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Geheime Zeichen am Himmel

Allgemein

Geheime Zeichen am Himmel
Sonargeräte, Kompasse, Karten, GPS – Menschen müssen einen großen Aufwand betreiben, um sich zurechtzufinden. Viele Tiere haben es da besser: Solche Apparate sind bei ihnen von Natur aus eingebaut.

Die Sonne brennt, die Luft flimmert. Kein Baum, kein Strauch, der Schatten spenden könnte. Die Salzwüste in Tunesien, obwohl nicht weit vom Mittelmeer entfernt, ist eine unwirtliche Gegend. Obwohl ein leichter Wind von der Küste herüberweht, wird der Boden bald 70 Grad Celsius erreicht haben. Dann werden die Ameisen verschwunden sein, die diese Trostlosigkeit bevölkern. Doch solange die Temperaturen noch halbwegs erträglich sind, flitzen die langbeinigen Jäger der Spezies Cataglyphis fortis unermüdlich hin und her, um Futter für den immer hungrigen Nachwuchs zu beschaffen. Dabei entfernen sie sich im Zickzacklauf schon mal über 100 Meter weit vom unterirdischen Nest. Zurück ins Heim nehmen sie aber immer den kürzesten – schnurgeraden – Weg. Wie schaffen es die winzigen Tiere, sich in der Wüste zurechtzufinden? Würde man diese Leistung auf den Menschen hochrechnen, könnte er Dutzende von Kilometern in Gebieten ohne auffällige Orientierungspunkte herumlaufen und schließlich auf direktem Weg zum Ausgangspunkt zurückfinden. Keine leichte Aufgabe. Die Wüstenameisen bewältigen Vergleichbares mit Leichtigkeit.

In den letzten Jahren nahmen Forscher Sinne und Gehirne vieler Tiere genauer unter die Lupe, um herauszufinden, wie sie für den Menschen verborgene Zeichen in der Natur erkennen und sich damit in schwierigem Gelände – oder im Meer – zurechtfinden. Wie gelingt es den Wüstenameisen? Sind sie Augentiere wie wir Menschen? Oder Nasentiere wie männliche Schmetterlinge, die mit ihren Antennen Pheromone riechen können, die von kilometerweit entfernten Weibchen stammen? Oder können sie sich am Erdmagnetfeld orientieren wie Tauben?

Seit drei Jahrzehnten untersuchen Forscher unter der Leitung von Rüdiger Wehner, Zoologe an der Universität Zürich, wie die Wüstenameisen sich zurechtfinden in einer Gegend, wo die Hitze Duftspuren verdampfen lässt und in der es kaum Anhaltspunkte zur Orientierung gibt. „Wie alle sozialen Insekten müssen Wüstenameisen in der Lage sein, stets zu ihrem Nest zurückzukehren. Damit ihnen dies gelingt, sind sie auf perfekte Navigation angewiesen“, sagt Wehner. Er hat entdeckt, dass die Tiere einen Sonnenkompass haben. Mit speziellen Sehzellen am oberen Rand ihrer Komplexaugen können sie das „ Polarisationsmuster“ der Sonne sehen. In Verbindung mit dem Sonnenstand können die Tiere aus diesem Muster die richtige Richtung bestimmen.

Sonnenlicht ist von Natur aus unpolarisiert, das heißt, seine Photonen schwingen in allen Richtungen. Wenn es jedoch die Atmosphäre durchdringt, geht diese gleichmäßige Verteilung verloren. Es entstehen typische Schwingungsmuster, die sich im Lauf des Tages mit dem Sonnenstand verändern.

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Wasser- und Blattoberflächen produzieren spezielle Muster aus polarisiertem Licht durch Reflexion. Diese Muster leiten Schmetterlinge zu Pflanzen mit geeignetem Laub für die Eiablage und bewahren wasserscheue Wüstenheuschrecken davor, in einem Tümpel zu ertrinken. Auch Fische können polarisiertes Licht wahrnehmen – sie lassen damit die Tarnung von Beutetieren auffliegen, die bei normalem Sonnenlicht unsichtbar erscheinen. Polarisationsmuster können aber auch in die Irre führen. Das erklärt die Kamikaze-Attacken mancher fliegender Wasserkäfer, die ein glitzerndes Autodach mit einer Wasseroberfläche verwechseln, und die Verwirrtheit von Eintagsfliegen, wenn sie ihre Eier auf einer Asphaltstraße statt im Wasser ablegen.

Wüstenameisen haben nur ein winziges Gehirn. Trotzdem können sie komplizierte navigatorische Leistungen vollbringen, wie die Schweizer Forscher herausfanden. Die Insekten verrechnen auf abschüssigem Gelände den Steigungswinkel mit der Streckenlänge. Exakt ginge das nur mittels Geometrie. Da die Tiere aber weder Sinus- noch Cosinusregeln beherrschen – Wehner bezeichnet sie deshalb als „Vor-Pythagoras’sche Wesen“ – müssen sie zwangsläufig andere Rechenoperationen durchführen. Verhaltensforscher nennen diesen Orientierungssinn den „ tierischen Integrator“. „Er schaltet sich ein, sowie die Tiere das Nest verlassen“, sagt der Biologe Markus Knaden, Mitarbeiter in Wehners Team. Da der Ameisen-Integrator nicht ganz fehlerfrei arbeitet, machen die Tiere noch einen 360 Grad weiten optischen Schnappschuss, bevor sie das Nest verlassen. Mit ihm prägen sie sich Landmarken wie Gesteinsbrocken ein. Kommen sie auf dem Heimweg in die Nähe ihres Nestes, helfen ihnen diese Orientierungspunkte, ihre unterirdische Wohnung anzusteuern.

Voraussetzung für das Funktionieren des Integrators ist, dass die Tiere Entfernungen messen können. Es ist noch nicht ganz klar, wie ihnen das gelingt, doch manche Forscher glauben, dass die Ameisen eine Art Schrittzähler besitzen. Manche Tierarten ermitteln die Marschdistanz möglicherweise über die dabei verbrauchte Energie. Genaueres weiß man heute über die Bienen. Obwohl seit mehr als 50 Jahren bekannt ist, dass sie ihren Kolleginnen Richtung und Distanz zur Futterquelle mit dem Schwänzeltanz mitteilen, hat ein deutsch-australisches Forscherteam erst vor wenigen Jahren entdeckt, wie sie die Informationen sammeln: Offensichtlich summieren Bienen das im Flug vorbei ziehende Bild ihrer Umgebung – Bäume und Blumen, Hügel und Bäche –, um festzustellen, wie weit sie geflogen sind.

Was das Auflösungsvermögen angeht, sind die meisten tierischen Augen weniger leistungsfähig als die menschlichen, sieht man vom sprichwörtlichen Auge der Adler und anderer Vögel ab. Viele Tiere müssen deshalb für die Orientierung weitere Sinne einsetzen. Nachtaktive etwa verlassen sich auf ihren Geruchs- und Hörsinn. Die ausgezeichneten Augen der Eulen beispielsweise nutzen beim Jagen im Finstern kaum. Bei der Mäusehatz setzen die lautlosen Meisterflieger deshalb auf ihr Gehör. Das hat Hermann Wagner, Zoologe und Tierphysiologe an der RWTH in Aachen, bei Schleiereulen genau untersucht. Deren Ohren sitzen im hellen, herzförmigen Gesichtsfeld. Spezielle Federn bilden eine wannenförmige Ohrmuschel, fangen den Schall auf und leiten ihn in die Ohröffnungen, die hinter den Augen liegen. Diese Wannen sind auf beiden Seiten unterschiedlich ausgerichtet, sodass die Tiere feststellen können, ob ein Geräusch von oben oder von unten kommt. Ob eine Maus links oder rechts raschelt, erkennen die Jäger an den Laufzeitunterschieden, mit denen das Geräusch an den beiden Ohren ankommt. Mit einer Genauigkeit von wenigen Grad finden die Eulenohren den Verursacher eines Geräuschs – eine Maus hat da kaum eine Chance.

Auch Insekten können sehr gut Geräusche orten. Bei den meisten Insekten sitzen die „Ohren“ an den Beinen, am Brustkorb – oder auch an beiden. Mit vier Ohren an den Vorderbeinen hören weibliche Grillen, ob ein Männchen um ihre Gunst zirpt. Doch der Lärm, den die männlichen Grillen veranstalten, lockt nicht nur Sexpartner, sondern auch Feinde an. Dem Zirpen folgend finden parasitäre Fliegen der Spezies Ornia ochracea ihre Wirte und legen dort ihre Larven ab, die die Grillen von innen heraus auffressen.

Manche Gejagte nutzen ihre Ohren auch zur Verteidigung. Nachtmotten stehen auf dem Speiseplan diverser Fledermausarten. Oft gelingt es den Motten, der nahenden Gefahr auszuweichen, weil sie die Ultraschalllaute wahrnehmen können, mit denen die Fledermäuse ihre Beute orten. Das gibt ihnen eine Fluchtchance. Einige besonders trickreiche Mottenarten produzieren sogar selber Ultraschalllaute und gaukeln damit ihren Räubern vor, sie seien eine kleine Fledermaus. Auf die gleiche Weise können zwei Heringsarten und der amerikanische Maifisch ihre Fressfeinde – Wale und Delfine – hören und ihnen aus dem Weg schwimmen. Aber: Jede Beute, die wegläuft oder -schwimmt, löst dabei kleine Wasserwellen oder Erschütterungen aus. Viele Jäger können aus diesen Vibrationen berechnen, wo sich ihr Futter befindet. Mit dieser Methode finden Raubinsekten wie Wasserläufer und Rückenschwimmer heraus, wo unfreiwillig im Wasser gelandete Insekten zappeln. Genauso orten Wüstenskorpione die Verursacher winziger Erschütterungen im Sand. Und die im Wasser lebenden Taumelkäfer hängen ihre Antennen ins Wasser, um über sie Wellen zu spüren, die ein anderes Tier erzeugt hat. Fische und Seehunde (bild der wissenschaft 9/2002, „Spürhunde mit sensiblem Bart“) fühlen ebenfalls Strömungsveränderungen, die ihre Beutetiere im Wasser hinterlassen. Die wohl beeindruckendste Orientierungsleistung von Tieren sind die Weltreisen der Vögel. Die Rekordhalter sind die Küstenseeschwalben. Die kleinen Vögel verbringen den Sommer in der Arktis und ziehen im Winter an den Nordrand der Antarktis. Entfernung: rund 20 000 Kilometer. Auch Albatrosse können einen Rekord vorweisen: Sie sind zwar keine Zugvögel, aber auf der Nahrungssuche legen sie bis zu 15 000 Kilometer bei einem Beutezug zurück.

Forscher haben inzwischen herausgefunden, dass Vögel gleich drei Arten von Kompasse einsetzen: einen Sonnenkompass, einen Sternenkompass und einen magnetischen Kompass. Welchen davon sie bei welcher Gelegenheit benutzen, ist noch nicht geklärt. Sicher ist aber, dass der Sternen-

kompass beim Nachtflug zum Einsatz kommt. Tagsüber nutzen Vögel wahrscheinlich die Sonne zur Bestimmung der Flugrichtung. Dazu müssten die Vögel den Sonnenstand mit einer inneren Uhr erfassen. Ist der Himmel bedeckt, könnten sie auf den Magnetkompass umsteigen. Nicht nur Vögel haben einen Magnetsinn, sondern auch Schnecken, Krebstiere, Insekten, Fische, Amphibien, Reptilien und Säugetiere. Und vor allem Meerestiere: Er hilft Schildkröten, Langusten, Lachsen und Aalen auf dem Weg zu Küsten, ins offene Meer oder zu ihren Brutplätzen.

Das irdische Magnetfeld enthält mehrere Arten von Informationen, die Tiere nutzen können: Polarität, Inklination und Feldstärke. Aus der Polarität des Magnetfeldes und seiner Inklination – dem Neigungswinkel des Erdmagnetfeldes zur Horizontalen – können sie ablesen, wo Norden ist. Welcher Kompass eingesetzt wird, ist von Tier zu Tier unterschiedlich. Langusten, Meeresschildkröten und Insekten sowie Nacktmulle – unterirdisch lebende afrikanische Nagetiere – benutzen einen Polaritätskompass, Vögel einen Inklinationskompass.

Außerdem ist die Stärke des Magnetfelds von Ort zu Ort unterschiedlich groß. Es gibt magnetische Hügel und Täler – und damit Orientierungspunkte. Viele Tiere messen die Intensität des lokalen Erdmagnetfeldes mit einer Art biologischem Magnetometer. Diese Magnetfühler befinden sich je nach Tierart in unterschiedlichen Körperteilen. Besonders gut untersucht wurde der Magnetsinn an Brieftauben, Grasmücken und Rotkehlchen. Bei den Tauben liegt das Magnetometer im Schnabel. Über kleine Eisenoxid-Moleküle messen die Vögel die Intensität des Magnetfeldes.

Andere Untersuchungen haben ergeben: Der Inklinationskompass sitzt bei Rotkehlchen im rechten Auge. Mit diesem Befund überraschte das Forscherehepaar Wolfgang und Roswitha Wiltschko von der Universität Frankfurt am Main vor Kurzem die Fachwelt. „ Wie er molekular und neurophysiologisch funktioniert, wissen wir noch nicht. Aber anscheinend ist Licht für ihn sehr wichtig“, erklärt Roswitha Wiltschko. Zufällig stellte sie bei Versuchen fest, dass der Kompass kurzfristig ausfiel, als sie die Tiere mit starkem einfarbigem Licht beleuchtete. Dieser Befund und der Sitz des Inklinationskompasses im Auge der Rotkehlchen legen den Verdacht nahe, dass magnetische Information in visuelle Information umgewandelt werden könnte: Die Tiere sehen das Magnetfeld der Erde. Wie kann das funktionieren?

Henrik Mouritsen von der Universität Oldenburg ist sicher, ein Puzzleteil des vermutlich komplexen neurophysiologischen Prozesses gefunden zu haben. Bekannt ist, dass bestimmte Biomoleküle die magnetische Feldstärke messen können: die so genannten cryptochromen Proteine, kurz CRY-Proteine genannt. Man findet sie bei vielen Tieren in der Netzhaut, wo sie unter anderem den Tag-Nacht-Rhythmus steuern. CRY-Proteine reagieren aber auch auf Magnetfelder. Dafür müssen sie eine chemische Reaktion durchführen – und dazu brauchen sie Licht. „ Möglicherweise wird die magnetische Information von den Tieren optisch wahrgenommen“, spekuliert Mouritsen. Vielleicht sehen sie sie so klar wie ein Mensch eine Straße sieht.

Ein weiteres Indiz für die These: Bei standortgebundenen Vögeln schwankt die Menge von CRY-Proteinen je nachdem, wann sie unterwegs sind, mit der Tageszeit – bei Zugvögeln wie den Grasmücken, die sich ständig orientieren müssen, jedoch nicht. Mouritsen glaubt, die Gehirnregion ausfindig gemacht zu haben, in der magnetisch-optische Informationen verrechnet werden. „Wir finden bei den Zugvögeln im so genannten Cluster N im Großhirn eine besonders hohe Aktivität. Und zwar nur nachts, also dann, wenn sie sich auf ihren Magnetkompass verlassen müssen“, sagt der Forscher. Doch bislang ist das nur eine Hypothese.

Anscheinend müssen manche – wenn auch nicht alle – Tiere ihren Kompass regelmäßig eichen, denn er ist während des Flugs nicht fest auf den magnetischen Norden ausgerichtet. Das ist sinnvoll, da zum einen geographischer und magnetischer Nordpol nicht am selben Ort liegen und zum anderen die Magnetfeldlinien der Erde fast nie genau nach Norden zeigen, sondern mehrere Dutzend Grad nach Osten oder Westen abweichen können. An manchen Orten zeigt die Kompassnadel sogar nach Süden. Seefahrer bezeichnen dieses Phänomen als Missweisung. Seekarten informieren sie über Ausmaß und Richtung dieser Missweisung. Amerikanische Drosseln benutzen dazu die untergehende Sonne, wie Henrik Mouritsen mit amerikanischen Kollegen zeigte. Mouritsen ist überzeugt: „Die Tiere wissen, dass die Sonne immer im Westen untergeht, und daran richten sie ihren magnetischen Kompass aus.“

Mit ihren überraschenden Sinnes- und Orientierungsfähigkeiten können Tiere sich rasch in unbekannten Gebieten zurechtfinden. Das macht sie zu einem Vorbild für neue Typen von Robotern, an denen weltweit für Rettungs- oder Militäreinsätze und für Exkursionen auf fernen Planeten gearbeitet wird. Diese Maschinen sollen sich selbstständig zurechtfinden. Einen Prototyp hat ein Schweizer Forschungsteam in Zusammenarbeit mit Rüdiger Wehner bereits gebaut: „Sahabot“ braucht bloß die Sonne und ihr Polarisationsmuster, um sich zu orientieren – wie eine Ameise. ■

Karin Hollricher ist Biologin und freie Wissenschaftsjournalistin in Neu-Ulm. Bei ihrer Recherche über den tierischen Orientierungssinn hat sie am meisten beeindruckt, zu welchen Leistungen das winzige Ameisengehirn fähig ist.

Karin Hollricher

Ohne Titel

• Vögel sehen die Welt in vier Farben: rot, blau, grün und ultraviolett.

• So mancher für Menschen einfarbig oder trist wirkende Vogel hat für Vogelaugen ein auffälliges Muster.

• Die Fähigkeit, UV zu sehen, hilft den Tieren bei der Nahrungs- suche, der Balz und der Partnerwahl.

Ohne Titel

Tauben auf der Autobahn

Obwohl sie mit ihrem Magnetsinn über ein sehr effektives Orientierungssystem verfügen, machen Brieftauben es sich gerne leicht. Wenn sie eine Gegend halbwegs kennen, entscheiden sie sich manchmal nicht für den kürzesten Luftweg, sondern orientieren sich an Autobahnen oder Schienen, selbst wenn das für sie Umwege bedeutet.

Landkarte im Kopf

Ein sensationelles Gedächtnis hat der in Nord- und Mittelamerika lebende Kiefernhäher. Jedes Jahr versteckt er bis zu 300 000 Samen, die er selbst nach einem halben Jahr wiederfindet. Dabei nutzt er Landmarken zur Orientierung.

Tiefe Töne tragen weit

Wenn Elefanten für den Menschen unhörbar tief grummeln, unterhalten sie sich mit Artgenossen. Weil die tiefen Infraschall-Töne weit tragen, können die Dickhäuter mit ihnen über viele Kilometer kommunizieren und ihre Gruppe wiederfinden. Auch Tauben können Infraschall hören.

Ein Konzert gibt die Richtung an

Rifffische verbringen ihre Jugend meist im freien Meer, weit weg vom Riff, in dem viele Gefahren lauern. Den Weg zurück weisen ihnen die Daheimgebliebenen. Denn sie veranstalten mithilfe ihrer Schwimmblase nachts fantastische Konzerte, um miteinander zu kommunizieren und Feinde abzuschrecken. Der Radau leitet auch den Nachwuchs nach Hause.

Augen für jedes Lebensalter

Die Augen der Tiefsee-Krabbe Bythograea thermydron machen eine erstaunliche Metamorphose durch. Die mikroskopisch kleinen Larven der Krabben, die mit dem Plankton im Oberflächenwasser der Ozeane driften, haben Komplexaugen wie Insekten. In ihrer Jugend sinken die Krabben in größere Meerestiefen, wobei sich die Empfindlichkeit ihrer Sehpigmente zu Blaugrün verschiebt. Sind die Krabben an ihrem Ziel angekommen – heißen Schloten in rund 1000 Meter Tiefe –, wandeln sich ihre Augen zu zwei Netzhäuten ohne Linsen um. Die Tiere können zwar noch Helligkeit wahrnehmen, doch nicht mehr scharf sehen, was sie dort unten aber auch nicht brauchen.

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Viele tierbesitzer berichten, dass ihr Hund oder ihre Katze genau weiß, wann sie nach Hause kommen. Außerdem kursieren immer wieder unglaubliche Geschichten von Haustieren, die über zig Kilometer durch völlig fremdes Gelände zurückgefunden hätten. Und: Hunde können nachweislich erkennen, ob einem Epileptiker ein Anfall droht. Schon seit Langem rätseln Forscher, wie sich solche Berichte von ver- blüffendem Wahrnehmungs- und Orientierungsvermögen von Tieren interpretieren lassen.

Über Vögel und Insekten wissen die Forscher gut Bescheid. Doch über die Orientierungsfähigkeit von Haustieren gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse. Katzen scheinen sich in ihrem Revier anhand von Gerüchen, Geräuschen und optischen Landschaftsmerkmalen zurechtzufinden, wie der Katzenforscher Paul Leyhausen in den Siebzigerjahren herausfand. Aber Genaues wusste auch er nicht. Rupert Sheldrake, Autor populärer Bücher wie „Der siebte Sinn der Tiere“, behauptet sogar, Tiere hätten telepathische Wahrnehmungsfähigkeiten. Wissenschaftliche Untersuchungen für seine Behauptungen gibt es freilich nicht.

Nach dem verheerenden Tsunami am 26. Dezember 2004berichteten die Medien immer wieder über das merkwürdige Verhalten von Tieren in den bedrohten Küstenregionen: Viele hatten die Flucht ergriffen, lange bevor die Riesenwelle die Küsten erreichte. Solche Anekdoten gibt es seit der Antike. Schlangen krochen demnach mitten im Winter aus ihren Nestern, Ratten verließen die Kanalisation, Haus- und Wildtiere verhielten sich merkwürdig – teilweise Tage oder manchmal auch nur Stunden, bevor ein Erdbeben stattfand.

In China ist man deshalb in den Siebzigerjahren dazu übergegangen, in Risikogebieten nicht nur seismische Aktivitäten zu überwachen, sondern auch auf das Verhalten von Tieren genauer zu achten. Das hat tatsächlich vielen Menschen das Leben gerettet. Denn aufgrund solcher Berichte wurde 1975 die chinesische Stadt Haicheng evakuiert – zwei Tage danach zerstörte ein schweres Erdbeben den Ort fast vollständig.

Doch bis heute weiß niemand, wie Tiere in der Lage sein könnten, die Vorboten eines Erdbebens zu erspüren. Manche Wissenschaftler glauben, Tiere würden höchst sensibel auf winzige Vorbeben reagieren. Andere vermuten, dass die Geschehnisse unter der Erdoberfläche zu elektrostatischen Veränderungen führen, die manche Tiere fühlen können. Beweise gibt es bis heute allerdings keine.

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Die Gehirne von Männern und Frauen sind völlig anders strukturiert und beide Geschlechter unterscheiden sich zum Beispiel in ihrer Orientierungsfähigkeit. Diese These ist sehr populär – ganze Bücher berichten darüber. Aber was ist an dieser These wirklich bewiesen?

„Hinter dem großen, roten Haus rechts und dann an der Apotheke vorbei“, so könnte die Antwort einer Frau lauten, fragt man in der Fremde nach dem Weg. Die typische Antwort eines Mannes ist weniger bild- und detailreich, sondern gespickt mit Zahlen und Richtungsangaben. Etwa: „300 Meter weiter rechts.“ Für dieses Phänomen fand der Ulmer Radiologe Reinhard Tomczak schon im Jahr 2000 eine neurophysiologische Erklärung: In seiner Untersuchung sollten Frauen und Männer in virtuellen Labyrinthen einen Ausweg finden. Männer lösten diese Aufgabe schneller, aber das war nicht der einzige Unterschied zwischen den Geschlechtern. Während der Aufgabe wurde das Gehirn der Probanden mit Magnetresonanztomographie untersucht. Die aktiven Hirnregionen stimmten zwischen den Geschlechtern größtenteils überein, aber es gab auch Unterschiede: Bei den Männern war zusätzlich der linke Hippocampus, in dem geometrische Informationen verarbeitet werden, aktiv. Bei den Frauen war es der Scheitellappen und der rechte präfrontale Cortex, ein Bereich, der mit dem Verinnerlichen von prägnanten Merkmalen der Umgebung, wie Telefonzellen oder großen Bauwerken, beschäftigt ist. Während Männer bei der Orientierung also mehr auf Entfernungen und Himmelsrichtungen achten, prägen sich Frauen eher auffällige Objekte auf der Strecke ein.

Schuld an den Unterschieden sollen neuerdings die Hormone sein. Im Laufe des Monats schwankt bei Frauen nicht nur der Hormonspiegel, sondern auch die Qualität des räumlichen Vorstellungsvermögens. Das fand Markus Hausmann, Psychologe an der Universität Bochum, heraus. Bei der Aufgabe, eine dreidimensionale Struktur im Kopf räumlich zu drehen, schnitten Frauen während ihrer Menstruation genauso gut ab wie Männer, in anderen Zyklusphasen aber deutlich schlechter. Während der Menstruation sind die weiblichen Sexualhormone Östrogen und Progesteron auf dem Tiefstand, die Konzentration von Testosteron allerdings ist hoch. Steigt nach der Menstruation der Östrogenspiegel wieder und sinkt der Testosterongehalt, werden die Leistungen wieder schlechter. Die Testosteronkonzentration scheint also Auswirkungen auf die Orientierung zu haben. Doch was verursacht das Hormon im Gehirn? Denken Frauen während der Menstruation auch geometrisch wie Männer? Tatsächlich verändern sich die Gehirnaktivitäten. Frauen denken beim Aufgabenlösen grundsätzlich mit beiden Hirnhälften. Bei Männern arbeitet dagegen meist nur eine Hemisphäre. Die Forscher nennen das asymmetrisches Denken. Sind die weiblichen Sexualhormone auf ihrem Tiefstand, ist die Verbindung zwischen den Hirnhälften, der Balken, blockiert. Frauen denken dadurch während ihrer Menstruation asymmetrischer. „Verantwortlich für die Blockade sind vermutlich Progesteron und Estradiol, ein Steroidhormon, das aus Testosteron gebildet wird“, erklärt Hausmann. Ob aber durch die Hormonwirkung auch „männliche Areale“ wie der linke Hippocampus aktiviert werden und das Testergebnis verbessern, muss noch erforscht werden.

Man darf diese Ergebnisse aber nicht überbewerten, meint Hausmann: „Auf den Alltag hat dieses Ergebnis keinen Einfluss, da Orientierung auch viel mit Lernen und Übung zu tun hat und die alltäglichen Situationen komplexere Anforderungen stellen als die Tests.“ Einige Wissenschaftler, darunter Claudia Quaiser-Pohl, Psychologin an der Universität Siegen, meinen sogar, der Unterschied im Orientierungsverhalten zwischen Männern und Frauen sei nicht angeboren, sondern anerzogen. Jungen stromern in ihrer Kindheit häufig durch die Gegend, prägen sich Wege in ihrem Terrain ein. Dieses Verhalten wird von den Eltern unterstützt. Die meisten Mädchen gehen zwar auch Aktivitäten außerhalb des Wohnhauses nach, doch oft werden sie von Eltern zum Ziel gefahren oder verlassen sich auf die Orientierung anderer, trotten hinterher. Auch werden sie häufiger zur Vorsicht ermahnt, sich nicht zu verlaufen. Das verunsichert. Daher schneiden sie schlechter ab, wenn die Orientierungsfähigkeiten auf dem Prüfstand stehen. Bei einer Untersuchung Vierjähriger fand Claudia Quaiser-Pohl keinerlei Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Ihre Erklärung: „Bei kleinen Kindern ist die Erziehung noch nicht verfestigt.“

Allerdings: Bei einer Studie, ebenfalls mit Vierjährigen, die im vergangenen Herbst stattfand, schnitten die Mädchen, egal ob Streuner oder Stubenhocker, im Test deutlich schlechter ab als die Jungen. Auch für Versuchsleiter Michael Popp von der Uni- versität der Bundeswehr in München ein unerwartetes Ergebnis – aber aus einem anderen Grund: Als er bei Erwachsenen testete, ob sie einmal gelaufene Strecken nach einer Woche noch kannten, fand er keine Leistungsunterschiede zwischen den Geschlechtern. Diese Unstimmigkeiten zeigen vor allem eines: Man darf einzelne Testergebnisse nicht zu pauschalen Aussagen hochstilisieren. Quaiser-Pohl betont: „Die Ergebnisse in den Tests hängen von so vielem ab: Von den Testaufgaben, der Zeit, die man den Probanden lässt, der Tagesform – ganz abgesehen von den individuellen Unterschieden.“ Julja Koch

Ohne Titel

• Das Sonnenlicht und das Magnetfeld der Erde können bei der Orientierung helfen. Viele Tiere sind in der Lage, diese für Menschen nicht wahrnehmbaren Zeichen zu erkennen.

• Viele Vogelgehirne sind genau wie die winzigen Zentralnervensysteme mancher Insekten extrem leistungsfähig bei der Navigation.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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Frau|en|eis  〈n.; –es; unz.; Min.〉 = Alabasterglas

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