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Bits in der Bluse

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Bits in der Bluse
Elektronik wird tragbar. Mode mit eingewebtem Telefon, Computer oder GPS-System soll in ein paar Jahren die Kleiderschränke erobern.

Ein breiter riemen um die Schulter oder Hüfte trägt einen kleinen Computer, eine Tastatur ist am Unterarm festgeschnallt, Kabel winden sich am Körper entlang. Auf dem Kopf sitzt – wie eine Hightech-Krone – ein Gestell aus Kunststoff und Metall, das Kopfhörer, Mikrofon und ein ins Blickfeld der Augen ragendes Display trägt. Die so mit Elektronik reich bestückte „Xyberwear”, die Wissenschaftler am Klaus Steilmann Institut (KSI) für Innovation und Umwelt in Bochum entwickelt haben, wirkt, als stamme sie direkt aus dem Fundus eines Science-Fiction-Kinostreifens. Doch Kleidung in diesem futuristischen Look wird schon seit Jahren getragen – zum Beispiel von Montagearbeitern beim Flugzeughersteller Boeing. Das Unternehmen hat bereits 1996 damit begonnen, seine Mechaniker mit tragbarem Computer-Equipment auszustatten. Damit können sich die Monteure und Wartungstechniker, ohne ihren Arbeitsplatz zu verlassen, über das firmeninterne Intranet Konstruktions- und Schaltpläne auf ein Display einblenden lassen, die ihnen bei der Montage oder Wartung helfen. Das US-Unternehmen Xybernaut bietet seit 1993 „anziehbare Computer” für den Einsatz zum Beispiel am Bau oder an Fabrikarbeitsplätzen an – die meisten im Stil der Xyberwear aus dem KSI.

Dass in Zukunft jedermann rundum verkabelt und mit Head-Mounted-Display durch die Stadt flaniert, ist schwer vorstellbar. Dennoch glaubt Prof. Gerhard Tröster, Leiter des Wearable Computing Laboratory am Institut für Elektronik der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, dass Bekleidung mit integriertem Computer, Mobiltelefon und Navigationssystem künftig völlig gebräuchlich sein wird. Die „ Wearables” für den privaten Gebrauch werden allerdings mit der aufgerüsteten Xyber-Kluft nach außen nicht mehr viel gemeinsam haben. „Computersysteme und Kommunikationsterminals werden auf Knopfgröße miniaturisiert und auf dünnen flexiblen Folien montiert zum Teil unserer alltäglichen Kleidung”, zeichnet Tröster ein Bild der tragbaren Elektronik im Jahr 2020. „Die Antennen-Arrays befinden sich in den Schultern, das GPS-System, die Telefonmodule und die verschiedenen Recheneinheiten sind in die Ärmel oder Brusttaschen eingenäht, die fingernagelgroßen Mini-Harddiscs werden in einem schmucken Gürtel getragen”, so Trösters Vision. Hightech-Mode, in die elektronische Komponenten als fester Bestandteil integriert sind, soll die nächste Stufe der Miniaturisierung von Informations- und Telekommunikationstechnik sein.

An ihrer Realisierung arbeiten weltweit zahlreiche Wissenschaftler an Universitäten, privaten Forschungsinstituten und in Unternehmen wie IBM, Philips, Microsoft und Infineon. Eine der Geburtsstätten der Forschung an Technologien für die Wearables ist das Media Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge/USA nahe Boston. Dort fand 1997 die erste internationale Modenschau für anziehbare Computer statt. Auf einer Hightech-Modenschau in diesem Januar im Heinz-Nixdorf- Museums-Forum in Paderborn präsentierten Schöpfer von kleidsamer Elektronik aus ganz Europa, wie weit die klobige Xyber-Garderobe bereits Platz gemacht hat für schicke Mode und Accessoires, in denen sich weitgehend unsichtbar die verschiedensten elektronischen Helferlein verstecken.

Ein recht einfaches, aber sehr hilfreiches System haben Dr. Ulrich Schächinger und Dr. Wolfgang Röckelein von der Unfallchirurgie-Abteilung der Universitäts-Klinik Regensburg entwickelt: Das Herzstück der „NOAH-Weste” (Notfall-Kommunikations- und Dokumentations-System) ist ein handelsüblicher Handheld-Computer samt Videokamera und einem Modul zur digitalen Datenübetragung. Damit kann ein Notarzt am Einsatzort schnell und einfach mit der Rettungsleitstelle kommunizieren und einen Verunglückten für die Aufnahme in einem Krankenhaus anmelden. Der Arzt kann dabei auch Fotos vom Einsatzort oder von den Verletzungen des Patienten und sogar EKG-Sequenzen mitschicken.

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Einem ganz anderen Zweck dient die „Memory-Weste” – wie die Xyberwear ein Produkt der Forschung am KSI. In ihr verbirgt sich eine Art elektronischer Notizblock: ein Voice-Rekorder, auf den man über ein im Kragen verstecktes Mikrofon kurze Memo-Nachrichten aufsprechen und wieder abspielen kann. Ebenfalls aus den Labors des KSI stammt „Kiss-Tex” – ein Notruf- und Ortungssystem, das in Jacken oder Jeans für Kinder eingearbeitet wird. Per Mobilfunk schlägt es Alarm, wenn der Junior verloren geht. Ein GPS-Empfänger zur Satellitennavigation kennt stets den genauen Aufenthaltsort des Kindes und übermittelt diesen zusammen mit dem Notruf. Ein solches System könnte bald auch – in einen Ski-Anzug integriert – abseits der Piste verunglückten oder unter einer Lawine begrabenen Skifahrern und Snowboardern zu einer raschen Rettung aus dem Schnee verhelfen.

Für pure Entspannung soll hingegen ein extravagantes Abendkleid sorgen, das die italienische Modedesignerin Alexandra Fede aus Rom entworfen hat. Im „Joy Dress” sind mehrere dünne Vibrations-Matten integriert, die über feine Kabel mit einer speziellen Steuer-Maus verbunden sind. Per Knopfdruck lösen die Vibra-Pads elektrische Impulse aus, die Rücken und Hüfte der Trägerin massieren. Etwas lästig dürfte jedoch das Steuergerät sein, das aus einem Schlitz in dem schicken Abendkleid baumelt.

„Die Optik der Textilien und wie sich diese anfühlen, darf nicht durch neue Funktionen beeinflusst werden”, gibt Siglinde Zisler, Direktorin der Deutschen Meisterschule für Mode in München die Marschrichtung für die Entwicklung von Hightech-Mode vor. „Die Technik muss daher klein, leicht und anschmiegsam werden.” Um dies zu erreichen, wollen die Forscher elektronische Bauteile, Bedienelemente und elektrische Verkabelung möglichst ganz in der Kleidung verschwinden lassen. Flache Tastaturen werden in Ärmeltaschen versteckt, wie beim „Communication Jacket” des KSI, oder als Schmuckstück getarnt um den Arm getragen, wie bei einer Wearable-Kollektion, die Irina Thoß von der Bauhaus-Universität Weimar entworfen hat: Das „Mobile Desk Unit” basiert auf einem PDA mit Palm-Betriebssystem, in dem ein Mobiltelefon und ein Zugang zum Internet integriert sind. Ist das Gehäuse des Mini-Rechners, unter dem sich ein wenige Millimeter dünnes Display verbirgt, zugeklappt, sieht das schmucke Gerät aus wie ein modischer Armreif. Klappt man das Gehäuse auf, kommt ein Tableau mit rund vier Dutzend Perlen zum Vorschein. Jede Perle dient als Taste zur Eingabe von Daten. Über ein – ebenfalls mit Perlen besetztes – Headset, das via Bluetooth-Funktechnik drahtlos mit dem Computer-Armreif verbunden ist, lässt sich dieser auch per Sprache bedienen. Bislang sind die schmucken Wearables von Irina Thoß allerdings nur Dummys. Sie sollen vor allem zeigen, dass tragbare Elektronik auch schön und elegant sein kann.

Weniger am Design, sondern vor allem an der technischen Realisierung „intelligenter Kleidung” interessiert sind die Wissenschaftler und Ingenieure am Wearable Computing Lab der ETH Zürich. Sie beschäftigen sich damit, wie sich Fasern und Gewebe der Textilien für elektronische Funktionen nutzen lassen. Das Ziel der Züricher Forscher: Elektronische Geräte und ihre Verbindungen sollen künftig nicht mehr nur in Kleidungsstücke eingepasst werden, sondern die Textilfasern selbst sollen rechnen, speichern und Daten übertragen. Dazu haben Dr. Tünde Kirstein und ihre Mitarbeiter im Projekt „Electronic Textiles” dünne Kupferdrähte direkt in Stoffe eingewoben. Kein einfaches Unterfangen, wie die Forscher auf einem Workshop über elektronische Textilien im Oktober 2002 berichteten.

Die Schwierigkeiten liegen vor allem in den sehr unterschiedlichen Eigenschaften von textilem Gewebe und elektronischen Bauteilen: Während Stoffe von Haus aus weich, flexibel und robust sind, besteht die Elektronik aus kleinen, starren Strukturen, die sehr empfindlich und leicht zu beschädigen sind. In Kleidung eingewebt, muss die Elektronik jedoch strapazierfähig, biegsam und elastisch sein. Und sie muss sowohl den Waschgang in der Maschine als auch das anschließende Bügeln unbeschadet überstehen. Die Schweizer Wissenschaftler lösten diese Aufgabe, indem sie den rund 40 Mikrometer feinen Kupferdraht mit einer dünnen Schicht aus einem isolierenden Kunststoffmaterial umhüllten. Auf diese Weise gewinnen die Leiterbahnen die nötige Stabilität und lassen sich zu einem leicht zu verarbeitenden Garn spinnen. Künftig könnten elektrische Leiterbahnen oder auch gleich ganze Tastenfelder für die Bedienung von Computer, Mobiltelefon oder Audio-Player auch in Stoffe von Hemden, Pullis und Jacken eingewebt werden.

„Ein grundsätzliches Problem bei der Verbindung von Textilien und Elektronik ist der Größenunterschied der jeweiligen Strukturen”, erklärt Dr. Werner Weber, Direktor des Laboratory for Emerging Technologies bei Infineon in München. „Während die Gewebestrukturen textiler Stoffe einige Millimeter groß sind, messen beispielsweise die Strukturen auf einem Mikrochip nur wenige Mikrometer – sie sind also nur ein Tausendstel so klein”, sagt Weber.

Mit seinem Team hat er ein waschbares Audio-Modul entwickelt und dieses gemeinsam mit Schülern und Schülerinnen der Deutschen Meisterschule für Mode in eine ganze Kollektion verschiedener Kleidungsstücke eingearbeitet (bild der wissenschaft 8/2002, „ Musik aus dem Mantel”). Der 25 Millimeter mal 25 Millimeter kleine Audio-Chip ist in einem 3 Millimeter flachen Gehäuse untergebracht, das über Metallkontakte mit einem elektrisch leitfähigen Gewebeband verflochten ist. Das Band verbindet den Chip mit Kopfhörern und einem Mikrofon, die im Kragen oder in der Kapuze eingearbeitet sind, sowie mit einer Tastatur, die auf einer metallisierten Plastikfolie aufgedruckt und auf das Gewebeband geklebt ist. „Das Fachpublikum, dem wir das System vorgestellt haben, ist an der Entwicklung sehr interessiert”, freut sich Weber. Er glaubt, dass es bereits im nächsten Jahr erste Produkte geben wird, die die Infineon-Technik enthalten. Deutlich länger wird es wohl dauern, bis die tragbare Elektronik nicht nur ständig am Körper verfügbar ist, sondern außerdem weiß, was ihr Träger gerade tut, wo er sich aufhält, wofür er sich gerade interessieren könnte – und was er als störend empfindet. Dieses Ziel – so genannte kontextbewusste Kleidung – sehen die Forscher um Gerhard Tröster am Züricher Wearable Computings Laboratory als eine der wichtigsten Eigenschaften künftiger tragbarer Computer. So soll zum Beispiel ein Mobiltelefon selbstständig erkennen, wenn sein Benutzer ein Museum oder Restaurant betritt – und sich dann automatisch auf „stumm” schalten. Während einer Besprechung, so die Vision, leitet das schlaue Handy eingehende Anrufe – ohne zuvor entsprechend eingestellt werden zu müssen – direkt an eine Mailbox weiter oder bedient den Anrufer mit einer geeigneten Ansage.

Mit „WearNET” haben die Forscher der ETH Zürich den Prototypen eines Systems entwickelt, das einer in Kleidung integrierten Elektronik ein solches „Bewusstsein” verleihen soll. Das System enthält ein ganzes Sammelsurium unterschiedlicher Sensoren, die den Träger und seine Umgebung auf Schritt und Tritt überwachen. Ein GPS-Empfänger sowie Beschleunigungssensoren ermitteln stets den genauen Aufenthaltsort. Licht- und Geräuschsensoren, Temperatur-, Feuchtigkeits- und Luftdruckmessgeräte geben Auskunft darüber, ob sich der Benutzer im Freien oder in einem Gebäude aufhält. Aus den Lichtverhältnissen und der Art der Hintergrundgeräusche soll das intelligente Kleidungsstück außerdem erkennen, ob es zum Beispiel gerade in einer Konferenz, in einem Café oder im Auto getragen wird. Mehrere Beschleunigungssensoren registrieren darüber hinaus jede Bewegung des Trägers. Messfühler für den Puls, den Sauerstoffgehalt des Bluts und die elektrische Leitfähigkeit der Haut prüfen, ob er entspannt oder gestresst ist. Mehrere Mikrochips sammeln und analysieren die Flut von Messdaten.

Ob und wann ein solches System, das in jeder Situation die passenden Informationen weitergibt oder herausfiltert, getragen werden kann, ist bislang offen. Denn noch gelingt es nicht, die geballte Sensorik klein genug für eine dezente Integration in die Garderobe zu gestalten. Zudem fehlt es an der geeigneten Software, um die immense Menge an Daten schnell genug auszuwerten. Auch auf die Frage, ob eine solche kontextbewusste Kleidung nicht für potenzielle Käufer zu viel Überwachung und Kontrolle bedeuten würde, gibt es bisher keine Antwort.

Doch auch die meisten anderen, weniger intelligenten Wearables sind bisher noch reine Prototypen. Bis Hightech-Textilien in Massen in den Kleiderschränken Einzug halten, werden noch etliche Jahre vergehen. Viele Technologien sind dafür bislang schlicht zu teuer. „Der Preis des Zusatznutzens darf den Preis des Kleidungsstücks nicht wesentlich erhöhen”, schreibt die Modeschulen-Direktorin Siglinde Zisler den Entwicklern und Designern tragbarer Elektronik ins Stammbuch. Dieses Ziel weit verfehlt haben die Jacken mit eingearbeitetem Handy und MP3-Player, die der Jeans-Hersteller Levi’s gemeinsam mit Forschern des niederländischen Elektronikkonzerns Philips entwickelt hat und im Herbst 2000 in einigen Modeshops anbot. Die Käufer der exquisiten Hightech- Gewänder mussten pro Jacke umgerechnet fast 1000 Euro hinblättern.

KOMPAKT

• Die Integration von Chips, Display und Tastatur in die Kleidung soll das Bedienen elektronischer Geräte besonders einfach machen.

• Kniffelig ist das Verbinden elektrisch leitender Drähte mit den Textilien. Denn die Hightech-Mode muss Waschen und Bügeln schadlos überstehen.

• Als Energiequelle dient der Mensch.

Ralf Butscher

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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