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Mt. Everest – wie Reinhold Messner ihn nie sah

Allgemein

Mt. Everest – wie Reinhold Messner ihn nie sah
Freie Sicht auf den höchsten Berg der Erde. Der Computer zaubert das genaueste Bild vom mythischen Gipfelmassiv.

Einheimische wären niemals auf die Idee gekommen, in diese lebensfeindliche Welt aufzusteigen. Sie überließen den Berg den Göttern: Die Tibeter nannten ihn Chomolungma (Göttin der Erde), die Nepalesen Sagarmatha (Göttin des Himmels). Für die Europäer war er zunächst „Gipfel XV”, einer von vielen – bis ihn englische und indische Geodäten Mitte des 19. Jahrhunderts bei einer ehrgeizigen Vermessungskampagne mit ihren Theodoliten anpeilten und auf eine Höhe von 8840 Meter kamen: Weltrekord. Seit 1856 gilt der Mount Everest offiziell als höchster Berg der Erde. Die aktuelle Marke – 1999 mit einer satellitengestützten Vermessung gewonnen – liegt bei 8850 Meter. Die aggressive UVB-Strahlung ist hier rund 30-mal stärker als an der Küste, ungeschützte Haut verbrennt innerhalb von Minuten. Nicht einmal Gletscher können sich oberhalb von 7000 Höhenmetern bilden, denn in der trockenen Kälte backt der Pulverschnee nicht schnell genug zusammen, um den nächsten Sturm zu überstehen. Das Weiß weht als weithin sichtbare Fahne davon. Der höchste Berg scheint nicht von dieser Welt, auf ihm herrschen Umweltbedingungen wie auf einem fremden Planeten. Bei extremer Trockenheit zersprengt Dauerfrost zwischen minus 20 und minus 40 Grad Celsius das Geröll – Temperaturverwitterung, wie man sie sonst nur vom Mars kennt. Der Luftdruck ist nur ein Drittel so hoch wie auf Meereshöhe. Und der Jetstream, der sonst allenfalls Piloten zu schaffen macht, bläst hier bisweilen mit 200 Stundenkilometern und mehr um den Gipfelgrat. Als 1921 die erste Expedition zum Mount Everest aufbrach, wies den Bergsteigern keine Karte den Weg. In einer monatelangen Erkundungsexpedition mussten sie einen Zugang zum höchsten Berg der Erde suchen. Von Bildern wie auf diesen Seiten konnten sie nur träumen. Moderne 3D-Computertechnik macht es möglich: Prof. Armin Grün von der ETH Zürich hat vom Everest-Massiv ein räumliches Computermodell mit einer Auflösung von einem Meter erstellt. Das sei „mit Abstand das Beste, was es derzeit gibt”, meint der Geodät stolz. Die höchste Auflösung bisher: 17 Meter. Mit dem Programm lässt sich der Berg aus jeder beliebigen Perspektive detailliert studieren – mitsamt allen Aufstiegsrouten. Wenn der Rechner auch jede Gletscherspalte und jeden Felssims ausleuchtet – der Mythos Mount Everest bleibt und weckt Ehrgeiz. Die Engländer, die am Nord- und Südpol zu spät gekommen waren, wollten wenigstens hier Lorbeeren ernten. Ihre ersten Vorstöße endeten tragisch: 1922 starben sieben Träger in einer Lawine, und 1924 blieben die Bergsteiger George Mallory und Andrew Irvine verschollen. Die Leiche von Mallory wurde 1999 – mit zerschmettertem Unterschenkel – auf 8200 Meter Höhe gefunden. Die Sonne hatte die Haut schneeweiß gebleicht, sonst wirkte der Körper frisch, fast wie lebendig. Der makabre Fund hat den Streit neu entfacht, ob Mallory vor seinem Absturz den Gipfel erreicht hatte. Die Antwort kennt nur der Berg. Ein Wunder, dass der Pionier mit seiner simplen Ausrüstung überhaupt bis in Gipfelnähe kam: Er war mit Tweedjacke, Wickelgamaschen, schweren Hanfseilen, Holzpflöcken und einem 17 Kilogramm schweren Atemgerät unterwegs. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, am 29. Mai 1953, gelangen dem Neuseeländer Edmund Hillary und dem Sherpa Tenzing Norgay die Erstbesteigung. Seitdem standen weit mehr als tausend Menschen auf dem höchsten Gipfel, der älteste 64, der jüngste 16 Jahre alt. Sogar der blinde Amerikaner Erik Weihenmayer war oben. Der Mount Everest bietet Abenteurern den ultimativen Kick: Schon beim Anstieg drohen Staublawinen und Gletscherspalten. Oberhalb von 7000 bis 8000 Meter nimmt die Sauerstoffarmut den Atem und vernebelt die Sinne. Der Sauerstoffpartialdruck in der Lunge sinkt auf etwa ein Drittel des üblichen, so dass kein ausreichender Gasaustausch von der Lunge ins Blut und in die Zellen mehr möglich ist. In dieser „Todeszone” baut der Körper selbst in Ruhe ab, jeder Schritt wird zur Qual und Halluzinationen locken ins Verderben. Verwirrte Bergsteiger sind schon imaginären Gefährten nachgestiegen oder haben ihren Proviant mit Hirngespinsten geteilt. Hirnödem, Trombosen und Lungenembolie drohen. „Ich bin eine einzige enge japsende Lunge”, hat die Bergsteigerlegende Messner den qualvollen Zustand beschrieben. Reinhold Messner und Peter Habeler verzichteten 1978 erstmals auf künstlichen Sauerstoff, Messner schaffte die halsbrecherische Tour zwei Jahre später sogar im Alleingang. Aus medizinischer Sicht sind alle Gipfelstürmer schwer krank und müssten schleunigst absteigen. Selbst künstlicher Sauerstoff, den die meisten verwenden, kann die Höhenkrankheit nicht völlig verhindern. Wer schlapp macht, muss sterben. Denn in solche Höhen steigt kein Rettungshubschrauber auf, und den Bergsteiger-Kameraden fehlt meist die Kraft fürs Herunterschleppen – manchmal sogar der Wille. So ließ 1996 eine japanische Seilschaft auf Gipfelkurs sterbende Inder links liegen, die um Hilfe bettelten. Bis Ende 2000 sind 158 Bergsteiger am Mount Everest umgekommen, manche mumifizierte Leiche säumt den Weg. Doch der Berg zieht Rekordjäger nach wie vor magisch an: • Sie wählen immer schwierigere Routen oder klettern im Winter, wenn Stürme toben und die Temperatur auf minus 6o Grad sinken kann. • Der Sherpa Babu Chiri stand elfmal auf dem Gipfel und verbrachte 1999 in einem Spezialzelt 21 Stunden ohne Sauerstoff-Hilfe auf dem Gipfel: Rekord. • Der Slowene Davo Karnicar raste 2000 erstmals auf Skiern vom Dach der Welt, der Österreicher Stefan Gatt nahm im letzten Jahr das Snowboard, und das französische Ehepaar Bertrand und Claire Bernier Roche flog im Tandem-Paraglider hinab. Im Jahr 2000 erreichten 142 Menschen den Gipfel, so viele wie nie zuvor. „Der Massentourismus hat den höchsten Berg der Welt vereinnahmt”, schimpft Messner. Wie Pauschaltouristen lassen sich viele Gipfelstürmer von Sherpas und erfahrenen Kraxlern an die Hand nehmen und stehen an sonnigen Frühlingstagen auf dem Gipfelgrat Schlange. Für 25000 Euro und mehr buchen sie den Everest, inklusive Komfortzelt und Satellitentelefon. Manchmal mit tragischem Ende: 1996 kam eine Pauschal-Gruppe zu langsam voran, kehrte nicht rechtzeitig um und geriet beim Abstieg in einen Schneesturm. Fünf Menschen starben, darunter die beiden Führer. Einer von ihnen, Rob Hall, telefonierte bis zuletzt über Satellitenverbindung mit seiner schwangeren Frau in Neuseeland. Kaum einer der Gipfelsteiger weiß, dass er über einstigen Meeresboden stapft – auch der Everest hat einmal ganz klein angefangen: Vor rund 60 Millionen Jahren dehnte sich das Tethys-Meer, wo heute der Himalaya aufragt. Dann schoben sich die Indische und die Eurasische Platte ineinander und falteten das Hochgebirge auf. Noch heute hebt sich der Himalaya um rund fünf Millimeter pro Jahr – mit einem kuriosen Effekt: Genau genommen stellt jeder Bergsteiger, der den Everest erklimmt, einen neuen Rekord auf. Denn er steigt jeweils ein kleines Stück höher als sein Vorgänger.

Lesen

Roberto Mantovani, Kurt Diemberger MOUNT EVEREST Kampf in eisigen Höhen Pabel-Moewig, Rastatt 1997, € 14,80 Reinhold Messner EVEREST SOLO Der gläserne Horizont Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2001, € 12,90 Reinhold Messner EVEREST Expedition zum Endpunkt BLV 2000, € 12,95 Cathy Odowd AUS LIEBE ZUM BERG Die erste Frau auf der Nord- und Südroute des Mount Everest Frederking und Thaler, 2001 , € 11,– Edmund Hillary DIE ABENTEUER MEINES LEBENS Der Himalaya und andere Herausforderungen Ullstein, Berlin 2001, € 21,95 Jochen Hemmleb DIE GEISTER DES MOUNT EVEREST Die Suche nach Mallory und Irvine Frederking und Thaler, 2001, € 10,–

INTERNET

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Näheres über die Arbeit des Instituts für Photogrammetrie der ETH Zürich unter: www.photogrammetry.ethz.ch

Vor allem touristische und sportliche Fragen rund um den höchsten Berg der Welt werden beantwortet unter: www.everestnews.com

Einen kurzen virtuellen Flug um den höchsten Gipfel der Welt bietet: www.photogrammetry.ethz.ch Sie müssen anklicken: Research – Projects – High resolution 3D Modelling of Mount Everest– Results – everest2.avi(2.9 MB)

Klaus Jacob

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
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  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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Wissenschaftslexikon

Lum|ba|go  〈f.; –; unz.〉 1 〈Med.〉 = Hexenschuss 2 〈Vet.〉 ohne Behandlung tödlich verlaufende Muskelerkrankung des Pferdes mit Lähmungserscheinungen, häufig nach mehrtägiger Ruhe u. übermäßiger Fütterung … mehr

Ac|ryl|amid  〈n. 11; Chem.〉 vermutlich krebserregende, genetische Schäden hervorrufende u. in höheren Dosen nervenschädigende Substanz, die beim Erhitzen (Frittieren, Rösten, Braten, Grillen od. Backen) von stärkehaltigen Nahrungsmitteln entsteht, bes. in Pommes frites, Kartoffelchips, Knäckebrot u. Frühstückscerealien

Bil|dungs|ro|man  〈m. 1〉 Roman, in dem bes. die Charakterbildung des Helden geschildert wird, z. B. Moritz’ ”Anton Reiser“, Goethes ”Wilhelm Meister“

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