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Geliftete Schönheiten

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Geliftete Schönheiten
Santorins Kulturerbe ist in Gefahr. Die Wandgemälde der Insel Santorin stellen die Fresken von Knossos in den Schatten. Sie sind vielfälter, vollständiger und über 3500 Jahre alt. Sie dokumentieren detailliert Leben und Umwelt in der Bronzezeit. Doch Bergung und Konservierung sind finanziell nicht gesichert.

Das Leben auf einem Vulkan hat auch Vorteile – für frühgeschichtliche Künstler. Auf Santorin, dem heutigen Thira, ist der Vulkankrater ein 300 Meter tiefer Präsentierteller optimaler Pigmente. Bevor er die Ägäis-Insel versengte und ihre Metropole, das heutige Akrotiri, versenkte, hat Santorins Feuerberg die richtigen Mineralien für Maler gebacken.

Zum Beispiel Hornblende, aus der Purpur gewonnen wird. Der Hämatit – Blutstein – spendet ein seinem Namen entsprechendes Rot. Mit Limonit hat man die passende Nuance für Zitronen, und Goethit – frei nach Deutschlands großem Dichter benannt – ist das Gelbe vom Ei. Steinmehl gemischt mit Eiweiß oder Gummiharz vom Mastixbaum ergab die Tunke für die Deckfarbe.

Um das Meer naturgetreu wiederzugeben, mußte man sich um 1800 v. Chr. mächtig in die Riemen legen: Mit Riebeckit und Glaucophan von den Nachbarinseln gewannen die Santorin-Künstler die Schattierung des Wassers bei verhangenem Himmel.

Für eine Ägäis blau wie im Bilderbuch mußten sie nach Übersee. Am Nil kupferten sie wohl das Ägyptisch-Blau ab, die brillante Erfindung der dortigen Grabausstatter: Die zauberten aus einem Sud von kupferhaltigen Mineralien, Kalk und Quarzsand einen Lack wie Lapislazuli. Nur grün hatten die Meister von Santorin nicht auf der Palette, das bekam man erst nach ihrer Ära in den Griffel.

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Die Schöngeister Santorins wagten sich im Gegensatz zu den Ägyptern an die weiße Wand. Zufällig oder aus Kalkül war der Verputz noch feucht und so das Fresko entdeckt (italienisch „a fresco“ – auf das Frische). Auf noch nassem Kalkmörtel mußte man gleich ins reine zeichnen, da sich die Farbe mit der Grundierung verquickt und Korrekturen ausschließt. Schablonen erleichterten die Arbeit.

Die bronzezeitlichen Maler auf Santorin schmückten ihre Wohnstätten, sie hielten nichts von Todesfixierung wie die Ägypter und verewigten lieber ihr Leben. So entstanden in verschwenderischer Fülle Momentaufnahmen heiterer All- und Feiertage, Wunschbilder von überirdischen Schönen und genaue Abbildungen ihrer mediterranen Pflanzen- und Tier-Umwelt. Einige exotische Motive waren tief verankert – so hangelt sich schon mal ein Affe durch die Landschaft, der nie ein Geschöpf der Inselnatur war.

Die zeigte sich nicht nur von der lieblichen Seite, und ihre Gewalten radierten vermutlich um 1650 v. Chr. das Künstlerparadies endgültig aus. Eine Vulkaneruption von ungeheurer Sprengkraft bereitete dem Schaffen ein jähes Ende, konservierte aber die Werke – Fresken vom Feinsten an allen Wänden (bild der wissenschaft 9/1997, „Die Schönen von Thera“).

Deren Bruchstücke sammelt nach über 3500 Jahren Christos Doumas aus dem Schutt der Akrotiri-Häuser. Mit rund 20 Helfern läßt er sie in der Restaurierungswerkstatt neben der Grabung wieder zum Leben erwachen. „Wir gehen jetzt ins Labor“, lädt der griechische Archäologe ein und stellt dort die „Herrin der Tiere“ vor: Auf 3,22 mal 2,30 Meter haben bronzezeitgenössische Maler eine der himmlischen Mütter mit kreuchendem und fleuchendem Anhang eingefangen. Auf ihrem Lockenkopf ringelt sich eine Schlange, Libellen und Enten in Kette schmükken den Hals der Guten Hirtin. Ein Greif verleiht ihr Flügel, ein Affe posiert zu ihren Füßen.

Die Schöne im duftigen Hosenrock hat Krokusse gesammelt. Die gedörrten Blütennarben sind Safran, im östlichen Mittelmeerraum seit dem Aufkommen der Kochkultur als Gewürz und Heilmittel geschätzt.

Auch ein dreiteiliges Män-ner-Fresko verschwindet wie viele andere im Magazin und damit in der Versenkung, weil der griechische Staat das längst bewilligte Inselmuseum seit neun Jahren im Rohbau läßt. Für einige Gemälde von Santorin wurde Platz im Athener Nationalmuseum geschaffen, der Großteil aber ist nur auf Fotos zu bewundern.

Die Finanzierung der weiteren Arbeiten bei Grabung und Restaurierung ist völlig ungesichert. Vor zwei Jahren strich die griechische Regierung bereits fest zugesagte Gelder kommentarlos.

Christos Doumas hat denn auch keine gute Meinung über die Athener Nicht-Geldgeber: „250 Millionen Drachmen nimmt der Staat hier jährlich dank unserer Arbeit ein, gibt uns aber nichts davon ab.“ Notgedrungen ist er deshalb ständig auf der Suche nach Geldgebern. Inzwischen hat er bei der Europäischen Union Rückhalt gefunden, die ein neues Dach über der Ausgrabung genehmigt hat.

Die Restauratoren, hochmotivierte Experten, bleiben gelassen und an den Werken. Bisher gab es immer einen Retter aus der Finanznot, mal einen reichen Reeder oder einen Zigarettenfabrikanten mit Faible für uralte Meister.

Ein Stopp ist ausgeschlossen, denn die Archäologen haben das Labor mit Material eingedeckt: Bleibt es bei den 20 Geduldsarbeitern pro Saison, sind in 100 Jahren gerade mal die bis jetzt ausgegrabenen Bruchstücke zusammengepuzzelt. Und: Die Grabung von Akrotiri hat nach Schätzung von Experten erst einen minimalen Teil der bronzezeitlichen Stadt erfaßt.

Stück für Stückchen kommen ständig weitere Gemälde aus der Asche, weil die Erdexplosion die Fresken von den Wänden sprengte. „Im Ried“ hat Doumas die neue Herausforderung an die Restauratoren getauft, weil sich zuerst Schilfrohr abzeichnete. Dann tauchten Wasservögel auf – eine Wildente, die in keinem Bestimmungsbuch verzeichnet war, lockte die Ornithologen an.

In chirurgischer Feinarbeit fügen die modernen Wandkünstler die Arbeiten ihrer bronzezeitlichen Kollegen zu aussagekräftigen Gemälden – ohne viele, stets fragwürdige, eigene zeichnerische Zusätze wie in Knossos.

Den Gemälden zufolge ließ es sich für gut ein Jahrtausend beschaulich leben unterm Damoklesberg – bis der um 1650 v. Chr. die bebengewohnten Insulaner aufschreckte. Nun riß das Grollen des inseleigenen Vulkans nicht mehr ab, und die Erde rumorte ohne Unterlaß. Die Einwohner kamen mit den Reparaturen gar nicht mehr nach.

Auf einen Schlag muß die Lage so bedrohlich geworden sein, daß die Menschen mitten in der Arbeit flüchteten. Schmuck- und Werkzeugkistchen in der Hand, packten sie sich in die Boote und verließen das Eiland. Hoffentlich waren sie schon an anderen, rettenden Ufern, als der Feuersturm losbrach – man hat in der Fremde keine Spuren von ihnen mehr gefunden.

Der Vulkan spie glühenden Bimsgries aus, der Santorin ellenhoch überkrustete. Dann rieselte leis und lang der Ascheschnee, bis die Landschaft unter einer 30 Meter dicken Decke begraben war. An der Südküste versank die Inselhauptstadt in Schlacke und Asche. Weil der Wind während des Infernos aus Westen blies, wuchs der vulkanische Firn hier nur auf 18 Meter.

Im Lauf der Jahrtausende gruben sich die Winterwasser ein Bett und wuschen erste Mauern frei. Im letzten Jahrhundert kratzten in Akrotiri französische und deutsche Archäologen jedoch nur an der Oberfläche.

Erst 1967 stieg der griechische Archäologe Spyridon Marinatos richtig ein und landete gleich im Nobelviertel der bronzezeitlichen Stadt mit den hohen und herrschaftlichen Häusern. In Werkstätten und Lagerhallen im Parterre fand er Keramikschätze und in den Wohngeschossen darüber die ersten Fresken. Auch Zeichen von Körperkultur gibt es allerörtchen, denn hier hatte man bereits Klosetts. Bäder waren gang und gäbe.

Nach dem Unfalltod von Marinatos übernimmt sein Assistent Christos Doumas 1974 die Grabungsleitung. Im „Pompeji der Bronzezeit“, wie er es nennt, entdeckt er Schnitt für Schnitt Endzeit-Szenarien. Konnten die Menschen auch der Katastrophe entkommen – bis dato wurden keine Verschütteten gefunden -, spürt der Archäologe ihre Panik auf. So stößt er auf Kübel mit Mörtel, kurz vor der Flucht frisch angerührt.

Die Kellen aus Metall fehlen, sie gehörten zu den Wertsachen, die man im Reisekorb noch verstauen konnte.

Einige tönerne Amphoren – zum Schutz unter die Türstürze geschoben und deshalb erhalten – sind eindeutig „Made in Minoa“ und ein gefundenes Fressen für Verfechter der kretischen Thalassokratie. Diese Forscher vertreten die These, daß Kreta in der Bronzezeit als überwältigende Seemacht die gesamte Ägäis beherrschte; Siedlungen wie Akrotiri auf Santorin seien ihre Kolonien gewesen.

Doumas und seine Funde sprechen dagegen: „Nur 15 Prozent der bisher geborgenen Keramik ist Importware.“ Die meisten der Gefäße von außerhalb stapelten sich zudem im Erdgeschoß eines gro-ßen Gebäudekomplexes, mit Minoas Wappen über dem Haupttor – den stilisierten Stierhörnern aus Stein. „Natürlich standen die Kreter mit ihren Nachbarn in Kontakt“, gibt Doumas zu. „Aber eine Niederlassung in Akrotiri weist sie nicht als die Herren Santorins aus. Eher war es ein Handelshaus, dafür spricht das Warenlager im Erdgeschoß. Mit dem repräsentativen Wohntrakt kann es auch die Residenz des kretischen Botschafters gewesen sein.“

Die Kämpfer für ein Kreta als mediterraner Supermacht lassen nicht locker und führen als weiteren Beweis die farbenfrohen Fresken an, die auch im minoischen Hauptpalast Knossos als wundervolle Wandverkleidung dienten. „Die Technik ist zwar die gleiche, aber die Thematik eine völlig andere“, wischt der Grabungsleiter das Argument beiseite.

„Natürlich“, so Doumas weiter, „entstand die künstlerische Tradition auf der Insel Thera nicht aus dem Nichts.“ Für ihn aber liegen die Wurzeln eher in der immer noch rätselhaften Kultur der Kykladen, deren Inselwelt – lange vor Kreta – die ältesten Kunstwerke der Ägäis hervorbrachte.

Doumas spannt den Bogen noch weiter: Wandgemälde im Palast von Mari – weit entfernt am Euphrat im heutigen Syrien – weisen stilistische Ähnlichkeiten mit den Santorin-Fresken auf. Für den Griechen ist klar, daß der Ideentransfer zwischen Orient und Mittelmeer über die Kykladen lief, mit Thira als Mittelpunkt. In welcher Richtung zwischen Morgen- und Abendland vermittelt wurde, ist noch immer offen. Jedoch muß dieser rege Austausch vor 1759 v. Chr. stattgefunden haben, denn da wurde Mari von den Babyloniern zerstört. Wer im östlichen Mittelmeerraum des 2. Jahrtausends v. Chr. mit wem kungelte oder kämpfte, auf welchen Wegen friedlich Gut und Kultur ausgetauscht wurde – dafür fehlt die Zusammenschau. Es bleibt also spannend.

Eine Triebfeder der offenbar polyglotten Santoriner ist für Doumas auch heute offensichtlich: „Hier zu leben, bedeutet notgedrungen Mobilität. Der Felsbrocken gab zu keiner Zeit genügend Nahrung her, also mußten die Menschen zum Broterwerb in die Welt hinaus.“

Die Kargheit zwang zum Handel(n) und zur Kreativität. Neben Exportartikeln wur-den auch Talente geschmiedet. „Hier wäre jedes Volk auf die Kunst gekommen, egal ob Schwarze, Eskimos oder Indianer Santorin besiedelt hätten“, sagt Doumas. Es war die Insel, die den Künstler schuf.

Waltraud Sperlich / Ulrich Schendzielorz

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