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DIE ASTRO-REVOLUZZER

Astronomie|Physik Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

DIE ASTRO-REVOLUZZER
Die Astronomen feiern einen runden Geburtstag: Vor 400 Jahren begann mit Johannes Kepler und Galileo Galilei eine neue Ära der Himmelsforschung.

Die Zeitungen verkündeten es bereits wenige Tage vor Weihnachten 2007, am 20. Dezember: „Heute morgen proklamierten die Vereinten Nationen gemeinsam mit der Internationalen Astronomischen Union (IAU) das Jahr 2009 zum Internationalen Jahr der Astronomie.“ Eine unscheinbare und zunächst wenig beachtete Notiz zu einem ungemein bedeutungsvollen Anlass: Vor 400 Jahren stürzte ein Jahrtausende altes Weltbild ein und machte Platz für ein radikal neues.

Das Jahr 1609 markiert den Aufbruch in eine neue und immer noch aktuelle Sicht auf die Welt: Alle Himmelsvorgänge gehorchen erklärbaren, ursächlichen Gesetzen. Und mit neuartigen optischen Geräten, den Teleskopen, lässt sich das nachweisen. Für die eine wissenschaftliche Revolution, die Geburt der Himmelsphysik, steht der Name Johannes Kepler, für die andere, die praktische Himmelsbeobachtung, Galileo Galilei. Bis zu diesem Aufbruch 1609 war das Weltbild seit der Antike von „dem Philosophen“ geprägt: von Aristoteles. Für ihn war die Erde der Mittelpunkt der Welt. Der griechische Astronom Claudius Ptolemäus hatte dieses „ geozentrische Weltbild“ im zweiten Jahrhundert nach Christus detailliert ausgearbeitet: Die im Zentrum ruhende Erde ist umgeben von einem gigantischen Konstrukt aus 55 himmlischen Äthersphären. Ptolemäus benötigte die ineinandergeschachtelten Hohlkugeln, um die verschlungenen Bahnen der Planeten allein auf Kreise zurückzuführen – denn nur Kreise und Kugeln schienen Gottes vollkommener Schöpfung angemessen zu sein.

+++ Radikaler Umbruch +++

Die Astronomie fragte damals nicht nach „Begründungen“, also nach Erklärungen irdischer Art, sie beschränkte sich auf die Beschreibung der Bewegungen am Himmel. Doch im Schicksalsjahr 1609 wurde das Tor zu einer neuen Astronomie aufgestoßen: In seinem Werk „Astronomia Nova“ veröffentlichte Johannes Kepler seine Planetengesetze und setzte damit an die Stelle der reinen Beobachtung himmlischer Bewegungen eine Himmelsphysik. Diesen Gesetzen sollten alle Bewegungen am Himmel unterliegen: Die bislang weit über 1000 künstlichen Satelliten, die Planeten und Monde, die Sterne, die ganze Galaxis und selbst die gigantischen Galaxienhaufen – alle „gehorchen“ bei ihren Bewegungen Keplers Gesetzen.

Galileo Galilei schaute mit seinem selbstgebauten Teleskop zum Himmel und erkannte als Erster die Tragweite dessen, was er dort entdeckte: Der Mond hat Gebirge, Ebenen und Landschaften wie die Erde. Und Jupiter wird von vier Monden umkreist. Beides war für ihn ein starkes Indiz dafür, dass die Erde nicht einzigartig ist – nicht der Mittelpunkt der Welt. Das Weltbild von Aristoteles und Ptolemäus hatte ausgedient. Der Astronom und Domherr zu Frauenburg, Nikolaus Kopernikus, hatte Recht: Das Zentrum des Planetensystems ist nicht die Erde, sondern die Sonne, wie er 1543 in seinem Hauptwerk „De Revolutionibus“ geschrieben hat.

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Kein Umbruch in der Wissenschaftsgeschichte war so radikal, vom Umfang wie vom Inhalt her, wie der von 1609. Die theoretische und die praktische Himmelsforschung betraten gleichzeitig neue Wege. Dabei hätten die beiden Protagonisten kaum unterschiedlicher sein können: Dort der starrköpfige, selbstbewusste, angriffslustige Florentiner Patrizier, Professor Galileo Galilei, der auf seinen Vorteil und auf Anerkennung bedacht war. Hier der schüchterne, bescheidene, häufig kränkelnde Kaiserliche Mathematiker Johannes Kepler aus dem schwäbischen Weil der Stadt, der immer wieder um seine Besoldung betrogen wurde, unermüdlich rechnete und von einer harmonischen Schöpfung schwärmte.

+++ DORNEN AUF GEDANKENPFADEN +++

Seit seinem ersten Besuch am 4. Februar 1600 bei Tycho Brahe, dem berühmten dänischen Astronomen in Prag, beschäftigte sich Kepler mit seiner „Neuen Astronomie“ – einem stolzen Neubau des Weltbilds. Kepler schildert in all seinen Werken, vor allem aber in der „Astronomia Nova“, nicht nur seine forschenden Ansätze und ihre Ergebnisse. Der Leser „bekommt die Hindernisse und Dornen auf seinen Gedankenpfaden zu spüren“, beschreibt es der Kepler-Biograf Max Caspar. Am meisten setzte ihm der Mars zu, dessen verschlungener Weg am Firmament den Himmelsgelehrten damals zu schaffen machte – auch Tycho Brahe. Der hütete seine Daten der Mars-Positionen als wertvollen Schatz und wartete auf einen genialen Theoretiker, der der Aufgabe gewachsen war, sie zu erklären. So teilte er seinem neuen Mitarbeiter, Johannes Kepler, diesen am weitesten aus den göttlichen Kreisen ausbrechenden Planeten sogleich als Forschungsaufgabe zu. Es war wohl einer der glücklichen schicksalhaften Momente in der Astronomiegeschichte, als sich die beiden im Jahr 1600 trafen: Der beste Beobachter seiner Zeit mit der genauesten Datensammlung von Planetenpositionen am Himmel und der begnadete, brillante Theoretiker schlossen sich zusammen, um eine Herausforderung des Himmels anzunehmen: das Rätsel der Marsbahn. Tycho starb ein Jahr später – zu früh, um „der Widerspenstigen Zähmung“ noch zu erleben.

Kepler hatte von Anfang an ein tiefsitzendes Unbehagen darüber, dass alles Wissen über die Himmelsbewegungen lediglich geometrische Beschreibungen waren von dem, was man sehen und messen kann. Die Ursachen der Bewegung – darum kreisten seine Überlegungen. So nahm er sein Werk „Astronomia Nova“ in Angriff, dem er später bezeichnenderweise den Untertitel „Physica coelestis“ gab, „Himmelsphysik“. Zu Beginn machte er sich an den Nachweis, dass sich sowohl nach dem ehrwürdigen geozentrischen System des Ptolemäus als auch nach dem neuen heliozentrischen des Kopernikus die einigermaßen richtigen Positionen der Planeten errechnen lassen.

+++ HIMMlische Physik +++

Auch wenn man beide Systeme kombiniert, wie es Tycho Brahe getan hat, kommt man zu vernünftigen Ergebnissen. Alle drei Systeme sind geometrisch und mathematisch miteinander kompatibel. Die bloße Beobachtung und die Beschreibung der Phänomene bringt also keine Entscheidung über falsch und richtig. Dafür ist eine Physik des Himmels nötig. Seinem Ziel, Erklärungen für die Umläufe der Planeten zu finden, kam Kepler näher, als er die Zeiten miteinander verglich. Warum brauchen die weiter außen umlaufenden Planeten länger als die nahen? Kepler hatte zwei Erklärungen dafür: Zum einen müssen die äußeren Planeten einen längeren Weg zurücklegen, zum anderen sind sie weiter vom Kraftzentrum entfernt. Hier kommt eine von Keplers schöpferischen Ideen ins Spiel, ein entscheidender Schritt von der reinen Beobachtung zur begründenden Erklärung: Ursache für den Planetenumlauf ist das Kraftzentrum Sonne. Je weiter ein Planet davon entfernt ist, um so schwächer wirkt diese Kraft und um so langsamer läuft er. Der Planet braucht dabei keinen ständigen Antrieb, sondern läuft aufgrund der Massenträgheit immer weiter, wie Galilei in seinem „Dialog“ von 1632 erklärt hat. Dass die Kraft, die den Planeten auf der Bahn hält, die Gravitation ist, erkannte der englische Physiker Isaac Newton 1666.

Um die Probleme zu lösen, griff Kepler nach einem verlässlichen Fundament: der Erdbahn, von der aus ja alle Beobachtungen ausgehen. Dazu behielt er zunächst die Kreisbahn bei, platzierte die Sonne aber etwas seitlich vom Mittelpunkt – „ exzentrisch“. Er teilte dann die Bahn in einzelne schmale, jeweils nur ein Grad breite Abschnitte und berechnete für jeden den Abstand Erde–Sonne. Es war ein unsäglich mühsames, überaus umständliches Verfahren, das er sich deshalb bald vereinfachte: Statt der 180 Abstände eines Halbkreises nahm er unendlich viele und ersetzte die Summe dieser Abstände durch die Fläche innerhalb des Halbkreises. Sie war ein Maß für die Zeit, die die Erde zum Durchlaufen des halben Kreises braucht, und das galt auch für beliebige andere Abschnitte des Kreises. So kam Kepler schließlich im Kapitel 40 seiner „Astronomia Nova“ zu dem Ergebnis, das später das zweite keplersche Gesetz genannt werden sollte, dem „Flächensatz“: Die Flächen zwischen jeweils zwei Verbindungslinien Erde–Sonne verhalten sich wie die Zeiten, die die Erde zum Durchlaufen der zugehörigen Kreisabschnitte braucht. Oder im modernen Schuldeutsch: „Der Fahrstrahl zwischen Planet und Sonne überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen.“ Das war 1602. Nun hatte Kepler festen Boden, um auch die Form der Bahn zu entschleiern. Aus Tycho Brahes Beobachtungsdaten folgte, dass es sich, besonders beim Mars, nicht um einen Kreis handeln kann. Aber wie sieht die Bahn dann aus?

+++ umwege und Sackgassen +++

Kepler probierte viele Möglichkeiten: seitliche Einbuchtungen, eine Eiform mit dem spitzen Ende nahe an der Sonne, ein „ pausbäckiges“ Gebilde – lauter lästige Umwege und Sackgassen, von denen er freimütig in seinem Buch berichtet. „Ja, wenn die Bahn eine vollkommene Ellipse wäre.…“, schrieb er in einem Brief an einen Freund. Es scheint fast, als ob er die Ellipse für seine hohen Pläne als unwürdig befand. Schließlich versuchte er es doch damit – und plötzlich war alles ganz einfach. „Also ist die Planetenbahn eine Ellipse…“, lautete sein Resümmee. Das nennen wir heute das erste keplersche Gesetz. „Die Planetenbahnen sind Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht“, lautet die moderne Formulierung.

Bei all seinen Berechnungen hatte Kepler zunächst nur die Erdbahn im Kopf. Dann wandte er diese Erkenntnis speziell auf die Marsbahn an, um den Auftrag zu erfüllen, den er vier Jahre zuvor von Tycho Brahe erhalten hatte. Von der Erde zum Mars war es nur noch ein kleiner Schritt. Die Überschrift des 59. Kapitels lautet: „Nachweis, dass die Bahn des Mars … eine vollkommene Ellipse ist, und dass die Kreisfläche die Summe der Abstände der Ellipsenpunkte mißt.“ Also ein Beweis, dass sowohl das zweite als auch das erste Gesetz genauso für den Mars gilt und damit für alle Planeten. 1605 hatte Kepler sein Werk vollendet, gedruckt wurde es „mit Seiner Heiligen Majestät besonderer Vergünstigung“ aber erst 1609. Zu seinem dritten Gesetz kam Kepler erst in dem Buch „Harmonie der Welt“, das 1619 erschien. Darin schrieb er: „ Es ist eine zuverlässige Sache, dass das Verhältnis der Umlaufzeiten irgend zweier Planeten zueinander genau das anderthalbfache des Verhältnisses ihre mittleren Abstände, das heißt ihrer Bahnlängen selbst beträgt.“

Keplers „Astronomia Nova“ markiert die Geburtsstunde der Himmelsphysik. Die Grundlage für alle sich irgendwo im All bewegenden Körper sind die keplerschen Planetengesetze, auch wenn der Astronom damals nur das „Zwei-Körper-Problem“ behandelte und dabei die Ellipse als Bahnform fand. Der Einfluss beliebig vieler Körper statt nur der einen Sonne ist jedoch bloß die Verfeinerung und Komplizierung der grundlegenden einfachen Idealform – ähnlich wie Galileis Fallgesetz der Idealfall ohne störende Einflüsse wie die Reibung ist.

+++ Das Wunderrohr +++

Zur gleichen Zeit als Kepler die „Astronomia Nova“ in Händen hielt, machte in Padua der Mathematik-Professor Galilei Galileo einen „großen Schritt für die Menschheit“ in der praktischen Astronomie. Bereits im September 1608 wurde auf der Herbstmesse in Frankfurt eine neue Erfindung feilgeboten: ein Rohr, durch das man entfernte Gegenstände wie aus der Nähe betrachten konnte. Eine Kuriosität – niemand ahnte, dass sich mit diesem Gerät eine Revolution in der Astronomie anbahnte. Ein halbes Jahr später konnte man bei verschiedenen Brillenmachern in Paris Teleskope kaufen. Auch in Italien verbreitete sich die Kunde von diesen Wunderrohren. Galilei hörte davon, wie er später schrieb, und machte sich daran, das Gerät nachzubauen, wobei er auch über die optische Wirkungsweise nachdachte.

Galilei war nicht nur ein hervorragender Wissenschaftler, sondern auch ein überaus begabter Handwerker. In seiner Werkstatt entstand das zu seiner Zeit vermutlich beste Gerät. In Galileis Händen wurde aus dem magischen Spielzeug der Jahrmärkte ein optisches Instrument, mit dem eine neue Ära der astronomischen Forschung begann. Sein erstes Teleskop hatte ungefähr die dreifache Vergrößerung, sein zweites die achtfache und sein drittes, mit dem er seine berühmten Entdeckungen machte, die dreißigfache. Es war wohl in den letzten Novembertagen, wahrscheinlich in der späten Abenddämmerung des 30. November 1609, als Galilei die Sichel des zunehmenden Mondes mit seinem neuen Fernrohr betrachtete – und sogleich die ungeheure Bedeutung von dem erkannte, was er sah. In Geschichtsbüchern findet man häufig, Galilei habe als Erster mit einem Teleskop Himmelsbeobachtungen gemacht. Doch es gibt eine Zeichnung des zunehmenden Mondes von Thomas Harriot, einem englischen Gelehrten. Sie ist auf den 26. Juli 1609 datiert und zeigt, was er mit einem Teleskop dort angeblich entdeckt hat. Das Bild lässt Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Beobachtungen aufkommen: Diese Form der Mondsichel gibt es nicht. Sie könnte in ähnlicher Weise allenfalls bei einer Mondfinsternis entstehen. Aber am 26. Juli 1609 war kein Vollmond – die Voraussetzung für eine Mondfinsternis. Eine weitere Mondzeichnung aus Harriots Feder vom 17. Juli 1610 enthält solche Ungereimtheiten vom Jahr zuvor nicht mehr. Hatte er inzwischen ein besseres Fernrohr? Eine näherliegende Erklärung ist: In der Zwischenzeit – im April 1610 – war ein Büchlein von Galilei erschienen, der „Sidereus Nuncius“, in dem er seine Fernrohrbeobachtungen beschreibt und das fünf sehr genaue Zeichnungen von verschiedenen Phasen des Mondes enthält. Eine davon gleicht Harriots zweiter Zeichnung so sehr, dass der Verdacht naheliegt, hier bestehe mehr als nur eine zufällige Doppelung der Beobachtungen.

Thomas Harriot hatte von Galileo Galilei gelernt. Was Galilei bei seinen ersten Fernrohrblicken zum Mond sah, versetzte ihn in Aufregung. Die Gebirgszüge, Täler und Flächen dort konnten nur eines bedeuten: Der Mond ist ein Körper ähnlich wie die Erde. Wir leben nicht auf einem einzigartigen, unvergleichlichen Ort im Kosmos. Die Erde war nicht mehr der Nabel der Welt. Hier war der sichtbare Beweis dafür! Nach dem Mond widmete sich Galilei auch den Fixsternen. Er entdeckte, dass viele matt schimmernde Fleckchen keine Nebel, sondern dichte Ansammlungen von Sternen sind, genau wie die Milchstraße. Am 7. Januar 1610 erlebte er einen weiteren aufregenden Höhepunkt seiner Studien: Um den Jupiter kreisten vier bisher unbekannte „Sternchen“. Sterne? Planeten? Monde? Galilei hielt in seinem Beobachtungstagebuch penibel fest, was er an welchem Abend sah. Er überarbeitete es zu seinem Büchlein „Sidereus Nuncius“, „Sternenbotschaft“, das am 12. April 1610 erschien. Galileis Fernrohr und was er darin sah, wurde freilich nicht jubelnd gefeiert. Es stieß vielmehr auf vehemente Ablehnung, denn es brachte eine altehrwürdige Welt ins Wanken, in der sich die Gelehrten seit weit über 1000 Jahren geborgen fühlten – und die schon deshalb als unantastbar galt, weil sie der große Aristoteles so festgeschrieben hatte. Das neue Fernrohr konnte also nur Teufelszeug sein. War es nicht schon ein Sakrileg, wenn man wagte hindurchzuschauen?

+++ IGNORANTER Philosoph +++

Der angesehene Philosoph Cesare von Cremona rühmte sich, nie in seinem Leben einen Blick durch das Rohr geworfen zu haben. Und der Florentiner Gelehrte und Astrologe Francesco Sizzi beschuldigte Galilei, gegen das althergebrachte Wissen verstoßen zu haben: „Genau so, wie im Mikrokosmos, bei uns Menschen, der Kopf sieben Fenster zur Welt hat – zwei Nasenlöcher, zwei Augen, zwei Ohren und einen Mund –, so hat Gott auch im Makrokosmos zwei gute Sterne geschaffen, Jupiter und Venus, zwei schlechte, Mars und Saturn, zwei Lichtspender, Sonne und Mond, sowie einen unbestimmbaren, Merkur. Die sieben Tage der Woche sind eine Folge daraus. Aus dem allen und vielen anderen ähnlichen Phänomenen der Natur folgt, dass es notwendigerweise nur sieben Planeten geben kann. Wenn wir nun die Zahl der Planeten vermehren wollten, würde alles in sich zusammenstürzen. Und vergessen wir nicht, dass die neuen Satelliten für das nackte Auge unsichtbar sind, deshalb können sie keinerlei Einfluss auf die Erde haben. Sie sind also unnütz, und deshalb kann es sie gar nicht geben.“ Der Philosoph Hans Blumenberg hat seiner ausführlichen Einleitung für eine neuere Ausgabe des „Sidereus Nuncius“ 1965 den Titel gegeben „Das Fernrohr und die Ohnmacht der Wahrheit“, womit er die damalige Stimmung und das Dilemma des Galilei treffend beschreibt. Die „ Sternenbotschaft“ des Galilei, die der Welt kundtat, was er Ende des Jahres 1609 und in den folgenden Monaten entdeckt hatte, ist „ ein Markstein in der Geschichte der Himmelskunde“, schreibt der Keplerforscher Max Caspar. „Indem sie die ersten Himmelsbeobachtungen mit dem kurz zuvor erfundenen Fernrohr darbot, leitete sie ein Epoche ein, in der diese Wissenschaft mit diesem Instrument ungeheure Triumphe feierte und eine völlige Umwälzung in der Erforschung der Himmelserscheinungen herbeiführte.“

+++ sündiger Sumpf +++

Überschwängliches Lob und Bewunderung bekam Galilei zunächst nur von Kepler. Innerhalb weniger Tage verfasste dieser ein Dankesschreiben in Form der Erwiderungsschrift „Dissertatio cum Nuncio Sidereo “ vom 19. April 1610. Umgekehrt ließ die Ehrerbietung gegenüber dem berühmten Kollegen zu wünschen übrig: Galilei hatte Keplers „Astronomia Nova“ wohl nicht gelesen, jedenfalls erwähnte er nichts davon. Noch 1632 schrieb er in seinem „Dialog“ unbeirrt von Kreisen und nicht von Ellipsen, auf denen die Planeten um die Sonne laufen. Bemerkenswert war, dass Kepler die scheinbar unüberbrückbare Trennung zwischen dem vergänglichen sublunaren Bereich, dem sündigen Sumpf Erde, und der ewig unvergänglichen Sphäre der himmlischen Körper und Kreise als hinfällig erklärte. Durch Galileis Entdeckungen der Mondlandschaften hielt er es sogar für wahrscheinlich, dass andere Himmelskörper bewohnt sind – ein ähnlich ketzerischer Gedanke, wie ihn wenige Jahre zuvor der italienische Dominikaner und Philosoph Giordano Bruno gehegt hatte. Daran knüpfte Kepler die Idee einer interplanetaren Raumfahrt: „Komme erst mal einer, der die Kunst des Fliegens lehrt, dann wird es an Kolonisten aus unserem Menschengeschlecht nicht fehlen. Baue Schiffe mit Segeln, die in den Lüften des Himmels fahren können, und es wird Menschen geben, die keine Furcht vor Reisen in ferne Himmelsräume haben.“ ■

WOLFRAM KNAPP war stellvertretender bdw-Chefredakteur und bis zu seiner Pensionierung 1999 verantwortlicher Astronomie-Redakteur dieses Magazins. Er ist Vorstandsmitglied der Kepler-Gesellschaft Weil der Stadt und wird dieses Jahr 75 Jahre alt.

von Wolfram Knapp

Die drei Alten Planetensysteme

Für den griechischen Astronomen Claudius Ptolemäus bildete die Erde das Zentrum der Welt, umkreist von den „Planeten“ Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn. Um die Schleifenbewegungen zu erklären, ließ er die Planeten auf zusätzlichen kleinen Kreisen laufen, die auf den größeren abrollten. Dieses komplizierte Weltbild vom 2. Jahrhundert n.Chr. prägte das Denken der Gelehrten, einschließlich des Klerus, bis ins 17. Jahrhundert.

Nikolaus Kopernikus, Domherr in Frauenburg, entwarf ab 1509 ein einfacheres System, indem er die Sonne in die Mitte setzte und die Planetenschleifen durch den bewegten Beobachtungsplatz Erde erklärte – ein Bild, das auf heftigen Widerstand der Kirche stieß.

Der dänische Astronom Tycho Brahe schlug 1587 einen Kompromiss vor: Die Erde bleibt im Zentrum, umkreist vom Mond und der Sonne, die im Mittelpunkt der anderen Planetenkreise steht.

Die Keplerschen Gesetze

Die drei Gesetze, die Johannes Kepler entdeckt, aber nicht selbst so bezeichnet hat, werden heute im Physikunterricht so gelehrt:

1. Die Planeten bewegen sich auf Ellipsen, in deren einem Brennpunkt sich die Sonne befindet.

2. Der von der Sonne zu einem Planeten gezogene „Fahrstrahl“ überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen.

3. Die Quadrate der Umlaufzeiten verschiedener Planeten verhalten sich wie die Kuben der halben großen Achsen ihrer Bahnen.

Galileisches und Keplersches Fernrohr

Galileis Fernrohr hatte vorne als „Objektiv“ eine Konvexlinse, hinten als „Okular“ eine Konkavlinse. Die Länge des Geräts ist also kürzer als die Objektiv-Brennweite. Das Bild ist aufrecht und seitenrichtig, das Rohr ist deshalb für terrestrische Beobachtungen geeignet. Heute besteht es weiter in Form von Operngläsern und einfachen Feldstechern. Keplersche Fernrohre haben als Okular – wie beim Objektiv – eine Konvexlinse, die hinter dem Objektiv-Brennpunkt angebracht ist. Das Rohr ist also länger und das Bild steht auf dem Kopf und ist seitenverkehrt. Doch da die Vergrößerung wesentlich mehr gesteigert werden kann als im galileischen Fernrohr, wurden astronomische Teleskope – bis zu einem Meter Objektiv-Durchmesser – nach dem keplerschen Prinzip konstruiert. Auch moderne Feldstecher sind keplersche Teleskope, in denen das Bild aber durch zwei Prismen aufgerichtet und seitengewendet wird. 1668 erfand der englische Physiker und Mathematiker Isaac Newton das Spiegelteleskop, bei dem die Objektivlinse durch einen Hohlspiegel ersetzt ist. Darauf basieren die moderne Großteleskope.

KOMPAKT

· 1609 veröffentlichte Johannes Kepler in seiner „Astronomia Nova“ die ersten beiden Planetengesetze.

· Das alte mystische oder rein beschreibende Weltbild wurde durch ein neues, physikalisch fundiertes ersetzt.

· Ebenfalls vor 400 Jahren begann mit Galileo Galileis Fernrohrbeobachtungen die Teleskop-Astronomie.

Viel zu kompliziert!

Um das geozentrische Weltbild mit den Beobachtungen der Planeten zu vereinbaren, vor allem mit ihrer scheinbaren Rückwärtsbewegung, sah sich Claudius Ptolemäus schon um 150 n.Chr. zu einigen mathematischen Tricks gezwungen: Danach bewegt sich ein Planet auf einem kleinen Kreis (Epizykel), dessen Mittelpunkt entlang eines großen Kreises (Deferent) läuft. Da Theorie und Beobachtungen aber noch immer nicht übereinstimmten, nahm der Astronom außerdem an, dass sowohl die Erde als auch der Äquant, um den der Epizykel mit konstanter Geschwindigkeit kreist, nicht im Mittelpunkt des Deferenten stehen. Nikolaus Kopernikus und Johannes Kepler ersetzten dieses komplizierte Modell dann durch das heliozentrische Weltbild.

Ohne Titel

Wissen hören: Blick auf 400 Jahre moderne Astronomie – ein Interview mit bdw-Autor Wolfram Knapp finden Sie unter „Podcasts“ auf www.wissenschaft.de

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Sta|tiv  〈n. 11〉 dreibeiniges Gestell zum Aufstellen u. Festhalten von Geräten, z. B. von Kameras [zu lat. stativus … mehr

Sta|pel|ver|ar|bei|tung  〈f. 20; unz.; IT〉 = Batchprocessing

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