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Raumstation im Kugelhagel

Allgemein

Raumstation im Kugelhagel
Wie gefährlich sind ausgediente Satelliten oder Raketentrümmer für künftige Raumfahrt-Missionen? Mit dieser Frage befaßten sich 250 Wissenschaftler auf einer Konferenz in Darmstadt.

16. Januar 1996: Die amerikanische Raumfähre Endeavour zieht ruhig ihre Bahn 400 Kilometer hoch um die Erde. Plötzlich kommt dem Shuttle ein ausgedienter amerikanischer Luftwaffen-Satellit entgegen. Wohin ausweichen – nach rechts, nach links? Die Mannschaft zündet die Steuerdüsen und ändert den Kurs – der Zusammenstoß wird gerade noch verhindert.

Zusammenstöße und Beinahe-Zusammenstöße sind im Erdorbit Alltag. Vor allem in Höhen zwischen 900 und 1500 Kilometern wird es immer enger. Dort reicht die Reibung der oberen Lufthülle nicht mehr aus, Trümmerteile ehemaliger Raummissionen schnell verglühen zu lassen. Die „Long Duration Exposure Facility“ der NASA war, als sie 1990 nach 68 Monaten im All wieder zur Erde zurückgeholt wurde, von Einschlagkratern übersät. 34000 Einschläge wurden auf der 150 Quadratmeter großen Oberfläche des Satelliten gezählt. Ihr Durchmesser reicht von einigen tausendstel Millimeter bis fünf Millimeter.

Zur Überwachung des Weltraum-Schrotts haben die Amerikaner eine eigene Beobachtungsstation tief unter dem Chayenne Mountain bei Colorado Springs in Colorado eingerichtet. Die Spezialisten des US Space Command suchen mit Radar und optischen Beobachtungsmethoden in den erdnahen Umlaufbahnen nach Abfall. Zur Zeit haben sie 8000 Objekte im Visier – davon sind nur 6 Prozent Satelliten, die in Betrieb sind. 42 Prozent stammen von Explosionen, 17 Prozent von ausgedienten Raketen-Oberstufen und 22 Prozent von Satelliten, die längst außer Dienst sind. Die restlichen 13 Prozent sind Schrott.

Computersimulationen zeigen, daß zur Zeit wenigstens 50000 Objekte mit einem Durchmesser von weniger als einem Zentimeter die Erde umkreisen. Im März diskutierten auf der „Europäischen Konferenz über Weltraum-Trümmer“ bei ESOC, dem Europäischen Raumfahrt-Operations-Zentrum in Darmstadt, Fachleute über Schutzmaßnahmen. Doch das internationale Gremium konnte auch nach zweitägigen Beratungen keine Patentrezepte liefern.

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Die ESA gab bekannt, daß ihr unbemanntes Nachschub-Transportvehikel für die bemannte Raumstation „Alpha“ mit einem Schutzschild ausgerüstet sein wird, das Weltraumtrümmer kleiner als einen Zentimeter aufhalten kann. Analysen haben ergeben, daß das Risiko für die Fähre, innerhalb von zehn Jahren von einem solchen Partikel getroffen zu werden, bei etwa 20 Prozent liegt.

Auf der Darmstädter Konferenz wurden eine Reihe von Methoden diskutiert, wie man die Weltraum-Trümmer kontrollieren und vor allem eine Vergrößerung ihrer Zahl verhindern kann. Vorgeschlagen wurde zum Beispiel eine Zerstörung mit Laserstrahlen. Doch dabei besteht die Gefahr, daß neue, kleinere Bruchstücke entstehen.

In einem Punkt waren sich die Konferenz-Teilnehmer rasch einig: Die Zahl der Trümmer soll sich in Zukunft möglichst verringern oder zumindest nicht weiter ansteigen. Dazu will man verhindern, daß die letzte Stufe einer Trägerrakete in der Umlaufbahn explodiert. Nicht benötigter Treibstoff soll abgelassen werden, wenn die Rakete ihre Aufgabe erfüllt hat. Damit soll die größte Quelle des Weltraum-Mülls versiegen. Für die drit- te Stufe der Europa-Rakete Ariane-4 wird diese Methode bereits seit etlichen Jahren praktiziert.

Bei ausgedienten Satelliten gibt es bislang nur zwei Entsorgungsmethoden: Geostationäre Satelliten werden aus ihrer Umlaufbahn in 36000 Kilometer Höhe in eine „Friedhofs“-Umlaufbahn geschickt. Sie müssen also einen kleinen Treibstoffvorrat behalten, damit sie auf ihre letzte Reise gehen können. Die ESA ist so bereits mit einigen Satelliten verfahren – zum Beispiel kürzlich mit Meteosat-2.

Die ultimative Lösung – die Feuerbestattung durch Verglühen in der Atmosphäre – wird vor allem von Rußland favorisiert. Doch dazu bedarf es neuer Konstruktionen für Satelliten, die den Anforderungen eines gezielten Absturzes entsprechen – eine Hausaufgabe, die die Wissenschaftler in Darmstadt den Ingenieuren zur schnellen Lösung gestellt haben.

Aber auch die Politiker sind gefordert: Zwar gibt es fünf internationale Verträge über die Nutzung des Weltraums, doch der Weltraum-Müll ist in keinem Papier direkt erwähnt. Umweltschutz im erdnahen Weltraum sei eine Aufgabe, die alle Raumfahrt betreibenden Nationen angehe, lautete das Fazit der Darmstädter Konferenz.

Gerd-Peter Schulze

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