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Humorvolles Pferd trifft ängstlichen Hund

Allgemein

Humorvolles Pferd trifft ängstlichen Hund
Der Mensch schreibt seinem tierischen Liebling oft menschliche Charaktereigenschaften zu. Was sagt die Wissenschaft dazu?

Artgerecht schienen die Fragen nicht, mit denen neun Stallknechte ihre Pferde beurteilen sollten: Hat das Tier Minderwertigkeitsgefühle? Ist es humorvoll? Macht es sich Gedanken über die Natur des Universums?

Kein Wunder – die Fragen stammten aus einem Fragebogen, der für Menschen entwickelt wurde und die fünf grundlegenden menschlichen Persönlichkeitseigenschaften misst. Tierpsychologe Paul Morris von der britischen Portsmouth University wollte mit einem nur wenig modifizierten Fragebogen herausfinden, ob auch Pferde über diese grundlegenden Charakterzüge verfügen.

Der Forscher ist nach Abschluss seiner Umfrage überzeugt, die so genannten Big Five auch bei den Gäulen ausgemacht zu haben:

• Extraversion („ist gern mit anderen zusammen“, „hat Humor“ )

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• Neurotizismus („geringes Selbstvertrauen“, „ängstlich“)

• Verträglichkeit („gutes Benehmen“, „beliebt bei anderen“ )

• Gewissenhaftigkeit („hält seinen Stall sauber“, „arbeitet hart“)

• Offenheit für neue Erfahrungen („probiert neues Futter“, „ liebt Poesie“)

Diese fünf Faktoren schälen sich immer wieder heraus, wenn analysiert wird, wie Menschen andere Menschen charakterisieren. Zwar benutzen sie bei der Beschreibung ihrer Mitmenschen Hunderte von Adjektiven, doch kombinieren sie die Eigenschaftsbegriffe: Wer als altruistisch eingestuft wird, gilt meist auch als vertrauenswürdig. So lässt sich die Vielfalt von Persönlichkeitsmerkmalen mit mathematischen Methoden auf fünf Kerneigenschaften (Big Five) reduzieren – die Grundfaktoren der Psyche.

Zwar gibt es weitere Faktoren, doch sie haben nicht den gleichen Stellenwert und zeigen sich auch nicht in jeder Studie. Die Big Five dagegen wurden weltweit in über 50 Kulturen mit oft riesigen Untersuchungen nachgewiesen. In Deutschland beispielsweise wurden über 11000 Menschen befragt.

Tierforscher Morris schließt aus den weitgehend übereinstimmenden Urteilen der Pfleger, dass auch Vierbeinern solche vermeintlich sehr menschlichen Eigenschaften zukommen. Hohn und Spott sind ihm gewiss. Das hat Tradition: Wer Tiere wie Menschen betrachtet, erntet „erstaunte Blicke“, beklagte sich vor einem halben Jahrhundert Donald Hebb, einer der bedeutendsten Lernpsychologen. Denn Kritiker sehen in den tierischen Charaktereigenschaften allein menschliche Projektionen.

Das hat sich die zoologische Psychoforschung selbst zuzuschreiben, denn sie geriet häufig reichlich zweifelhaft: Selbst Strudelwürmer sollten sich durch Vorsicht auszeichnen, und Zebrafischen wurde Ängstlichkeit attestiert. Doch inzwischen gibt es viele seriöse Untersuchungen.

187 Studien zur Persönlichkeit von Tieren hat der auf Vergleiche von Mensch und Tier spezialisierter Psychologe Samuel Gosling von der University of Texas im angesehenen Fachjournal „ Psychological Bulletin“ aufgelistet – vom reizbaren Bär bis zum ängstlichen Frettchen. Als dankbare Versuchstiere erwiesen sich in den Untersuchungen Katzen: Als besonders aggressiv eingestuften Miezen taten den Forschern beim Verhaltenstest den Gefallen und jagten eifrig ihre Artgenossen oder schlugen nach ihnen. Ebenso knurrten aggressive Geparden besonders häufig ihr Spiegelbild an. Soziale Schweinchen rieben ihre Nasen an denen von Koben-Genossen. Selbst ängstliche Nashörner wurden ausgemacht.

Auch Rhesus-Affen verhielten sich so, wie es die menschliche Einschätzung ihrer Persönlichkeit erwarten ließ. Aggressive bedrohten, schlugen oder jagten ihre Mitaffen, furchtsame gingen ihnen aus dem Weg und zeigten ein ängstliches Grinsen.

Neben derlei Einschätzungen und Beurteilungen von außen fand Symptome-Sammler Gosling in den Studien aber auch unbestechliche physiologische Messungen, die die Charakterzüge von Tieren bestätigten. So wurden zum Beispiel Rhesusaffen mit SIV infiziert, einem Verwandten des Aids-Erregers: Soziale Tiere zeigten daraufhin eine stärkere Abwehrreaktion – ebenso wie extrovertierte Menschen, die kraftvoller auf Infekte reagieren.

Bei so viel Menschenähnlichkeit bieten sich Tiere geradezu als Menschenersatz in der Forschung an. In Studien zum Zusammenhang von Stress und Persönlichkeit untersuchte der Stanford-Physiologe Robert Sapolsky Paviane der Serengeti. Diese Affen haben keine natürlichen Feinde und finden immer genug zu fressen. Sie können sich also nur gegenseitig das Leben schwer machen – das allerdings tun sie ausgiebig. Sie liefern sich Hierarchiekämpfe und streiten um Angehörige des anderen Geschlechts – genau wie Menschen. Ein ideales Forschungsobjekt also. Sapolsky stieß bei den Affen auf den vom Menschen bekannten Aufbrauser-Typ: „Manche Paviane haben eine Typ-A-Persönlichkeit und sie bezahlen dafür mit Krankheiten.“ Der persönlichkeitsimmanente Stress führt bei ihnen zu hohem Blutdruck, Arterienverkalkung und Infektanfälligkeit – alles wie bei ähnlich gestrickten Menschen.

Hinzu kommt: Tiere verfügen im Wesentlichen über die gleichen Hormone und Neurotransmitter wie Menschen. Diese Stoffe legen, so meinen die Psychologen, die Basis für menschliche Persönlichkeitszüge. Laut Prof. Marvin Zuckerman von der University of Delaware spielt der Nervenbotenstoff Dopamin eine wichtige Rolle für positive Gefühle und Extroversion, der Neurotransmitter Serotonin liegt der Impulsivität zugrunde, das Hormon Noradrenalin gibt die Basis für Feindseligkeit und die Aminobuttersäure, GABA, für Neurotizismus.

Wenn Tiere aber die gleiche Hirnchemie haben wie Menschen und diese die Persönlichkeit prägt, liegt nahe, was Psychologe Zuckerman behauptet: Eine Persönlichkeitseigenschaft kann nur dann als allgemein und grundlegend betrachtet werden, wenn sich ein vergleichbarer Charakterzug auch bei anderen Arten finden lässt. Die Grundzüge von Persönlichkeit müssten dann schon früh in der Evolution entstanden sein.

In der Tat gibt es bei vielen Spezies zum Beispiel eher extrovertierte und eher introvertierte Individuen. Dieses charakterliche Unterscheidungsmerkmal fand sich in 17 von 19 Studien mit Eseln, Schweinen, Schimpansen und anderen Tierarten. Und bei Bello und Rex lassen sich individuelle Züge kaum leugnen. Darauf schwören nicht nur die Besitzer. Bei einer Untersuchung fehlte Hunden von den Big Five nur einer: die Gewissenhaftigkeit.

Schimpansen dagegen können gewissenhaft sein – oder auch nicht. Etliche Exemplare bekommen schlechte Noten in diesem Punkt. Sie verhalten sich ziellos, unberechenbar und wirken überhaupt ziemlich chaotisch – wie manche Menschen. Auch der Rest der großen Fünf ist bei den Menschenaffen vorhanden. Die äffischen Eigenschaften „zeigen eine frappierende Ähnlichkeit mit den menschlichen Big Five“, bilanzieren die Tierpsychologen James King und Aurelio Figueredo von der University of Arizona, die 100 Zoo-Schimpansen von ihren Wärtern einschätzen ließen.

Die Pfleger stülpten dabei ihren Schützlingen keineswegs nur menschliche Kategorien über, wie ein weiteres Ergebnis dieser Studie belegt. In den Beurteilungen tauchte als wichtigster Faktor des Affencharakters eine Eigenschaft auf, die bei Menschen keine eigenständige Größe ist, sondern in der Extroversion aufgeht: Dominanz. Da schlägt das strikte Hierarchiedenken unserer nächsten Verwandten durch. Auch bei Pavianen und Fleckenhyänen wurden ein ähnlicher Faktor gefunden.

Und wer weiß, vielleicht existieren im vielfältigen Tierreich noch weitere Charaktereigenschaften, von denen Menschen nicht einmal etwas ahnen. Verhaltensspezialist Samuel Gosling: „Einige Persönlichkeitszüge können sich beispielsweise ausschließlich bei Tieren zeigen, die über hoch entwickelte Echolot-Ortungssysteme verfügen oder die Fähigkeit haben, bei Bedarf ihr Geschlecht zu ändern.“

Jochen Paulus

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