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ENDLICH ERFOLGE DURCH GEN-THERAPIE

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ENDLICH ERFOLGE DURCH GEN-THERAPIE
Um die Gen-Therapie war es lange still. Gefährliche Nebenwirkungen bremsten den Einsatz der Methode. Doch Forschern ist es jetzt gelungen, sie sicherer zu machen.

wIE EINE aCHTERBAHN verlief die Geschichte der Gen-Therapie, die 1990 begann. Nach den ersten Erfolgen bei Kindern mit angeborenen lebensbedrohlichen Immunschwächekrankheiten, denen man körpereigene gentechnisch veränderte Blutstammzellen aus dem Knochenmark verabreicht hatte, jubelten Experten und Medien. Doch nicht lange: 1999 verstarb der an einer erblichen Leber-Stoffwechsel-Krankheit leidende 18- jährige Jesse Gelsinger infolge einer Gen-Therapie. Wenige Jahre danach brachten zwei Gen-Therapie-Studien Schlimmes zum Vorschein: 5 der insgesamt 19 Kinder, die man Jahre zuvor wegen der Immunschwächekrankheit X-SCID einer Gen-Therapie unterzogen hatte, waren an Leukämie erkrankt. Das wiederholte sich später während einer Frankfurter Gen-Therapie-Studie bei zwei Patienten, die wegen der angeborenen Immunschwäche Septische Granulomatose behandelt worden waren.

Doch in jüngster Zeit häufen sich wieder die Erfolgsmeldungen. Die Rückkehr der Gen-Therapie, so urteilte die renommierte Fachzeitschrift Science im Dezember 2009, sei als einer der großen wissenschaftlichen Durchbrüche jenes Jahres zu betrachten. Einen Monat zuvor hatte ein internationales Team um den Franzosen Patrick Aubourg in der gleichen Zeitschrift berichtet, es sei gelungen, mit einem neuartigen Gen-Taxi – einem inaktivierten HI-Virus – die verheerende Nervenkrankheit X-Adrenoleukodystrophie bei zwei Jungen sicher und erfolgreich zu behandeln. Bei dieser Krankheit bildet sich wegen eines Gen- Defekts die fettartige Isolierschicht um die Nervenzellfortsätze zurück. Der Effekt der Gen-Therapie war nach zwei Jahren noch erkennbar: Die in die Blutstammzellen der Patienten eingeschleusten funktionsfähigen Kopien des Gens hatten den fortschreitenden neurologischen Verfall gestoppt. „Das war ein wesentlicher Durchbruch, weil es bisher schwierig schien, eine Erkrankung des Gehirns zu behandeln“, sagt Christof von Kalle, Leiter des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg, der die Sicherheit bei dieser Gen- Therapie mit überwacht hat. Aufsehen erregten zur gleichen Zeit Gen-Therapie- Studien aus den USA und Großbritannien an Patienten mit Leberscher kongenitaler Amaurose, einer der schwersten Formen der angeborenen Netzhaut-Degeneration, die bisher als unheilbar galt. Insgesamt 18 nahezu blinde Patienten wurden behandelt, fast alle konnten nach der Gen-Therapie zumindest geringfügig besser sehen.

VIREN HELFEN HEILEN

Bei der Gen-Therapie werden Zellen eines Patienten gezielt genetisch verändert. Entweder geschieht dies wie bei den ersten Gen-Therapien außerhalb des Körpers, indem den Patienten beispielsweise leicht zugängliche Zellen des blutbildenden Systems oder der Haut entnommen und nach der genetischen Modifikation wieder zurücktransplantiert werden. Oder die Mediziner injizieren die veränderten Gene direkt in das von der Krankheit betroffene Organ oder Gewebe. Meist schleusen die Ärzte Gene mithilfe von inaktivierten Viren („Gen-Fähren“) in die Körperzellen ein. Daher hat man die Gen-Therapie zunächst an klassischen Erbkrankheiten getestet, für die lediglich ein einziger Gen-Defekt verantwortlich ist.

Ein aktuelles Beispiel in Deutschland ist die weltweit erste Gen-Therapie-Studie bei Kindern mit der schweren angeborenen Immunkrankheit Wiskott-Aldrich-Syndrom. Die Studie startete 2006 an der Medizinischen Hochschule Hannover. Unter Leitung des Leibniz-Preisträgers Christoph Klein übertrugen die Ärzte bei zehn Kindern erfolgreich die funktionsfähige Version des Gens in die Blutstammzellen: Bei neun besserten sich die Symptome. Allerdings entstand bei einem Kind – wie bei den vorausgegangenen X-SCID-Gen-Therapien – als Nebenwirkung eine Leukämie, die zurzeit behandelt wird. Bis 2016 werden die Patienten weiter beobachtet.

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Mittlerweile hat man die Gen-Therapie auf weitaus häufiger vorkommende, nicht rein erbliche Erkrankungen ausgeweitet. 65 Prozent aller bisher registrierten Gen-Therapie-Studien richten sich gegen Krebs. Die in den Tumor eingeschleusten Gene sorgen zum Beispiel dafür, dass ungiftige Medikamenten-Vorstufen in giftige umgewandelt werden, die Tumorzellen gezielt vernichten. Andere Gene können die ungehemmte Zellteilung wieder normalisieren. Ein dritter Typ macht körpereigene Immunzellen gegen entartete Körperzellen scharf und tötet sie ab, wie in einem Mitte 2011 veröffentlichten Pilotversuch mit drei Leukämiepatienten gezeigt wurde. US-Ärzte hatten die Kranken mit deren eigenen, gentechnisch veränderten Immunzellen behandelt. Das neue Gen befähigte die Immunzellen dazu, gezielt Krebszellen zu orten.

Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen wurden Gen-Therapien bisher eingesetzt, um zum Beispiel bei Durchblutungsstörungen der Beine neue Blutgefäße sprießen zu lassen, oder um Herzmuskelzellen bei herzschwachen Patienten stärker zucken zu lassen. Auch Autoimmunerkrankungen wie die Rheumatoide Arthritis und neurodegenerative Erkrankungen haben Gen-Therapeuten seit geraumer Zeit im Visier. Bei der Parkinsonschen Krankheit wurde im März 2011 ein Meilenstein erreicht: Erstmals wiesen Mediziner in einer größeren Blindstudie nach, dass eine Gen-Therapie wirksamer ist als eine Scheinbehandlung.

Fortschritte zeigen sich auch bei der Behandlung der Infektionskrankheit HIV. Mithilfe sogenannter Zinkfinger-Nukleasen ist es US-Ärzten in zwei derzeit laufenden Studien gelungen, gezielt ein Gen für ein Protein namens CCR5 auszuschalten, das vom HI-Virus als Eintrittspforte zur Infektion von „T-Helfer-Zellen“ genutzt wird. In diese Zellen hatten die Forscher vorher ein Gen eingeschleust, das den Bauplan einer Zinkfinger-Nuklease liefert. Zinkfinger-Nukleasen sind Enzyme, die DNA wie eine Schere an spezifischen Stellen schneiden können. Der Ansatz ist insofern spektakulär, als damit auch Gene direkt vor Ort repariert werden könnten, indem in die entstehende DNA-Lücke eines defekten Gens eine funktionsfähige Kopie eingefügt wird. In Mäusen konnten Forscher des Children’s Hospital of Philadelphia auf diese Weise bereits ein defektes Gen der Bluterkrankheit erfolgreich reparieren, wie sie im Juni 2011 berichteten.

EINBAU AN FALSCHER STELLE

Trotz der vielen anvisierten Krankheiten stößt die Gen-Therapie derzeit noch an Grenzen. Das Problem sind vor allem die Nebenwirkungen, zu denen es bei einem Teil der Patienten kommt. So starb Jesse Gelsinger, weil ihm die Ärzte Unmengen von Schnupfenviren, sogenannte Adenoviren, in die Leber injiziert hatten. Dagegen lief sein Immunsystem Sturm, sein ohnehin geschwächter Körper kapitulierte. Eine Alternative zu den Adenoviren sind inaktivierte Retroviren. Werden sie als Gen-Fähren benutzt, bauen sie die eingeschleuste DNA mehr oder weniger zufällig an irgendeiner Stelle in das Erbgut der Wirtszelle ein, sodass sie bei der Zellteilung nicht verloren geht. Die X-SCID-Kinder, aber auch die anderen Patienten, bei denen nach der Gen-Therapie eine Leukämie auftrat, hatten jedoch das Pech, dass sich die eingeschleuste DNA in der Nähe eines Krebs-Gens eingebaut und dieses aktiviert hatte.

Die Wissenschaftler haben daraus gelernt. Intensiv forschen sie zurzeit daran, den Gen-Transfer sicherer zu machen. Florian Kreppel von der Universität Ulm tarnt beispielsweise die Viren mit einem Schutzschild aus synthetischen Polymeren. Patrouillierende Abwehrzellen sehen dadurch die Viren nicht mehr als fremd an. Mit zusätzlichen „Adressen“ in der Virushülle versehen, finden sie den Weg zu ihren Zielzellen. Christopher Baum von der Medizinischen Hochschule Hannover arbeitet daran, „ den Motor des eingeschleusten Gens leiser zu machen“, damit es andere Gene in seiner Umgebung nicht aus Versehen mit aktiviert. Aber auch mit dieser zweiten Generation von Gen-Fähren gab es 2009 Probleme: In einer französischen Beta-Thalassämie- Studie war die übertragene DNA bei einem Patienten auffällig oft in der Nähe des Gens für ein bekanntes Regulatorprotein zu finden. Das Protein wird in den Zellen nun verstärkt gebildet, genauso wie man es schon bei manchen Krebszellen beobachtet hat. Für den Patienten hatte diese Protein-Produktion bisher keine Folgen. Er konnte ein Jahr nach der Gen-Therapie sogar auf die zuvor nötigen regelmäßigen Bluttransfusionen verzichten. Trotzdem müssen Ärzte wahrscheinlich noch jahrzehntelang überwachen, ob der Patient nicht doch irgendwann Leukämie bekommt.

Andere Forscher wollen gänzlich auf Viren als Gen-Fähren verzichten. Zsuzsanna Izsvák und ihre Arbeitsgruppe am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin erweckten ein Transposon wieder zum Leben und nannten es „ Dornröschen“. Ein solches „springendes Gen“ kommt in der DNA von Fischen vor, wird dort aber seit Millionen Jahren nicht mehr abgelesen. Doch auch das Transposon baut das therapeutische Gen immer noch an einer zufällig ausgewählten Stelle im Erbgut der Zelle ein. „Wenn man in der Lage ist, die Risiken in den Griff zu bekommen, dann wird die Gen-Therapie Schritt für Schritt breitere Anwendung finden“, meint Christopher Baum, Leiter der Abteilung Experimentelle Hämatologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. „Bei dem jetzigen Kenntnisstand wird man einem Menschen eine Gen-Therapie nur bei einer wirklich schweren Erkrankung anbieten, für die es keine Alternativen gibt.“ Die Anfangseuphorie ist verflogen: Die Experten sind vorsichtiger geworden.

DREI PRODUKTE AUF DEM MARKT

Für die nähere Zukunft prophezeit Baum: „Die Gen-Therapie wird sich eher bei Krankheiten etablieren, bei denen nur wenige Zellen genetisch verändert werden müssen, um einen großen Effekt zu erzielen.“ Wenn das Zielorgan oder -gewebe klein ist, etwa bei einem Tumor, oder wenn langlebige Stammzellen modifiziert werden, etwa die blutbildenden Zellen des Knochenmarks, sind die Bedingungen erfüllt. Doch bisher behandelten die Ärzte in den meisten klinischen Studien nur einige wenige Patienten mit einer Gen-Therapie. Trotz der weltweit über 1500 genehmigten klinischen Gen-Therapie-Studien erlangten bis jetzt nur drei Gen-Therapie-Produkte nach größeren Zulassungsstudien eine Zulassung: zwei in China und eines auf den Philippinen. Alle drei werden zur Behandlung von Krebs eingesetzt. ■

Die Spezialität von HELMINE BRAITMAIER sind Innovationen in der Medizin. In bdw 6/2011 schrieb sie über die Erforschung des Mikrobioms.

von Helmine Braitmaier

kOMPAKT

· In Hannover behandelten Ärzte zehn Kinder mit einer angeborenen Immunkrankheit per Gen-Therapie – bei neun von ihnen besserten sich die Symptome.

· Doch eines der Kinder erkrankte an einer Leukämie.

· Diese Nebenwirkung ist typisch für den heutigen Stand der Gen-Therapie: Sie ist sicherer geworden, aber noch nicht sicher genug.

GEN-THERAPIE ERFOLGREICH BEI BLUTKRANKHEIT

Die Grafik veranschaulicht, wie französische Ärzte 2007 einen 18-jährigen Patienten mit einer erblichen Blutkrankheit (Beta-Thalassämie) zu heilen versuchten: Sie entnahmen dem Knochenmark des jungen Mannes blutbildende Stammzellen und züchteten diese in einer Zellkultur weiter. Mithilfe von modifizierten Viren vom Typ Lenti-Virus (zu denen auch das HI-Virus gehört) übertrugen sie in die kultivierten Zellen das beta-Globin-Gen, das bei dem Patienten von Geburt an defekt war. Dann zerstörte das Team um die Pariser Hämatologin Marina Cavazzana-Calvo mittels einer starken Chemotherapie den größten Teil der blutbildenden Stammzellen im Körper – ein riskanter Schritt. Erst danach wurden dem Mann die gentechnisch veränderten Stammzellen aus der Zellkultur eingepflanzt. Sie wuchsen in seinem Knochenmark an und produzierten mit der Zeit gesunde rote Blutkörperchen. Der Mann leidet heute nur noch unter geringer Blutarmut und braucht keine Bluttransfusionen mehr. Es muss aber regelmäßig geprüft werden, ob sich als Nebenwirkung der Gen-Therapie eine Leukämie gebildet hat. JR

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