Physiker diskutieren darüber, ob neue Erkenntnisse zur Tscherenkow-Strahlung die Interpretation von Meßergebnissen in der Hochenergiephysik in Frage stellen. Ein deutsch-amerikanisches Wissenschaftlerteam hatte vor kurzem entdeckt, daß auch „langsame Teilchen” dieses Leuchten erzeugen können.
Bereits vor rund 60 Jahren fand der russische Physiker Pawel Tscherenkow heraus, daß ein Partikel, das sich durch ein Dielektrikum bewegt, zum Beispiel Wasser oder Keramiken, einen Kegel aus Licht hinter sich herzieht. Voraussetzung dafür, so glaubte man bisher: Das Teilchen ist schneller als das Licht in der umgebenden Substanz. Da der Öffnungswinkel des Lichtkegels davon abhängt, wie schnell sich das Teilchen bewegt, wird das Tscherenkow-Leuchten in Teilchenbeschleunigern benutzt, um die Geschwindigkeit zum Beispiel von Elektronen oder Myonen zu messen. Zwei Forschergruppen am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperforschung und der Universität von Michigan in Ann Arbor zeigten nun, daß auch Partikel, die langsamer sind als das Licht, in einem dielektrischen Medium Licht aussenden. Sie beschossen einen Halbleiterkristall aus einem Laser mit weniger als einer zehnbillionstel Sekunde kurzen Lichtblitzen und erzeugten so elektrische Dipole, die wie Teilchen durch das Material eilten. Wichtiges Ergebnis der Experimente für die Deutung von Messungen in Beschleunigeranlagen: Der Lichtkegel der Tscherenkow-Strahlung läßt keinen eindeutigen Rückschluß auf die Geschwindigkeit der Teilchen zu.
Hans Groth