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Neues vom Nachbarn

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Neues vom Nachbarn
Was Astronomen von den Magellanschen Wolken lernen können. Die beiden Begleitgalaxien sind ein Musterbeispiel für das Studium von Gezeitenkräften vor unserer kosmischen Haustür. Außerdem verraten sie, wie sich Sternhaufen entwickeln.

Nichts bringt zwei Nachbarn einander so nahe wie ein guter Zaun.” Das Bonmont stammt von dem englischen Bühnenautor Alan Ackroyd. In der Astronomie ist die Nachbarschaft weniger zwiespältig, aber nicht minder interessant. So ist auch die Große Magellansche Wolke, die engste Nachbargalaxie der Milchstraße, noch immer für Überraschungen gut. In Europa erfuhr man von den beiden Nebelflecken am Südhimmel erst im Jahr 1520. Damals erschien Pigafettas Chronik der ein Jahr zuvor begonnenen Weltumseglung des portugiesischen Seefahrers Ferdinand Magellan (Fernão de Magalhães). Die nach ihm benannten Wolken in den Sternbildern Schwertfisch und Tukan waren den Bewohnern der Südhalbkugel schon seit Jahrtausenden bekannt. Auch arabische Seefahrer, die den Äquator wahrscheinlich viele Jahrhunderte vor Magellan überquert hatten, müssen sie gesehen haben. Daß die Sternennebel nicht innerhalb der Milchstraße liegen wie der berühmte Orionnebel, sondern eigenständige Zwerggalaxien sind, wurde allerdings erst im 20. Jahrhundert erkannt, nachdem Henrietta Leavitt 1908 Cepheiden-Veränderliche in den Magellanschen Wolken entdeckt hatte – regelmäßig pulsierende Sterne, aus deren Leuchtkraftveränderungen sich kosmischen Entfernungen bestimmen lassen. Bis heute sind diese Distanzmessungen im Gebrauch, und die Magellanschen Wolken zählen noch immer zu den wichtigsten Markierungen auf der kosmischen Entfernungsskala. Der Abstand der Großen Magellanschen Wolke beträgt ungefähr 170 000 Lichtjahre – also weniger als zehn Prozent der Entfernung des berühmten Andromedanebels.

Die geringe Distanz zur Milchstraße ist nicht ohne Folgen. Es kommt zu Schwerkraft-Wechselwirkungen, vergleichbar mit den Gezeiten auf der Erde durch den Mond. Die Gravitation der Wolken verzerrt die Randbereiche der Milchstraßenscheibe und könnte dafür verantwortlich sein, daß die Galaxis besonders ausgeprägte Spiralarme besitzt. Der Einfluß der Milchstraße auf die Magellanschen Wolken ist noch viel gravierender. Schon 1974 haben Radioastronomen eine Schleppe aus neutralem Wasserstoffgas beschrieben, die den beiden Magellanschen Wolken auf einem Halbkreis um die Milchstraße folgt.Wie dieser Magellansche Strom entstanden sein könnte, war bis vor kurzem umstritten: Ein Erklärungsversuch geht davon aus, daß die beiden Zwerggalaxien einst die Außenbezirke der Milchstraße durchdrungen haben, wobei ihnen durch die Schwerkraft Gas entrissen wurde. Ein anderer Erklärungsansatz macht allein Gezeitenkräfte für den Wasserstoffstrom verantwortlich. Diese zweite Hypothese erklärt zahlreiche Eigenschaften des Magellanschen Stroms, hat aber zwei Schwierigkeiten: Wo sind die Sterne, die bei einer Gezeitenstörung den Magellanschen Wolken ebenfalls entrissen worden sein sollten? Und warum läßt sich Gas nur hinter den Zwerggalaxien beobachten und nicht auch auf der anderen Seite, wo nach Modellrechnungen ein sogenannter führender Arm zu erwarten wäre? Dieses Gegenstück ist vergleichbar mit den Flutbergen auf der Erde, die durch die Gezeitenwirkung des Mondes hervorgerufen werden. Auch hier entsteht nicht nur eine Wasserbeule auf der Seite, die dem Mond zugewandt ist, sondern auch auf der gegenüberliegenden Seite.

Das Gegenstück zum Magellanschen Strom existiert tatsächlich. Das hat ein internationales Astronomenteam unter der Leitung von Mary E. Putnam von den Mount Stromlo & Siding Spring Observatories bei Weston, Australien, entdeckt, als es die Daten des HI-Parkes-All-Sky-Survey untersuchte. Mit dieser Himmelsdurchmusterung ist zur Zeit das australische 64-Meter-Parkes-Radioteleskop beschäftigt. Die Kartierung zeigt einen dünnen Arm aus neutralem Wasserstoffgas, der den Magellanschen Wolken vorausläuft – genauso, wie es die Gezeiten-Hypothese vorausgesagt hat. Er ist nur ein Viertel so breit wie der Magellansche Strom und auch wesentlich massearmer. Das ist ein gutes Indiz dafür, daß der Magellansche Strom einst durch einen Gezeiteneffekt vom Schwerefeld der Milchstraße aus den Magellanschen Wolken gerissen wurde.

Noch ungewiß ist, wie weit der führende Arm reicht und ob er um die Milchstraße herumläuft, sich also mit dem Magellanschen Strom zu einem geschlossenen Ring vereinigt, auf dem die Magellanschen Wolken dann wie zwei Brillanten säßen. Die Forscher rätseln auch, warum im Magellanschen Strom keine Sterne zu sehen sind. Vielleicht reicht ihre Leuchtkraft einfach für die bisherigen Beobachtungen nicht aus. Die Interaktion zwischen den Magellanschen Wolken und der Milchstraße hat Modellcharakter, da sie sich gewissermaßen vor der eigenen Haustür studieren läßt. Galaktische Wechselwirkungen sind im Kosmos häufig. Sie reichen von Verzerrungen und Verformungen bis hin zu Kollisionen und einem regelrechten Kannibalismus (bild der wissenschaft 4/1998, „ Der galaktische Crash”). Auch für das Studium anderer Vorgänge im All ist die Große Magellansche Wolke ein Musterbeispiel: In ihr befindet sich eines der größten bekannten Sternentstehungsgebiete: der Tarantelnebel, auch 30 Doradus oder NGC 2070 genannt. Er ist der hellste und größte der über 50 Gasnebel in unserer Nachbargalaxie und wurde erstmals 1775 von dem französischen Astronomen Nicolas-Louis de Lacaille beschrieben. Der Tarantelnebel ist so schwer wie 800000 Sonnen. Er besteht aus ionisiertem Wasserstoff, dem die Ultraviolettstrahlung Tausender junger Sterne die Elektronen entrissen haben. Die gesamte Region mißt rund 3000 Lichtjahre, wovon lediglich 750 Lichtjahre sichtbar sind. Im Zentrum des Nebels sitzt ein kompakter Sternhaufen. Er ist ungefähr 200000 Sonnenmassen schwer und 150 Lichtjahre groß. Bekannt sind 1500 B-Sterne (5 bis 20 Sonnenmassen), 400 O-Sterne (über 20 Sonnenmassen) und 17 Wolf-Rayet-Sterne, die ihren Energiebedarf durch die Fusion von Helium dekken, weil der Wasserstoff in ihrem Kern schon verbraucht ist. Hinzu kommen mehrere tausend massearme Sterne.

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Im Mittelpunkt des Haufens befindet sich eine dichte, nur wenige Lichtjahre große Ansammlung von Sternen namens Radcliffe 136. Hochaufgelöste Aufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops haben gezeigt, daß dort die heißesten und massereichsten Sterne strahlen, die wir kennen: bis zu 120 Sonnenmassen schwere Überriesen. Ihre Oberflächentemperatur beträgt bis zu 60 000 Grad – das Zehnfache der unserer Sonne. Sie haben eine Lebensdauer von nur wenigen Millionen Jahren. Wenn sie explodieren, leuchten sie heller als der ganze Nebel. Dies konnten Astronomen im Februar 1987 beobachten, als ein blauer Riesenstern als Supernova aufflammte. Die Entwicklungsgeschichte eines Sternhaufens verläuft in drei Phasen: Zuerst werden die Sterne geboren und verlieren beträchtliche Mengen an Gas. Dadurch verändert sich das Gravitationsfeld des Haufens ständig, und die Position der Sterne verschiebt sich in wenigen Jahrmillionen völlig. Die zweite Phase dauert fünf bis zehn Milliarden Jahre. Einige der Sterne werden aufgrund von gravitativen Interaktionen aus dem System geschleudert, während die massereichsten sich im Zentrum ansammeln. So entstehen Kugelsternhaufen, die mitunter einige hunderttausend Sonnen enthalten. In der Großen Magellanschen Wolke sind 10, in der Milchstraße 150 bekannt. Demgegenüber stehen jeweils einige hundert offene, locker aufgebaute Sternhaufen, die aus viel weniger Sternen bestehen.

Während der dritten Phase begegnen sich immer mehr Sterne. Viele davon werden daraufhin aus dem System katapultiert oder ballen sich in seinem Zentrum zusammen, dessen Dichte sich gegenüber der ersten Phase verhundert- bis vertausendfacht. Der Sternhaufen im Tarantelnebel ist noch im ersten Entwicklungsstadium. Er wirkt klumpig und asymmetrisch. Vermutlich wird er sich in den nächsten 100 Millionen Jahren zu ei-nem Kugelsternhaufen zusammenziehen. Doch bis dahin werden einige seiner Sterne bereits in einem furiosen Feuerwerk als Supernova zerstrahlt sein.

Rüdiger Vaas

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