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DAS ALTER SPORTLICH NEHMEN

Gesellschaft|Psychologie Gesundheit|Medizin

DAS ALTER SPORTLICH NEHMEN
Körperliche und geistige Aktivität bis ins hohe Alter. Das hilft gegen Alzheimer – auch ohne Chemie.

Sie tut es sechs Mal in der Woche, jeweils mehrere Stunden am Tag – und sie hofft, damit der Alzheimer-Krankheit entkommen zu können: Laufen, Schwimmen, Radfahren. Hauptsache Sport. Barbara Tettenborn ist nicht nur eine begeisterte, optimistische und lebensfrohe Frau in den besten Jahren. Sie ist auch Chefärztin der Klinik für Neurologie am Kantonsspital St. Gallen, Professorin an der Universität Mainz, Sportmedizinerin, Neurologin und Forscherin. Die 52-Jährige verfügt über ein solides Wissen darüber, wie ein regelmäßiges Fitnesstraining die grauen Zellen in Schwung hält. „Eine Vielzahl aktueller Studien belegt, dass körperliche Aktivität vor der Alzheimer-Krankheit schützen kann”, so Tettenborn.

Angesichts zahlreicher Fehlschläge bei der Suche nach neuen Therapien und den bislang sehr begrenzten Möglichkeiten, Alzheimer und andere Demenz-Erkrankungen zu behandeln, denken immer mehr Wissenschaftler über einen Strategiewechsel nach. Tettenborn und viele ihrer Kollegen setzen auf ein neues, überraschend einfaches Rezept: Gezielte Veränderungen der Lebensweise sollen die „Demenz-Lawine” aufhalten, vor allem mehr Sport, eine bessere Ernährung, lebenslanges Lernen und die Pflege sozialer Kontakte.

Studien zeigen eindeutig: Bewegung beugt vor. Menschen, die sich regelmäßig bewegen, sind zufriedener, sie bleiben länger fit und altern langsamer. Sie sind seltener chronisch krank und vor Depressionen besser geschützt. Außerdem winkt als Lohn für die Mühe eine Verringerung des Schlaganfall-Risikos um mindestens ein Viertel – und damit auch eine geringere Wahrscheinlichkeit für die nach Alzheimer zweithäufigste Gedächtniserkrankung des Alters, die vaskuläre (wörtlich: gefäßbedingte) Demenz.

UNDICHTE BLUTGEFÄSSE

Schlaganfall und vaskuläre Demenz haben einen gemeinsamen Nenner: verengte oder undichte Blutgefäße, die die Versorgung des Gehirns mit Sauerstoff und Nährstoffen verringern und sogar zeitweise unterbrechen können. Das kann zu „Mini-Infarkten” führen. Eine große Studie, die Forscher der University of South Carolina in Columbia 2008 veröffentlichten, hat ergeben: Je besser die „kardiovaskuläre Fitness” der Untersuchten war, also die Leistungsfähigkeit von Herz und Blutgefäßen, umso seltener traf sie der Schlag. Dieses Risiko ließe sich durch Sport um bis zu 60 Prozent verringern, fasste Studienleiter Steven P. Hooker das Ergebnis zusammen.

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Vieles deutet darauf hin, dass dazu keine unmenschlichen Anstrengungen nötig sind. Schon drei Mal Sport pro Woche führte nach einer viel beachteten Studie des Group Health Research Institute im US-amerikanischen Seattle zu einer deutlichen Verringerung des Demenz-Risikos. Unter den beobachteten 1740 Senioren erkrankten diejenigen, die weniger als drei Mal pro Woche Sport getrieben hatten, um 50 Prozent häufiger an einer Demenz. Weil es die Gelenke schont, seien Schwimmen und Radfahren gesünder als Laufen, erklärt Tettenborn. „Der springende Punkt scheint mir, den Puls regelmäßig auf einen Wert von 140 zu bringen, weil erst in diesem Bereich die Blutversorgung von Gehirn und Körper nachweislich stark zunimmt”, vermutet die Neurologin. Zudem wird durch Bewegung auch die Produktion des Wachstumsfaktors BDNF (Brain Derived Neurotrophic Factor) angekurbelt. Der schützt nicht nur die Nervenzellen, sondern führt auch zu neuem Wachstum in der Hirnregion des Hippocampus – eben dort, wo neue Gedächtnisinhalte gespeichert werden.

In einer 2009 veröffentlichten Studie mit 1800 älteren New Yorkern waren nicht nur diejenigen seltener an der Alzheimer-Demenz erkrankt, die regelmäßig Sport getrieben hatten. Nikolaos Scarmeas vom Medizinischen Zentrum der Columbia University wies auch nach, dass eine konsequente Mittelmeerdiät (mit viel Gemüse, Obst und Fisch sowie gelegentlich einem Glas Rotwein, aber wenig Fleisch) mit einem reduzierten Risiko für die Gedächtnisschwäche einher ging. Allerdings ist der Neurologie-Professor vorsichtig bei der Interpretation seiner Daten: „Wir können unseren Patienten nicht versprechen: Bewege dich viel und iss ordentlich, dann bist du vor Alzheimer geschützt. Einen Versuch ist es aber insofern wert, als das Risiko für diese Krankheit nicht nur durch unsere Gene bestimmt wird, sondern zum Teil auch durch unsere Lebensweise und unser Verhalten.” Die Zurückhaltung scheint angebracht angesichts weiterer Studien. So hatte bei der jüngst veröffentlichten OPAL- Studie die Ernährung keinerlei messbaren Einfluss auf die geistigen Leistungen der fast 900 Versuchsteilnehmer im Alter zwischen 70 und 80 Jahren.

In krassem Gegensatz zur spärlichen Beweislage stehen die Schlagzeilen. Meist geht es dabei um Omega-3-Fettsäuren sowie um Vitamin B9. Sie werden wie weitere Vitamine, Pflanzenextrakte oder Nahrungsmittel – seien es Blaubeeren oder Bohnen, Brokkoli oder Walnüsse – zur Verbesserung der Hirnleistung oder gar zur Vorbeugung aller Arten von Demenz empfohlen. Was viele Anhänger solcher „Patentrezepte” dabei geflissentlich übersehen, ist, dass die meisten der als Beweis zitierten Studien von den Herstellern und Erzeugern der jeweiligen Präparate und Produkte bezahlt werden. Hochkarätige Gremien unabhängiger Forscher haben derartige Kampagnen immer wieder als unsolide gebrandmarkt. „ Keine Auswirkungen auf die geistige Leistungsfähigkeit” lautete die Bilanz eines eigens einberufenen Expertentreffens der US-Nationalen Gesundheitsinstitute im April 2010.

BILDUNG IST GESUND

Was wirklich zu helfen scheint, ist der rege Gebrauch des Denkorgans. Menschen mit gut trainiertem Gehirn haben mehr Verbindungen zwischen den Nervenzellen und können deshalb länger besser denken, besagt grob vereinfacht die Theorie von der „ kognitiven Reserve”. Diese Theorie hat einiges für sich, fanden die Neuropsychiater Michael Valenzuela und Perminder Sachdev von der University of New South Wales im australischen Sydney heraus, als sie die Daten von fast zwei Dutzend Studien auswerteten, bei denen man systematisch nach einem Zusammenhang zwischen dem Bildungsgrad und der Alzheimer-Demenz gefahndet hatte. Über durchschnittlich sieben Jahre hinweg war erfasst worden, wie oft Senioren an einer Demenz erkrankten. Tatsächlich hatte es diejenigen mit der schlechtesten und kürzesten Schul- und Ausbildungszeit beinahe doppelt so häufig getroffen wie jene, die über ein Abitur verfügten oder gar ein Studium absolviert hatten. Mindestens zwei mögliche Erklärungen gibt es dafür: Entweder das viele Denken schützt das Gehirn und verlangsamt einen Krankheitsprozess, von dem viele Forscher glauben, dass er jeden trifft, der alt genug wird. Die zweite Erklärungsmöglichkeit ist, dass nicht die Krankheit an sich verzögert wird, sondern dass die Betroffenen ihre Defizite länger ausgleichen können.

„Geistige Aktivität bringt das Gehirn in Schwung und die Synapsen zum Sprießen”, sagt der Münchner Demenz-Experte Hans Förstl. Er meint damit allerdings weniger elektronische Denksportaufgaben oder Wort- und Zahlenrätsel, die unter dem Etikett des „Hirn-Jogging” beworben werden. Im Gegensatz zum echten Jogging hat das von zahlreichen kommerziellen Anbietern beworbene „Hirn-Jogging” keinen nachgewiesenen Nutzen, um dem Verlust des Gedächtnisses im Alter zu begegnen. „Es gibt derzeit keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass am Markt erhältliche Software-Programme oder andere kognitive oder soziale Interventionen einer Demenzerkrankung vorbeugen oder deren Auftreten verzögern”, meint Ulman Lindenberger, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB).

Lindenberger will zwar niemandem den Spaß an geistigen Klimmzügen verleiden. „Lernen regt das Gehirn an und steigert das Kompetenzerleben”, darin stimmt er mit Förstl überein. Nur gebe es keine Hinweise darauf, dass dafür ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Methode erforderlich sei. Bevor man Zeit und Geld in ein „Hirn-Jogging”-Produkt investiere, solle man auch dessen versteckte Kosten in Rechnung ziehen: „Jede Stunde am Computer ist eine Stunde weniger, die man zum Beispiel mit Wandern, dem Erlernen einer Fremdsprache, dem Ausprobieren eines neuen Kochrezeptes oder dem Spielen mit den Enkelkindern verbringen kann.” ■

MICHAEL SIMMs persönliches Präventionsprogramm: Er lernt ständig dazu und fährt mit dem Mountainbike durch den Schwarzwald.

von Michael Simm

Mehr zum Thema

Lesen

Hans Förstl, Carola Kleinschmidt Das Anti-Alzheimer-Buch Kösel, München 2009, €17,95

Robert-Koch-Institut (Hg.): Altersdemenz Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 28, Berlin 2005

Internet

Bestandsaufnahme der Alzheimer- Präventionsforschung durch die US- Gesundheitsbehörde: Preventing Alzheimer’s Disease and Cognitive Decline consensus.nih.gov/2010/alzstatement.htm

So stärken Sie Ihr Gedächtnis

• Bleiben Sie in Bewegung: Egal ob Gartenarbeit, stramme Spaziergänge, Jogging oder Nordic Walking – mindestens drei Mal in der Woche sollten Sie aktiv werden.

• Soziale Kontakte pflegen: Sorgen Sie für eine intakte Familie und treffen Sie sich häufig mit Freunden und Bekannten.

• Achten Sie auf eine abwechslungsreiche Freizeitgestaltung.

• Das Gehirn will möglichst vielseitig trainiert werden, auch im Rentenalter. Lernen Sie Ihr ganzes Leben lang und sorgen Sie damit für eine „kognitive Reserve”, um den altersbedingten Verlust von Nervenzellen besser verkraften zu können.

Kompakt

· Vitamine, Pflanzenextrakte oder Omega-Fettsäuren: Sie alle sind keine Wundermittel gegen Demenzen.

· In großen Studien zeigte sich dagegen immer wieder die schützende Wirkung von Bewegung und Bildung.

Risikofaktor Blutdruck

Menschen, deren Blutdruck in den mittleren Lebensjahren zu hoch ist, erkranken im Alter eindeutig häufiger an einer Demenz. Es gibt Hinweise, dass bestimmte blutdrucksenkende Arzneien das Demenzrisiko vermindern können oder zumindest den Zeitpunkt bis zum Ausbruch des Leidens hinausschieben. Benjamin Wolozin von der Boston University School of Medicine fand bei 800 000 US-Veteranen im Rentenalter heraus: Wer Blutdrucksenker aus der Gruppe der Angiotensin-Rezeptor- Blocker (ARBs) eingenommen hatte, erhielt um ein Viertel seltener die Diagnose „Verdacht auf Demenz”. Wurde das ARB mit einem Präparat aus einer zweiten Gruppe von Blutdrucksenkern – den ACE-Hemmern – kombiniert, war das Demenzrisiko sogar nahezu halbiert.

Eine Empfehlung an Gesunde, Blutdrucksenker zur Vorbeugung gegen die Demenz einzunehmen, lässt sich daraus aber nicht ableiten. Auch wenn die genannten Pillen als gut verträglich gelten, ist noch ungeklärt, ob sie zur Demenzprävention bei Gesunden taugen. Eine Blutdrucksenkung um etwa zehn Einheiten lässt sich besser durch Sport erreichen, betont Professor Joachim Röther, Vorstandsmitglied der Deutschen Schlaganfallgesellschaft und Chefarzt am Klinikum Minden. Dieser Effekt sei ebenso groß wie mit Medikamenten.

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