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Tarnen, täuschen, tricksen

Astronomie|Physik Technik|Digitales

Tarnen, täuschen, tricksen
Über die Entwicklung von Tarnkappen diskutieren inzwischen etliche Wissenschaftler ganz ernsthaft. Doch unsichtbar machende Umhänge werden noch lange eine Vision sein. von Michael Vogel

Der griechische Held Perseus besaß einen Helm aus Hundefell, der ihn unsichtbar machte. Auch Siegfried, der Held der Nibelungen, konnte mit einem Tarnumhang trumpfen. Und im Roman „ Der Unsichtbare“ von H. G. Wells versteckt sich der Wissenschaftler Griffin mithilfe einer chemischen Substanz vor den Blicken anderer Menschen – nur leider lässt sich die Unsichtbarkeit nicht wieder rückgängig machen, wie er bestürzt feststellen muss. Da waren die Romulaner und Klingonen in der Science-Fiction-Serie „Raumschiff Enterprise“ besser dran: Ihre Raumschiffe konnten sich tarnen und wieder auftauchen. In „Der Herr der Ringe“ bringt die Unsichtbarkeit manche Unannehmlichkeiten mit sich, während es dem Zauberlehrling Harry Potter nicht zuletzt dank seines Tarnumhangs gelingt, den bösen Lord Voldemort zur Strecke zu bringen. Seit einigen Jahren jonglieren nun auch die Forscher mit dem Begriff der Unsichtbarkeit. Namhafte Fachzeitschriften haben Arbeiten dazu veröffentlicht: Darin geht es um elektromagnetische, optische, akustische oder magnetische Tarnkappen. Scheinbar gibt es keine Art von Strahlung und Kräften, vor denen man sich nicht verhüllen könnte.

Einen Unterschied gegenüber literarischen und filmischen Vorlagen gibt es in der Realität aber doch: Meist handelt es sich bei den Forschungsobjekten nur um theoretische Konzepte oder sehr spezielle experimentelle Aufbauten für Tarnkappen – und die zu verhüllenden Gegenstände sind oft so winzig, dass man sie mit Menschenaugen ohnehin nicht sehen kann. Hinter der wissenschaftlichen Idee des Tarnens steckt eine neuartige Klasse von künstlich hergestellten Materialien, bei denen die Forscher von Meta-Materialien sprechen. Angefangen hat das Interesse an solchen Substanzen vor rund 40 Jahren: 1968 beschrieb der russische Physiker Viktor Veselago Stoffe mit einem negativen Brechungsindex. Der Brechungsindex bestimmt, wie stark ein Lichtstrahl beim Übergang zwischen zwei verschiedenen Materialien abgelenkt wird. Das Ganze blieb lange pure Theorie. Denn in der Natur, das lernt man im Physikunterricht, gibt es nur Stoffe, die einen Brechungsindex haben, der größer ist als Null (siehe Kasten „Gut zu wissen“ auf dieser Seite). Die Glaslinsen in einer Lupe, Brille oder einem Teleskop sind ein Beispiel dafür – oder das Schulexperiment mit dem Stab, der im Wasserglas steht: Wegen der Brechung des Lichts an der Grenze zwischen Luft und Wasser scheint der Stab unter Wasser geknickt zu sein. Hätte das Wasser eine gleich große, aber negative Brechungszahl, würde der Stab scheinbar an der Wasseroberfläche enden und unter Wasser gerade den spiegelbildlichen Anblick zum gewohnten Bild bieten. Es sähe dann so aus, als ob die beiden Stücke sich an der Wasseroberfläche nicht berühren. Mit Meta-Materialien kann man also ziemlich verrückte Sachen machen.

Das Licht wird einfach umgelenkt

Das dachte sich wohl auch der theoretische Physiker John Pendry vom Imperial College in London, der als geistiger Vater der jüngeren Forschung über Meta-Materialien gilt. 1999 überlegte er, wie künstliche Moleküle aussehen müssten, damit daraus ein Meta-Material werden kann: wie periodisch angeordnete winzige Ringe, die mit einem Schlitz versehen sind. Ein Jahr später hatte Pendry erkannt, dass sich aus einem Medium mit negativer Brechungszahl eine ideale Linse bauen lässt – schon wieder etwas scheinbar Abwegiges. Unter einem Mikroskop aus solchen Linsen könnte man noch Strukturen erkennen, die nach den Gesetzen der klassischen Optik viel zu klein wären, um sichtbar zu sein. Es kam noch besser. Pendry und sein Fachkollege Ulf Leonhardt von der schottischen University of St. Andrews veröffentlichten unabhängig voneinander theoretische Arbeiten über ein weiteres Abstrusum, das mit Meta-Materialien prinzipiell möglich wäre: Tarnkappen. Bei ihnen besteht der Trick darin, das Licht um einen Gegenstand geschickt herumzulenken – so wie Wasser in einem Bach sich den Weg um einen aufragenden Stein sucht und dahinter in seiner ursprünglichen Richtung weiterfließt, als sei nichts geschehen. Ein Betrachter hätte den Eindruck, dass der Gegenstand gar nicht da ist.

„Das sind nette intellektuelle Spielereien“, sagt Physiker Martin Wegener vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), „ aber man darf nicht den Eindruck erwecken, dass solche Tarnkappen in zwei, drei Jahren erhältlich sein werden.“ Wegeners Arbeitsgruppe gehört zu den weltweit maßgeblichen Teams, wenn es um die experimentelle Erforschung von Meta-Materialien geht. Seinen Kollegen und ihm gelang es als Ersten, solche exotischen Stoffe mit einer negativen Brechungszahl für Licht herzustellen.

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Zwei große Herausforderungen sieht Wegener heute für die Forschung an optischen Meta-Materialien: „Es muss uns gelingen, wirklich dreidimensionale Strukturen herzustellen – und nicht nur dünne Filme“, sagt er. 3, 4, 10 oder 20 Schichten sind zurzeit das Limit – die Ausdehnung in die dritte Dimension endet damit bereits im Mikrometerbereich. „Um weiter voranzukommen, sind neue Herstellungsverfahren erforderlich, etwa das Laserschreiben oder die Holografie“, sagt Wegener. Und wenn diese Hürde genommen ist, fehlen noch geeignete Designs, die sich auch in der Praxis herstellen lassen. Die zweite große Herausforderung ist die geringe Durchlässigkeit der Meta-Materialien. „Wir müssen einen Weg finden, die starke Absorption von Licht in dem Medium entweder vollständig zu kompensieren oder sie zumindest stark zu verringern“, sagt Wegener. Für eine Kompensation müsste man in das Meta-Material Partikel einfügen, die das Licht verstärken können.

Der Physiker Harald Giessen von der Universität Stuttgart, dessen Arbeitsgruppe ebenfalls optische Meta-Materialien untersucht, verweist auf die beträchtlichen Erfolge, die die Forschung auf diesem Gebiet in relativ kurzer Zeit erreicht hat: „ Vor ein paar Jahren widersprach Vieles noch der offiziellen Lehrmeinung.“ Das Potenzial optischer Meta-Materialien ließe sich heute noch gar nicht umfassend und zuverlässig einschätzen, meint er. „Es ist nicht auszuschließen, dass es einmal eine optische Tarnkappe geben wird – auch wenn ihre praktische Anwendung derzeit noch nicht absehbar ist.“ Bei größeren Wellenlängen, jenseits des sichtbaren und infraroten Lichts, im sogenannten Mikrowellenbereich, ist manches ein bisschen einfacher, weil für diese Wellenlängen empfindliche Meta-Materialien aus größeren Strukturen bestehen. Das gilt auch für Tarnkappen.

Eine Tarnkappe für Mikrowellen

An der amerikanischen Duke University in Durham in North Carolina bauten David R. Smith und seine Kollegen 2006 eine Tarnkappe für Mikrowellen. Auf einer handtellergroßen Scheibe saßen speziell präparierte konzentrische Ringe – das Meta-Material –, die in der Mitte eine runde Öffnung hatten. Wenn Smith und seine Mitarbeiter dorthin einen Kupferzylinder stellten und den ganzen Aufbau mit Mikrowellen beleuchteten, war der Zylinder für die Strahlung unsichtbar. Die Wissenschaftler hatten die Mikrowellen um ihn herumgeleitet – wie das Wasser um den großen Stein im Bachbett. Allerdings: Abgesehen davon, dass es sich dabei um keine Tarnkappe für sichtbares Licht handelte, hatte das Experiment noch zwei weitere Schönheitsfehler. Denn es funktionierte nur in zwei Dimensionen und nur für eine einzige Wellenlänge.

Das sind typische Probleme einer Tarnkappe aus Meta-Material – egal bei welcher Strahlungsart sie wirken soll. Schwierigkeiten gibt es auch bei Tarnkappen im Mikrowellenbereich noch reichlich, aber immerhin haben Meta-Materialien für diese Strahlungsart schon das Stadium der angewandten Forschung erreicht. „Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen über Laborprototypen“, weiß Thomas Bertuch, Wissenschaftler bei der Forschungsgesellschaft für Angewandte Naturwissenschaften in Wachtberg bei Bonn. Das dazu gehörende Forschungsinstitut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik, an dem er arbeitet, gilt als das führende deutsche Radarinstitut. Mit elektromagnetischen Meta-Materialien ließen sich beispielsweise Antennen kompakter und leichter bauen. „Das eröffnet die Möglichkeit, sehr flache Mobilfunk-Antennen zu fertigen, die etwa ins Autodach integrierbar sind“, sagt Bertuch. Mikrowellen-Tarnkappen gehören für ihn nicht zu möglichen Anwendungen – schon gar nicht im militärischen Bereich als Schutz vor feindlicher Aufklärung: „Da müssten viel zu spezielle Bedingungen erfüllt sein.“ Als Beschichtung von Masten auf großen Schiffen kann sich Bertuch Meta-Materialien eher vorstellen: „Die Antennen- und Radarsysteme stören sich dort gegenseitig, was sich durch eine solche Umhüllung reduzieren ließe.“ Der Unterschied zu Tarnkappen à la Siegfried oder Harry Potter: Die Hülle müsste ihren Träger nicht völlig unsichtbar machen. ■

Michael Vogel würde manchmal wirklich gern verschwinden. Doch die Vorstellung einer Tarnkappe für Menschen lässt ihn gruseln.

Mehr zum Thema

Internet

Homepage des Forschungsteams von Martin Wegener am Institut für Angewandte Physik der Universität Karlsruhe: www.aph.uni-karlsruhe.de/wegener/de/forschung/metamaterialien

4. Physikalisches Institut der Universität Stuttgart (Harald Giessen): www.pi4.uni-stuttgart.de

Arbeitsgruppe von David R. Smith an der Duke University: people.ee.duke.edu/~drsmith/

Gut zu wissen: Brechung

Unter Brechung verstehen Physiker die Änderung der Richtung eines Lichtstrahls oder einer anderen Art von elektromagnetischer Strahlung an der Grenze von zwei verschiedenen Medien – zum Beispiel von Luft und Wasser. Die Ursache der Brechung ist eine unterschiedliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen in den beiden Materialien. Bei normalen Werkstoffen gilt: Wechselt das Licht von einem Medium mit niedrigerer in eines mit höherer Ausbreitungsgeschwindigkeit, wird es vom Lot weg gebrochen. Bei Materialien mit negativem Brechungsindex ist es umgekehrt.

Kompakt

· Die Bausteine für Tarnkappen sind Werkstoffe mit negativer Brechungszahl.

· Im Labor funktioniert das Unsichtbarmachen unter bestimmten Bedingungen.

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