bild der wissenschaft: Das Lindauer Nobelpreisträgertreffen findet vom 25. bis 30. Juni zum 56. Mal statt. Wer von den Laureaten war denn am häufigsten zu Gast, Gräfin Bernadotte?
GRÄFIN BERNADOTTE: Natürlich führen die deutschen Nobelpreisträger die Teilnehmerliste an – schon deshalb, weil sie jedes Jahr eingeladen sind. Der Chemiker Ernst Otto Fischer war 29-mal bei uns. Ausländische Nobelpreisträger wurden früher nur eingeladen, wenn sich die Tagung um ihre jeweilige Disziplin Physik, Chemie oder Medizin/Physiologie drehte. Doch in der Praxis greifen die verschiedenen Disziplinen immer stärker ineinander. Deshalb haben wir bereits 2000 und 2005 interdisziplinäre Tagungen organisiert – mit großem Erfolg. Ich bin mir sicher, dass die Veranstaltungen dadurch noch lebendiger und für die internationalen Nachwuchswissenschaftler noch interessanter geworden sind.
bdw: Bei der letztjährigen Veranstaltung waren immerhin 14 Nobelpreisträger dabei, die seit 2000 ausgezeichnet wurden. Wie schaffen Sie es, die Vielgefragten nach Lindau zu holen?
GRÄFIN BERNADOTTE: Es ist die Reputation und das Profil der Tagung. Wir haben sie strategisch weiterentwickelt und sind neue Wege der Partnerschaften mit Akademien, Stiftungen und Unternehmen eingegangen. Doch wir haben den Kern niemals verändert: den hohen wissenschaftlichen Anspruch. Er ist Maßstab für jede Entscheidung. Meine Familie und ich nehmen auch den persönlichen Kontakt sehr ernst. Unmittelbar nach der Bekanntgabe erhalten die neuen Preisträger ein Schreiben von mir, das sie über die Lindauer Tagung informiert. Wenn ich sie dann bei der Nobelpreisverleihung in Stockholm anspreche, bin ich immer wieder erstaunt, wie gut sie bereits über unsere Veranstaltung informiert sind und welches Wohlwollen sie uns entgegenbringen. Das hängt sicher damit zusammen, dass wir die Veranstaltung seit Jahrzehnten pflegen. Ich denke aber auch, dass die Lindauer Atmosphäre eine große Rolle spielt, denn junge Wissenschaftler können hier einen zwanglosen Dialog mit Etablierten führen. Und drittens hat Professor Schürer dafür gesorgt, dass wir bei den jungen Wissenschaftlern inzwischen ein erheblich schärferes Auswahlverfahren haben als früher, als schon mal jemand nur so dabei sein konnte. Jeder Teilnehmer in Lindau geht heute durch ein mehrstufiges Verfahren. Das garantiert: Nach Lindau kommen die besten Nachwuchswissenschaftler der Welt. Das ist Eliteförderung im besten und positivsten Sinne.
bdw: Viele Statements der Nachwuchsleute klingen begeistert. Sie fühlen sich glücklich, so vielen großen Geistern an einem Platz begegnet zu sein.
GRÄFIN BERNADOTTE: Mir fällt immer wieder auf, welche Rolle es für die Jungen spielt, wenn ihnen Nobelpreisträger Mut machen und sagen: Bleib dran, lass dich nicht unterkriegen! Die Preisträger berichten nicht nur über ihre großen Erfolge, sie sagen auch, wo sie selber Misserfolge erlebt haben und neu starten mussten. Das ist für junge Menschen sehr, sehr wichtig. Es ist nicht nur die Anerkennung der wissenschaftlichen Leistung, sondern auch die Ausstrahlung dieser großen Persönlichkeiten, was die Jüngeren in den Bann zieht.
bdw: 2000 haben Sie eine Stiftung gegründet – mit welchem Zweck und Ziel?
GRÄFIN BERNADOTTE: Stiftung und Kuratorium arbeiten Hand in Hand. Ausrichter ist das Kuratorium. Alle fünf Mitglieder des Stiftungsvorstandes gehören auch dem Kuratorium an. Das Kuratorium sichert den hohen wissenschaftlichen Anspruch. Die Stiftung beschäftigt sich mit der langfristigen Positionierung sowie der Weiterentwicklung der Strategie, und sie bringt die Tagungen langfristig auf eine solide finanzielle Basis. Die Tagung ist bis heute einzigartig in der Welt, obwohl Ende der Neunzigerjahre Versuche gestartet wurden, Preisträger mit viel Geld für Kopien in Asien und den arabischen Staaten zu gewinnen. Die Reputation von Lindau hat sich durchgesetzt, vielen ist aber damals erst klar geworden, welche Bedeutung diese Tagung für den Wissenschaftsstandort Deutschland und Europa hat. Mit der Stiftung haben sich völlig neue Perspektiven ergeben: Den Drähten von Herrn Schürer und seinem politischen Gespür verdanken wir es, dass die Lindauer Tagung in Deutschland und im Ausland noch deutlich präsenter ist. Auch außerhalb Deutschlands spricht es sich allmählich herum, welcher Glücksfall diese Veranstaltung ist. Weiterhin haben wir fantastische Kontakte zu Wissenschaftsakademien vor allem in Asien und den arabischen Ländern geschaffen, die auch einen wichtigen Beitrag zum Dialog der Kulturen leisten.
SCHÜRER: Die Spitzenqualifikation der Nachwuchswissenschaftler ist inzwischen ein entscheidendes Kriterium für Laureaten, nach Lindau zu kommen. In Indien und China gibt es regelrecht Wettbewerbe um die begehrten Plätze. Die National Science Foundation in den USA nominiert ihrerseits hervorragende Nachwuchswissenschaftler für Lindau. Vor wenigen Wochen unterzeichneten Gräfin Bernadotte und die indonesische Regierung ein Abkommen, das auch dort für Aufmerksamkeit unter den besten Nachwuchsforschern sorgt. So entstehen ein globales Netz und eine weltweite Bewegung, die dem Lindauer Treffen noch mehr Beachtung schenken.
bdw: Sie wollen nach Ankündigung und Verleihung der Nobelpreise der drittwichtigste Event im Rahmen der Nobelbewegung werden?
GRÄFIN BERNADOTTE: Stockholm ist Stockholm. Die Verkündung der Preisträger und die Verleihung sind einmalig. Das sage ich in großem Respekt vor der Nobel-Stiftung in Stockholm. Die Lindauer Tagung ist eine sinnvolle Fortsetzung der Veranstaltungen zur Verleihung der Nobelpreise. In Stockholm gibt es etwas Derartiges nicht. Unser Ziel ist es, eine wesentliche Rolle zu spielen in der durch den Nobelpreis völlig neu gestarteten Karriere der ausgezeichneten Wissenschaftler. Stockholm unterstützt uns dabei sehr. Mit dem ehemaligen Direktor der Nobel-Stiftung, Baron Stig Rammel, haben wir einen glühenden Befürworter gewonnen. Der Dialog ist sehr eng und konstruktiv.
bdw: Wie kam der Wirtschaftsprofessor Wolfgang Schürer zu der Ehre, Stiftungsvorstand des Lindauer Nobelpreisträgertreffens zu werden?
SCHÜRER: Sie deuten einen Vorbehalt an, den auch ich hatte, als mich Gräfin Bernadotte und der frühere Bundespräsident Roman Herzog ansprachen. Die beiden meinten allerdings, dass sich jemand, der die St. Galler Symposien aufgebaut hat, die herausragende Wissenschaftler, Unternehmensführer und Politiker mit handverlesenem Nachwuchs zusammenführen, auch für das Lindauer Treffen nützlich machen kann. Im Übrigen kann ich mich inzwischen auch für meine eigene Disziplin engagieren: Seit 2004 findet in Lindau im Zweijahresturnus ebenfalls ein Treffen von Wirtschaftswissenschaftlern statt.
bdw: Die Liste der Partner, die das Lindauer Treffen 2005 finanziell unterstützten, umfasst 120 Namen. Hat die Tagung das nötig?
SCHÜRER: Wir wollen einen Stiftungsfonds etablieren, der die Lindauer Tagung dauerhaft sichert. Zwei Drittel des Weges dahin haben wir geschafft. Mehr als neun Millionen Euro sind bereits eingeworben.
bdw: Was ist das Ziel?
SCHÜRER: Vorrangig geht es darum, bis 2010 ein Stiftungskapital in Höhe von 15 Millionen Euro zusammenzubringen. Von dessen Erträgen können wir die normalen jährlichen Tagungen angemessen durchführen. Wenn wir unsere Tagungen interdisziplinärer ausrichten wollen, brauchen wir mehr Kapital, weil der Aufwand größer ist. Insgesamt schwebt uns ein Stiftungskapital von 20 Millionen Euro vor. Bei der Auswahl unserer Stifter sind wir wählerisch. Es geht uns nicht in erster Linie um schnelle Akquisition, sondern um ein solides Engagement zugunsten der Wissenschafts- und Nachwuchsförderung.
bdw: Die letztjährige Tagung kostete rund 1,1 Millionen Euro. Das ist viel Geld für vier oder fünf Tage.
SCHÜRER: Allein die Reisekosten der Laureaten und der ausgewählten jungen Wissenschaftler beliefen sich auf 230 000 Euro. Für Unterkunft, Verpflegung, Logistik und Infrastruktur mussten wir nochmals gut 350 000 Euro aufbringen. Da wir die gesamte Tagung auch ins Internet stellen, kommen auch hier erhebliche Kosten auf uns zu. 2005 machte das 175 000 Euro aus. In diesem Jahr übernehmen übrigens das Bundesland Bayern und die Internationale Bodenseekonferenz die Kosten für das Internet…
bdw: …und dann kommen noch die Honorare für die Nobelpreisträger dazu.
SCHÜRER: Die Preisträger verzichten auf ein Honorar für ihre Mitwirkung. Auch das ist das Besondere an Lindau. Sie kommen, weil sie das Programm der Tagung prägen und Gewähr für Diskussionspartner haben, die als Nachwuchstalente weltweit gelten.
bdw: In diesem Jahr gibt es zum zweiten Mal zwei Tagungen: zunächst Ende Juni die der Chemie-Nobelpreisträger. Gräfin Bernadotte und EU-Forschungskommissar Janez Potocnik werden sie gemeinsam eröffnen. Im August folgt dann die Tagung der Wirtschaftswissenschaftler.
GRÄFIN BERNADOTTE: 2004 hatten wir erstmals eine separate Tagung für Wirtschaftswissenschaftler, die zeitversetzt zu der Tagung der Naturwissenschaftler abgehalten wurde. Das wird sich so fortsetzen. Alle fünf Jahre gibt es dann eine große interdisziplinäre Tagung, die nächste 2010.
bdw: Wie viele Teilnehmer haben die Tagungen?
SCHÜRER: Seit drei, vier Jahren stellen wir fest, dass immer mehr Nobelpreisträger der Einladung folgen. Konkret haben für die diesjährige Chemietagung 24 Laureaten zugesagt, und 500 Nachwuchswissenschaftler wurden eingeladen. Bei den Wirtschaftswissenschaften haben sich 14 Laureaten angemeldet. Dort haben wir die Teilnehmerzahl für den wissenschaftlichen Nachwuchs auf 375 begrenzt.
bdw: Wissen Sie etwas darüber, wie sich das in Lindau entstandene Beziehungsgefüge später entwickelt?
SCHÜRER: 2003 hat Gräfin Bernadotte den Startschuss für ein Alumni-Netzwerk gegeben. Der Nobelpreisträger Arno Penzias hat Hewlett-Packard überzeugt, dieses Projekt mit Hard- und Software mitzugestalten. Nun können wir verfolgen, wer von den Lindauer Teilnehmern unsere Website besucht, welche Themen von den Preisträgern angeregt werden und welche Kontakte nach der Tagung weitergehen.
bdw: Ist der Tagungsstandort in Deutschland ein Vorteil oder – etwa wegen der Sprache – eher ein Nachteil?
SCHÜRER: Die Tagung in Lindau als eine deutsche Tagung zu sehen, wäre zu kurz gegriffen. Das institutionelle Scharnier reicht von der Insel Mainau bis nach Stockholm, das intellektuelle Scharnier zu vielen Nobelpreisträgern, Akademien und Universitäten in aller Welt. Der tragende Pfeiler aber ist die Familie Bernadotte. Ohne deren Wirken wäre die Tagung nie das geworden, was sie heute ist. Dem Vermächtnis von Graf Lennart Bernadotte, den Dialog weltweit stattfinden zu lassen, kommen wir Schritt für Schritt näher, was inzwischen auch von der deutschen Politik anerkannt wird.
Das Gespräch führte Wolfgang Hess ■
COMMUNITY internet:
Mehr zu den Lindauer-Nobelpreisträger-
treffen unter:
www.lindau-nobel.de
Ohne Titel
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Die teilnehmenden Nobelpreisträger dieses Jahres:
Peter Agre, USA
Werner Arber, Schweiz
Aaron Ciechanover, Israel
Paul Crutzen, Niederlande
Robert F. Curl, USA
Johann Deisenhofer, Deutschland
Richard R. Ernst, Schweiz
Roy Glauber, USA
Theodor Hänsch, Deutschland
John L. Hall, USA
Roald Hoffmann, USA
Robert Huber, Deutschland
Jerome Karle, USA
Walter Kohn, USA
William N. Lipscomb, USA
Rudolph A. Marcus, USA
Hartmut Michel, Deutschland
Erwin Neher, Deutschland
Ryoji Noyori, Japan
Sherwood F. Rowland, USA
Richard R. Schrock, USA
Barry K. Sharpless, USA
John E. Walker, Großbritannien
Kurt Wüthrich, Schweiz
Ohne Titel
Die teilnehmenden Nobelpreisträger dieses Jahres:
James Buchanan, USA
Robert Engle, USA
Robert W. Fogel, USA
Clive Granger, Großbritannien
Finn Kydland, USA
Robert Merton, USA
Sir James Mirrlees, Großbritannien
Robert A. Mundell, Kanada
John F. Nash Jr., USA
Douglass C. North, USA
Myron S. Scholes, Kanada
Reinhard Selten, Deutschland
Joseph Stiglitz, USA