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Das begrabene Forum

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Das begrabene Forum
Stadtplanung im prähistorischen Mayaland. Vor 2500 Jahren überbauten die Herrscher in El Pilar ihr Stadtzentrum komplett mit einem Tempel – und türmten damit Rätsel auf. Der oberirdische Residenzort wird jetzt konsolidiert.

Clark Wernecke und Míguel Orrego Corzo hocken im stickigen Tunnel – 20 Meter tief unten in der Maya-Pyramide Xik Na. Dem Amerikaner und dem Guatemalteken rinnt der Schweiß in Strömen herunter, aber sie strahlen vor Glück: Die beiden Archäologen hokken auf der „beerdigten“ Plaza, dem zentralen Platz, von El Pilar. Die geschichtsträchtige Maya-Metropole auf der Yukatan-Halbinsel ist rund 2500 Jahre alt und war für Jahrhunderte unter Dschungel verschwunden.

Wie ein Messerschnitt durch einen Baumkuchen legt der Stollen die jahrtausendealte Baugeschichte von Xik Na, dem „Geflügelten Gebäude“, an den Tunnelwänden frei: Den Herrschern von El Pilar war ihre Plaza, dieser für das religiöse und kommunale Maya-Leben so zentrale Bereich, offenbar zu klein geworden. Sie wurde weit vor unserer Zeitrechnung samt umgebenden Tempel- und Profanbauten komplett überbaut und verschwand innerhalb der Pyramide – EP7 im Ausgräber-Jargon. Heute türmen sich mindestens neun Bauschichten wie bei einer russischen Puppe übereinander. „Das zeugt von gezielter und vor allem mutiger Stadtplanung“, meint der 39jährige Wernecke von der University of Texas.

An der Westseite des Tempelareals wurde ein neuer Zentralplatz angelegt. Mit großem Aufwand entstand zwischen natürlichen Hügeln die heutige rund 140 mal 160 Meter große Plaza Copal. Sie bildet einen der beiden zentralen Bereiche des El Pilar-Gebietes in Belize. Denn die Ruinenstadt ist geteilt: Auf belizianischer Seite erforscht Dr. Anabel Ford von der University of California die antike Stadt und das umliegende Siedlungs- und Agrargebiet bereits seit den achtziger Jahren. Im benachbarten Guatemala haben die wissenschaftlichen Arbeiten in der Maya-Residenz El Pilar Poniente gerade begonnen.

El Pilar liegt rund 50 Kilometer östlich von Tikal, der überragenden Maya-Metropole im Tiefland von Guatemala. Als Tikals Aufstieg um 300 n. Chr. begann, hatte El Pilar bereits rund 700 Jahre Blüte hinter sich.

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Um 250 n. Chr. gehen Bevölkerungszahl und Bedeutung zwar zurück, ab 1000 n. Chr. aber beginnt El Pilar wieder zu wachsen: „Wir schätzen die Einwohnerzahl auf 40000“, meint Wernecke. El Pilar gehörte über Jahrhunderte mit wechselvoller Geschichte zu den großen Maya-Städten.

Trotz der schwierigen politischen Verhältnisse zwischen Guatemala und Belize – Guatemala beanspruchte bis Ende der siebziger Jahre die ehemalige britische Kolonie Belize als eigenes Territorium – konnte jetzt das El-Pilar-Projekt ins Leben gerufen werden. Dieses grenzüberschreitende Forschungs-, Schutz- und Entwicklungsprogramm umfaßt auf belizianischer Seite 800 Hektar und in Guatemala knapp 1200 Hektar.

Die Archäologin Anabel Ford hofft, auch in „ihrem“ Bereich Lehrpfade einrichten zu können, wie sie bereits „auf der anderen Seite“ existieren: „Beim Hauskomplex Tzunu’un legen wir gerade einen Wald-Garten an, der einen Einblick in die nachhaltige Nutzung der Umwelt durch die Maya geben wird.“ Rund 500 Bäume sind bereits gepflanzt. Zugängliche Archäologie und das Leben von und mit der Natur lautet das Konzept des El-Pilar-Projektes. „Wir schaffen eine Attraktion für den sanften Tourismus – und damit Arbeitsplätze“, sagt Anabel Ford. „Und wir bieten der Bevölkerung an, mehr über ihre Vorfahren und auch von ihnen zu lernen.“

Der Komplex Tzunu’un – das Maya-Wort für „Schmetterling“ – besteht aus fünf Gebäuden, die zum Teil konsolidiert worden sind. Im größten Raum des repräsentativen Wohnhauses steht eine riesige, mit Stuck überzogene Bank – „ein Empfangsthron“, wie die Archäologin meint. Dennoch war Tzunu’un sicher kein Palastkomplex. „Wir denken bei den Bewohnern eher an die obere Mittelschicht“, meint Clark Wernecke. Dafür spricht der Standort: nahe dem religiösen Zentrum, gute Lage mit gehobenem Image.

Der Residenzstil ist charakteristisch für das Maya-Tiefland – in El Pilar wurde eine solche Gruppe erstmals ausgegraben und wiederhergestellt. Wohnhaus und Tempel waren in Tzunu’un die einzigen Gebäude komplett aus Stein. Ein weiteres Wohnhaus, ein Vorratsgebäude und eine Kombination aus Wohnhütte und Küche bauten die Maya aus Baumstämmen mit Palmblattdach, wie es noch heute in Mayaland üblich ist. Vor dem Lagerhaus entdeckten die Archäologen einen so großen Haufen Feuerstein, daß sie eine Serienfertigung von Werkzeug vermuten: „Klingen made in El Pilar“.

Während Grabungsarbeiter im Residenzgebäude behutsam einen Steinquader einpassen, geraten Clark Wernecke und Míguel Orrego Corzo im Tunnel von EP7 noch mehr ins Schwitzen: Einen Monat haben sie geschuftet, um den Tunnel um 4 Meter auf insgesamt 32 Meter zu verlängern. Sie wollten in dieser Saison herausfinden, was mit der Ostseite der überbauten Plaza ist. „Doch jetzt stehen wir vor einer mächtigen Wand“, sagt Clark Wernecke ratlos.

„Eine solche Mauer gehört nach allem, was wir bisher über Maya-Bauplanung kennen, hier nicht hin. Dies ist die stärkste Wand, auf die ich bisher in El Pilar gestoßen bin.“ Die exakt behauenen Quader – einen Meter lang, einen halben Meter tief und hoch – sind in große Mengen Kalkmörtel gesetzt und durch eine 1,50 Meter dicke Mörtelschicht verstärkt.

Für Clark Wernecke steht damit die Hauptaufgabe der nächsten Grabungskampagne in El Pilar fest: „Wir werden von der anderen Seite einen zweiten Tunnel graben, der exakt auf unseren jetzigen trifft. Und dann knacken wir das Geheimnis von Xik Na – koste es noch soviel Schweiß!“

Ingwer Seelhoff

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