. Bei der Sonnenkonvektion entstehen auch Schallwellen, die den Himmelskörper durchlaufen und ihn zum Schwingen bringen – ähnlich wie ein Klöppel eine Glocke. Der Gasball wabert dabei wie ein mit Wasser gefüllter Ballon.

Sonnenforscher sind in der Lage, diese Schwingungen sehr exakt zu vermessen. Berechnungen ermöglichen es dann, aus Tausenden von Grund- und Obertönen ein Modell des Sonneninneren zu konstruieren. Allerdings lässt sich das innerste Fünftel der Sonne bislang nicht helioseismologisch erkunden. Der zentrale Kernbereich, in dem die Sonne mit Kernfusionsprozessen Energie erzeugt, ist daher nach wie vor unbekannt.

Aber: Theoretisch müssten sogenannte Schwerewellen mit sehr kleinen Amplituden an der Sonnenoberfläche nachweisbar sein und Aufschluss über den Zentralbereich geben. Der Theorie nach sollten diese Wellen die Oberflächenschichten der Sonne im Takt von zwei bis etwa zehn Stunden um nur wenige Meter heben und senken. Dies nachzuweisen ist bei einem Sonnenradius von 700 000 Kilometern eine extrem große Herausforderung für die Messkunst. In den vergangenen 30 Jahren sind Forscher immer wieder daran gescheitert.

Doch jetzt ist der Nachweis dieser Schwerewellen gelungen. Den Erfolg kann ein französisch-spanisches Team um Rafael Garcia vom Commissariat à l’Energie Atomique in Gif-sur-Yvette, Frankreich, für sich verbuchen. Den Forschern half ein Trick: Garcia hatte die Messdaten eines Instruments an Bord des Sonnenobservatoriums SOHO (Solar and Heliospheric Observatory) über fast zehn Jahre gesammelt und dann im Computer analysiert. Dabei suchte er nach einem besonderen Muster in der Periodenverteilung der Schwerewellen – und fand die Signatur der Schwerewellen an der Oberfläche des Datenozeans.

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Anhand dieser Messwerte versuchten die Wissenschaftler, ein genaueres Modell des Zentralbereichs der Sonne zu erstellen. Mit überraschendem Ergebnis: Die Daten passen am besten zu einem Kern, der drei- bis fünfmal schneller rotiert als die Bereiche weiter außen. Die Forscher erhoffen sich dadurch Aufschlüsse über die komplizierten Vorgänge im Sonneninnern, die zum Beispiel das Magnetfeld erzeugen.

Bislang unterscheidet man zwei Bereiche im Sonneninneren:

• Die äußere, bis zu 200 000 Kilometer dicke Schicht, in der die Konvektion stattfindet. Hier variiert die Rotationsgeschwindigkeit mit der heliographischen Breite: Am Äquator dreht sich die Sonnenmaterie in 25 Tagen einmal um die Achse, in hohen Breiten dauert das bis zu 35 Tage. Wie es zu dieser differenziellen Rotation kommt, ist unklar. Fest steht nur, dass sie durch ein kompliziertes Wechselspiel zwischen den auf- und absteigenden Gasmassen und der Drehung des gesamten Sonnenkörpers verursacht wird.

• Darunter liegt der nichtkonvektive Strahlungsbereich. Er rotiert wie ein starrer Körper mit einer Periode von etwa 27 Tagen. Beim Übergang vom inneren Strahlungsbereich zur äußeren Konvektionszone ändert sich die Rotation der Sonnenmaterie stark. In dieser Übergangszone – auch Tachocline genannt – vermuten die Wissenschaftler den Sitz des Sonnendynamos, der das Magnetfeld erzeugt.

Wie passen die neuen Ergebnisse nun zu diesem Bild?

„Das ist alles sehr aufregend“, kommentiert Laurent Gizon vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau und vermutet: „Sehr wahrscheinlich ist die schnelle Rotation noch aus der Entstehungsphase der Sonne erhalten geblieben.“

Es gilt als ziemlich sicher, dass sich die Sonne kurz nach ihrer Entstehung rascher gedreht hat als heute. Im Lauf der Jahrmilliarden hat der Schwung immer mehr nachgelassen. Eine Ursache hierfür ist der Wind elektrisch geladener Teilchen, der unablässig von der Oberfläche ins All bläst. Er bleibt dabei an den Magnetfeldlinien hängen – wie ein Mixer am Teig – und hat die Rotation im Laufe der Jahrmilliarden abgebremst, allerdings nur in den äußeren Bereichen.

„Wir haben einen ganz neuen Weg gefunden, um den Sonnenkern zu studieren“, sagt Garcia. Und er erwartet auch neue Hinweise auf die Entstehung des Sonnensystems. Der Sonnenphysiker John Harvey vom National Solar Observatory in Tucson, Arizona, spricht sogar von einem großen Meilenstein in der Helioseismologie. Auf jeden Fall wird diese Methode auf absehbare Zeit die einzige Möglichkeit bleiben, die Bewegung der Sonnenmaterie im Zentralbereich zu untersuchen.

Garcia und seine Kollegen wollen als nächstes Messdaten von anderen Sonnenteleskopen sammeln und darin nach verräterischen Schwingungen suchen. Und die französische Weltraumorganisation CNES wird in zwei Jahren ihr Sonnenteleskop PICARD starten, das auch die Sonnenschwingungen messen soll. Benannt ist es nach dem französischen Astronomen Jean Picard, dem es im 17. Jahrhundert als Erstem gelang, den Sonnendurchmesser mit einem Fadenmikrometer zu bestimmen. Die Chancen stehen also gut, dass wir den Stern vor unserer Haustür bald erheblich besser verstehen. ■

Thomas Bührke

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