Zu den spektakulärsten Tieren, die auf Nimmerwiedersehen die Erde verlassen haben, gehören die großen, flugunfähigen Vögel, die ursprünglich kaum Feinde hatten. Einer von ihnen war der Dodo, das “Wappentier” des Buches. Nüchtern-sachlich beschreibt der amerikanische Journalist David Quammen den Schicksalsweg des Großvogels Raphus cucullatus, der auf der Insel Mauritius heimisch war.
Im 16. und 17. Jahrhundert hatten europäische Seefahrer den handzahmen Vogel in Bedrängnis gebracht, weil er für sie eine beliebte und leicht zu jagende Frischfleischquelle war. Neue, ebenfalls von den Europäern eingeführte Feinde – wie Affen – erledigten den Rest. Der letzte glaubwürdige Bericht über einen lebenden Dodo stammt aus dem Jahr 1662. Nichts Brauchbares existiert allerdings über den “Gesang” dieses merkwürdigen und anscheinend potthäßlichen Tieres.
Seither ist das weltweite Artensterben rasant weitergegangen. Ein besonders drastisches Beispiel ist der Massentod auf der Pazifikinsel Guam in den letzten 20 Jahren. Die Ursache ist wiederum der Mensch, dieses Mal allerdings mittelbar: Die in den vierziger Jahren eingeschleppte philippinische Rattenschlange erwies sich als tödliche Gefahr, gegen die viele einheimische Arten keine wirkungsvolle Abwehrstrategie entwickeln konnten.
Die Mischung aus Katastrophenberichten und Erfolgsmeldungen, aus Reportagen über anstrengende Feldforschung und Lehrbuchwissen, aus Reiseberichten und Fachgesprächen mit Wissenschaftlern macht dieses Buch sehr lesenswert. David Quammen nimmt den Leser mit auf seine “Reise durch die Evolution der Inselwelten”, wie es im Untertitel des Buches heißt. Es ist eine abwechslungsreiche Reise, auf der es dem Autor immer wieder Spaß macht, anerkanntes Lehrbuchwissen in Zweifel zu ziehen. So kratzt er genußvoll am Ruf von Charles Darwin. Hatte der Vater der Evolutionstheorie die entscheidenden Ideen von einem unbekannten Insektensammler und Hobby-Wissenschaftler namens Alfred Russel Wallace kurzerhand abgekupfert? Oder hatten – wie es die seit Jahrhunderten gültige offizielle Version behauptet – beide Forscher unabhängig voneinander fast auf den Tag genau dieselben Ideen zu Papier gebracht?
Endgültig knacken konnten die Wissenschaftshistoriker die “Darwin-Nuß” bis heute nicht. David Quammen begnügt sich damit, die bisher bekannten Fakten zusammenzutragen und dem Leser das Urteil zu überlassen.
Quammen hat für sein Buch zehn Jahre lang die Welt bereist und sich durch Berge von Literatur gearbeitet – die Quellenverweise und Literaturliste umfassen allein 64 Seiten. Sein großer Vorteil: Da er Journalist ist und nicht Wissenschaftler, muß er sich nicht der einen oder anderen Schule zurechnen lassen und konnte Doktoranden gleichermaßen wie hochdekorierte Fachleute befragen.
Am Schluß seines Buches schreibt Quammen, daß das weltweite Artensterben zwar ein großes Problem sei, angesichts dessen man durchaus verzweifeln könne, “nur ist aus meiner Sicht das Unbefriedigende an der Verzweiflung, daß sie nicht allein fruchtlos, sondern darüber hinaus weit weniger spannend als die Hoffnung ist, mag diese auch noch so schwach sein”.
David Quammen Der Gesang des Dodo Eine Reise durch die Evolution der Inselwelten Claasen Verlag München 1989 973 S., DM 78,-
Klaus Zintz / David Quammen