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Die stärksten Explosionen im All

Allgemein

Die stärksten Explosionen im All
Entfernungsrekorde und Trümmerschau: Astronomen sind den rätselhaften Gammastrahlen-Ausbrüchen auf der Spur.

Mit großen Zahlen zu jonglieren, sind Astronomen gewöhnt. Aber sie können auch anders: Wie klein erschiene zum Beispiel das „o“ auf dieser Seite, wenn es nicht eine halbe Armlänge entfernt wäre, sondern so weit wie unser Mond?

Antwort: So winzig wie der Ring kosmischer Trümmer, den amerikanische Forscher kürzlich in einer zehn Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie beobachtet haben. Dieser Winkel ist so klein, daß er selbst das Auflösungsvermögen des Hubble-Weltraumteleskops um das 100000fache übertrifft. Auch die modernste optische Technik würde nicht genügen, um jemals ein solches Objekt zu fotografieren. Doch glücklicherweise kommt manchmal die Natur der Wissenschaft zu Hilfe. So auch bei dem Nachglühen von GRB 000301C im Sternbild Corona Borealis: Ein Mikrogravitationslinseneffekt verstärkte das Licht der ringförmigen Trümmerwolke derart stark, daß die Astronomen sich gleichsam an ihr entlangzutasten vermochten. Gravitationslinseneffekte sind schon von Albert Einstein vorausgesagt worden. Sie entstehen, wenn ein massereiches Objekt sich exakt durch die Sichtlinie zu einem helleren Hintergrundobjekt bewegt und deren Licht geringfügig umbiegt. „ Wir vermuten, daß die Schwerkraft eines gewöhnlichen Sterns, der vielleicht die Hälfte der Masse unserer Sonne hat, den Linseneffekt verursachte“, sagt Avi Loeb vom Harvard Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, Massachusetts. „In der Milchstraße sehen wir solche Effekte häufig“, ergänzt sein Kollege Kris Stanek. „Aber die Relikte eines viel ferneren Gammastrahlen-Ausbruchs hatte bislang noch niemand auf diese Weise beobachtet.“

Die Messungen sind ein weiteres Puzzlestück für die Lösung eines der rätselhaftesten Phänomene im All. Ein Gammastrahlen-Ausbruch (abgekürzt GRB) wurde erstmals 1967 mit einem Satelliten gemessen. Seither sind mehrere tausend aufgespürt worden. Sie tauchen überall am Himmel unvorhersagbar auf, dauern von wenigen tausendstel Sekunden bis über 15 Minuten und verschwinden so plötzlich wieder, wie sie erschienen sind. Beobachtungen mit Hilfe des Compton Gamma Ray Observatory und dem 1997 gestarteten Satelliten BeppoSAX sowie irdischen Teleskopen haben gezeigt, daß die GRBs nicht in der Milchstraße, sondern in fernen Galaxien aufblitzen und einen nachglühenden Rest hinterlassen, der einige Stunden oder Tage lang Röntgenstrahlung und sichtbares Licht aussendet. Die dabei entfesselten Energien sind so enorm, daß ein GRB kurze Zeit heller leuchtet als eine ganze Galaxie. Pro Sekunde werden 1045 bis 1047 Joule Energie frei – ungefähr das 1020fache unserer Sonne. Damit sind die GRBs die mächtigsten Explosionen im Universum seit dem Urknall.

Über entsprechend weite Distanzen hinweg sind sie noch sichtbar. Der aktuelle Rekordhalter, GRB 000131 im Sternbild Carina, wurde erst vergangenen Oktober von Kevin Hurley (University of California, Berkeley) auf einer Konferenz in Rom bekanntgegeben. Seine Entfernung beträgt rund elf Milliarden Lichtjahre. (Der bisherige Rekordhalter, GRB 971214 im Sternbild Großer Bär, war neun Milliarden Lichtjahre entfernt.) Acht Monate hatten die Forscher gebraucht, um die Distanz des GRB herauszufinden. Dazu waren spektrale Untersuchungen seines Nachglühens im sichtbaren Licht notwendig. Entdeckt wurde der GRB schon im Januar 2000, und zwar mit Hilfe von vier weit im Sonnensystem verteilten Raumsonden, die wie Landvermesser seinen Ort aus verschiedenen Richtungen anpeilten. Neben BeppoSAX waren auch die Sonnensonde Ulysses, der Planetoiden-Erkunder NEAR und die Sonde Wind an der Entdeckung beteiligt. Viele Astronomen vermuten, daß GRBs während oder kurz nach der Explosion eines sehr massereichen Sternes aufblitzen.

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Dafür spricht, daß einige GRB- Reste in Sternentstehungsgebieten entdeckt wurden, wo solche Supernovae häufig vorkommen. GRBs sind allerdings tausendmal energiereicher. Doch wie bei Supernovae dürfte auch bei den hypothetischen Hypernovae der Sternkern in sich zusammenstürzen und ein Schwarzes Loch bilden. Dabei kreist für kurze Zeit eine dichte Trümmerwolke um das Schwarze Loch und erzeugt Jets aus hochenergetischen Teilchen. Stoßwellen in diesem Jet oder seine Kollision mit Gaswolken in der Umgebung könnten die Gammastrahlengewitter auslösen. Da die Energie gebündelt ins All gestrahlt wird, vergleichbar einem Suchscheinwerfer, sehen wir einen GRB nur, wenn er direkt in Richtung Erde zeigt.

Die ultrahoch erhitzten Stoßfronten und Kollisionszonen sind wahrscheinlich nur wenige Dutzend bis hundert Kilometer groß. Dafür sprechen Messungen von Katharine Walker und Bradley E. Schaefer von der Yale University sowie von Edward E. Fenimore vom Los Alamos National Laboratory. Sie fanden Gamma-Helligkeitsschwankungen von 30 bis teilweise nur 0,26 tausendstel Sekunden. Daraus folgt, daß die Strahlungsquelle extrem klein sein muß, teilweise nur 75 Kilometer im Durchmesser.

Für ein anderes rätselhaftes Phänomen der GRBs haben nun Mario Vietri von der Universität Rom und Luigi Stella vom Astronomischen Observatorium in Rom eine Erklärung vorgeschlagen: Messungen von BeppoSAX und dem Chandra-Röntgensatelliten zeigten, daß Eisenatome in der Umgebung von Supernovae so verteilt sind, als würde der GRB erst Jahre nach der Supernova entstehen. In ihrem „Supranova“-Modell vermuten die italienischen Astrophysiker, daß zuerst ein schwerer Stern zu einem Neutronenstern kollabiert und die eisenhaltigen Trümmer ins All schleudert. Später stürzt der Neutronenstern zu einem Schwarzen Loch zusammen und erzeugt dabei die Gammastrahlung in der Trümmerwolke, die vom ersten Kollaps übriggeblieben ist.

Doch diese – noch immer hypothetischen – Hyper- und Supranova-Mechanismen können nicht die einzige Ursache der GRBs sein. Jay Norris vom Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, Maryland, fand nämlich bei der Analyse von vielen hundert GRBs, daß sie sich in zwei Gruppen aufteilen: solche, die kürzer und solche die länger als zwei Sekunden dauern. Die kurzen GRBs bestehen aus weniger einzelnen Gammapulsen als die langen, haben andere Spektraleigenschaften, eine 20fach dichtere Pulsfolge und im Gegensatz zu den langen GRBs keine Beziehung zwischen den Lücken und der Gesamthelligkeit. Diese Unterschiede deuten auf völlig andere physikalische Ursachen der beiden GRB-Typen hin. Die langen GRBs könnten bei den erwähnten Supernovae entstehen, die kurzen dagegen beispielsweise bei der Kollision zweier Neutronensterne oder Schwarzer Löcher.„Die kurzen GRBs sind besonders rätselhaft“, sagt Norris‘ Kollege Jerry Bonnell. „Bislang haben wir noch kein einziges Nachglühen eines solchen GRBs beobachtet.“ Doch das wird sich bald ändern. Denn mit zwei speziell für die Erforschung der GRBs konstruierten Satelliten, HETE-2 und SWIFT, wollen die Astronomen die Geheimnisse der mysteriösen Explosionen im All endlich lüften.

Rüdiger Vaas

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