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SIE TRICKSEN UND TÄUSCHEN

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SIE TRICKSEN UND TÄUSCHEN
Rabenvögel beeindrucken durch ihre technische Intelligenz. Aber auch sozial sind sie nicht ohne.

Das Schälchen enthält in Streifen geschnittenes Rinderherz. Aber es steckt in einem Glaszylinder. Die Krähe reckt sich, doch der Zylinder ist zu eng und zu tief. Mit dem Schnabel kann sie das Schälchen nicht erreichen. Sie schaut sich um, wählt ein Drahtstück passender Länge und versucht damit das Fleisch aufzuspießen. Doch das gelingt ihr nicht. Mit schief gehaltenem Kopf betrachtet sie nun eingehend die Lage. Für die menschlichen Beobachter wirkt das wie ein Überlegen. Sie sieht, dass das Schälchen mit dem Fleisch einen Henkel hat. Nun nimmt sie das Drahtstück, klemmt es an einem Ende fest und biegt es mit dem Schnabel so lange, bis ein Haken zustande kommt. Dann fasst sie das gerade Ende, fliegt zum Zylinder und senkt den Haken zum Schälchen hinab. Sie dreht ihn, bis der Henkel geangelt und das Schälchen herausgezogen ist. Nur eine Minute dauert der Videospot, auf dem dieser Versuch dokumentiert ist.

SCHNABELFERTIG UND ERFINDERISCH

Gewiss, Betty, die Neukaledonische Krähe, war mit derartigen Experimenten vertraut. Untersucht wurde sie von Axel Kacelnik und seinen Kollegen an der Oxford University (siehe bild der wissenschaft 10/2008 „Die Tricks der schlauen Raben“). Doch das ändert nichts an ihrer Leistung. Sie hat gezielt und gekonnt das passende Werkzeug hergestellt. Und das mit einer „ Schnabelfertigkeit“, die sich durchaus mit der Fingerfertigkeit von Primaten vergleichen lässt. Kein stereotypes angeborenes Programm lief dabei ab wie etwa bei manchen komplizierten Bewegungen beim Nestbau. Vielmehr muss dieser Krähe eine vergleichbare Einsicht in die Notwendigkeiten zugebilligt werden – wie Schimpansen, die Zweige mit Händen und Zähnen zu Stöckchen verarbeiten, um damit Termiten zu „angeln“.

Nun zeichnen sich viele Vögel durch eine besondere „ Schnabelfertigkeit“ aus. Was die komplizierten, vom Menschen und anderen Primaten nicht imitierbaren Bewegungen ermöglicht, mit denen beispielsweise Webervögel ihre Nester flechten, ist vor allem die hohe Leistungsfähigkeit ihres Kleinhirns. Diese „ technische Intelligenz“ schätzen wir in der Regel weniger hoch ein als die „soziale Intelligenz“, bei der es um die Artgenossen und die Vorab-Beurteilung ihres Verhaltens geht.

Soziale Intelligenz entfaltet das Großhirn, speziell die Großhirnrinde. Vögel sind im Kleinhirn „gehirnig“, nicht im Großhirn. Können sie bei ihrem vergleichsweise kleinen Großhirn also in puncto soziale Intelligenz grundsätzlich nicht mit Säugetieren konkurrieren? Wer mit dem Sozialverhalten von Vögeln vertraut ist, wird mit einer Antwort zögern. Längst nicht alles läuft ritualisiert ab wie bei manchen Formen der Balz. Vieles geschieht sehr partnerbezogen.

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Auf Menschen geprägte Rabenvögel bieten hierzu höchst eindrucksvolle Einblicke. Etwa meine Rabenkrähe „Tommy“: Ein Gewittersturm hatte die kleine Krähe aus dem Nest geworfen. Als man sie mir brachte, waren ihre Augen noch geschlossen. Tommy wurde menschengeprägt. Sein Verhalten richtete er auf mich aus wie auf einen Artgenossen. Mühelos fand er mich unter anderen Menschen heraus. Tommy spielte gern. Er fasste zum Beispiel das zu einem Knoten gebundene Ende einer Schnur und ließ sich damit in der Luft herumwirbeln, als ob er an einer Angel hängen würde. Dieses Spiel machte er nur mit mir.

TommyS MESSERTRICK

Doch Tommy konnte auch fies sein: Als ihn einmal der Nachbar mit einem Stückchen Wurst neckte, indem er es ihm mehrmals hinhielt und im letzten Moment wieder wegzog, tat Tommy nach einigen erfolglosen Versuchen, das Wurststück doch zu schnappen, uninteressiert. Er setzte sich auf die Bank neben den Nachbarn und fing ganz ruhig an, sich das Gefieder zu putzen. Doch als der Nachbar das Messer beiseite legte, mit dem er Stücke von der Wurst geschnitten hatte, packte Tommy es blitzschnell und trug es mit einiger Mühe, weil er das Messer im Flug kaum halten konnte, aufs Hausdach. Dort legte er es ab. Vom Dach des nächsten Hauses aus sah er seelenruhig zu, wie der Nachbar hinaufstieg und sich das Messer zurückholte.

Beispiele in dieser Richtung gibt es viele. Der große Verhaltensforscher Konrad Lorenz (1903 bis 1989) bekam aus seinen Beobachtungen zum Sozial- und Partnerverhalten von Dohlen die entscheidenden Anregungen zur Entwicklung der vergleichenden Verhaltensforschung. An Dohlen, Gänsen, Enten und anderen Vögeln forschte er mehr als an Hunden – aus guten Gründen. Die Rabenvögel haben das relativ größte Großhirn unter allen Vögeln. Es gibt in dieser Familie territorial paarweise lebende Arten, aber auch Koloniebrüter, Gruppen von Nichtbrütern, die gemeinsam umherstreifen, und Helfer, die Paaren bei Revierverteidigung und Jungenaufzucht beistehen. Raben und Krähen sind einförmig schwarz oder grau und schwarz gefiedert. Elstern (von denen seit zwei Jahren bekannt ist, dass sie sich selbst im Spiegel erkennen können) und Häher, die auch zu den Rabenvögeln gehören, sind hingegen „bunt“. Kolkraben, die am größten sind, können sich offenbar so gut in ihre Artgenossen hineinversetzen, dass sie in der Lage sind, diese gezielt zu täuschen. Das haben Forscher wie Eberhard Gwinner, Bernd Heinrich und Kurt Kotrschal unabhängig voneinander nachgewiesen.

Kolkraben können noch mehr. Mein Freund Karl Pointner hatte einen, der nach dem ersten Ruf, den der junge Rabe von sich gegeben hatte, „Mao“ genannt worden war. Mao war menschengeprägt. Hunde mochte er nicht. Er erschreckte und verjagte sie, indem er jeden Hund im Tiefflug von hinten anflog und ihm aus dem Flug heraus einen kräftigen Schnabelhieb auf den Kopf versetzte. Dabei rief er lauf „Mao“. Die solcherart malträtierten Hunde jaulten auf, machten einen Luftsprung und suchten das Weite. Nun gab es aber im Freundeskreis einen Hund, der dem Kolkraben als „guter Hund“ nahegebracht werden sollte. Karl Pointner versuchte „Mao“ mit viel Mühe klar zu machen, dass dies „ein braver Hund“ und Mao „mein braver Vogel“ sei. Dieser sah und hörte mit der typisch schrägen Kopfhaltung „aufmerksam“ zu und unterließ es, dem Hund einen Schnabelhieb zu verpassen. Die Unterscheidung zwischen dem „ guten Hund“ und den anderen schien geglückt – bis sich ein paar Tage später Folgendes abspielte: Mao flog dicht über dem Boden nicht hinter, sondern vor dem Hund her – gerade so schnell, dass ihn dieser nicht zu fassen bekam, obwohl er das mit aller Kraft versuchte. Immer wenn es so aussah, dass der Hund nun doch zuschnappen könnte, beschleunigte der Rabe. Als der Hund zusammenbrach, sodass wir schon meinten, er hätte einen Herzinfarkt bekommen, schwang sich der Rabe auf den nächsten Baum, schüttelte das Gefieder und gab mehrfach laut von sich: „ Mao, bist ja mein Braver!“ So wie er es immer gehört hatte, wenn er gelobt worden war. ■

Josef H. Reichholf, Zoologe mit Spezialgebiet Vogelkunde und erfolgreicher Buchautor, ist von Kindesbeinen an mit Rabenvögeln vertraut.

von Josef H. Reichholf

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Josef H. Reichholf RABENSCHWARZE INTELLIGENZ Was wir von Krähen lernen können Herbig, München 2009, € 19,95

VIDEO

Krähe Betty angelt sich ein Schälchen Fleisch: www.youtube.com/watch?v=is63WMcbUyE

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