Rechtschreibreform? Worüber Germanisten, Politiker und Lehrer sich die Haare raufen, gehört für Surfer zum unbürokratischen Alltag: Wer schnell eine Mail verschicken will oder seinen Chatpartner nicht lange auf die Antwort warten lassen mag, schreibt kurzerhand alles klein, aus „nichts” wird „nix” und aus „ aber” ein saloppes „aba”. Die Bewohner des Netzes schreiben pragmatisch: Abkürzungen, Wortneuschöpfungen und Artikellosigkeit passen in das schnelle Leben im Netz. In Sternchen gefaßte Zusätze wie *grins*, *bibber* oder *heul* ersparen umständliche Gefühlsprosa. „Das Netz verführt zum hemmungslosen Schreiben”, erklärt Prof. Jürgen Rolshoven, Computer-Linguist der Universität Köln. Wer viel chattet und mailt, umgeht innovativ die Langatmigkeit des Schriftdeutsch. „Internet-Sprache ist schriftliche Mündlichkeit”, sagt Annette Trabold vom Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Was für Puristen der deutschen Sprache ein Schreckgespenst ist, hätte Klassiker der Schreibkunst erfreut: „Schreibe, wie du redest, so schreibst du schön!” fand schon Lessing. Wenn das stimmt, wächst derzeit an den Tastaturen der Computer eine Generation von Textkünstlern heran. Doch der Frühling der Schreibkultur wird nicht lange währen: In den nächsten Jahren wird die Tastatur des Computers immer unwichtiger, da Spracheingabe und Webcam sie verdrängen werden. Immer weniger Buchstaben werden den Monitor zieren. Dann erzieht das Internet Jugendliche zu „picture kids”: Großgeworden in einer Welt bunter Computerbilder werden viele von ihnen eine gutes visuelles Vorstellungsvermögen entwickeln, aber geschriebene Sprache als Last empfinden.
Andreas Wawrzinek