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Heißes Eisen

Erde|Umwelt

Heißes Eisen

„Gebt mir eine halbe Schiffsladung Eisen, und ich löse damit eine neue Eiszeit aus“, scherzte Ende der Achtzigerjahre der amerikanische Ozeanograph John Martin. Seine Theorie: Wenn man das Meer mit Eisensalzen „düngte“, könnte es große Mengen Kohlendioxid binden. Und das wäre womöglich ein Weg, die Klimaerwärmung zu bremsen.

Martin vermutete, dass in den postkartenblauen Ozeanen der Südhalbkugel ein wichtiger Nährstoff Mangelware ist: Eisen. Deshalb gedeihe dort nur sehr wenig Phytoplankton – mikroskopisch kleine Grün- und Blaualgen. Würde man diesen Gewässern Eisen zusetzen, käme folgende Kausalkette in Gang: Das Phytoplankton würde sich drastisch vermehren und für seine Photosynthese mehr von dem im Seewasser gelösten Kohlendioxid (CO2) verbrauchen. Deswegen würde mehr atmosphärisches CO2 im Meer in Lösung gehen. Und weniger CO2 in der Luft bedeute weniger Treibhauseffekt.

Nur eine Schnapsidee? John Martin starb 1993, noch ehe er seine Hypothese im Freilandversuch hatte testen können. Das übernahm sein damaliger Mitarbeiter Kenneth Coale, heute Leiter des kalifornischen Moss Landing Marine Laboratory. Seine erste Expedition führte Coale 1993 in die nährstoffarmen Gewässer rund um die Galapagos-Inseln, wo er 480 Kilogramm Eisensulfat ins Wasser sprühte. Zwei Jahre später wiederholte er das Experiment (bild der wissenschaft 10/1996, „Eisen gegen den Klimakollaps“). Beide Male verwandelte sich die Wasserwüste in wenigen Tagen in einen riesigen Algenteppich. „Wir sahen Grün, so weit das Auge reichte“, erinnert sich Coale.

Dass eine massive Algenblüte tatsächlich den Treibhauseffekt bremsen kann, mag der Forscher jedoch nicht unterschreiben. Nicht einmal nach seiner Expedition 2002, deren Erfolg ihn auf die Titelseite des Fachblatts Science katapultierte: Er hatte gezeigt, dass sein erdüngter Algenteppich 30 000 Tonnen CO2 verschlang. Nach dem Absterben sank das Plankton in tiefere Meeresschichten, wodurch das in der Algen-Biomasse gebundene Treibhausgas dem Kohlenstoff-Kreislauf entzogen wurde – zumindest vorübergehend. Doch Coale ist die Sache zu heiß, um sie als Patentrezept zu propagieren: „Eine massive Eisendüngung ist wissenschaftlich nicht zu verantworten.“ Denn: Große Planktonblüten reduzieren den Sauerstoffgehalt im Wasser, was im Endeffekt zur Bildung von Methan führt – ein 60-mal stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid.

Auch Richard Barber, Ozeanographie-Professor an der Duke University, und Mike Markels, Gründer der Firma GreenSea Venture, haben ihre alte Euphorie verloren. Unlängst wollten sie noch jährlich zwei Millionen Tonnen CO2 versenken – und zwar kostenpflichtig: GreenSea Venture hatte vor, „Umwelt-Zertifikate“ an Unternehmen zu verkaufen und dafür deren CO2-Emissionen durch Eisendüngung zu kompensieren. Indes: „Das ist keine Methode, um das atmosphärische CO2 wirksam zu reduzieren“, findet Barber heute. Eine komplette Düngung der Südhalbkugel-Meere könne im Idealfall jährlich eine Milliarde Tonnen CO2 binden. Doch die weltweiten CO2-Emissionen lägen derzeit bei 7 Milliarden Tonnen – Tendenz steigend. „Wer glaubt, die globale Ökologie steuern zu können, ist naiv“, schalt schon während der ersten Düngungs-Experimente die MIT-Ozeanographin Sally Chisholm, Coales schärfste Kritikerin. Die beste Lösung sei, den Ausstoß von CO2 zu reduzieren.

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Zum selben Schluss kam ein Team um Victor Smetacek vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven nach einer Eisendüngungs-Expedition 2004. Doch heute sieht der Ozeanographie-Professor das anders: „Die Lage ist inzwischen so bedrohlich, dass Reduktion allein nicht mehr reicht. Wir müssen jetzt alle Möglichkeiten nutzen, um das CO2 loszuwerden – Eisendüngung ist eine davon.“ Daher plant er neue Düngungs-Projekte. Seine nächste Expedition, mit Forschern des National Institute of Oceanography in Goa, soll 2008 starten. Désirée Karge ■

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