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Wassernot in China

Allgemein

Wassernot in China

Peking geht das Wasser aus. Die Regierung will deshalb den Jangtse anzapfen und einen langen Kanal in den trockenen Norden führen. Eine Millionenmetropole auf dem Trockenen. Für die chinesische Hauptstadt könnte dieser Alptraum bald Realität werden. „Peking steht vor einer der schwersten Wasserkrisen seiner Geschichte”, warnt die Sinologin Eva Sternfeld. Die Chinakennerin, die in ihrer Dissertation an der TU Berlin die Wasserwirtschaft Pekings untersucht hat, verfolgt derzeit als Beraterin in Chinas Umweltamt die Entwicklung aus der Nähe. Der Wasserstand im Miyun-Stausee, aus dem die chinesische Hauptstadt 75 Prozent ihres Trinkwassers bezieht, ist so niedrig wie nie zuvor. Das Reservoir, mit einem Fassungsvermögen von 4,4 Milliarden Kubikmetern der größte Wasserspeicher Nordchinas, enthält nur noch 1,1 Milliarden Kubikmeter. Damit ist die Trinkwasserversorgung Pekings gerade noch für ein Jahr gesichert – denn dafür werden jährlich 700 Millionen Kubikmeter benötigt und 400 Millionen Kubikmeter müssen aus technischen Gründen mindestens im Reservoir bleiben. Auslöser der Probleme sind die Trockenjahre 1999 und 2000, in denen statt des langjährigen Mittels von 600 Millimetern nur 350 und 400 Millimeter Regen fielen – die niedrigsten Werte seit 50 Jahren. Doch die seit 1724 geführte Pekinger Niederschlagschronik belegt, dass Dürreperioden nichts Ungewöhnliches sind: 1920 und 1921 gab es sogar nur 278 und 256 Millimeter Regen. Die jüngsten niederschlagsarmen Jahre fallen also keineswegs aus dem Rahmen. Das vergangene Jahrzehnt lag mit 603 Millimetern sogar genau im langjährigen Mittel. Aber durch das gigantische Bevölkerungswachstum – im Großraum Peking leben inzwischen 13 Millionen Menschen – wird seit Jahren mehr Wasser verbraucht, als die Natur nachliefert. Das Defizit wird aus dem Grundwasser gedeckt, mit der Folge, dass der Grundwasserspiegel ständig sinkt, in den beiden letzten Jahren um jeweils drei Meter. An sich wäre in einer so kritischen Situation zu erwarten, dass äußerst sorgsam mit dem kostbaren Nass umgegangen wird – doch davon kann keine Rede sein: Rund 40 Prozent des Wassers versickern aus maroden Leitungen, und ein noch größerer Aderlass entsteht durch Wasserverschmutzung. Das ursprünglich ebenfalls als Trinkwasserspeicher angelegte Guanting-Reservoir mit einer Kapazität von 2,5 Milliarden Kubikmetern ist durch die Abwässer von Betrieben und Bergwerken inzwischen so verschmutzt, dass es überhaupt nicht mehr für die Trinkwasserversorgung in Frage kommt. Trotzdem geht es Peking noch relativ gut; denn als Hauptstadt besitzt es das exklusive Nutzungsrecht am Miyun- Reservoir. Die Industrie- und Hafenstadt Tianjin, die fast ebenso viele Einwohner wie Peking hat, ist auf weniger ergiebige Reserven angewiesen. Ihr ging bereits im letzten Jahr das Wasser aus. In aller Eile mussten Armeeeinheiten eine 650 Kilometer lange Zuleitung vom Huang He instand setzen, über die Tianjin in den siebziger Jahren schon einmal Wasser erhalten hatte. Das kann aber keine Dauerlösung sein; denn der Gelbe Fluss, der seinen Namen den gewaltigen ockergelben Schlammmassen verdankt, die er aus dem Lössgebiet abspült, wird ebenfalls schon bis zum letzten Tropfen genutzt. Seit 1972 ist er in jedem Jahr während einiger Wochen vor der Mündung versickert. In den neunziger Jahren wurden diese Phasen immer länger, und 1997 floss sogar 226 Tage lang kein Wasser ins Meer. Das ausgetrocknete Flussbett erstreckte sich schließlich 600 Kilometer landeinwärts. Dazu kam es früher selbst in extremen Trockenzeiten nicht. Der Wasserbauingenieur Wang Zhao-Yin von der Tsinghua Universität hält es für möglich, dass der Gelbe Fluss eines Tages das Meer überhaupt nicht mehr erreicht. Weil beim Gelben Fluss im Unterlauf – wie beim Nil in Ägypten – keine Nebenflüsse mehr einmünden, wird die Wasserführung allein durch den Zufluss vom Oberlauf bestimmt. Von Natur aus treten dabei große Schwankungen auf. Zum Teil ist das klimatisch bedingt. Wie in Peking haben auch am Ober- und Mittellauf des Gelben Flusses die Regenfälle seit den fünfziger Jahren abgenommen, weitaus stärker aber haben sich menschliche Eingriffe ausgewirkt. Mittlerweile zapfen chinesische Bauern am Ober- und Mittellauf jährlich 17 Milliarden Kubikmeter für die Bewässerung ihrer Felder ab. Chinas Führung will die Wasserkrise durch einen technischen Kraftakt meistern. Das „Süd-Nord-Wasserprojekt” ist im März dieses Jahres in den zehnten Fünfjahresplan aufgenommen worden. Im Endausbau sollen auf zwei Trassen jährlich insgesamt 50 Milliarden Kubikmeter Wasser vom Jangtse nach Norden fließen. Das entspricht zwar fast der Wasserführung des Rheins, aber der Jangtse verkraftet das, denn mit einem Abfluss von 1000 Milliarden Kubikmetern pro Jahr ist er einer der wasserreichsten Flüsse der Erde. Vom Jangtse-Wasser wird allerdings nur etwa ein Fünftel bis in die nordchinesischen Ballungsräume gelangen, weil unterwegs ein Teil für die Bewässerung abgezweigt wird und auch erhebliche Mengen durch Versickern und Verdunsten verloren gehen. Die „Oststrecke”, die dem alten Kaiserkanal folgt, erfordert relativ wenig Bauarbeiten. Um den Höhenunterschied von 65 Metern zwischen Jangtse und Nordchinesischer Tiefebene zu überwinden, sind allerdings 30 Pumpstationen erforderlich, die mit jährlich 3,5 Milliarden Kilowattstunden etwa die halbe Stromproduktion eines mittleren Atomkraftwerkes verschlingen. Dieses Problem entfällt bei der „Mittelstrecke”. Das Wasser kann vom Danjiang-Stausee am Han-Fluss aus 150 Meter Höhe dem natürlichen Gefälle folgend bis nach Peking und Tianjin fließen. Dafür muss hier aber nicht nur der 1200 Kilometer lange Kanal teilweise durch bergiges Gelände gebaut, sondern auch der Stausee vergrößert werden. Das würde nochmals die Umsiedlung von 220000 Menschen notwendig machen, nachdem schon früher 400000 Menschen dem Wasser weichen mussten. Selbst wenn das Projekt hält, was sich die Planer davon versprechen, ist China nicht seiner Wassersorgen enthoben. Denn im Großraum Peking und der nordchinesischen Ebene stehen pro Kopf nur 300 Kubikmeter erneuerbare Wasserressourcen zur Verfügung. Selbst mit der Wasserzufuhr vom Jangtse – die zudem frühestens in zehn Jahren in Gang kommen wird – bleibt man noch unter den 1000 Kubikmetern, die als Grenzwert für Wasserarmut gelten. China kann demnach seine Probleme nur mit extrem effizienter Wassernutzung bewältigen. Experten wie Eva Sternfeld befürchten, dass durch das Großprojekt solche Anstrengungen weiter auf die lange Bank geschoben werden. Auch der Geograf Christoph Peisert, der die Pekinger Forstbehörde beim Boden- und Wasserschutz am Miyun-Stausee berät, setzt eher auf einfache Maßnahmen wie das Auskleiden und Abdecken von Erdkanälen, aus denen große Mengen Wasser versickern und verdunsten. Alexander Zehnder, Direktor der Eidgenössischen Anstalt für Wasserwirtschaft in Dübendorf bei Zürich, dämpft allerdings zu hohe Erwartungen in dieser Richtung. Er rechnet zwar mit einem Rückgang des Wasserverbrauchs in der Bewässerungslandwirtschaft durch effizientere Nutzung. Doch Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum würden den Wasserbedarf von Industrie und Haushalten unweigerlich so stark in die Höhe treiben, dass sich die Wasserkrise insgesamt weiter zuspitzen dürfte. Zehnder macht deshalb einen unkonventionellen Vorschlag: „ Statt so viel Getreide wie möglich zu erzeugen, sollte China besser Getreide importieren, um seinen Wassermangel zu entschärfen.” Er rechnet vor: Zur Erzeugung von einem Kilo Getreide ist ein Kubikmeter Wasser erforderlich – der Import von zehn Millionen Tonnen Getreide würde also zehn Milliarden Kubikmeter Wasser sparen. Ob sich China allerdings auf das Rezept – internationale Kooperation statt Autarkie – einlässt, ist fraglich. Denn größter Getreidelieferant wäre schließlich der bisherige Gegenspieler USA.

Hans Dieter Sauer

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