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Feuer unter dem Eis

Allgemein

Feuer unter dem Eis
Quer durch den arktischen Ozean zieht sich ein 1800 Kilometer langes Unterwasser-Gebirge: der Gakkel-Rücken. Zwei Eisbrecher sind dem bislang fast unerforschten Terrain zu Leibe gerückt. Überraschende Entdeckung: Am Meeresboden unter dem Eis verbergen sich zahlreiche aktive Vulkane und heiße Unterwasser-Quellen.

Wenn es nach den Lehrbüchern ginge, wäre der Gakkel-Rücken ein recht langweiliger Teil des weltumspannenden Netzes der mittelozeanischen Rücken. Der nördlichste Ausläufer der Grenze zwischen Eurasien und Nordamerika zieht sich 1800 Kilometer quer durch den arktischen Ozean – von der Nordostspitze Grönlands bis in die sibirische Laptew-See. Extrem langsam, um weniger als einen Zentimeter pro Jahr, schieben sich die eurasische und die nordamerikanische tektonische Platte hier auseinander. An dieser fast schnurgeraden Naht unter dem arktischen Eis hatten die Forscher kaum mit Vulkanen oder hydrothermalen Quellen gerechnet. Denn die findet man normalerweise nur dort, wo zwei Platten schnell auseinander driften. Dem Gakkel-Rücken traute niemand solch ein feuriges Temperament zu.

Als ein deutsch-amerikanisches Wissenschaftler-Team im Juli 2001 mit den Eisbrechern Healy und Polarstern bei der Amore-Expedition zum Gakkel-Rücken aufbrach, gab es eine große Überraschung: Die Forscher entdeckten einen Feuergürtel unter dem Eis. „In meinen wildesten Träumen hätte ich mir niemals vorgestellt, dass wir im Nordpolarmeer so heftige vulkanische Aktivitäten sehen würden”, sagt Henrietta Edmonds von der University of Texas in Austin, die an der Expedition teilnahm. Und in der Fachzeitschrift „nature” schreiben die Forscher um Wilfried Jokat vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven, und Peter Michael von der University of Tulsa, Oklahoma, sie hätten so viele aktive Vulkane und hydrothermale Quellen entdeckt, dass bisherige Vorstellungen über die Geburt neuer Teile der Erdkruste im Ozean nun überdacht werden müssten.

Bislang hatten Geowissenschaftler die mittelozeanischen Rücken in zwei Typen eingeteilt: in schnelle und langsame. Dabei galt: Bei schnell auseinander treibenden Platten sollte viel Lava austreten, bei „langsamen Rücken” dagegen fast keine.

Eigens für den Gakkel-Rücken schuf ein anderes Forscher-Team um Henry Dick von der Woods Hole Oceanographic Institution jetzt eine neue Klasse: die „ultralangsamen mittelozeanischen Rü-cken”. In diese neue Kategorie passen auch Abschnitte des Südwestindischen Rückens zwischen Afrika und der Antarktis.

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Der Theorie zufolge dürften nur am westlichen Ende des Gakkel-Rückens Vulkane zu finden sein, wo die Driftgeschwindigkeit der Kruste – die so genannte Spreading-Rate – mit 1,6 Zentimetern pro Jahr am höchsten ist. Im Osten, wo sie nur 0,6 Zentimeter pro Jahr beträgt, erwarteten die Forscher dagegen keine aktiven Vulkane. Doch sowohl im Osten als auch im Westen des untersuchten 1000 Kilometer langen Abschnitts vom Gakkel-Rücken stießen sie etwa alle 100 Kilometer auf einen Zentralvulkan. Im mittleren Teil des Rückens entdeckten sie eine 300 Kilometer lange Zone, in der der Lavafluss aus dem Mantel völlig versiegt ist. „Es wirkt, als hätte jemand den Zapfhahn abgedreht”, sagt der Petrologe Jonathan Snow vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, der die gesteinskundlichen Arbeiten auf der Polarstern leitete. Das Rifttal längst der Mitte des Rückens fällt dort von 4000 auf 5600 Meter Wassertiefe ab.

Die seismischen Messungen der Expedition zeigen, dass der Erdmantel in dieser Zone offen liegt und nicht – wie sonst am Meeresboden üblich – von Lava bedeckt ist. „Das ist weltweit einzigartig”, sagt Snow. Östlich davon wachsen trotz geringerer Spreading-Rate wieder Vulkane – doch auch sie lassen sich nicht in gewohnte Schemata einordnen.

Zwischen den Zentralvulkanen, das zeigten eingesammelte Gesteinsproben, besteht der Meeresboden nicht – wie gewöhnlich – aus basaltischer Lava, sondern aus Mantelgestein, dem bestimmte Mineralien und Spurenelemente fehlen. Wahrscheinlich trennt sich die basaltische Schmelze tief im Erdboden in Form kleiner Tröpfchen vom Mantelgestein ab und wandert dann seitlich zu den Vulkanen. „Wir vermuten, dass die Schmelze aus einem großen Umkreis zu den Vulkanen geleitet wird, wie in einem Trichter”, sagt Snow. „Warum das so ist, wissen wir allerdings nicht.”

Auf den aktiven Vulkanen sitzen zahlreiche hydrothermale Quellen. Ein Forscherteam um Henrietta Edmonds fand im Wasser Anzeichen für etwa zwölf Schwarze Raucher. Anscheinend gibt es am Gakkel-Rücken mehr hydrothermale Quellen als am „schnellsten Rücken” der Erde im Ostpazifik, wo die Platten zehnmal so rasch auseinander driften wie in der Arktis.

Damit Schwarze Raucher entstehen können, sind zwei Faktoren wichtig: Es muss sowohl vulkanische Wärme als auch Klüfte geben, durch die das Meerwasser in die Tiefe eindringen kann. Am Gakkel-Rücken sind die Temperaturen zwar verhältnismäßig niedrig, aber möglicherweise gibt es genügend tiefe Risse im Meeresboden.

Eine weitere Besonderheit dieser bizarren Meeresboden-Naht: Die Lava tritt schon seit Jahrmillionen immer an den gleichen Stellen aus. Davon zeugen Höhenzüge, die neben den zurzeit aktiven Zentralvulkanen aufragen und aus älteren Vulkanen bestehen. Sie sind mit der neu gebildeten Kruste vom Rifttal weggewandert. Die ältesten sind möglicherweise schon 25 Millionen Jahre alt, schreiben die Forscher in „nature”.

Mit Erklärungen für die merkwürdige Geologie des Gakkel-Rückens halten sich die Expeditionsteilnehmer zurück. Genauere Aufschlüsse darüber, wie sich die Basaltlava vom Erdmantelgestein abgetrennt hat, birgt der Meeresgrund. „Es läuft wohl darauf hinaus, dass wir in der Arktis bohren müssen”, sagt Jonathan Snow. Das hätte einen besonderen Reiz, wegen des am Gakkel-Rücken offen liegenden Erdmantel, der normalerweise für Bohrungen unerreichbar ist.

Eine Bohrung im Polareis ist allerdings noch schwieriger, als es schon die Amore-Expedition war: Um ein Bohrschiff im eisbedeckten arktischen Ozean auf Position zu halten, müssten mehrere Eisbrecher das herantreibende Meereis zurückhalten.

Dass die Amore-Fahrt so reichhaltige Ergebnisse gebracht hat, war großes Glück, betont der Geophysiker Wilfried Jokat. Die ursprüngliche Planung sah vor, dass einer der Eisbrecher den Weg frei räumen sollte, damit die Forscher auf dem anderen Schiff Proben nehmen oder seismische Messungen vornehmen könnten. „Wir hatten außergewöhnlich günstige Eisbedingungen, so dass beide Schiffe unabhängig voneinander arbeiten konnten”, sagt Jokat. Dennoch ließ die Arktis die Messungen vielfach zum Abenteuer werden. Die Wettervorhersage war chronisch unzuverlässig, und den Hubschrauberpiloten machten plötzlich auftauchende Nebelbänke sowie vereiste Rotoren zu schaffen. Die Geophysiker, die ihre Messgeräte auf Eisschollen absetzten, mussten zudem ständig auf der Hut vor Eisbären sein.

Trotz solcher widrigen Bedingungen will Jonathan Snow noch in diesem Jahr auf der „Polarstern” zurück ins Eis, um Gesteinsproben von besonders spannenden Stellen des Rückens zu nehmen.

 

Mittelozeanische Rücken

Die Geburt neuer Teile der Erdkruste geschieht weitgehend unbeobachtet in der Mitte der Ozeane. Die mittelozeanischen Rücken, an denen neuer Meeresboden entsteht und zur Seite driftet, bilden ein 60000 Kilometer langes, weltumspannendes Netz von Unterwasserbergen, die bis zu 3000 Meter über den Tiefseeboden ragen. An diesen „Spreading-Zonen”, die die Grenzen zwischen zwei tektonischen Platten sind, rückt die Erdkruste auseinander und macht Platz für nachquellendes Mantelgestein.

Wegen des abnehmenden Drucks schmilzt dieses Gestein kurz unter der Oberfläche teilweise auf. Da manche Mineralien leichter schmelzen als andere, hat die entstehende Lava eine andere Zusammensetzung als das ursprüngliche Mantelgestein. Der Erdmantel besteht im Wesentlichen aus dem Gestein Peridotit. Aus den Unterwasservulkanen fließt dagegen normalerweise Basalt-Lava – der Gakkel-Rücken ist hier eine Ausnahme –, die beim Erstarren zu neuer Ozeankruste wird.

Ute Kehse

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