Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Der E-Bauer

Allgemein

Der E-Bauer
Computer, Satelliten und detaillierte Daten über den Untergrund sollen die digitale Wende auf den Feldern bringen. Ihr Ziel ist eine punktgenaue und sparsame Bewirtschaftung.

Die Landwirtschaft gilt als hemdsärmeliges Metier. Auf dem Acker, so das Klischee, braucht es vor allem dicke Reifen und starke Hände. Doch die elektronische Revolution macht auch vor dem urigen Handwerk nicht Halt. Schon vor 20 Jahren wollte die Deutsche Forschungsgemeinschaft erstmals Computer in die Trecker bringen. „Da haben wir noch alle gelacht“, erinnert sich Dr. Hans J. Heineke. Jetzt hilft der Direktor des Niedersächsischen Landesamts für Bodenforschung bei der Umsetzung eines neuen ehrgeizigen Versuchs einer Agrar-Wende.

Sein Team will die Bodenbearbeitung automatisieren und perfektionieren. Bisher steuern Landwirte, die eine große und nicht mehr in allen Details zu überschauende Fläche zu bewirtschaften haben, den Einsatz ihrer Geräte meist nach Gefühl. Dabei können sie nur bedingt Rücksicht darauf nehmen, dass viele Äcker einem Puzzle verschiedener Bodentypen gleichen, unter denen sich zudem versteckte Tonlinsen und unterirdische Wasseradern befinden. Durch den Einsatz von Computertechnik können sie bei der Bodenbearbeitung alle Feinheiten des Untergrunds mit einbeziehen. Experten sprechen von „teilflächenspezifischer Bewirtschaftung“ oder „Precision Farming“. Damit, verspricht Heineke, könnten die Landwirte Geld sparen – und obendrein die Umwelt schonen. Wie das in der Praxis funktionieren kann, hat das Niedersächsische Landesamt in Hannover in einem Pilotprojekt gezeigt: Der Treckerfahrer schiebt einfach eine Chipkarte, auf der alle Daten über seinen Acker gespeichert sind, in den bordeigenen Computer. Dann fährt er los – den Rest erledigt die Elektronik. Mit einem integrierten GPS-Gerät zur Navigation per Satellit ermittelt der Rechner den aktuellen Standort, sucht im Speicherchip nach den Bodenverhältnissen dort und stellt die Arbeitsgeräte entsprechend ein.

Über klumpigem Untergrund, wo Herbizide nur langsam eindringen, dreht er die Spritzdüsen auf. Auf lockerem Boden drosselt er den Hahn, wobei er jede Düse einzeln ansteuern kann. Auch Düngemittel landen nur dort, wo sie nötig sind – ein großer Vorteil vor allem in Wasserschutzgebieten. Die größte Ersparnis kann der Hightech-Landwirt beim „Grubbern“ erzielen, einer schonenden Art der Bodenbearbeitung. Statt das Erdreich tief umzupflügen, reißt der Grubber nur die oberste Bodenschicht auf: Auf tonigen Böden reichen 10 Zentimeter, auf sandigem Acker drückt die Automatik das Gerät rund 15 Zentimeter tief ein.

Die schöne neue Landwirtschaft funktioniert freilich nur, wenn die Bodendaten bekannt sind. Das in Deutschland vorhandene Kartenmaterial reicht dazu nicht aus, denn es stützt sich in der hochauflösenden Form auf Proben in einem 50-Meter-Raster – viel zu weitmaschig für die sensible Elektronik. Mit geophysikalischen Verfahren kommen die Hannoveraner Bodenforscher nun auf eine Auflösung von rund 5 Metern, ohne auch nur ein einziges Loch bohren zu müssen. Sie messen von fahrbaren Schlitten aus oder steigen sogar in den Hubschrauber. Dabei lassen sie Radarstrahlen ein bis zwei Meter tief ins Erdreich dringen und erhalten so Aufschluss über die Bodenschichtung. Der elektrische Widerstand des Bodens verrät den Wassergehalt und den Bodentyp, und die natürliche Gammastrahlung lässt Rückschlüsse auf den Ton-Anteil zu. Die Summe der verschiedenen Verfahren gibt einen verlässlichen Einblick in die oberen 30 bis 40 Zentimeter des Ackers.

Anzeige

Eine Untersuchung kostet rund 40 Euro pro Hektar – ein vertretbarer Preis, wie Heineke meint: „Das sind Landwirte bereit, auszugeben.“ Schließlich handelt es sich um eine einmalige Investition, da sich der Boden im Laufe der Jahre kaum verändert. Dennoch wird es nach Ansicht des Geowissenschaftlers noch fünf bis zehn Jahre dauern, bis die Mehrzahl der Landwirte die elektronische Hilfe akzeptiert. Erst die nächste Generation, mit Computer und Internet aufgewachsen, stehe der digitalen Wende aufgeschlossen gegenüber.

Wie groß deren Nutzen ist, ist unter den Experten allerdings umstritten. „Kosteneinsparungen von schätzungsweise zwei bis maximal zehn Prozent durch eine Optimierung der Produktion und eine Steigerung der Qualität der geernteten Produkte stehen ein hoher Bedarf an Kapital zur Einführung der Technologie sowie hohe jährliche Kosten entgegen“, sagt Prof. Reiner Doluschitz vom Institut für Landwirtschaftliche Betriebslehre der Universität Stuttgart-Hohenheim. Bis heute lägen quantitative Ergebnisse von Kostenschätzungen nur in begrenztem Umfang vor. Skeptisch ist Doluschitz auch beim Nutzen für die Umwelt: „Zwar wird durch das ,Precision Farming‘ die Menge an ausgebrachten Dünge- und Pflanzenschutzmitteln verringert – und damit die Belastung von Böden und Gewässern“, sagt er. „Da der wirtschaftliche Einsatz dieser Technik jedoch eine Mindestgröße der bewirtschafteten Fläche voraussetzt, besteht andererseits die Gefahr einer Verarmung zuvor abwechslungs- und biotopreicher Kulturlandschaften.“

Nach Ansicht von Hans J. Heineke führt aber auf Dauer kein Weg an der neuen Technik vorbei: Schon heute gehört ein GPS-Gerät zur Standardausrüstung eines Mähdreschers, um den spezifischen Ernteertrag messen zu können. Auch verschärft der Gesetzgeber ständig die ökologischen Auflagen, die zum sparsamen Umgang mit Dünger, Spritzmitteln und Energie zwingen. Vor allem aber lässt das Bauernsterben die Größe der Höfe rasant wachsen: „Ein Landwirt, der 500 Hektar bewirtschaftet“, sagt Heineke, „kann die einzelnen Äcker gar nicht mehr genau kennen.“

Klaus Jacob

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

ali|quant  〈Adj.; Math.〉 nicht ohne Rest teilend ● ~er Teil einer Zahl Teil einer Zahl, durch den sie nur mit Rest teilbar ist … mehr

Dak|ty|li|tis  〈f.; –, –ti|den; Med.〉 = Fingerentzündung [zu grch. daktylos … mehr

quan|ten|phy|si|ka|lisch  〈Adj.; Phys.〉 die Quantenphysik betreffend, auf ihr beruhend

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige