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Das Rätsel der Schwärme

Allgemein

Das Rätsel der Schwärme
Heringe und Sardinen – Meeresströmungen steuern das Wachstum. Die silbernen Schwärme der Heringe im Atlantik und der Sardinen im Pazifik sind klein geworden. Daran ist nicht nur die Überfischung mit modernen Fangtechniken schuld. Meeresbiologen haben das Rätsel um die natürlichen Schwankungen der Fischbestände gelüftet und drängen nun auf ein besseres Management beim Fang.

Die “Straße der Ölsardinen”, die der Roman von John Steinbeck berühmt machte, ist heute eine Touristenattraktion. Die Sardinenfabriken an der Hafenstraße im kalifornischen Monterey sind Andenkengeschäften gewichen. Sardinen gibt es nur noch im Monterey Bay Aquarium. Dort schwimmen sie in großen Glastanks über den Köpfen der Besucher, glitzernde Schwärme in perfekter Koordination.

In den dreißiger Jahren ernteten die Fischer an der kalifornischen Küste eine halbe Million Tonnen Sardinen pro Jahr. Sie brachten Wohlstand – und Gier nach mehr: Die Sardinen wanderten nicht nur in Konserven, sondern wurden auch zu Fischöl und Fischmehl. Die verschwenderische Praxis, hochwertiges Fischeiweiß in Mastfutter für Schweine und Hühner zu verwandeln, wurde schon damals angeprangert: “Es ist abstoßend für jeden rechtschaffenen Bürger, Speisefisch zu anderen Zwecken als menschlichen Konsum zu verwenden”, schrieb Marx Greene von der kalifornischen Fischereibehörde. Doch seine Appelle und die Kassandrarufe der Biologen über den drohenden Zusammenbruch der Bestände stießen auf taube Ohren. In den sechziger Jahren war die Straße der Ölsardinen dann nur noch eine Zuflucht für Hippies.

Jeder machte Überfischung für das Verschwinden der Sardinen verantwortlich, “aber so einfach ist das nicht”, wendet Dr. Richard Parrish ein. Der Fischereibiologe arbeitet beim National Marine Fisheries Service, ein paar Meilen südlich der Sardinenstraße. Um sich nicht von dem herrlichen Blick auf die Brandung des Pazifik ablenken zu lassen, sitzt er in einem fensterlosen Raum vor seinem Computer: “Die pazifische Sardine ist ein subtropischer Fisch, er mag es warm – zwischen 13 und 20 Grad Celsius. Das Küstengewässer kühlte sich aber in den vierziger Jahren im Durchschnitt um ein bis zwei Grad Celsius ab.” Das genügte, um die Wachstumsraten der Sardinen drastisch zu senken.

Das An- und Abschwellen der Fischschwärme ist ein altes Phänomen: Als Dr. Tim Baumgartner, Meeresgeologe am Scripps Institute of Oceanography in San Diego, bis zu 2000 Jahre alte Ablagerungen vor der Küste Kaliforniens untersuchte, wechselten sich zu seinem Erstaunen Warm- und Kaltwasserfische ab. Sardinenschuppen erschienen gehäuft nur während der warmen Perioden, die 40 bis 60 Jahre dauerten.

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Der Schwede Axel Ljungman fand schon 1880 einen ähnlichen Rhythmus für die Heringsschwärme an der schwedischen Westküste. Als Wissenschaftler war er nicht mit den Erklärungen zufrieden, daß etwa “Hexerei” deren Verschwinden auslöste. Überfischung konnte es seiner Überzeugung nach auch nicht sein, denn auf magere Jahrzehnte, etwa 1699 bis 1747, folgten wieder reiche Fischdekaden, wie 1748 bis 1808. Nachdem Ljungman zufällige Einflüsse auf Laichplätze oder Wanderwege ausgeschlossen hatte, fielen ihm die Sonnenflecken ein. “Es ist ein merkwürdiges Phänomen, daß die reichsten Fischfänge mit einer regen Sonnenaktivität und den häufigsten Nordlichtern während einer Periode von 55,5 Jahren zusammenfallen”, schrieb Ljungman.

Solche Zyklen konnte bisher niemand bestätigen. Dennoch scheinen gewisse periodische Änderungen in örtlichen Strömungen, Hochdruckgebieten und Eiszonen das An- und Abschwellen der Heringsbestände zu bestimmen – zumindest im nordöstlichen Atlantik. Andrei Krovnin und Sergei Rodionov vom Forschungsinstitut für Fischerei in Moskau fanden, daß die größten nordatlantischen Heringsschwärme dieses Jahrhunderts in der warmen Periode von 1920 bis 1950 auftraten. Die sechziger Jahre waren eher kühl – die Bestände schrumpften. Sie wurden aber gleichzeitig vermehrt befischt. 1965 gingen weltweit fünf Millionen Tonnen Hering in die Netze, davon allein 3,7 Millionen Tonnen im Nordost-Atlantik. In den folgenden Jahren sanken die Erträge rapide – bis auf 1,5 Millionen Tonnen 1980. Noch deutlicher war die Entwicklung in der Nordsee: Bis Mitte der siebziger Jahre waren die ursprünglich auf rund 3 Millionen Tonnen geschätzten Heringsbestände auf 50000 Tonnen dezimiert.

In der Nordsee ist die Zahl der Fische weniger von natürlichen Schwankungen als von der Fischerei abhängig. Zwar bestimmt der nordatlantische Meeresstrom, eine Fortsetzung des warmen Golfstroms, das milde Klima Europas und der Nordsee. “Doch ein Einfluß auf den Hering konnte bisher nicht nachgewiesen werden”, ist Dr. Cornelius Hammer von der Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg überzeugt.

Anders im Pazifik: Seit den achtziger Jahren drängen die vorherrschenden Winde die Nordpazifische Strömung gen Süden, so daß wärmeres Wasser an die kalifornische Küste gelangt. So geschah es auch in den dreißiger Jahren, vermutet Parrish. Der etwa 50jährige Rhythmus führte dazu, daß sich Sardinen- mit Sardellen-Phasen abwechseln.

Sardellen, die kleinen Verwandten der Sardinen, gedeihen besonders gut in der kühlen Meeresströmung vor der Küste Perus. In den sechziger Jahren brachten die Sardellenfänge Peru den ersten Platz als Fischerei-Nation ein. Doch Überfischung und “El Niño” machten dem bald ein Ende. El Niño, eine in vier- bis fünfjährigem Rhythmus auftretende warme Meeresströmung, verdrängt oder dezimiert die Sardellen. 1994 betrug der peruanische Fang nur noch 94000 Tonnen – weniger als ein Prozent der Ausbeute von 1970.

Heute diskutieren die Fischer zusammen mit Ökologen und Meeresbiologen, wie sich zyklisch ändernde Fischbestände nachhaltig nutzen lassen, ohne die Art zu gefährden. Bisher wurden die Fischschwärme durch immer modernere Fangtechniken so dezimiert, daß nur befristete Verbote die Ausrottung verhinderten. Der Sardinenfang an der kalifornischen Pazifikküste wurde 1973 untersagt – als ihre geschätzte Biomasse nur noch knapp 1000 Tonnen betrug. Seit dem Beginn einer “Sardinen-Phase” in den achtziger Jahren hat sich der Bestand erholt. Heute darf 15 Prozent des nun auf 200000 Tonnen geschätzten Bestandes vor der amerikanisch-mexikanischen Küste gefischt werden. Doch Parrish befürchtet, daß noch lange nicht genügend “Grundkapital in der Bank” ist. Er gehört einer internationalen Beratergruppe an, die auf ein Fangverbot drängt, bis wieder eine Million Tonnen verhanden ist: “Dann könnte man von den Zinsen leben.” Doch allein Mexiko fängt inzwischen wieder 15 Prozent – und verarbeitet die Tiere zu Fischmehl.

Das Management des Heringsfangs steht vor ähnlichen Problemen. Die Norweger schützen seit dem Tiefpunkt in den Siebzigern ihre Bestände konsequent, so daß heute wieder rund 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr gefischt werden können, ohne die Vorkommen im Nordatlantik zu gefährden. Auch der Nordsee-Hering hatte sich erholt, als der Fang zeitweise verboten wurde. Doch kaum war die Befischung wieder erlaubt, gingen die Zahlen trotz Quotierung und Erhöhung der Maschenweiten erneut rasch zurück. 1995 meldete die holländische Zeitung “De Telegraaf”: Wegen der scharfen Befischung “ist der Heringsbestand seit 1992 wieder unter die minimale biologische Größe von 800000 Tonnen gesunken”.

Für Hammer ist die Erklärung eindeutig: “Die Quoten wurden überfischt und die Angaben über die gefangene Menge immer unzuverlässiger.” Denn in der EU ist es Brauch, zunächst viel mehr Fische an Bord zu ziehen als erlaubt sind. Dann werden nur die größten Exemplare auf Eis gelegt, die anderen fliegen zurück ins Meer – tot oder sterbend. Island, Grönland, Rußland und Norwegen haben dieses “Highgrading” der Fänge deshalb geächtet; die Länder der EU machen weiter. Eine Firma wirbt mit der Methode sogar im Fernsehen: “Nur das Beste für unsere Kunden”.

Hammer und seine Kollegen von der Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg sind derzeit dabei, zusammen mit dem Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES), die wissenschaftlichen Grundlagen für Fangquoten zu erarbeiten. Damit soll die Europäische Kommission Quoten für die einzelnen Anrainerstaaten bestimmen. “Die Fangquoten müssen sich von Jahr zu Jahr den Schwankungen der Schwärme anpassen, und die sind bedingt durch Laicherfolg, Überlebensrate der Jungfische und Wegfangen der Elterntiere.” Hammer mahnt zur Vorsicht: “Mit derzeit 500000 Tonnen geschätzter Bestandsstärke” – womit er ein Drittel niedriger liegt als die Holländer 1995 – “sind wir noch ein Stück von der extrem kritischen Situation der siebziger Jahre entfernt. Doch der biologische Puffer ist zu gering.”

Die pazifischen Sardinen haben es etwas besser als die atlantischen Heringe. Die meisten haben sich etwa 30 Kilometer von der kalifornischen Küste zurückgezogen. Dort sind sie außer Reichweite der Küstenkutter, doch noch innerhalb des territorialen Schutzes der USA – und damit sicher vor den Netzen der Japaner und Mexikaner.

Schuppige Verwandtschaft

Experten unterscheiden 179 Arten von Heringsfischen, 160 davon in den Tropen, 30 in Süßwasser.

Der Hering im engeren Sinn (zoologischer Name Clupea) ist ein Kaltwasserfisch, der 36 Zentimeter lang und 20 Jahre alt werden kann. Es gibt zwei Arten (Pazifischer und Atlantischer Hering) sowie verschiedene Unterarten, deren Unterscheidung selbst bei Experten strittig ist. Im Atlantik erstrecken sich die Heringsgründe von Rußland bis nach Grönland und Labrador.

Die Sardine gehört auch zur Heringsfamilie. Sie kann bis zu 30 Zentimeter lang und 25 Jahre alt werden. Die wichtigsten Gattungen sind Sardina, Sardinops und Sardinella. Sie schwimmen in den warmen Strömungen des tieferen Wassers. Sardina, die Echte Sardine, lebt vor West- und Südwesteuropa bis hinunter nach Nordafrika. Die Japanische und die Pazifische Sardine gehören zur Gattung Sardinops (Falsche Sardine). Ihre Schwärme können unter optimalen Bedingungen eine Biomasse von 100 Tonnen erreichen. Im südlichen Atlantik und im Indischen Ozean dominiert die Gattung Sardinella (Kleinsardine). Die Tiere werden höchstens 20 Zentimeter lang.

Ebenfalls zur Heringsfamilie gehören die Sprotten. Wirtschaftlich genutzt wird vor allem die Nördliche Sprotte (Sprattus sprattus), die etwa 12 Zentimeter lang wächst und von Nordnorwegen bis zum Schwarzen Meer vorkommt.

Die Sardelle ist im eigentlichen Sinn kein Hering. Sie bildet eine eigene Familie mit der Hauptgattung Engraulis. Die Sardelle unterscheidet sich äußerlich vom Hering vor allem durch den überstehenden Oberkiefer. Sie wird nur etwa 10 Zentimeter lang. Ihr Verbreitungsgebiet überschneidet sich weitgehend mit dem der Sardine, wobei Sardellen aber Küstenfische sind und kühleres Wasser vorziehen. Berühmt wurden die enormen Schwärme vor der Küste Perus. Die Europäische Sardelle kommt unter dem Namen Anchovis gesalzen, in Öl oder als Paste auf den Markt.

Bruni Kobbe

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