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JAGDTRIEB IM SUPERMARKT

Gesellschaft|Psychologie

JAGDTRIEB IM SUPERMARKT
Beim Kauf von Lebensmitteln verhalten sich Kunden oft irrational und lassen sich von Rabatten locken – vor allem bei ungesunden Leckereien.

Wohl jeder spart beim Einkauf gerne ein paar Euro. Dafür werden Sonderangebote studiert, Rabattmarken gesammelt und sogar riskante Geschäfte im Internet oder bei dubiosen Händlern abgeschlossen. Die Vergangenheit als Jäger und Sammler steckt offenbar vielen Menschen tief in den Neuronen. In ihnen rumort der Gedanke, ein begehrtes Produkt könnte irgendwo günstiger zu haben sein. Hirnforscher der Universität Bonn entdeckten vor einigen Jahren, dass Rabatte Reaktionen im sogenannten Striatum auslösen, einer Hirnregion, die unter anderem für das Empfinden wohliger Belohnungsgefühle sorgt. Gleichzeitig dämpft die Wahrnehmung von Rabattsymbolen die Aktivität in Bereichen des Vorderhirns, die für die rationale Verhaltens- und Fehlerkontrolle zuständig sind. Kurz: Beim Einkaufen Geld zu sparen, stimmt froh und enthemmt zugleich.

Vermutlich beeinflussen aber noch andere Motive die Kaufentscheidungen, dachten sich Wirtschaftswissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum – und entwickelten folgendes Experiment: In zwei von drei Cafeterien der Universität änderten sie die Preise für den sogenannten Henkelmann. Das ist eine tragbare Box, in der Studierende ein täglich wechselndes Mittagsgericht mitnehmen können. In einer Cafeteria wurde das Gericht zum regulären Preis von zwei Euro verkauft, in der zweiten zum reduzierten Preis von 1,50 Euro, und in der dritten konnten die Käufer um den Rabatt würfeln: Bei 1, 2 und 3 zahlten sie den regulären Preis von zwei Euro, bei 4, 5 und 6 den Schnäppchenpreis von einem Euro. Das Angebot galt eine Woche lang. Insgesamt gingen in dieser Zeit 2300 Henkelmänner über die Tresen.

Die Auswertung der Verkaufsstatistik offenbarte: Auf dem letzten Platz landete die Cafeteria ohne Rabatt-Aktion. Diejenige mit dem festen Rabatt von 1,50 Euro wurde mit 749 Käufen am zweithäufigsten frequentiert. Die Würfel-Cafeteria verkaufte mit 909 Henkelmännern mit Abstand am meisten: „Der Umsatz ist hier derart nach oben geschossen, dass an manchen Tagen das Essen vorzeitig ausging“, berichtet Studienleiter Sascha Alavi. Die Untersuchung ist Teil seiner Dissertation am Lehrstuhl für Marketing.

Spielen und Feilschen

Das Experiment macht deutlich, wie stark nicht nur der Rabatt-, sondern auch der menschliche Spieltrieb ausgeprägt ist. Das sollten Händler und Verkäufer für die Psychologie der Preisgestaltung nicht außer Acht lassen. Denn selbst wenn das 50-prozentige Risiko besteht, mehr für ein Produkt zu bezahlen als für ein Sonderangebot, würfeln Käufer offenbar lieber um ihre Ersparnis. Man könnte ja zu den Glücklichen gehören, die den maximalen Rabatt – und damit das maximale Belohnungsgefühl – herausschlagen. Noch ein weiteres Motiv erkannte Alavi hinter der Entscheidung: „Käufer reizt das Gefühl, einen aktiven Part bei der Preisfindung spielen zu können.“ Möglicherweise liefert das auch eine Erklärung für die Tradition des Feilschens in vielen Kulturen.

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Den Rabatt-Vorlieben ihrer Mitbürger gingen kürzlich auch Verhaltensforscher der University of Utah auf den Grund. In fünf Experimenten mit rund 900 Teilnehmern wollten sie herausfinden, ob Kunden unterschiedliche Rabattarten bevorzugen, je nachdem, ob sie gesunde oder ungesunde Lebensmittel kaufen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse, so die Forscher, könnten dazu beitragen, den Verkauf gesunder Lebensmittel zu fördern.

Die Studienleiterin Arul Mishra stellte zahlreiche Testkäufer – normale Kunden eines Supermarkts und zusätzlich rekrutierte Studenten – vor die Wahl: Sie konnten entweder von einem Bonuspack profitieren, also zusätzlich zu einer gekauften Packung eine bestimmte Menge des Produkts gratis mit nach Hause nehmen. Oder sie konnten zum klassischen Rabatt greifen, in der Art: „ Heute nur 4,99 statt 5,99!“

Das Ergebnis: Ob ein Rabatt zieht, hängt vom Produkt ab. Bei gesunden Produkten wie Obstsalat griffen die Kunden beherzt zu den Bonuspaketen. Kauften sie dagegen ungesunde Lebensmittel wie Schokolade oder Kuchen, ließen sie sich mit einer Preisreduktion locken. Hier wählten deutlich mehr Käufer die herabgesetzte Variante als die Gratismenge. Kunden erklärten ihre Entscheidung so: Wenn ich gesunde Lebensmittel kaufe und eine zusätzliche Menge geschenkt bekomme, stärkt das mein gutes Gewissen. Denn gesunde Nahrungsmittel kann man nicht genug im Haus haben.

Kleiner Preis, gutes Gewissen

Bei leckeren, aber ungesunden Lebensmitteln ziehen es die meisten Kunden dagegen vor, zu sparen. Der niedrige Preis liefert ihnen einen guten Grund, zum Junk-Food zu greifen: Denn der Konsum ungesunder Nahrungsmittel löst bei vielen Menschen einen inneren Konflikt aus, da sie sehr wohl wissen, welche Produkte der Gesundheit förderlich sind und welche nicht. Bei einem kleineren Preis ist die Hemmschwelle zum Kauf niedriger. Zudem beruhigen die geringeren Kosten das schlechte Gewissen. Nach dem Motto: Es ist zwar ungesund, aber wenigstens günstig.

Mit Blick auf die Ergebnisse empfiehlt Arul Mishra Händlern, ihre Rabatt-Aktionen für gesunde Lebensmittel entsprechend zu gestalten: „In Zeiten, in denen Konsumenten nach Wegen suchen, mehr gesunde Nahrung zu sich zu nehmen und die Gesellschaft sich um die Folgen des Übergewichts sorgt, können Marketing-Verantwortliche den Konsum mit diesem einfachen Instrument in die richtige Richtung lenken.“ Dahinter steckt eine Weisheit, die Immanuel Kant ungefähr so formulierte: Unsere Notwendigkeit, zu entscheiden, reicht weiter als unsere Fähigkeit, zu erkennen. ■

von Eva Tenzer

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