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Wird Erdöl bis 2010 nun doch knapp?

Allgemein

Wird Erdöl bis 2010 nun doch knapp?
Die Reservestatistiken wiegen uns in falscher Sicherheit, behauptet Werner Zittel, der soeben zusammen mit Jörg Schindler eine alarmierende Analyse vorgelegt hat. Hilmar Rempel, Erdölexperte der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, sieht die Situation weniger dramatisch.

bild der wissenschaft: Öl und Gas gehen schneller zur Neige als die Statistiken glauben machen. Mit dieser Kernbotschaft rütteln Sie, Herr Zittel, in einer Studie der Ludwig-Bölkow-Stiftung an den meisten Reserveprognosen, nach denen Rohöl und Erdgas noch viele Jahre reichlich sprudeln sollen.

Zittel: Unsere Analyse zeigt, daß wir beim Erdöl bereits in den kommenden zehn Jahren Probleme bekommen, weil die Produktion mit dem Verbrauch nicht mehr Schritt halten kann. Die gängigen Reichweitenbetrachtungen lassen diesen Parameter völlig außer acht. Dort wird lediglich berechnet, wie viele Jahre die nachgewiesenen Reserven bei feststehender Produktion reichen. Dazu werden die Reservemengen durch den gegenwärtigen Weltjahresverbrauch geteilt.

Rempel: Dem kann ich so nicht zustimmen. Wenn wir die Verfügbarkeit von Erdöl betrachten, schauen wir auf Reserven und Ressourcen, also die bekannten und die möglichen Lagerstätten. Und wir berücksichtigen die Produktionsentwicklung. Die von Ihnen kritisierte statistische Reichweite ist also keinesfalls der einzige Parameter, wie wir Ölvorräte betrachten. Ich denke, daß wir mit Produktionsproblemen erst in 20 bis 30 Jahren rechnen müssen, vielleicht auch noch viel später. Möglicherweise holen wir durch technologische Sprünge künftig wesentlich mehr Öl aus den Lagerstätten heraus als heute.

Zittel: Die Sprünge müssen Sie mir erst mal zeigen. Fortschritte gab es immer, doch die waren sehr kontinuierlich.

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Rempel: Also ich sehe da durchaus Möglichkeiten…

Zittel: …aber mit welcher Wahrscheinlichkeit wird dies der Fall sein? Es gibt schon viele Erdölregionen, die ihr Produktionsmaximum hinter sich haben. Denken Sie nur an Deutschland, wo das bereits 1968 der Fall war.

Rempel: Was Deutschland angeht, haben Sie recht. Doch weltweit sieht es mit der Produktionsstruktur weit besser aus, als Sie behaupten: Obwohl die Förderbedingungen immer komplizierter wurden, sind die Produktionskosten kontinuierlich gesunken. Das zeigt klar: Technische Innovationen nehmen einen wichtigen Raum bei der Erdölproduktion ein.

Zittel: Ihre Philosophie unterstellt, daß sich bei einem steigenden Ölpreis völlig andere Möglichkeiten entwickeln, an Erdöl heranzukommen. Die Situation auf der Welt ist aber ganz anders: Wir haben eine Marktspaltung zwischen OPEC und Nicht-OPEC, die die Ökonomie auf den Kopf stellt. Ursache ist, daß fast alle förderstarken Ölfelder in den OPEC-Staaten liegen und billig Öl liefern. Die Ölfelder außerhalb der OPEC produzieren schon heute vergleichsweise teuer, werden früher versiegen und nur durch teurere und kleinere Felder ersetzt.

Rempel: Die Nicht-OPEC-Länder fördern derzeit 60 bis 70 Prozent des gesamten Weltölbedarfs.

Zittel: Sie sind aber nicht in der Lage, OPEC-Ausfälle zu kompensieren. Genau das zeigt die Grenzen. 1970 erreichten die USA ihr Produktionsmaximum. Das Land konnte nicht mehr zulegen und verstärkte so die Wirkung der ersten Ölkrise 1973. Nicht anders war es 1980. Damals kam die Sowjetunion an ihr Produktionslimit, und schon hatten wir wieder eine – politisch motivierte – Ölkrise.

bdw: Im letzten November kostete das Barrel zweieinhalbmal soviel wie im Jahresschnitt 1998. Sind das Vorboten einer neuen Ölkrise?

Zittel: So ist es. Im Gegensatz zu den beiden früheren Krisen ist die jetzige jedoch alleine durch die Lagerstättenverfügbarkeit bedingt. Die Nicht-OPEC-Staaten können ihre Produktion nicht mehr erhöhen und sind mit ihren Kapazitäten am Anschlag.

Rempel: Dem stimme ich nicht zu. Denn in den vergangenen Jahren gab es auch außerhalb der OPEC einige größere Ölfunde, die künftig zur Stabilisierung beitragen werden – etwa im Golf von Mexico, vor Brasilien, in Angola, am und im Kaspischen Meer.

Zittel: Nehmen wir das Beispiel Angola. Die dort gefundenen Lagerstätten sind bei weitem nicht groß genug, um andere ausfallende Lagerstätten zu ersetzen. Außerdem will der dortige Staat die Ausbeutung nicht so rasch vorantreiben, wie der Markt das Öl abnehmen würde. Ich behaupte, die angolanische Regierung verzögert die Produktion auch deshalb, weil sie ahnt, daß sie künftig noch mehr Geld am Barrel verdient als heute möglich.

Rempel: Tatsache ist, daß immer noch Ölfelder gefunden werden. Wir kennen heute insgesamt über 42000.

Zittel: Aber rund 300 enthalten 75 Prozent des Welterdöls. Fast alle Riesen-ölfelder wurden vor Jahrzehnten entdeckt. Und da behaupten Sie, jetzt kommt der große Aufschwung?

Rempel: Davon spreche ich nicht. Aber wir haben in jüngster Zeit doch einige bedeutende Funde.

Zittel: Aber was für Mengen sind das? Seit 20 Jahren übersteigt der Verbrauch die jährlichen Neufunde.

Rempel: Unter geologischen und produktionstechnischen Gesichtspunkten ist der Nahe Osten noch 2020 in der Lage, 1,5 bis 2 Milliarden Jahrestonnen zu produzieren. Der gegenwärtige Weltölverbrauch liegt bei rund 3,6 Milliarden Tonnen.

Zittel: Die Angaben zu den Ölreserven – nicht nur der OPEC-Länder – betrachte ich sehr skeptisch.

bdw: Sie bezweifeln, daß da mit offenen Karten gespielt wird?

Zittel: Es gibt Länder, die ihre Reserven deutlich unterbewerten, dazu gehören Europa und die USA. Die OPEC-Staaten dagegen neigen eher dazu, ihre Vorräte überzubewerten. Wie damit Politik gemacht wird, hat Venezuela 1988 vorgeführt. Das Land schrieb seine Reserven kräftig nach oben. Aufgrund dieser Aktion bewerteten auch andere OPEC-Staaten ihre Vorräte neu. Das führte dazu, daß innerhalb von zwei Jahren die Welterdölreserven um ein Drittel zunahmen, ohne daß auch nur eine größere Lagerstätte neu gefunden wurde.

Rempel: Dennoch haben gerade die Golf-Länder noch viel Potential. In den letzten 20, 30 Jahren wurde dort so gut wie gar nicht nach neuen Lagerstätten gesucht, weil die bekannten Reserven so gigantisch sind.

Zittel: Das sind Hoffnungen.

Rempel: Das sind geologische Gegebenheiten.

bdw: Folgt daraus, daß man dort möglicherweise neue Superölfelder findet, im Jargon „Giants“ genannt?

Rempel: In den letzten beiden Jahren wurden im Iran zwei große Funde gemacht, die als die bedeutendsten seit 30 Jahren deklariert wurden. Auch in Kuwait und Saudi-Arabien fand man neue Lagerstätten. Ich rechne durch die Anwendung moderner Explorationsmethoden mit weiteren, auch bedeutenden Funden in dieser Region.

Zittel: Die ganz großen Felder hat man vor über 50 Jahren aufgespürt, das letzte 1977. Ich bin deshalb sehr skeptisch, ob da noch viel im Boden steckt.

bdw: In der Untersuchung, die Sie zusammen mit Ihrem Kollegen Jörg Schindler für den Deutschen Bundestag erstellt haben, kommen Sie zu dem zentralen Ergebnis, daß die Weltölreserven in den vergangenen Jahren vor allem deshalb zugenommen haben, weil man längst bekannte Lagerstätten produktiver einschätzt als früher. Neufunde spielen dabei kaum eine Rolle.

Zittel: Genau das ist der Knackpunkt. Deshalb argumentieren wir, daß die Erdölproduktion in wenigen Jahren ihren Zenit überschreiten wird.

Rempel: Sie machen den Fehler, daß Sie die Neufunde zwangsweise unterschätzen. Möglicherweise bewerten wir ja auch sie momentan zu niedrig.

Zittel: Die spektakulären Neubewertungen stammen samt und sonders von den großen Feldern.

bdw: Wenn der Ölpreis weiter steigt, sind aufwendigere Ölfördertechniken kein Thema mehr. Was sich bei einem Preis von 15 Dollar nicht rechnet, kann bei 45 Dollar lukrativ sein. Muß man die wirtschaftlich gewinnbaren Ölreserven so pessimistisch einstufen, wie Sie das tun, Herr Zittel?

Zittel: Mehr Geld macht nicht immer glücklich. Wer das Gehalt eines Fußballprofis verdoppelt, erhält doch auch nicht die doppelte Leistung. Ich denke, daß die Lagerstättenexperten auch bei deutlich mehr Geld nur etwas mehr Öl aus den vorhandenen Reserven fördern können.

bdw: Wie sehen Sie die Reservelage im Hinblick auf die Weltregionen? Was kann man von den USA noch erwarten?

Rempel: Die USA sind über den Zenit der Förderung hinaus. Möglicherweise schwächen die Funde im Golf von Mexico und in Alaska den Rückgang etwas ab. Am generellen Trend ändert sich dadurch aber nichts.

Zittel: Seit 1970 geht die Jahresproduktion im Schnitt um zwei bis drei Prozent zurück. Das wird so bleiben.

bdw: Wie ist es um die Vorräte in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion bestellt?

Rempel: Die russische Produktion hat sich in den letzten Jahren bei etwa 300 Millionen Tonnen Rohöl stabilisiert. Wenn sich die wirtschaftliche Situation dort verbessert, gehe ich davon aus, daß dieses Niveau gehalten oder noch ausgebaut werden kann.

Zittel: Es mag sein, daß die Produktion kurzfristig noch etwas steigt, doch tendenziell sehe ich auch da den Rückgang.

bdw: Wie beurteilen Sie den Nahen Osten?

Zittel: Nach dem, was die dortigen OPEC-Staaten sagen, wird das Produktionsmaximum in 10 bis 15 Jahren erreicht sein. Ich denke, das ist deutlich übertrieben. Das Produktionsmaximum sehe ich in spätestens 10 Jahren.

Rempel: Ich denke, daß der Nahe Osten seine Förderung noch steigern kann und für 10 Jahre oder länger auf einem hohen Niveau bleibt.

bdw: Und die restliche Welt?

Zittel: In der Summe sind die Staaten außerhalb der OPEC am Produktionsmaximum. Die einzig hoffnungsvolle Provinz sind die Meere zwischen 500 und 2000 Meter Tiefe. Doch auch hier ist das Potential keineswegs euphorisch zu bewerten. In bisher 20 Jahren kam gerade mal ein Weltjahresverbrauch neu dazu.

Rempel: Im kaspischen Raum läßt sich sicher noch einiges Öl auffinden.

bdw: Kommen wir zu den weltweiten Erdgasreserven.

Zittel: Wir verbrauchen heute weltweit etwa halb so viel Erdgas wie Erdöl. Da die Erdgaswirtschaft deutlich später als die Ölwirtschaft eingesetzt hat, sieht es bei den Reserven generell etwas freundlicher aus. Wenn ausfallendes Erdöl durch Erdgas ersetzt wird, flacht sich aber auch die Erdgasproduktion ab 2015 oder 2020 ab.

Rempel: Vor 2025 wird diese Abflachung keinesfalls einsetzen. Denn selbst wenn der Verbrauch von Jahr zu Jahr um 6 Prozent zunimmt, haben wir in 25 Jahren erst die Hälfte der zu erwartenden Reserven verbraucht. Freilich gibt es einige Unterschiede zum Erdölmarkt. Der Transport von Erdgas ist wesentlich anspruchsvoller und damit teurer als der von Erdöl. Die Logistik fordert entsprechend mehr Mittel. Einen Weltgasmarkt im eigentlichen Sinn gibt es daher nicht, sondern lediglich große regionale Märkte.

Zittel: Das führt schon jetzt zu Problemen. In den USA geht es mit der Erdgasproduktion abwärts, weil die großen Altfelder langsam zur Neige gehen. Die vielen kleinen neuen Felder helfen da nicht aus. Das ist genau wie beim Öl. Ich bin gespannt, ob es schon in diesem Winter oder erst in ein, zwei Jahren zu Versorgungsengpässen auf dem US-Markt kommt.

bdw: Wie gut stehen die Chancen, daß in Europa noch große Erdgasfelder entdeckt werden?

Rempel: Das ist unwahrscheinlich. Nur in weniger gut untersuchten Regionen könnte das möglich sein.

Zittel: Zwar wurde vor etwa drei Jahren vor der norwegischen Küste ein größeres Gasfeld aufgespürt, doch die wirklich große Hoffnung der Europäer ruht auf Rußland. Allerdings spekulieren auf dessen Vorkommen die Türkei, China und weitere sich entwickelnde Länder.

bdw: Sogenannte Gashydrate könnten die fossilen Lagerstättenreserven deutlich ausweiten, heißt es immer wieder. Was halten Sie davon?

Zittel: Das ist reine Spekulation. Mehrere tausend Messungen hat man bisher gemacht und häufig entpuppte sich das vermeintliche Hydrat als etwas ganz anderes. Was ich allerdings noch schlimmer finde: Nirgendwo hat man bisher Methanhydratschichten nachgewiesen, die mehr als einige Meter mächtig sind. Die meisten sind nur Zentimeter dick. Die optimistischen Zukunftszenarien unterstellen dagegen Hydratschichten von mehreren hundert Meter Dicke. Ich frage mich, wo die liegen sollen.

Rempel: Auch ich bin der Meinung, daß die Gashydrate in den nächsten 50 oder 100 Jahren nicht in erheblichem Umfang genutzt werden können. Was die Existenz von Gashydraten angeht, bin ich allerdings optimistischer.

Bdw community INTERNET Unter www.energiekrise.de können Sie sich noch eingehender über die Reserveproblematik informieren. „ Geht die Kohlenstoff-Ära zu Ende?“, ein Vortrag von Hilmar Rempel, ist unter www.bgr.de in der Rubrik „Aktuelle Themen“ zu finden.

LESEN Die Studie Fossile Energiereserven (nur Erdöl und Erdgas) und mögliche Versorgungsengpässe aus europäischer Perspektive ist zu beziehen über die LB-Systemtechnik GmbH, Daimlerstraße 15, 85521 Ottobrunn.

Wolfgang Hess / Werner Zittel / Hilmar Rempel

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