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AUF PC-ENTZUG

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AUF PC-ENTZUG
Die Sucht nach der virtuellen Welt kann jeden treffen, der Bestätigung oder sozialen Anschluss in der realen Welt vermisst. Therapeuten in Mainz helfen PC-Junkies aus der Abhängigkeit heraus.

Seine Hände sind verschwitzt. Mit den Fingern fährt er sich immer wieder durch das blonde schulterlange Haar. Er spricht sehr schnell. Jürgen ist nervös. Nicht, weil er gerade ein Interview gibt, sondern weil er so etwas wie Entzugserscheinungen verspürt. „Ich bin süchtig“, gibt der 21-Jährige unverhohlen zu. Süchtig, nicht nach Alkohol oder Haschisch, sondern nach einem Leben in einer anderen Welt. Jürgen ist computerspielsüchtig. „World of Warcraft“ (WoW) ist seine Droge, ein Online-Rollenspiel, dem Kritiker ein hohes Suchtpotenzial nachsagen – mit ähnlich rauschhafter Wirkung wie Alkohol oder Cannabis.

In „Azeroth“, dem riesigen WoW-Land, ist Jürgen ein Paladin, ein Heiler und ehrfurchtgebietender „Verteidiger der Allianz“. Mit dieser Figur hat der schmächtige junge Mann alles erreicht, was es in WoW zu erreichen gibt, den höchsten Level und die beste Ausrüstung. In dieser Welt, einer rein virtuellen, ist er ein „ großes Licht“, wie er selber von sich sagt. Als „zweiter Gildemeister“ trägt er Verantwortung für eine ganze Innung, der 20 Leute angehören. Etwa die Hälfte davon ist ständig online. Jürgen ist bekannt, beliebt und etliche andere Gilden reißen sich um ihn – nicht nur um seinen Paladin, wie er glaubt. Ganz nebenbei verhilft Jürgen seiner Gilde noch mit zwei anderen Avataren – einem Krieger und einem Hexenmeister, beide ebenfalls auf höchstem Spielniveau – zu virtuellem Ruhm und Reichtum. Auf Jürgen ist eben Verlass. Zumindest in dieser bunten Fantasy-Welt der Tauren, Trolle und Untoten, die je nach Vorliebe des Spielers als Jäger, Schamanen oder Priester daherkommen.

Im wirklichen Leben vermisste Jürgens Chef genau diese Verlässlichkeit und quittierte die vielen unentschuldigten Fehlzeiten mit Kündigung. Jürgen hatte Koch werden wollen und einen Ausbildungsplatz auf einer Nordseeinsel bekommen. Dafür musste er weg von Berlin, von seiner Familie und seinen Freunden. Erst machte ihm das nichts aus, aber dann kam ein langer Winter, und selbst an Weihnachten musste Jürgen im Restaurant am Herd stehen. Er fühlte sich einsam und suchte Trost und Zuflucht bei seinen virtuellen Freunden. Von da an war er verloren für die echte Welt. In seiner schlimmsten Zeit spielte Jürgen fast sieben Tage am Stück und macht nur zwischendurch mal für ein Stündchen die Augen zu. Aber dann überkam ihn schon wieder Panik, in dieser Zeit Entscheidendes im Spiel verpasst zu haben. Die Kaffeemaschine sorgte dafür, dass er wach blieb. Sie stand direkt neben dem PC, ebenso wie die Mikrowelle, die die Fertiggerichte für den angehenden Koch aufwärmte.

Lost in Space

Nach der Kündigung zog Jürgen zurück nach Berlin ins Haus seiner Eltern. Doch dem PC blieb er auch dort nicht fern. Erst als seine Eltern massiv drohten, ihn auf die Straße zu setzen, wurde Jürgen aktiv. Denn eigentlich, sagt er, wollte er, dass es aufhört. Derart unter Druck suchte er Hilfe im Kreuzberger Café Beispiellos. Die Einrichtung des Berliner Caritasverbandes hatte 2006 das Projekt „Lost in Space“ ins Leben gerufen. Es soll Menschen helfen, die sich wie Jürgen im World Wide Web verirrt haben und alleine nicht mehr herausfinden. In mehreren Einzelgesprächen mit Jannis Wlachojiannis kamen die Details von Jürgens Sucht auf den Tisch. Er erzählte dem Sozialpädagogen, dass er seit vier Jahren spielte, wie er abhängig geworden war und wer er war – in seinem virtuellen Zuhause. Das wirkliche Leben kann damit nicht konkurrieren. „Da bin ich ein Niemand“, sagt Jürgen. „Richtige Freunde? Die findet man doch nicht.“ Offenbarungen wie diese hört Wlachojiannis immer wieder: „Die Diskrepanz zwischen Alltag und Spielleben ist bei manchen so gravierend, dass es oft sogar nachvollziehbar ist, wenn sie sich Freunde und Aufmerksamkeit dort suchen, wo sie schnell zu finden sind.“

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Jürgens Schicksal ist kein Einzelfall. Die Zahlen der Hilfesuchenden im Café Beispiellos steigen ständig. Waren es 2006 zunächst 36 Erstkontakte, kamen ein Jahr später 196 Hilfesuchende, und 2008 verzeichneten die Kreuzberger Berater schon mehr als 310 Abhängige oder deren Angehörige. Auch in diesem Jahr steuert „Lost in Space“ einem neuen Rekord entgegen. „ Immer mehr Menschen erklären die virtuellen Rollenspiele zum einzig lohnenden Lebensinhalt und werden süchtig“, sagt Jannis Wlachojiannis.

Das bestätigt inzwischen auch die Bundesregierung. „Im Jahr 2008 hat das Thema Online-Sucht oder pathologischer Internet-Gebrauch an Relevanz gewonnen“, heißt es im aktuellen Drogenbericht. Obwohl die Online- und Computerspielsucht derzeit „ noch nicht als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt“ ist, sieht die deutsche Regierung „im problematischen Internet-Gebrauch ein reales, ernst zu nehmendes Problem“, das aus „gesundheitspolitischer Sicht“ deutlich an „Gewicht gewonnen“ habe.

Wie DER ANBLICK VON BIER

Dass exzessives Computerspielen keine Lappalie ist, sondern mit stoffgebundenen Süchten vergleichbar, haben Wissenschaftler aus Berlin und Mainz längst bewiesen. Mittels Elektroenzephalographie (EEG) zeigten die Experten für Verhaltenssucht unter Leitung der inzwischen verstorbenen Professorin für Medizinische Psychologie Sabine Grüsser-Sinopoli, dass das Gehirn eines Computerspielsüchtigen auf ein Bildschirmfoto seines Lieblingsspiels ähnlich reagiert wie das eines Alkoholikers auf den Anblick von Bier. Ihre Folgerung: Die Computerspielsucht beruht auf den gleichen hirnphysiologischen Prozessen wie der Alkoholismus.

Auch bestimmte Areale des Scheitellappens zeigten bei den Computerjunkies im Vergleich zu nicht abhängigen Spielern stärkere Reaktionen. Süchtige, so die Erklärung der Wissenschaftler, verarbeiten die Bilder ihrer „Droge“ emotional stärker als andere, was einen bleibenden Eindruck im sogenannten Suchtgedächtnis hinterlässt. Das motiviert den Menschen immer wieder zum Daddeln. Er assoziiert Spielerfolge mit Belohnung.

Die Aufnahme in den ICD-10 Katalog, das internationale Klassifikationssystem für Krankheiten, wird vermutlich nicht mehr lange auf sich warten lassen, meint Florian Rehbein. Der Diplompsychologe hat mit Kollegen vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) in Hannover erstmals repräsentative Zahlen für Deutschland geliefert. Bundesweit befragten die Wissenschaftler 15 168 Jugendliche der neunten Klasse zu ihrem Computerspielverhalten. Was sie befürchtet hatten, konnten sie nach einer Hochrechnung erstmals für einen kompletten Jahrgang bestätigen: 3 Prozent der 15-jährigen Jungen und 0,3 Prozent der gleichaltrigen Mädchen sind der Droge Computerspiel verfallen. In konkreten Zahlen: 14 300 Jugendliche eines einzigen Jahrgangs sind süchtig nach dem Mausklick in die virtuelle Welt. Hinzu kommen weitere 26 300 Schüler – 4,7 Prozent Jungen und 0,5 Prozent Mädchen –, denen mittels neuer Diagnosekriterien eine ernste Gefährdung bescheinigt wurde (siehe Kasten „Wann Spielen zur Sucht wird“).

Betroffen sind Jugendliche aller gesellschaftlichen Schichten und Schulformen. Gefährdet sind, so die Forscher aus Hannover, vor allem solche, die in ihrer Gruppe am Rand stehen und wenig Zutrauen zu ihren Fähigkeiten haben – etwa weil sie schlechte Noten nach Hause bringen, sich in ihrer Klasse nicht wohl fühlen oder Angst vor den Anforderungen haben, die ihr Umfeld an sie stellt. Erhöht ist das Risiko auch bei denen, „die in ihrer Kindheit ein Trauma erlitten haben, beispielsweise durch schwere elterliche Misshandlung“, sagt der Psychologe Rehbein.

MANGEL AN SELBSTORGANISATION

Doch ein ausschließliches Jugendproblem ist exzessives Computerspielen nicht, wie etliche Studien zeigen. „Das Alter der Betroffenen, die bei uns Hilfe suchen, liegt zwischen 11 und 40 Jahren“, sagt Klaus Wölfling, psychologischer Leiter der Mainzer Ambulanz für Spielsüchtige, die seit anderthalb Jahren eine Therapie anbietet. Ihm ist bei seiner Arbeit ein weiterer Risikofaktor aufgefallen: eine fehlende Arbeitszeitstruktur. Wer die Schule mit ihrem festen Stundenplan verlässt und plötzlich mit der Organisation etwa seines Studiums auf sich allein gestellt ist, der ist anfälliger, den Verlockungen eines Online-Computerspiels wie WoW zu erliegen. So sind Medizinstudenten, die ein strammes Semesterprogramm absolvieren müssen, kaum unter den Spielsüchtigen, Informatikstudenten dafür umso mehr. Klaus Wölfling führt das weniger auf die Nähe zum Computer zurück als auf die Unfähigkeit der Studenten, ihren Stundenplan selbst zu organisieren. Auch Arbeitssuchende scheinen häufiger der Verlockung zu erliegen, sich ohne großen finanziellen Aufwand virtuell die Bestätigung zu suchen, die sie im Berufsleben nicht finden können. Möglicherweise wird die Zahl der Süchtigen durch die höhere Arbeitslosigkeit infolge der Wirtschaftskrise weiter steigen.

Fest steht: Wer einmal der Droge verfallen ist, der rutscht weiter ab, schreibt noch schlechtere Noten, schwänzt noch häufiger wegen des Computerspiels den Unterricht oder schmeißt den Job, schläft weniger, verzichtet auf Hobbys und denkt oft sogar über Selbstmord nach. Die Abhängigen, beschreibt es Rehbein, fühlen sich gefangen in einem Teufelskreis. Dabei hat nicht jedes Spiel das Zeug zur Droge. Vor allem Online-Rollenspiele können aus einem Menschen mit einer labilen Persönlichkeit einen Junkie machen. Das Spiel mit dem eindeutig stärksten Suchtpotenzial ist laut KFN-Studie und den Erkenntnissen der Mainzer Ambulanz World of Warcraft. Selbst Jungen, die nicht abhängig sind, spielen im Schnitt fast vier Stunden täglich. „Jeder fünfte 15-Jährige WoW-Spieler ist entweder bereits süchtig oder stark gefährdet“, berichtet Florian Rehbein. Dieser Befund deckt sich mit den Untersuchungsergebnissen anderer Länder. Auch in den USA ist World of Warcraft das „Spiel Nummer eins unter den Abhängigen“, berichtete der US-amerikanische Psychologe Dave Greenfield seinen europäischen Kollegen auf der zweiten Berliner Mediensucht-Konferenz. „Die Leute, die dieses Spiel entwickelt haben, kennen sich mit menschlichem Verhalten und Psychologie aus“ , sagt der Direktor des Zentrums für Internet-Abhängigkeit in Hartford.

Ähnlich wie Glücksspiele, deren pathologischer Gebrauch seit 2001 als eigenständige Krankheit gilt, arbeiten Online-Rollenspiele nach dem Prinzip der „intermittierenden Verstärkung“. Das bedeutet: Während zu Beginn des Spiels auf jeden erledigten Auftrag prompt eine Belohnung folgt – etwa ein Transportmittel, ein Brustpanzer oder ein Zauberring –, geschieht das später unregelmäßig. „Das erzeugt eine stärkere Bindung an das Spiel als zuverlässige und vorhersehbare Prämien“, hat Regine Pfeiffer, Mitarbeiterin am KFN in Hannover, beobachtet. Im Auftrag des Kriminologischen Forschungsinstituts schaute sie Spielern über die Schulter und zeichnete das Spielgeschehen auf. Nach diesem „Screenrecording“ stellte sie fest: „Selbst lange Pechsträhnen, durch die die Spieler bei der Verteilung der Beute leer ausgingen, hielten sie nicht davon ab, immer wieder in die Schlacht zu ziehen.“ Das Gefühl, dass sich die investierte Zeit irgendwann auszahlen muss, verführt zu immer längeren Spielzeiten.

EIN MEER VON UNWISSENHEIT

Ohne gezielte Hilfe gibt es kaum Hoffnung auf einen Ausweg. Und da beginnt das nächste Problem, meint Günter Mazur, Vorsitzender des im November 2008 gegründeten Fachverbandes für Medienabhängigkeit. „Qualifizierte Hilfs- und Therapieangebote sind momentan noch Inseln in einem Meer aus Passivität und Unwissenheit“, betont der Therapeut am Fachkrankenhaus Nordfriesland.

Ein Lichtblick ist die Ambulanz für Spielsucht in Mainz, ein Pilotprojekt, das noch bis März 2010 aus Mitteln der Uniklinik finanziert wird. Doch nur ein Bruchteil der Anfragen mündet auch in eine Therapie, denn die Zahl der Plätze ist begrenzt. Noch übernehmen die Krankenkassen die Kosten nicht, die pro Patient und Therapie bei etwa 1300 Euro liegen. Das wichtigste Aufnahmekriterium: Der Patient muss aus freien Stücken kommen. „ Ich kann den Patienten nicht verändern, sondern ihn nur dabei begleiten, sich selbst zu ändern“, sagt Wölfling. Ein erster Schritt ist die Einsicht, tatsächlich krank zu sein und nicht bloß willensschwach, wie sich viele einreden.

Einer Bestandsaufnahme zur Entstehung und zum Verlauf der Krankheit in 5 Einzelgesprächen folgen 10 individuelle Therapiesitzungen und 20 Gruppentermine über jeweils 100 Minuten, die – im Unterschied zu den meisten Selbsthilfegruppen – von einem ausgebildeten Therapeuten geleitet werden. Wölfling achtet streng darauf, dass sich niemand „versteckt“. Die Gruppe aus jeweils acht Patienten bietet – als Gegenstück zur virtuellen Welt – vielen nach langer Zeit erstmals wieder eine Plattform für wirkliche Beziehungen. „Jeder weiß, wovon der andere spricht“, sagt Wölfling, „da ist es leichter, sich zu öffnen als gegenüber der Partnerin oder den Eltern.“ Die größte Hemmschwelle für die Patienten „ist die Angst, vor so vielen echten Leuten frei zu sprechen, ihnen dabei in die Augen zu schauen und an ihrer Mimik zu erkennen, wie sie auf das Gesagte reagieren“.

Das Lieblingsspiel ist verboten

Nach den Gruppenstunden kehren die Computerspielsüchtigen in ihre eigenen vier Wände zurück, wo auch der Computer steht. Das Therapieziel ist nicht die Abstinenz vom PC, sondern ein gesunder Umgang mit ihm. Nur das Lieblingsspiel, meist eben World of Warcraft, ist verboten. Wie gut sie damit klarkommen, müssen die Betroffenen zwischen den Gruppenstunden akribisch aufschreiben. In einem Spaltenprotokoll halten sie täglich Gefühle, Gedanken und körperliches Empfinden fest, geben Auskunft über die Stärke des Verlangens nach dem Spiel und wie viel Zeit sie eventuell doch wieder verdaddelt haben.

Die reduziert sich im Idealfall schnell. Schon nach drei bis vier Therapie-Wochen kommen die ersten Patienten ohne ihr Spiel aus. Ihnen hat schon ein kleiner äußerer Anstoß genügt, um ihr Verhalten zu ändern. Zwei Drittel sind am Ende der fünfmonatigen Therapie abstinent. Das restliche Drittel schafft den Absprung nicht, manche haben aber zumindest wieder ein Standbein im richtigen Leben. Es gibt aber auch einige, denen die Therapie gar nicht hilft oder die sie abbrechen. „Das ist eine Bilanz, die der einer stoffbezogenen Sucht wie der nach Alkohol ähnelt“, erklärt Wölfing. Bisher sind 39 Süchtige in der Mainzer Gruppentherapie behandelt worden. Ob der Therapieerfolg von Dauer ist, werden erst die anstehenden Untersuchungen zeigen. Allzu rosig sieht Wölfing die Zukunft allerdings nicht. Er rechnet damit, dass manche Patienten rückfällig werden.

Jürgen aus Berlin hat den herbeigesehnten Absprung noch nicht geschafft. Doch für ihn sind die wöchentlichen Gruppenstunden im Café Beispiellos immerhin ein Lichtblick. „Solange ich hier bin, spiele ich nicht“, sagt er. „Und wenn ich abends von der Gruppe nach Hause komme, bin ich so platt, dass ich mich nicht mehr an den Rechner setzen kann.“ Für Jürgen ein kleiner Hoffnungsschimmer auf ein Leben ohne WoW. ■

KATHRYN KORTMANN lebt als Wissenschaftsjournalistin in Berlin. Seit zehn Jahren berichtet sie über Online-Sucht.

von Kathryn Kortmann

KOMPAKT

· Online-Rollenspiele haben ein ähnliches Suchtpotenzial wie Alkohol oder Cannabis.

· Forscher rechnen damit, dass die Computerspielsucht bald offiziell als Krankheitsbild anerkannt wird.

· Nach einer ambulanten Therapie in Mainz sind 65 Prozent der Patienten abstinent.

Heroin aus der Steckdose

Warum engagieren Sie sich gegen Online-Rollenspiele?

Ich verstehe meine Arbeit als Appell an Eltern, sich vorab zu informieren, was mit einem Online-Rollenspiel auf sie zukommt. Die meisten wissen nicht, auf was sie sich einlassen. So wie wir das auch nicht wussten, als unser Sohn Ende 2004 mit „World of Warcraft“ (WoW) anfing. Seine Geschichte ist der eigentliche Grund, warum wir aktiv geworden sind.

Was ist die Geschichte Ihres Sohns?

Er ist zum Informatikstudium in eine andere Stadt gezogen. Aber statt zu studieren, hat er nur noch gespielt, was wir über die Entfernung nicht mitbekommen haben. Im März 2007 erreichte uns ein Anruf seiner Wohnungsverwaltung, die um Zutritt zu seinen Räumen bat, weil es im Haus einen Wasserrohrbruch gegeben hatte. Eine halbe Stunde später kam ein erneuter Anruf: Die Handwerker weigerten sich, die Wohnung zu betreten. Alles war total vermüllt und der Kammerjäger hatte gut zu tun.

Wie haben Sie Ihrem Sohn geholfen?

Wir haben Hilfe bei Suchtberatungsstellen gesucht, mit Ärzten über Computerspielsucht gesprochen und versucht, für unseren Sohn über Umwege eine Therapie zu organisieren. Leider wollte er sich nicht helfen lassen. Wir haben bis heute nichts mehr von ihm gehört.

Was raten Sie Eltern, deren Kinder stundenlang vor dem PC hängen?

Schauen Sie Ihren Kindern beim Spielen über die Schulter, begrenzen Sie die Spielzeit, sprechen Sie mit ihnen über die Gefahren von Online-Rollenspielen und lesen Sie gemeinsam Berichte von Aussteigern, wie sie beim Spielen gelitten haben. Und wenn ein Kind tatsächlich schon süchtig ist, dann verstecken Sie sich nicht, sondern kämpfen Sie mit uns gegen das Heroin aus der Steckdose.

MEHR ZUM THEMA

LESEN

Sabine M. Grüsser, Ralf Thalemann COMPUTERSÜCHTIG? Rat und Hilfe für Eltern Huber-Verlag, Bern 2006, € 14,95

Ralf Thalemann, Klaus Wölfling Sabine M. Grüsser SPECIFIC CUE REACTIVITY ON COMPUTER GAME-RELATED CUES IN EXCESSIVE GAMERS Behavioral Neuroscience 121(3) S. 614–618, 2007

INTERNET

Ambulanz für Computerspielsüchtige an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz: www.verhaltenssucht.de

Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zur Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter: www.kfn.de/home/Computerspielabhaengig keit_im_Kindes-_und_Jugendalter.htm

Selbsthilfeportal für Online-Rollenspielsüchtige: www.rollenspielsucht.de

Verein „Aktiv gegen Mediensucht e.V.“: www.aktiv-gegen-mediensucht.de

Drogenbericht der Bundesregierung 2009: www.bmg.bund.de/nn_1192890/DE/ Drogen-und-Sucht/drogen-und-sucht__ node.html?__nnn=true

Ohne Titel

„Ich habe es endlich geschafft, die Sucht zu besiegen und rette jetzt, was noch zu retten ist.“

Marcel, 17 Jahre

„Der erste Schritt in Richtung Freiheit war, dass ich anfing, Kampfsport zu machen. Das Computerspiel finde ich seitdem total uninteressant.“ Christopher, 15 Jahre

„Leute spielen World of Warcraft, weil sie nicht zufrieden sind mit ihrem Leben, wie ich damals. Dazu sage ich nur: Ändere es!“ Tim, 17 Jahre

Alle Zitate aus rollenspielsucht.de

wann SpielEN zur Sucht wird

Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat seine Diagnosekriterien an den Abhängigkeitsmerkmalen einer substanzbezogenen Sucht orientiert. Sie wurden modifiziert und auf fünf Kriterien beschränkt. Für die Diagnose „abhängig“ müssen alle Kriterien mehr oder weniger erfüllt sein.

Computerspielsüchtig ist demnach, wer

· trotz negativer Konsequenzen weiter vor dem Rechner hockt, um zu spielen,

· einen Kontrollverlust erleidet und nicht mehr in der Lage ist, die Dauer des Spiels zu begrenzen,

· sein gesamtes Denken und Handeln einengt und dies selbst in spielfreien Zeiten dem Spiel unterordnet,

· seine Dosis ständig steigert beziehungsweise sich innerhalb der investierten Zeit ständig neue und immer ehrgeizigere Ziele steckt,

· Entzugserscheinungen verspürt und nervös oder gereizt ist, wenn er nicht spielt.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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