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Titelthema – Bis in alle Ewigkeit: Leben auf der Kriechspur

Allgemein

Titelthema – Bis in alle Ewigkeit: Leben auf der Kriechspur
Ist ewiges Leben doch möglich? Physiker spekulieren über die Zukunft der Zivilisation in einem zerfallenden Universum.

Im Jahr 1856 machte der Physiker Hermann von Helmholtz eine Voraussage, die manche seiner Zeitgenossen als die deprimierendste Hypothese in der Geschichte der Wissenschaft sahen: Das Universum stirbt.

Der damals entdeckte zweite Hauptsatz der Thermodynamik schien keine andere Schlußfolgerung zuzulassen. Er besagt, daß die Entropie, ein Maß für die Unordnung eines Systems, einem Maximum entgegenstrebt. Das bedeutet: Alle Strukturen lösen sich allmählich auf und gehen einem diffusen Gleichgewicht entgegen, einer homogenen, ausgedünnten Suppe von Strahlung und Teilchen. Anders gesagt: Die Energie bleibt zwar erhalten, wird aber immer wertloser. Freie Energie, die sich für physikalische Arbeit nutzen läßt, wird immer seltener. Doch alle Lebensvorgänge beruhen auf freier Energie. Langfristig betrachtet ist der zweite Hauptsatz der Thermodynamik also ein allumfassendes Todesurteil.

„Die Energie wird im ganzen System gleichmäßig verteilt sein, so daß keine weiteren Veränderungen mehr möglich sind, keine Bewegungen, keine Arbeit, kein Leben, keine Intelligenz“, hat der amerikanische Wissenschaftler Isaac Asimov, der als Science-fiction-Autor berühmt wurde, diese ultimative Apokalypse in seinem Sachbuch „Die Apokalypsen der Menschheit“ beschrieben. „Das Universum wird zwar weiter existieren, aber es wird wie eine Statue erstarrt sein. Der Film ist abgelaufen, und wir sehen für alle weiteren Zeiten ein ewiges Standbild.“

Doch in einem expandierenden Universum ist die Gültigkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik zweifelhaft, da er nur für statische, abgeschlossene Systeme definiert ist. Möglicherweise hat das Leben doch eine Chance.

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„Es ist unmöglich, die ferne Zukunft des Universums im Detail zu berechnen, ohne die Auswirkungen von Leben und Intelligenz zu berücksichtigen. Und es ist unmöglich, die Fähigkeiten von Leben und Intelligenz zu berechnen, ohne philosophische Fragen wenigstens zu streifen“, sagt Freeman Dyson vom Institute for Advanced Study in Princeton, der die Wissenschaft von der fernen Zukunft des Universums mitbegründet hat. Er ist ein wahrer Tausendsassa unter den Physikern: Zu seinen Arbeitsgebieten gehören neben Astronomie und Elementarteilchenphysik auch Wettrüstung, die Entstehung des Lebens, außerirdische Intelligenz sowie Philosophie und Religion. Und er war der erste, der sich ausführlich über die wirklich langfristigen Chancen des Lebens im Universum Gedanken machte.

Doch wie können unsere Ururur…enkel im Schutt eines in Trümmer gehenden Universums überleben? Fest steht: Sie müssen eine neue Heimstatt gefunden haben, bevor die Erde von der sich aufblähenden Sonne in Schlacke verwandelt wird. Und für eine Auswanderung ins All bleibt durchaus genügend Zeit. Kritisch wird es erst, wenn alle Sterne ausgebrannt sind. Dann müssen sich unsere Nachfahren nach neuen Energiequellen umsehen.

Eine Möglichkeit besteht darin, Materie – Planetoiden, Planeten oder ganze Sterne – in Sterne zu lenken. Die Energie, die bei der Kollision freigesetzt würde, ist enorm. Von Schwarzen Löchern kann man ebenfalls Energie anzapfen – sie lassen sich beispielsweise als Gravitationsschleudern verwenden. Louis Crane von der Kansas State University hat sogar überlegt, wie sich fortgeschrittene Zivilisationen Schwarze Löcher als Energiequellen selbst herstellen könnten, um sich im bitterkalten All zu wärmen. Die Hawking-Strahlung, die bei der allmählichen Auflösung Schwarzer Löcher freigesetzt wird, ist jedenfalls noch für lange Zeit eine effektive Energiequelle.

Bis dahin müssen die künftigen Intelligenzen aber eine gewaltige Herausforderung gemeistert haben. „Wenn es stimmt, daß die Materie irgendwann zerfällt, dann haben Lebewesen in vielleicht 1033 Jahren ein großes Problem“, sagt Dyson. „1033 Jahre sind für unsere Maßstäbe eine lange Zeit, aber im Auge der Ewigkeit ist es ein Wimpernschlag. In einem offenen Universum wird die Geschichte des Lebens gerade erst begonnen haben, wenn das Verschwinden der Materie seine Existenz bedroht.“ Zwar wird das Weltall nach der Auflösung der Kernteilchen ziemlich wüst und leer sein, aber eben nicht völlig. Nach dem Protonenzerfall gibt es immer noch die Elektronen, Positronen und Photonen. „Die können als Vehikel für Gedanken genauso taugen“, ist Dyson überzeugt. Wohl würde es dem Menschen schwerfallen, in einem Universum zu überleben, das aus einer verdünnten „Suppe“ von Elektronen und Positronen besteht. Doch die entscheidende Frage ist nicht, ob unsere Art als solche unsterblich ist, sondern ob unsere Nachkommen oder andere intelligente Wesen überleben können. Dyson verweist auf den Kristallographen Desmond Bernal, der schon 1929 über neue Existenzformen nachgedacht hatte und schrieb: „Irgendwann wird das menschliche Bewußtsein verschwinden oder sich in einen Äther verwandeln, mit Hilfe von Strahlung kommunizieren und sich vielleicht schließlich in Licht auflösen. Das mag ein Ende oder ein Anfang sein, aber von da an ist es aus dem Blick.“

Dyson glaubt, daß die Gesetze der Physik einem ewigen Weiterleben nicht prinzipiell im Wege stehen. „Nur wird der Puls des Lebens mit der Temperaturabnahme immer langsamer schlagen, aber er wird niemals aufhören.“ Paul Davies von der University of Adelaide nennt das „ein Leben auf der Kriechspur“. Dazu sind allerdings zwei Voraussetzungen notwendig:

Leben beruht auf Organisation, nicht auf Substanz. Wenn das wahr ist, könnte es Leben ohne Fleisch und Blut geben, das beispielsweise in supraleitenden Netzen oder in interstellaren Staubwolken verkörpert ist. Leben kann sich an jede Umgebung anpassen, wenn genügend Zeit vorhanden ist.

Unter diesen Annahmen läßt sich die Physik der Informationsverarbeitung auf Lebewesen ganz allgemein anwenden – egal ob sie aus Kohlenstoff, Silizium, Eisen, Licht oder Neutrinos bestehen. Dyson glaubt, daß die subjektiv wahrgenommene Zeit selbst dann unendlich sein kann, wenn die verfügbaren Energiequellen endlich sind.

Künftige Lebewesen müßten allerdings ihre Aktivitäten mit der zunehmenden Energieverknappung allmählich vermindern – beispielsweise durch lange Epochen eines Winterschlafs. Ihre subjektive Zeit würde dann einen immer kleineren Bruchteil der tatsächlich verstrichenen Zeit ausmachen, doch der Tod wäre unendlich lange hinausgezögert. Dyson schätzt, daß für das ewige Fortbestehen einer Gemeinschaft von der Größe und Komplexität der heutigen Menschheit eine Energiemenge von 6 * 1030 Joule ausreichen würde. Diese Energie strahlt unsere Sonne in nur acht Stunden ab. Und selbst eine Gesellschaft, die 10 billionenmal komplexer ist, benötigt nur die Energiereserve eines einzigen Sterns.

Charles Bennett und Rolf Landauer von der Forschungsabteilung von IBM in Yorktown Heights, US-Bundesstaat New York, haben bewiesen, daß reversible Informationsverarbeitung möglich ist. Denn im Prinzip können bestimmte – gegenwärtig freilich noch vollkommen hypothetische – physikalische Systeme Informationen ohne Energieverlust verarbeiten. „Daher wäre es denkbar, daß künftige anspruchslose Wesen nichts mehr von der Welt wahrnehmen, die sie umgibt“, spekuliert Paul Davies. „Aber sie wären in der Lage, sich an ein früheres Universum zu erinnern. Vielleicht könnten sie sogar träumen.“

Das Sammeln und Löschen von Informationen kostet allerdings einen energetischen Mindestbetrag. Vielleicht wird unseren fernen Ahnen also nur eine endliche Zahl von Bewußtseinszuständen möglich sein. Das hängt auch davon ab, ob das Universum letztlich wie ein Analogrechner oder wie ein Digitalrechner funktioniert – eine bislang offene Frage.

Vielleicht gibt es noch andere, phantastischere Auswege. Möglicherweise enthält das Universum Schlupflöcher, durch die eine sterbende Zivilisation in andere, jüngere, lebensfreundlichere Universen reisen kann. Solche Wurmlöcher hat zwar bislang noch niemand beobachtet, doch ihre Existenz ist eine logische Möglichkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie (bild der wissenschaft 7/1998, „Schleichwege durchs Universum“).

Wenn es unseren Ahnen gelänge, solche Raumzeit-Tunnel ausfindig zu machen oder selbst zu erzeugen, könnten sie einfach auswandern.

Oder sie bauen sich gleich ein neues Universum nach Maß – eine ziemlich abenteuerliche Vorstellung, aber nicht so verwegen, als daß renommierte Physiker wie Edward Farhi und Alan Guth vom Massachusetts Institute for Technology sowie Edward R. Harrison von der University of Massachusetts in Amherst nicht ernsthaft darüber nachgedacht hätten.

„Ganz egal wie weit wir in die Zukunft blicken, es werden sich immer neue Dinge ereignen, es wird immer neue Informationen geben und neue Welten, die erforscht werden können“, ist Dyson überzeugt. Er will die gewaltigen Schwierigkeiten und Umwälzungen nicht herunterspielen, denkt aber lieber über Lösungsmöglichkeiten nach. „Wenn Optimismus die Philosophie von Leuten ist, die Herausforderungen begrüßen, dann gibt es viele Gründe, ein Optimist zu sein.“

Rüdiger Vaas

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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