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VÄTER MACHEN SCHLAU

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VÄTER MACHEN SCHLAU
Mütter wurden lange glorifiziert. Zu Unrecht, zeigt die Vaterforschung: Kinder mit fürsorglichen Vätern sind selbstbewusster, haben bessere Schulnoten und sind seltener verhaltensauffällig.

Die Jäger und Sammler machen es vor: „Die Väter bei den Aka-Wildbeutern in Zentralafrika hätscheln, küssen, umarmen oder halten ihre Babys erstaunliche 22 Prozent der Zeit”, schreibt die amerikanische Anthropologin Sarah Blaffer Hrdy in ihrem Buch „ Mothers and Others”. Und sie berichtet: Die Aka-Väter verweilen häufig im Camp, wo sie 88 Prozent der Zeit in Sichtweite der Kleinen verbringen. Das ist weltweiter Rekord.

In Deutschland bekommen Väter seit der Einführung des Elterngelds 2007 immerhin theoretisch die Chance, ihren Nachwuchs öfter zu sehen – und damit zur Generation der „neuen Väter” zu gehören, die Verantwortung und Einsatz zeigen. Rund 24 Prozent der Väter der im ersten Quartal 2010 geborenen Kinder machten von dem Angebot Gebrauch. Und das ist gut so – denn aktuelle Untersuchungen zeigen, wie wichtig ein engagierter Vater für eine rundum gelungene Entwicklung ist.

Das war nicht immer so: Bis Ende der 1960er-Jahre interessierten sich die Wissenschaftler nicht für Väter. „Und auch in den vergangenen Dekaden wurde der Vater trotz vermehrter Forschung als weitgehend überflüssig für die Entwicklung der Kinder angesehen”, sagt Inge Seiffge-Krenke, Entwicklungspsychologin an der Universität Mainz. Weil Väter nicht wie Mütter funktionieren – ihr Umgang mit den Kindern ist viel stärker von Bewegung und Aktivität geprägt –, wurden sie lange Zeit als defizitär betrachtet. Und: Die Grundannahmen der Psychoanalyse und danach die Bindungstheorie des britischen Psychiaters John Bowlby (1907 bis 1990) führten zu einer Glorifizierung der Mutter.

Verfall Der Männlichen Macht

Das konnte nur geschehen, weil die Abwertung des Vaters eine lange Tradition hat. Bereits im 13. Jahrhundert leugnete der Philosoph und Theologe Thomas von Aquin eine Seelenverbindung zwischen Vater und Kind. Im 19. Jahrhundert bekräftigte Karl Marx diese Position: Er sah den Vater als entbehrlich an. Der Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen resümierte auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung: „Als die Frauen die Gewalt über die Zukunft der nachwachsenden Generation an sich nahmen, war bereits ein Verfallsprozess der väterlichen Macht von über 2000 Jahren abgelaufen.” Die Entwicklung gipfelte schließlich in den Theorien der Feministinnen der 1970er-Jahre, die sich auf die Matriarchats-Forschung beriefen und ihre Kinder lieber ohne Zutun der Väter aufzogen.

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Welchen Effekt diese Erziehungsphilosophie haben kann, zeigten erste empirische Studien aus dieser Zeit: Kinder, die nur bei der Mutter aufwuchsen, waren häufiger aggressiv und neigten eher zu impulsivem Verhalten wie Wutausbrüchen. Auch Straftaten, Suchtprobleme und Teenager-Schwangerschaften häuften sich besonders in der Obhut alleinerziehender Mütter. Neuere Zahlen, vom Robert-Koch-Institut (RKI) zwischen 2003 und 2006 gesammelt, besagen zudem: 20 Prozent der Jungen, die in Ein-Eltern-Familien aufwachsen, leiden unter ADHS, der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung. In Zwei-Eltern-Familien sind es laut den RKI-Daten nur zehn Prozent. Umgekehrt fanden Psychologen der University of Arizona 2009 heraus: Kinder, die dem leiblichen Vater etwas bedeuteten und ihn darum häufiger sahen, litten weniger unter mentalen Problemen als Kinder, die kaum Kontakt zum Vater hatten.

Auch Strauchratten FEHLT DER VATER

Erkenntnisse darüber, was hinter den Problemen vaterloser Kinder stecken könnte, kommen nun aus unerwarteter Ecke: von Untersuchungen an Degus. Die südamerikanischen Strauchratten eignen sich besonders gut zur Erforschung der Vater-Kind-Bindung, weil der Degu-Vater intensiv an der Aufzucht der Jungen beteiligt ist. Er wärmt die Neugeborenen, betreibt Körperpflege und spielt ausgiebig mit dem Nachwuchs. Um zu untersuchen, wie das Fehlen des Vaters die Gehirnentwicklung der Jungen beeinflusst, nahm die Magdeburger Neurobiologin Katharina Braun bei einigen Degu-Familien den Vater einen Tag nach der Geburt des Nachwuchses aus den Käfigen heraus. Dann beobachtete sie die Tierkinder im Jugend- und Erwachsenenalter und verglich ihr Verhalten und die Veränderungen im Gehirn mit Degus, die mit beiden Eltern lebten. Die Gehirnbilder zeigten, dass es in drei Arealen Abweichungen gab, wenn die Nager vom Vater getrennt aufwuchsen:

· Im orbitofrontalen Kortex entwickelten sich weniger Synapsen. „Dies lässt vermuten, dass Lern- und Gedächtnisprozesse gestört sind”, meint Braun.

· Auch in einem anderen Areal der Hirnrinde, dem somatosensorischen Kortex, entstanden weniger Erregungsleitungen. Diese Region ist für das Tast- und Schmerzempfinden zuständig.

· In der Amygdala im Limbischen System, die für die Bewertung von gefährlichen Situationen zuständig ist, sowie im Stress-System gab es ebenfalls deutliche Veränderungen. Dort bildete sich vermehrt das Corticotropin-Releasing-Hormon, das Stressreaktionen vermittelt.

Die vaterlosen Tiere erwiesen sich in Verhaltensexperimenten zudem als wesentlich impulsiver als ihre Altersgenossen. „Die väterliche Fürsorge hat offenbar einen bisher unbekannten großen Einfluss auf die Entwicklung von Gehirn und Verhalten der Jungen” , resümiert die Neurobiologin. Hundertprozentig übertragbar auf den Menschen seien diese Versuche natürlich nicht. Aber: „Die Nervenzellen von Mensch und Nagetier nutzen dieselben Funktionsprinzipien. Zudem haben die untersuchten Gehirnregionen bei Mensch und Degu dieselben Funktionen für das Verhalten”, erläutert Braun. Demnach lassen sich durchaus Rückschlüsse vom Tiermodell auf den Mensch ziehen.

Eine ausgeprägte Brutpflege scheint auch in der Natur des Menschen angelegt zu sein: Das landläufig als „Kuschelhormon” bezeichnete Oxytocin ist bei fürsorglichen Vätern in ähnlich hohen Dosen in Blut und Speichel vorhanden wie bei Müttern, fand die Psychologin Ruth Feldman von der israelischen Bar-Ilan-Universität kürzlich heraus. „Oxytocin scheint ein evolutionäres Instrument zu sein, um Männer zu guten Vätern zu machen”, meint sie. Dieses Resultat unterstreicht die Bedeutung der väterlichen Fürsorge – die vor allem dann wichtig ist, wenn die Bindung zur Mutter erschwert ist, etwa bei Frühgeburten oder während einer Wochenbettdepression. „Väter verhalten sich wie Mütter, wenn sie deren Funktionen komplett übernehmen müssen”, ist die Entwicklungspsychologin Inge Seiffge-Krenke überzeugt.

IntellIGENTER UND EMPATHISCHER

Ist der Vater in einer stabilen Familie stark engagiert, sind die positiven Effekte überragend, wie Forscher bereits in den 1990er-Jahren herausfanden: Kinder von fürsorglichen Vätern waren intelligenter, empathischer, zeigten weniger geschlechtsstereotypes Verhalten und eine bessere Impulskontrolle. Später wurden Familien über mehrere Jahre beobachtet, etwa in der Nebraska Study oder der LBS-Familienstudie unter der Leitung des Entwicklungspsychologen Wassilios Fthenakis. „Es wurde klar, dass man den Einfluss des Vaters nicht separat von dem der Mutter betrachten kann”, erklärt er. Wie ein Sohn zum Beispiel Männlichkeit definiert und bewertet, ist nicht nur abhängig vom Verhalten des Vaters, sondern auch davon, wie die Mutter zum männlichen Rollenbild eingestellt ist.

In den Studien wurde auch deutlich, dass Väter ihre Kinder sowohl bei den Schulnoten als auch in Bezug auf Verhaltensauffälligkeiten im Erwachsenenalter beeinflussen. So hängt der Bildungsgrad eines Kindes wesentlich von Bildung und Einkommen des Vaters ab. „Auch das kindliche Selbstwertgefühl profitiert von der Qualität der Vater-Kind-Beziehung”, meint Fthenakis. Die Begründungen dieser empirischen Ergebnisse sind noch nicht ausgereift. Es gibt aber immerhin Theorien dazu, warum Kinder von „guten Vätern” schlauer sind: Zum Beispiel könnten solche Kinder aufgrund des Zusammenspiels von Mutter und Vater lernen, dass Alternativen möglich sind – also dass Mutter und Vater dasselbe tun, nur auf unterschiedliche Weise. „Das wirkt sich positiv auf die kognitive Entwicklung aus, etwa auf flexibles Denken”, meint Jörg Maywald, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind. Eine andere Theorie besagt, dass Väter die Verhaltensweisen ihrer Kinder strukturieren und damit deren Fähigkeit zur Problemlösung fördern.

So ermutigend die Ergebnisse der Vaterforschung auch sind – die Realität sieht häufig anders aus. Es gibt immer mehr Patchwork-Familien – und auch Mutter-Kind-Familien, die mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen haben: Sie sind häufiger von Armut betroffen, und die Trennung der Eltern kann das Kind traumatisieren. Bis heute haben alleinerziehende Mütter in der Gesellschaft einen schweren Stand. Die gute Nachricht ist: Wenn kein Kontakt zum Vater besteht, kann eine empathische Mutter vieles wettmachen: „Zwei Eltern sind in der Regel besser als ein Elternteil. Aber eine gute Mutter ist besser als zwei schlechte Eltern”, meint der kalifornische Soziologe Timothy Biblarz. Das gilt sicher genauso für einen guten Vater. ■

KATHRIN BURGER ist froh, mit einem fürsorglichen Vater aufgewachsen zu sein – der bis heute die besten Pfannkuchen der Welt macht.

von Kathrin Burger

KOMPAKT

· Kinder, die häufig Kontakt mit einem liebevollen Vater haben, leiden weniger unter mentalen Problemen.

· Der Vater kann die Funktion der Mutter voll übernehmen.

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LESEN

Sarah Blaffer Hrdy Mütter und andere Berlin Verlag, Berlin 2010, € 28,–

Jean Le Camus Väter Die Bedeutung des Vaters für die psychische Entwicklung des Kindes Beltz, Weinheim 2003, € 11,90

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