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Spielen mit dem Sonnenwind

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Spielen mit dem Sonnenwind
Heerscharen von Laien helfen am heimischen Computer, die Datenflut moderner Forschung zu bewältigen.

Auch wenn es nicht so aussieht an diesem Herbstnachmittag bei McDonalds in Holzwickede bei Dortmund – der Mann, der mit gerunzelter Stirn in der Ecke auf den Bildschirm seines Computers starrt und schnell ein paar Mausklicks macht, ist gerade dabei zu forschen. Er hat keinen Studienabschluss, aber er hat erreicht, was viele Naturwissenschaftler zeitlebens nicht schaffen: Er hat Fachbeiträge in zwei der weltweit angesehensten wissenschaftlichen Journale publiziert – in „Nature“ und dessen Ableger „Nature Structural & Molecular Biology“.

Matthias Gaebel – Dreitagebart, bekleidet mit Jeans und Turnschuhen – hat vor sich auf dem Bildschirm ein chaotisch wirkendes Knäul in rot, grün und blau. Es ist die Oberfläche des Computerspiels „Foldit“, bei dem es darum geht, Proteine in die richtige Konfiguration zu falten. Nach dem Abitur hatte Gaebel, Jahrgang 1970, kurz einen Computerladen geführt. Heute sortiert er Waren in einem großen Logistikzentrum. Seine Leidenschaft waren immer Videospiele. Doch nie hätte er geglaubt, dass ihn das mal zur Wissenschaft bringen würde – bis 2008, als Foldit veröffentlicht wurde. Der Proteinforscher David Baker und der Informatiker Zoran Popovic, beide an der University of Washington in Seattle (USA), haben das Spiel entwickelt, weil Computer mit der Strukturvorhersage von Proteinen oft überfordert sind. „Bei Foldit nutzen wir, dass Menschen eine sehr gute dreidimensionale Vorstellungskraft haben“, sagt Popovic. „Außerdem kann ein Mensch seine Strategie stets der augenblicklichen Situation anpassen – bei beiden Fähigkeiten ist unser Gehirn Rechnern weit überlegen.“

Das Denken wird verteilt

Seit Ende der 1990er-Jahre versuchen Forscher, wissenschaftliche Fragestellungen mithilfe einer großen Zahl von Computernutzern zu lösen. 1999 startete SETI@home – ein Projekt, bei dem Freiwillige eine Software auf ihrem Computer installierten, die als Bildschirmschoner Beobachtungsdaten von Radioteleskopen nach Hinweisen auf außerirdisches Leben durchsuchte (bild der wissenschaft 2/2010, „Außerirdische – wo seid ihr?“). Es war eines der ersten Projekte des „Verteilten Rechnens“. Inzwischen ist die Wissenschaft in die Phase des „ Verteilten Denkens“ übergegangen.

„Citizen Scientists“, auf Deutsch etwa: Bürgerwissenschaftler, nennt man die Laien, die sich in der Forschung engagieren. Ihre Zahl wächst stetig. Die Webseite scistarter.com zählt bereits über 400 solche Projekte. Gründerin Darlene Cavalier – eine US-Journalistin, die sich schon immer für Naturwissenschaften begeisterte, obwohl sie Geschichte, Politik und Soziologie studiert hat – schätzt, dass es bis Ende 2012 über 1000 sein werden. Foldit ist das wissenschaftlich bislang erfolgreichste Spiel, 360 000 Spieler sind dort registriert. Das Spiel beschäftigt sich mit einer der zurzeit wichtigsten Fragestellungen der Lebenswissenschaften: der Proteinfaltung (bild der wissenschaft 4/2010, „Formvollendet“).

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Proteine sind lange Ketten, die aus teils mehreren Hundert Aminosäuren zusammengesetzt sind. Sie steuern fast alle Lebensprozesse – bei Mikroben ebenso wie bei Menschen. Doch das geht nur, wenn sie eine bestimmte dreidimensionale Form haben. Zwar können die Wissenschaftler die Abfolge der Aminosäuren recht einfach bestimmen – daraus eine Vorhersage über die dreidimensionale Struktur eines Proteins abzuleiten, ist bislang aber schwierig. Dabei sind Proteine die wichtigsten Angriffspunkte für neue Medikamente, etwa gegen Krebs oder Infektionskrankheiten. Forscher arbeiten manchmal jahrelang daran, die Struktur bestimmter Proteine aufzuklären.

Zum Beispiel bei der retroviralen Protease des Mason-Pfizer Monkey Virus (M-PMV): Dieses Virus löst bei manchen Affenarten eine Immunschwäche aus, die Aids ähnelt. Daher ist es ein wichtiges Studienobjekt in der HIV-Forschung. Mehr als zehn Jahre lang versuchten Wissenschaftler, die Struktur der M-PMV-Protease zu entschlüsseln, die für die Funktion des Virus entscheidend ist. Doch Laborexperimente brachten kein eindeutiges Ergebnis. Die Wissenschaftler entschlossen sich daher, die Frage nach dem Aussehen des Proteins an Laien weiterzureichen: an die Anwender des Computerspiels Foldit.

In der Regel stellen Forscher mehrmals pro Woche neue „Puzzles“ für die Foldit-Spieler online. Die Spieler haben dann jeweils sieben Tage Zeit, um diese Aufgaben zu lösen. Manchmal findet sich auf der Webseite fold.it nur eine Abfolge von Aminosäuren, für die es eine neue Struktur zu entwickeln gilt. Mitunter gibt es bereits experimentelle Daten, so auch bei der M-PMV-Protease. Dieses Protein hatten die Forscher mithilfe von Röntgenstrukturanalysen und Massenspektroskopie untersucht – den beiden wichtigsten Methoden, um Protein-Strukturen experimentell aufzuklären. Zwar lieferten diese Methoden kein klares Ergebnis zur 3D-Struktur der M-PMV-Protease. Doch die Wissenschaftler gaben das damit erworbene Wissen an die Foldit-Spieler weiter – und ließen ihnen dazu ausnahmsweise drei Wochen Zeit.

Wie kompliziert Proteine sind, erkennt man sofort, wenn man auf den Bildschirm von Matthias Gaebel blickt. Mit der Maus dreht er ein Gewirr von bunten Pfeilen und Spiralen vor grauen Elektronenwolken. „Die roten Bälle in der Mitte signalisieren freien Raum“, sagt er. „So viel davon gibt es im Zentrum von natürlichen Proteinen nicht, daher muss ich die Bälle wegschaffen.“ Gaebel zeigt auf einen Teil des Proteins, der wie ein einsamer Ast aus dem Gewirr herausragt. „Das sieht unnatürlich aus“, meint er. „Proteine sind kompakt. Ich versuche mal, daraus eine Helix zu machen.“ Ein Abschnitt eines Proteins kann sich wie eine Spirale zu einer sogenannten Alpha-Helix winden – einer Struktur, die mehr oder weniger wahrscheinlich ist, je nachdem, welche Aminosäuren das Protein enthält.

Gaebel markiert den Teil des Proteins, der aus dem Molekül herausragt, als Helix. Dann rechnet der Computer einen Moment – und es entsteht eine grüne Spirale. Die Struktur hat sich dadurch geändert. Kein Ast wächst mehr aus dem Protein heraus, und rechts oben auf dem Bildschirm ist die Punktzahl gestiegen. Das heißt, die von Gaebel erstellte Form ist energetisch günstiger und damit wahrscheinlicher als das vorherige Modell. Wer am Ende die meisten Punkte gesammelt hat, gewinnt das Protein-Puzzle – und bekommt seine Punkte in der „Weltrangliste“ gutgeschrieben. Matthias Gaebel steht gerade auf Rang 25. Er ist damit der beste Deutsche.

das Rätsel online geknackt

Die Foldit-Spieler sind oft in Gruppen organisiert, in denen sie sich gegenseitig helfen. Bei dem Rätsel um die M-PMV-Protease schafften die „Contenders“ (Herausforderer) in drei Wochen tatsächlich, was den hauptberuflichen Forschern trotz etlicher Jahre an experimenteller Arbeit nicht gelungen war: Sie fanden eine Struktur, die die vorherigen Daten aus Massenspektroskopie und Röntgenstrukturanalyse miteinander in Einklang brachte. Es war das erste Mal, dass Online-Spieler ein lange ungelöstes wissenschaftliches Problem knacken konnten. 2010 gelang den Foldit-Erfindern und mehreren Spielern, darunter Matthias Gaebel, die erste Veröffentlichung in „Nature“. Computer und Mensch hatten gezeigt, dass sie bei der spielerischen Vorhersage von 3D-Strukturen einzelner Proteine effektiver sind als Computer allein. Nachdem sich erwiesen hatte, wie gut die Spieler sind, erweiterten Erfinder Zoran Popovic und seine Mitentwickler Foldit. Sie ermöglichten den Spielern, selbst Makros zu programmieren – kleine Unterprogramme für spezielle Probleme. Je nachdem, wie gut die Makros waren, verbreiteten sie sich unter den Spielern und wurden immer wieder verbessert. Für einen polnischen Foldit-Spieler, der schnell für seine guten Makros bekannt wurde, legten Mitspieler aus der Gemeinschaft Geld zusammen, damit er seinen Rechner aufzurüsten und weiter gute Hilfsprogramme schreiben konnte. Nach einem Jahr Makro-Evolution innerhalb von Foldit zeigte sich: Die Spieler hatten einen neuen Algorithmus entwickelt, der es besser als jede bis dahin bekannte Methode schaffte, das Energieniveau von Protein-Modellen zu minimieren – der wichtigste Schritt der Protein-Struktur-Vorhersage.

„Wir sehen hier eine neue Klasse von Forschern“, sagt Zoran Popovic. „Ich nenne die Spieler Wissenschaftler – sowohl hinsichtlich ihrer Methoden als auch der Ergebnisse, die sie damit erzielen.“ Es gebe Hinweise, dass die Foldit-Spieler sogar treffsicherere Protein-Strukturvorhersagen liefern als professionelle Forscher. „Bei einem Vergleichswettbewerb haben sie besser abgeschnitten“, berichtet Popovic.

Die neue Studie über die M-PMV-Protease erschien in „Nature Structural & Molecular Biology“. In der Veröffentlichung wird eine „mimi“ als Urheberin des besten Modells genannt – eine Novität bei wissenschaftlichen Fachpublikationen: ein Spitzname statt eines echten Namens und einer langen Liste von beteiligten Forschungsinstitutionen. Laien beginnen die Welt der Wissenschaft zu verändern. Auch Matthias Gaebel, unter Foldit-Spieler als „ Madde“ bekannt, hat seinen Teil zu der Veröffentlichung beigetragen – indem er die beste Strukturvorhersage für ein anderes Protein mit unbekannter dreidimensionaler Struktur traf. Er ist Mitglied der Gruppe „Void Crushers“ (übersetzt etwa „ Leerraum-Zerstörer“), die in der Autorenzeile des wissenschaftlichen Artikels ebenfalls genannt wird.

Geld und Ehre spielen keine Rolle

Stört es ihn, dass er nicht mit dem eigenen Namen dasteht, obwohl er – unbezahlt – wertvolle Forschung betreibt? Gaebel blickt verdutzt vom Rechner auf – die Frage scheint er sich noch nicht gestellt zu haben. „Nein“, sagt er. „Ich weiß ja, dass ich die Struktur gebaut habe.“ Und Geld wolle er mit Foldit nun wirklich nicht verdienen: „Das wäre ja dann kein Spiel mehr.“ Zwar sei Foldit nicht so unterhaltsam wie andere Spiele, mit denen er sich die Zeit vertreibt. Aber es sei ein tolles Gefühl für ihn, verwertbare wissenschaftliche Ergebnisse zu produzieren.

200 Kilometer südöstlich, in einer Starbucks-Filiale in Frankfurt am Main, sitzt Lionel Pöffel, ein Mann mit geringeltem Kapuzenpulli, Brille, Fusselbart. Er schaltet seinen Laptop ein. „ Ich habe mich auch schon mal an Foldit versucht“, sagt der 34-jährige Informatiker. „Ich habe wirklich Hochachtung vor Menschen, die darin gut sind, aber mir war es zu langwierig, mich da einzuarbeiten. Vielleicht hatte ich einfach auch nicht so viel Talent wie andere.“ Die vielen Werkzeuge und Möglichkeiten bei Foldit wirken kompliziert. Pöffel, der einen 10-Stunden-Tag mit Bildschirmarbeit bei einem Autozulieferer hinter sich hat, konzentriert sich deshalb auf Projekte, bei denen es leichter ist, sich als Laie an Forschungsaufgaben zu beteiligen.

Astronomie ist der Hit

Auf seinem Monitor erscheint die Internet-Seite zooniverse.org. Rechts auf der Seite stehen die Namen von zehn wissenschaftlichen Projekten, bei denen jeder, der Lust hat, teilnehmen kann. Die Liste umfasst eine breite Palette an Themen, von Archäologie bis Klimaforschung. Angefangen hat die Webseite 2007 als „Galaxy Zoo“, gegründet von den Astronomen Kevin Schawinski und Chris Lintott. Es war die schiere Masse an Daten, die die beiden Wissenschaftler auf die Idee gebracht hatte. Schawinski hatte für seine Promotion rund 50 000 Bilder von Galaxien klassifiziert – doch es waren noch eine Million Bilder übrig. Da beschlossen die Forscher, Laien über das Internet anzusprechen und bei ihnen Begeisterung für die Aufgabe zu wecken, diese Bilder zu klassifizieren. Die große Menge an Daten, die moderne Wissenschaften wie Biologie und Physik produzieren, ist ein Grund, warum immer häufiger Citizen Scientists zum Einsatz kommen. Im Zooniverse sind bisher astronomische Themen der Schwerpunkt – sieben von zehn Projekten beschäftigen sich mit dem Weltall.

Pöffel klickt auf „Solar Storm Watch“ – ein Projekt, das sich die Erforschung von Sonnenwind zum Ziel gesetzt hat. Die „ Bürgerwissenschaftler“ können dort Videos der Stereo-Mission der NASA auswerten. Seit Februar 2011 stehen sich bei dieser Mission zwei Raumsonden im All gegenüber, die das Umfeld der Sonne filmen. Das ermöglicht erstmals eine dreidimensionale Beobachtung von Sonnenwind. Auf Pöffels Monitor starten zwei Videoclips. Ihre Bilder erinnern an einen Sturm, der Pulverschnee von einem Berggipfel bläst. Allerdings: Es werden keine Schneekristalle vor einem alpinen Panorama verweht, sondern glutrote Partikel vor dem finsteren Schwarz des Weltraums – der Sonnenwind. Er besteht aus Protonen, Elektronen und Helium-Kernen, die ständig von der Sonne freigesetzt werden. Bei Solar Storm Watch geht es für die Laien vor dem Bildschirm darum, große solare Eruptionen aufzuspüren, sogenannte koronale Massenauswürfe.

ERFOLGSERLEBNIS NACH FEIERABEND

Lionel Pöffel schaut konzentriert auf den Bildschirm. Plötzlich sieht es dort nicht mehr nach Wind aus, sondern nach einer Feuer-Lawine: Eine dichte, glühende Plasmawelle wälzt sich für einen Moment über den Sonnenwind. Der Spieler in Frankfurt am Main hält das Bild an. „Schön, da haben wir einen koronalen Massenauswurf“, sagt er. Der Computer fragt: „Auf beiden Kamerabildern?“ Pöffel bejaht mit einem Mausklick. Er zieht mit der Maus eine Linie, mit der sich die Geschwindigkeit des Sturms berechnen lässt. Das Resultat: 456 Kilometer pro Sekunde. Dann lässt Lionel Pöffel den Wind wieder über den Bildschirm wehen – ein ästhetisch schönes und beruhigendes Bild, fast wie ein Kaminfeuer. „Solar Storm Watch hat etwas Meditatives“, meint der Informatiker. „Ohne mir viele Gedanken machen zu müssen, habe ich damit nach Feierabend schnell Erfolgserlebnisse – und leiste dabei auch noch einen Beitrag für die Wissenschaft.“

Natürlich achtete Lionel Pöffel aufmerksam darauf, ob etwas Ungewöhnliches auf den Videos zu sehen ist. Schließlich könnte er in den Daten jederzeit etwas Wichtiges finden. Wie die niederländische Lehrerin Hanny van Arkel, die auf dem Foto einer Galaxie das Lichtecho eines Quasars entdeckte: „Hanny’s Voorwerp“ (Hannys Objekt) nannte es die astronomische Community zu ihren Ehren. Andere Zooniverse-Teilnehmer fanden „grüne Erbsen“ – Zwerggalaxien mit hoher Sternentstehungsrate, die an Galaxien aus der Urzeit des Universums erinnern (bdw 5/2007, „Abgenagte Galaxien“). In wissenschaftlichen Veröffentlichungen wird den Laien für ihre Arbeit gedankt.

„Das menschliche Gehirn ist das beste Instrument zur Mustererkennung“, sagt Kevin Schawinski, einer der beiden Erfinder von Zooniverse. „Außerdem ist kein Rechner so flexibel, zu sagen: Hey, da stimmt etwas nicht.“ Derzeit sind über 400 000 User auf der Webseite registriert. Manche davon haben sich derart begeistern lassen, dass sie aus ihrem Beruf ausgestiegen sind, um eine wissenschaftliche Karriere zu starten. So begann der englische Ingenieur Richard Proctor 2011, mit Anfang 50, eine Doktorarbeit in Astronomie. Den Anstoß dazu gaben die irregulären Galaxien, die er bei Galaxy Zoo beobachtet hatte – und die ihn zutiefst faszinierten. Letztlich machen die Citizen Scientists nichts anderes als die Berufsforscher: 99 Prozent mühselige Arbeit und 1 Prozent Inspiration, um die Beobachtungen zu deuten.

Mittlerweile lernen Computer von den Laienforschern. „Bald werden wir dank neuer Teleskope noch weitaus mehr Beobachtungsdaten auszuwerten haben“, sagt Kevin Schawinski. „ Dann müssen wir wieder zurück zu den Computern – doch die haben nur dann eine Chance, die Daten richtig zu interpretieren, wenn wir sie von den Bürgerwissenschaftler lernen lassen.“

Spielend gegen die Korruption

Foldit-Erfinder Zoran Popovic sieht die Zukunft seiner Zunft weiter bei den Computerspielern. An der University of Washington hat er mittlerweile das Center for Gamescience gegründet. „Wir wollen Probleme lösen, mit denen weder Computer noch Mensch alleine fertig werden“, sagt er. „Es gibt fast keine Frage, die wir mit Computerspielen nicht angehen können.“ So sei ein Spiel in Entwicklung, das effektiv Korruption in Entwicklungsländern bekämpfen soll. Das Potenzial für Teilnehmer an bürgerwissenschaftlichen Projekten sei riesig, ist Popovic überzeugt – genau wie Chris Linntott, Mitbegründer von Zooniverse: „Bislang entfällt auf die Wissenschaft nur ein Bruchteil der Aufmerksamkeit, die Menschen jeden Abend seichten TV-Serien widmen.“

Es ist nachmittags um halb sechs in Holzwickede. Matthias Gaebel hat den Computer ausgeschaltet und macht sich auf den Weg nach Hause. Den Abend wird er nicht vor dem Fernseher verbringen. „Das Protein-Puzzle läuft heute aus“, sagt er. „Da setze ich mich später noch mal ran.“ ■

Frederik Jötten hat ein Faible für Proteine und die Sonne, aber für die Laienforschung fehlt ihm einfach die Zeit.

von Frederik Jötten

Kompakt

· Bei Flexibilität und räumlicher Vorstellungskraft ist das menschliche Gehirn Computern überlegen.

· Das lässt sich nutzen, um die Struktur komplizierter Proteine vorherzusagen.

· Laien suchen in Videos aus dem All nach ungewöhnlichen Ereignissen.

Wissenschaft für Laien

Es gibt zahlreiche Projekte, bei denen sich Spielernaturen an der Forschung beteiligen können – aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Eine Auswahl:

· „Ancient Live“ (Antikes Leben) ist ein Projekt, bei dem Freiwillige die Schriftzeichen von 2000 Jahre alten Papyrus-Rollen entziffern. Die Schriftrollen waren Ende des 19. Jahrhunderts in der historischen Stadt Oxyrhynchos (Ägypten) gefunden worden. Die Menge der Papyrus-Fragmente ist so groß, dass in über 100 Jahren erst 15 Prozent entziffert werden konnten. Seit einige Fragmente online gestellt sind, wurden schon vier Millionen Transkriptionen von Laien gemacht, unter anderem von Schriften der altgriechischen Schriftsteller Plutarch und Thucyides. www.ancientlives.org

· „worldbirds.org“ ist eine Webseite, in der vogelkundliche Betrachtungen aus der ganzen Welt gemeldet werden können, um sie der Forschung zugänglich zu machen. Seit Oktober 2011 können Vogelfreunde auf der Webseite www.ornitho.de online Beobachtungen aus Deutschland melden. www.worldbirds.org www.ornitho.de

· „Old Weather“ ist ein Projekt, bei dem Laien die Logbücher von britischen Kriegsschiffen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs durchforsten. Sie rekonstruieren so die Routen der Schiffe – und ermitteln das Wetter auf den Schiffspassagen damals. Klimawissenschaftler nutzen die Daten, um ihre Modelle zu verbessern. Historiker rekonstruieren damit geschichtliche Ereignisse. www.oldweather.org

· „World Gratitude Map“ (Weltdankbarkeitskarte) ruft Menschen dazu auf, in einer virtuellen Karte an solchen Orten eine Markierung zu setzen, wo sie einen glücklichen Moment erlebt haben oder wo sie jemandem danken möchten. Den Wissenschaftlern geht es bei dem Projekt darum, mehr über „Resilienz“ herauszufinden – die Fähigkeit von Menschen, mit Schicksalsschlägen fertig zu werden. Sie wollen feststellen, ob Dankbarkeit uns glücklicher und gesünder machen kann. www.gratitude.crowdmap.com

· „Planet Hunter“ richtet sich an Hobby-Astronomen, die einen neuen Planeten entdecken wollen. Das Kepler-Weltraumteleskop der NASA, das im Frühjahr 2009 gestartet wurde, misst jede halbe Stunde die Helligkeit von Sternen im Sternbild Schwan. Registriert ein Laie dort eine Veränderung der Helligkeit, könnte er einen bislang unbekannten Stern entdeckt haben, der sich zwischen das Teleskop und den beobachteten Stern geschoben hat. www.zooniverse.org/project/planethunters

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Internet

Proteine falten am PC: fold.it

Sammlungen von Forschungsspielen: scistarter.com zooniverse.org

Center for Gamescience der University of Washington: www.centerforgamescience.org

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