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NETZWERKER(SP)INNEN

Erde|Umwelt

NETZWERKER(SP)INNEN
Manche Spinnen-Arten leben zu Tausenden in egalitären Gemeinschaften zusammen – und das seit mehreren Millionen Jahren.

Die typische Spinne gilt als intolerante, kannibalische Einzelgängerin, als berechnende Killermaschine. Gesellschaft sucht sie nur aus zwei Gründen: um sich fortzupflanzen oder um ihr Gegenüber zu fressen – mitunter auch beides auf einmal. Männliche Spinnen überleben oft nur mit Glück eine Paarung, ansonsten dienen sie dem Weibchen als willkommener Nachtisch. Und verirrt sich einmal eine Spinne in ein fremdes Netz, entscheiden allein Größe und Schnelligkeit, wer das zufällige Zusammentreffen mit dem Tod bezahlt.

Doch es gibt sie, die Ausnahmen. Es gibt verträgliche, selbstlose, soziale Spinnen, die nicht nur ihre Behausung, sondern auch ihre Nahrung und die Aufzucht des Nachwuchses miteinander teilen. Von den 39 000 Spinnen-Arten haben sich allerdings nur drei Dutzend für ein derartiges alternatives Wohnprojekt entschieden. Und auch bei den sozialen Arten ist das Verhalten äußerst unterschiedlich. Jede Art hat ihre ganz spezielle Netzarchitektur, ihre eigenen Jagdmethoden und Sozialregeln. Das ist gar nicht erstaunlich, schließlich hat sich Sozialität während der Evolution der Spinnen dreimal unabhängig voneinander entwickelt. So sind Spinnen der Art Theridion nigroannulatum wahre Teamarbeiter. Sie weben Fäden, die von tiefsitzenden Blättern herabhängen, und verstecken sich dann an den Blatt-Unterseiten. Sobald sich ein Insekt in den Fäden verheddert, seilen sich Dutzende Spinnen ab wie ein fein abgestimmtes militärisches Sonderkommando und werfen ein klebriges Netzgewebe über ihr Opfer. Dann tragen sie ihre Beute zum Gemeinschaftsnetz und teilen sie mit den Hausgenossen. „Es ist wirklich erstaunlich“, sagt die Zoologin Leticia Avilés von der kanadischen University of British Columbia. „Diese Spinnen arbeiten nicht nur während des Beutezugs zusammen. Wenn die Beute besonders groß ist, wechseln sie sich sogar beim Tragen ab.“

Tags ALLEIN, NACHTS Gemeinsam

Metabus gravidus oder Philoponella oweni dagegen leben nur in der Nacht in einem Gemeinschaftsnetz zusammen, wo sie sich abwechselnd um die Brut sorgen. Tagsüber bauen sie jeden Morgen von Neuem ihr ganz persönliches Fangnetz, in dem sie alleine jagen und notfalls ihre Beute sogar durch Beinschläge vor ihren Netznachbarn verteidigen. Nur 2 der etwa 30 sozialen Arten sind Jäger ohne Netz. Eine davon ist die aus dem Horrorfilm „ Arachnophobia“ bekannte Riesenkrabbenspinne Delena cancerides. Ihre Beinspanne ist so groß wie eine Männerhand. Bis zu 300 Tiere leben in Nestern unter der sich abschälenden Rinde von Akazien. Wissenschaftler glauben, dass sich Delena cancerides nur notgedrungen zu einer sozialen Art entwickelt hat. Grund dafür war wohl ein Mangel an geeigneten Behausungen, erklärt Avilés.

Aber wie kam es im Verlauf der Spinnen-Evolution überhaupt zur Entwicklung von Arten, die ihr ganzes Leben gemeinsam verbringen? Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Mutterspinne und ihre Jungspinnen eine geraume Zeit verträglich zusammenleben. Doch normalerweise ist dieses traute Familienleben nur von kurzer Dauer, und die Spinnen gehen bald getrennte Wege. Avilés, die bereits als Studentin soziale Spinnen in den Regenwäldern Ecuadors beobachtete, vermutet, dass soziale Arten die gemeinsame Familienzeit immer weiter ausgedehnt haben und sich auch nach der Geschlechtsreife gegenseitig zu dulden gelernt haben. Unterstützt wird diese These durch die Beobachtungen, dass soziale Arten generell kleiner sind als ihre solitären Verwandten und dass sie ihre jugendlichen Körperproportionen beibehalten, etwa ihre verhältnismäßig kurzen Beine.

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NETZ MIT REGENDACH

Das Kommunenleben bringt den Spinnen einige Vorteile. Stegodyphus-Arten etwa überwältigen auf ihren gemeinsamen Raubzügen Beute, die bis zu 30 Mal schwerer ist als sie selbst, zum Beispiel Heuschrecken. Zudem sparen sie kostbare proteinreiche Spinnenseide. Das ist vor allem für Spinnen in tropischen Gebieten wichtig, denn ihre Netze werden regelmäßig von Regenschauern zerstört. Eine indische soziale Spinnen-Art, Stegodyphus sarasinorum, hat dieses Problem besonders geschickt gelöst – mit einem cleveren Netzdesign. Sie webt aus ihrer Spinnenseide über ihrem eigentlichen Netz ein festes Dach, das dieses zuverlässig vor dem Monsun schützt. Eine einzelne Spinne hätte Probleme, genug Seide zu produzieren. Bei vielen Arten findet sich sogar ein Gemeinschaftsraum, ein Rückzugsort etwas abseits der Fangnetze, in den sich die Spinnen begeben, wenn ihnen der Sinn gerade nicht nach Jagd steht.

Auch die Brutpflege ist Teamleistung. Die Kokons werden in gemeinsamen Bruträumen versorgt und die Jungspinnen von Mund zu Mund gefüttert. Männchen übernehmen in der Spinnen-Kolonie kaum Aufgaben. Sie beteiligen sich nicht an der Brutpflege, spinnen keine Fangfäden und engagieren sich kaum beim Beutefang. Sie verbringen ihre Zeit damit, umherzuvagabundieren und sich an der von den Weibchen gefangenen Beute zu laben. Doch das ist kein Problem, da nur 8 bis 17 Prozent der Spinnen einer jeden Kolonie männlich sind. Somit ist das Leben der sozialen Spinnen primär eine Frage der gegenseitigen Duldung und Zusammenarbeit der weiblichen Tiere.

GLEICHHEIT IST DIE REGEL

Deren Sozialleben baut in der Regel auf Gleichheit auf. Ein Kastensystem mit strikter Arbeitsteilung, wie man es von staatenbildenden Insekten wie Bienen und Ameisen kennt, wird bislang nur bei einer Art vermutet: Anelosimus eximius. Kleinere und schmächtigere Weibchen übernehmen hier den Hauptteil der Netzbauarbeiten, der Reinigung und Reparaturen. Sie führen ein Jungferndasein und leben, wie eine Arbeiterinnen-Kaste, nur als Helferinnen im Netz. Die größeren, stämmigeren Weibchen pflanzen sich fort und kümmern sich um die Brutpflege.

Doch das Kommunenleben hat neben Vorteilen auch Nachteile. Schließlich ist durch das enge Beieinander von Brüdern und Schwestern Inzucht unvermeidlich – und die wird von der Evolution normalerweise über kurz oder lang bestraft. Doch wie molekularbiologische Untersuchungen der Universität Mainz ergeben haben, existieren die sozialen Arten bereits seit etlichen Millionen Jahren. Die Kosten-Nutzen-Rechnung scheint also aufzugehen. Avilés glaubt, dass schädliche Gen-Varianten im Laufe der Zeit schlichtweg ausgemerzt wurden: „Spinnen mit nachteiligen Genen hinterließen weniger Nachkommen, so dass sie über die Zeit ausgestorben sind.“

Aber auch wenn Gen-Defekte das Überleben der sozialen Arten nicht gefährden – Inzucht ist problematisch: Sie könnte die Arten in eine evolutionäre Sackgasse führen. Die geringe genetische Variabilität verhindert nämlich, dass sich die Arten schnell an eine veränderte Umwelt anpassen. „Vielleicht ist tatsächlich das der Grund dafür, warum es so wenige soziale Spinnen-Arten gibt – sie haben ihr Potenzial eingebüßt, sich weiterzuentwickeln“, mutmaßt Avilés. Durch Inzucht entstehen zudem sehr viele genetisch nahezu identische Individuen, die leichter das Opfer von Parasiten werden können.

Dicht aneinander gekuschelt

Es mag das Überleben der sozialen Arten etwas fördern, dass sie ihren Gen-Pool immer wieder durch frisches Blut aufmischen. Fremde Spinnen werden problemlos in der gemeinsamen Mitte geduldet. Manche Gattungen sind so gastfreundlich, das man selbst erwachsene Spinnen der gleichen Art ohne Weiteres aus einer Kolonie in eine andere, 100 Kilometer entfernte, umsiedeln kann. Die Neuzugänge verhalten sich sofort wie dazugehörig und werden von den Ansässigen wie Gruppenmitglieder behandelt.

Es ist sogar gelungen, verschiedene Arten miteinander zu mischen. Als der SpinnenForscher Wolfgang Wickler Nester von Stegodyphus dumicola und von Stegodyphus mimosarum nebeneinander in einen Busch setzte, bauten die Bewohner schon in der ersten Nacht ein gemeinsames Fangnetz. Am Morgen wurden sie beobachtet, wie sie gemeinsam Beute herbeischleppten, und am dritten Tag fanden sich Spinnen beider Arten dicht aneinander gekuschelt in einem gemeinsamen Aufenthaltsnetz. Bei Nahrungsknappheit werden manche soziale Spinnen zu Kannibalen. Doch sie beachten dabei offenbar die genetische Fitness ihrer Nachkommen: Geschlechtsreife Weibchen der Arten Delena cancerides und Diaea ergandros etwa fressen eher ihre eigenen Brüder auf als zugewanderte Männchen, die als Gatten in Frage kommen. Jungspinnen derselben Art verspeisen dagegen lieber Fremdlinge als Familienmitglieder. Der Großteil von ihnen verhungert jedoch eher, als sich an einer anderen Spinne zu vergehen. Das haben Versuche der Zoologin Amber Beavis von der Australian National University gezeigt.

Was manche Spinnen-Arten zum Leben in der Kommune gebracht hat, ist noch nicht hinreichend erforscht. Der Schutz durch die Gruppe vielleicht? „Für manche Spinnen-Arten mag soziales Leben die einzige Chance in einer widrigen Welt sein“, meint der Zoologe Theo Evans von der Australian National University. „ Zusammenzuleben ist für sie nicht unbedingt die beste Art zu leben, aber es ist mitunter die beste aller Möglichkeiten.“ ■

SIMONE EINZMANN findet Spinnen faszinierend, solange sie ihnen nicht persönlich begegnet.

von Simone Einzmann

KOMPAKT

· Gemeinsame Raubzüge und gemeinsame Brutpflege gehören zu den Vorzügen von Spinnenkolonien.

· Außerdem wird durch das soziale Zusammenleben kostbare Spinnenseide gespart.

· Doch die Inzucht in den engen Gemeinschaften mit all ihren Nachteilen sorgt dafür, dass soziale Spinnen-Arten selten sind.

GUT ZU WISSEN: SPINNEN

Weltweit kennt man etwa 39 000 Spinnen-Arten, 1000 davon leben in Deutschland. Während man sich in vielen Industrieländern vor Spinnen ekelt, werden sie in Asien frittiert als Delikatesse serviert.

Spinnenfäden sind bei gleichem Durchmesser fünfmal so reißfest wie Stahl und lassen sich um das 300-Fache ihrer Ursprungslänge dehnen. Ein daumendickes Tau aus Spinnenseide könnte somit ein Flugzeug bei der Landung bremsen. Spinnenseide ist gefragt in Medizin und Technik. Der Biochemiker Thomas Scheibel von der Universität Bayreuth hat eine Methode entwickelt, die Seide von genetisch veränderten Bakterien künstlich erzeugen zu lassen. Die kanadische Firma Nexia Biotechnologies (Motto: „Sanft wie Seide, stark wie Stahl“) schleuste sogar Spinnen-Gene in das Genom von Zwergziegen, die mittlerweile mehrere Gramm Spinnenseiden-Protein pro Liter Milch produzieren.

Die Riesenvogelspinne ist mit einer Beinspannweite von 30 Zen- timetern die größte Spinne der Welt. Sie kann bis zu 170 Gramm wiegen. Am kleinsten ist die stecknadelkopfgroße Patu digua.

Die brasilianische Kammspinne Phoneutria nigriventer gilt als eine der giftigsten Spinnen der Welt. Sie ist für die meisten tödlichen Spinnenbisse beim Menschen verantwortlich. Da ihr Biss bei Männern zu mehrstündigen Erektionen führt, wird das Gift derzeit als Heilmittel für Erektionsprobleme getestet.

Das RiesenNetz im Park

Für Furore sorgten einige Vertreter sozialer Spinnen-Arten im August 2007, als sie die Eichen des amerikanischen Lake Tawakoni State Parks mit einem Netz von der Größe zweier Fußballfelder einspannen. Die Landschaft wirkte wie die Kulisse für einen gruseligen Halloween-Film. Das Netz war nach Augenzeugenberichten an manchen Stellen so dicht, dass die Sonne nicht mehr hindurch schien, und es brummte von all den gefangenen Insekten. Als Wissenschaftler die in dem Riesennetz lebenden Spinnen zu klassifizieren versuchten, fanden sie zu ihrer Überraschung nicht nur soziale Arten, sondern auch viele sonst solitär lebende Spinnen. Es scheint also, dass selbst Einzelgängerspinnen je nach Umweltbedingungen eine soziale Ader entwickeln können. Nach wenigen Wochen war der Spuk vorüber – starker Regen hatte das Netz zerstört.

Klein, schnell und giftig

Warum haben viele Menschen Angst vor Spinnen? Die Tiere sind doch eigentlich ganz harmlos.

Wir orientieren uns am Verhalten unserer Familie und der Umgebung – und Angst lernen wir besonders schnell von anderen. Das Modelllernen spielt hier also eine wichtige Rolle. Zudem sind wir genetisch vorprogrammiert, auf bestimmte Tiere leichter mit einer Phobie zu reagieren, zum Beispiel auf die kleinen, schnellen und auch potenziell giftigen Tiere. Das hat evolutionsbedingt eine Berechtigung: Der Körper wird dadurch schnell in Fluchtbereitschaft versetzt.

Was passiert im Gehirn eines Phobikers, wenn er eine Spinne sieht?

Die Amygdala, die wesentlich an der Entstehung von Angst beteiligt ist, wird unglaublich stark und schnell aktiviert, noch bevor die Information das Großhirn erreicht. Die Angst ist also schon da, bevor der Phobiker die Chance hat, das Geschehen zu rationalisieren.

Warum sind so viele Spinnenphobiker Frauen?

Darüber lässt sich nur spekulieren. Grundsätzlich haben Frauen häufiger Angststörungen als Männer. Ängstlichsein wird dem weiblichen Geschlecht eher zugestanden und löst beim Mann sogar ein Helfersyndrom aus.

An der Universität Tübingen wird Spinnenangst allein durch Imaginationsübungen therapiert, eine Spinne bekommen die Phobiker nicht zu Gesicht. Wie funktioniert das?

Die Probanden entwickeln Angst, Erregung oder Unbehagen, obwohl sie sich die Spinne nur vorstellen. Die Emotionen sind die Voraussetzung dafür, dass der Körper umlernen kann. Er lernt, dass die Angst nicht ins Unermessliche steigt, sondern ab einem gewissen Grad langsam wieder abnimmt.

MEHR ZUM THEMA

LESEN

Peter Hillyard Faszination Spinnen Kosmos, Stuttgart 2008, € 29,90

Jae Choe The evolution of social behavior in insects and arachnids Cambridge University Press, 1997, ca. € 63,–

INTERNET

Liste der sozialen Spinnen-Arten: www.theridiidae.com/Social%20Spiders.html

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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