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Das Dream-Team der Forschung

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Das Dream-Team der Forschung

Wenn Robert Arlinghaus (30) von seiner Leidenschaft fürs Angeln spricht, spart er nicht mit Selbstironie. „Bis zu anderthalb Tage lang rund um die Uhr an einem Ufer zu hocken, nur um vielleicht einen Fisch zu fangen, den man hinterher wieder ins Wasser setzt… und dafür ein Wochenende auf den Kopf zu hauen sowie ein paar Hundert Euro für Hin- und Rückreise, Köder, Ausrüstung und Gebühren: Ich schätze, man muss ziemlich verrückt sein, wenn man sich das antut.“

Doch diese „Verrücktheit“ hat Arlinghaus zum Forscherberuf gebracht – vor allem die Beschäftigung mit einem bestimmten Wasserbewohner: „Der Karpfen ist der Fisch, der mich am meisten geprägt hat, den ich achte und dem ich verdanke, dass ich Wissenschaftler geworden bin.“

Achtung vor einem Fisch? Arlinghaus erklärt: „Der Karpfen ist ein Fisch, der sehr rasch lernt und sich höchst effektiv den Nachstellungen der Angler entzieht.“ Ein Fisch als Karrierehelfer? „Ich habe mich als Schüler beim Angeln immer gefragt, warum Karpfen in ei- nem Gewäs- ser heute hier sind und morgen dort, nach welchen Kriterien sie auf Nahrungssuche gehen. Ich habe schon damals begonnen, wissenschaftliche Literatur über diese Tiere zu lesen – und das hat mich später zu meinem Studium gebracht.“ Respekt vor der Kreatur bewegt den 30-Jährigen ebenso stark wie der Wunsch, die gereizte Diskussion zwischen Anglern und Naturschützern in Deutschland zu versachlichen – anhand von wissenschaftlich ermittelten Daten statt Unterstellungen: Was sind die wahren Motive der Angler? Welchen Fischen stellen sie nach, wie viele fangen sie? Welche Folgen hat ihr Verhalten für die Artenzusammensetzung der Gewässer?

Zu alledem gab es bislang nur Vermutungen. Hier hat der im niedersächsischen Lohne geborene Sohn einer Spanierin und eines Deutschen Pionierarbeit geleistet. Nach dem Studium der Fischwirtschaft und Gewässerbewirtschaftung an der Berliner Humboldt-Universität wechselte Arlinghaus 2000 ans Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. Dort erstellte er im Rahmen seiner Promotion die erste systematische Studie über die Bedeutung der Hobbyfischerei hierzulande – ökonomisch, ökologisch, soziologisch. Dafür heimste er 2004 gleich zwei Auszeichnungen ein: den Albrecht-Daniel-Thaer-Förderpreis für eine herausragende Dissertation sowie den Leibniz-Nachwuchswissenschaftler-Preis.

Arlinghaus gehört zur neuen Generation von Wissenschaftlern, die nicht nur Grundlagenforschung betreiben, sondern ihre Erkenntnisse auch populärwissenschaftlich an den (angelnden) Mann bringen. Das blieb nicht unbemerkt: 2004 wurde ihm der Bscher-Medienpreis der Humboldt-Universitäts-Gesellschaft verliehen, 2005 folgte die Nominierung für den René-Descartes-Preis für Wissenschaftskommunikation der Europäischen Union.

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Die Resultate seiner Grundlagenstudie überraschten selbst Kenner der Szene. Demnach holen Hobbyangler in Deutschland mit fast 45 000 Tonnen Fisch pro Jahr bis zu zehnmal mehr aus den Gewässern als sämtliche kommerziellen Seen- und Flussfischer zusammen. Und sie sind ein relevanter Wirtschaftsfaktor: Die Freizeitfischerei schlägt mit 52 000 Arbeitsplätzen und einem ökonomischen Gesamtnutzen von 6,4 Milliarden Euro jährlich zu Buche.

Den größten Teil seiner Daten rekrutierte Arlinghaus aus Umfragen unter Anglern. Einem x-beliebigen anfragenden Wissenschaftler wäre Misstrauen entgegengeschlagen. Er jedoch „ gehörte dazu“ – als einer der bekanntesten Angler Deutschlands, der mit Fischen in den Fachmagazinen abgebildet war und dort viele Artikel über Verhalten und Biologie speziell des Karpfens veröffentlichte. In Internet-Chat-Rooms ist er ebenso präsent wie in öffentlichen Vorträgen und Diskussionen. So jemandem kauft man es ab, dass es unklug ist, stets die größten Fische aus dem Wasser zu holen und keine davon zurückzusetzen: „Alte Tiere haben eine wichtige Rolle im Gewässer, von ihnen kommen deutlich bessere Eier und Larven als von jungen. Das automatische Töten nach dem Fang kann langfristig nicht im Interesse der Angler sein, weil die Gewässer gestört werden. Das möchte ich in den nächsten Jahren genauer untersuchen.“

Seit 2004 leitet Arlinghaus das IGB-Projekt „Wissenschaftliche Grundlagen für ein nachhaltiges Binnenfischereimanagement“ und darin die Arbeitsgruppe „Angelfischerei“. Was brennt ihm am meisten unter den Nägeln? „Ich würde unheimlich gern herausbekommen, ob es durch selektives Angeln zu einer genetischen Veränderung der Tiere kommt. Das Verhalten ist bei Fischen ja größtenteils genetisch gesteuert. Ein Beispiel: Aggressive Hechte gehen viel rascher an den Haken als vorsichtige. Heißt das, dass unter dem Selektionsdruck der Angler allmählich die Eigenschaft ,Aggressivität‘ aus dem Gen-Pool verschwindet?“

Seine große Vision, durch die Kommunikation wissenschaftlicher Ergebnisse Hobbyangler und Naturschützer miteinander zu versöhnen, behält er neben seinen Projekten fest im Blick. Die werden allerdings nicht weniger: Kurz vor Redaktionsschluss hat Arlinghaus der Ruf auf eine Junior-S-Professur für Binnenfischerei-Management an der Humboldt-Universität ereilt.

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