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H2-Welt in Hummelsbüttel

Allgemein

H2-Welt in Hummelsbüttel
Wasserstoff durch Elektrolyse aus Wasser gewinnen und damit Brennstoffzellen-Fahrzeuge betanken: In einem Hamburger Stadtteil wird neuerdings ein Stück Wasserstoff-Welt geprobt – unter Praxisbedingungen.

Hamburg, Bushaltestelle Niendorf Nord.Das silbermetallic lackierte Gefährt naht auf leisen Sohlen. „Fuel Cell Bus” steht auf der Seite – Brennstoffzellen-Bus. Beim Einsteigen registriert man: fabrikneu. Der Fahrer Rainer Benthien schließt die Türen und drückt den Startknopf.

Sachte setzt der Elektromotor das wasserstoffbetriebene Gefährt in Bewegung. Dann beschleunigt es stärker, der Motor dreht hoch, das Automatikgetriebe schaltet durch. „Im Prinzip fährt er sich wie ein Standardbus”, schwärmt Benthien, „nur leiser und vibrationsärmer.” Und der Clou: Aus dem Auspuff kommen weder Schadstoffe noch Kohlendioxid, sondern nichts als reiner Wasserdampf.

Eine Viertelstunde später hat der Bus sein Ziel erreicht, den Betriebshof in Hamburg-Hummelsbüttel. Benthien steuert die Wasserstoff-Tankstelle an – einen weiß verkleideten Container mit massiven Drucktanks. Er steigt aus, öffnet eine Klappe über dem rechten Scheinwerfer und knipst die Hauptsicherung aus. „Der Strom muss komplett ausgeschaltet sein – als Vorsichtsmaßnahme, damit der Bus jetzt unter keinen Umständen losrollen kann”, erklärt Benthien. „Nun kann getankt werden.”

Benthiens Untersatz ist einer von drei Brennstoffzellen-Bussen, die seit September 2003 in Hamburg den Linienbetrieb erproben – und einer von insgesamt 27 Bussen, die derzeit durch 9 europäische Metropolen kurven. Das von der EU unterstützte Projekt CUTE (Clean Urban Transport for Europe) soll zeigen, inwieweit Brennstoffzellen und Wasserstoff-Technologie den harschen Alltag überstehen. Die Gefährte sollen den verschiedensten Bedingungen trotzen: der Hitze in Madrid, der Kälte in Stockholm, den Hügeln von Porto, dem Stop-and-go-Verkehr in London.

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In Hamburg geht Busfahrer Benthien zum Heck und öffnet die Haube. Zum Vorschein kommt ein Metallklotz mit Zahnriemen: der Elektromotor samt Getriebe. Seine 225 Kilowatt bringen das Gefährt auf eine Höchstgeschwindigkeit von 80 Kilometern pro Stunde. Der Strom, der den Motor versorgt, kommt über ein Kabel vom Dach des Busses. Dort stecken die Brennstoffzellen und die 1850 Liter fassenden Tanks. Unter 350 Bar Druck speichern sie 40 Kilogramm Wasserstoff-Gas – genug, um den Bus rund 250 Kilometer weit fahren zu lassen. „Das Dach trägt rund eineinhalb Tonnen an Zusatzgewicht”, sagt Benthien. „So wird das Fahrzeug kopflastiger, was sich bei schnellen Kurvenfahrten schon mal bemerkbar machen kann.”

Um Wasserstoff nachzufüllen, muss Benthien ein gartenschlauchdickes Kabel von der Zapfsäule nehmen und in eine Buchse neben dem Motor stöpseln. Das Kabel erdet den Bus, sonst könnten elektrische Restspannungen den Wasserstoff entzünden. Gleichzeitig übermittelt es Daten vom Bus zur Tankstelle – etwa, wann der Speicher auf dem Dach voll ist. Benthien schließt den Tankstutzen mit einer einfachen Hebelbewegung an das Gegenstück am Bus an. Ein Knopfdruck, und der Wasserstoff strömt zischend in den Tank. Wie bei jeder Zapfsäule läuft ein Zähler. Statt Liter zeigt er Kilogramm an.

Auch die Tankstelle ist ein Versuchsprojekt. Sie wird nicht von Tanklastern beliefert, sondern erzeugt ihren Wasserstoff selbst – und zwar mit „grünem” regenerativ erzeugtem Strom. Er kommt zwar aus dem gewöhnlichen Stromnetz. Doch der Energieversorger garantiert, dass die abgenommene Energiemenge durch Windkraft, Solarenergie oder Wasserkraft gewonnen und ins Netz eingespeist wurde.

Das Herzstück der Tankstelle steckt in einem langen weißen Container: Darin spaltet ein Elektrolyseur Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff. Ein Kompressor drückt den Wasserstoff in die benachbarten Hochdrucktanks, lange massive Röhren. Der Sauerstoff hingegen wird einfach in die Umgebungsluft gepustet. Unter den Busfahrer macht der Scherz vom „Luftkurort Bad Hummelsbüttel” die Runde.

An der Zapfsäule läuft die Tankuhr immer langsamer. Schließlich bleibt sie stehen, eine grüne Lampe leuchtet auf. Rainer Benthien hängt die Zapfpistole ein, schraubt das Kabel ab, und fertig ist die Prozedur. Eine Viertelstunde hat das Tanken gedauert. Nun kann Benthien sein Gefährt auf den Parkplatz lenken und für heute Feierabend machen.

„Busse und Tankstelle laufen besser als erwartet”, freut sich Holger Grubel, Koordinator für regenerative Energiesysteme bei den Hamburgischen Electricitäts-Werken (HEW) – neben der Hamburger Hochbahn und der Deutschen BP einer der drei Projektpartner. „Am Anfang gab es bei den Fahrzeugen ein paar Probleme mit der Sensorik, doch die haben wir im Wesentlichen beheben können.” Die drei Busse von DaimlerChrysler sind mit jeweils mehr als 2000 Sensoren gespickt. Sie registrieren unter anderem geringste Schwankungen von Stromstärke, Druck und Temperatur.

Abwechselnd steht immer einer der drei Busse in der Werkstatt und wird durchgecheckt. Die beiden anderen fahren derweil 14-mal pro Tag von Hummelsbüttel nach Niendorf und zurück – ein Tagespensum von etwa 200 Kilometern. „Bislang ist keiner liegen geblieben”, sagt Hochbahn-Sprecherin Gabriele Steeb. In den ersten zehn Wochen registrierten die Ingenieure eine Ausfallquote von 14 Prozent: Von 100 geplanten Touren konnten die Busse 14 aufgrund außerplanmäßiger Checks und kleinerer Reparaturen nicht antreten. „Ein für diese Projektphase ausgezeichneter Wert”, betont Steeb.

Bislang begnügen sich die Busse mit einem Treibstoffverbrauch von zwölf Kilogramm Wasserstoff pro 100 Kilometer – der Energieinhalt eines Kilogramms Wasserstoff entspricht knapp vier Litern Diesel. Ein Dieselbus verbraucht mit rund 50 Litern auf 100 Kilometer zwar auch nicht weniger. Aber ein Brennstoffzellen-Gefährt ist derzeit noch um etwa zwei Tonnen schwerer als ein gewöhnlicher Bus. „Künftig sollen die Busse deutlich leichter werden”, sagt Walter Rau, Projektleiter bei DaimlerChrysler. „Zum Beispiel könnte man kleinere Tanks einbauen.” Auf weniger busfreundlichen Strecken mit mehr Ampeln und Haltepunkten dürfte der Verbrauch der Hamburger Prototypen steigen – wie auch im Sommer, wenn der Fahrer die stromfressende Klimaanlage zuschaltet. Doch die Nagelprobe für das Hamburger CUTE-Projekt beginnt erst im Frühjahr 2004. Dann nehmen die drei Wasserstoff-Busse den regulären Linienbetrieb auf, der sie mitten in die City führt.

Bis zur Marktreife ist der Weg noch weit. Für den Alltagsbetrieb wünschen sich die Fachleute beispielsweise eine schnellere Betankung – eine Viertelstunde ist zu üppig. Das Problem: „Füllt man einen Drucktank, so erwärmt er sich, ähnlich wie eine Luftpumpe in der Hand heiß wird”, erläutert Holger Grubel. „Erreicht der Tank eine Temperatur von 85 Grad Celsius, wird das Tanken aus Sicherheitsgründen automatisch unterbrochen.” Doch die Fachleute ahnen bereits, wie sich das Problem umgehen ließe: durch einen zwischengeschalteten Kühler.

Ein weiteres Manko: Bislang müssen die Busse nachts ans Stromnetz, um die Brennstoffzelle elektrisch zu heizen und auf Plusgraden zu halten. Denn ähnlich einer sensiblen Tropenpflanze vertragen die heutigen Brennstoffzellen keinen Frost. Doch inzwischen konnten japanische Forscher des Honda-Konzerns eine Zelle konstruieren, die auch bei Minusgraden startet – ein großes Plus für den rauen Linienalltag, falls diese Innovation sich als praxistauglich erweist.

Eine hohe Hürde sind die Kosten. Brennstoffzellen wie Tankstellen sind den Projektpartnern derzeit nach eigenem Bekunden zu teuer – wobei die Verantwortlichen in dieser Pilotphase keine konkreten Zahlen nennen mögen. „Um einen wirtschaftlichen Betrieb zu gewährleisten, brauchen wir größere Tankstellen für mehr Fahrzeuge”, so Grubel. „Dann könnten wir Strom mit einer höheren Spannung beziehen, was den Preis des produzierten Wasserstoffs reduzieren würde.”

Erste Praxiserfahrungen mit Wasserstoff und Brennstoffzellen sammelt man auch auf Island. Dort läuft seit vergangenem Herbst das Projekt ECTOS (Ecological City Transport System). Wie in Hamburg steht auch in Reykjavik eine Wasserstoff-Zapfsäule mit einem Druckelektrolyseur des norwegischen Herstellers Norsk Hydro. Doch anders als in Deutschland ist sie an eine kommerzielle Tankstelle angebunden.

Seit Oktober 2003 drehen drei Brennstoffzellen-Busse von DaimlerChrysler ihre fahrplanmäßigen Runden durch Reykjavik. „Die bisherigen Erfahrungen sind gut”, sagt Ivar Hexeberg, Vizepräsident von Norsk Hydro. „Die Technik funktioniert, und die Öffentlichkeit unterstützt das Projekt.” Anfänglich habe es leichte Probleme mit der Hydraulik gegeben, und es sei notwendig gewesen, das Computersystem an Bord der Busse mit dem Rechner der Tankstelle genau abzustimmen, ergänzt Prof. Thorsteinn Sigfusson, Aufsichtsratsvorsitzender der Firma Icelandic New Energy. „Aber alles, was direkt mit Wasserstoff zu tun hat, läuft prima.”

Dennoch denkt man bei Norsk Hydro an Verbesserungen. „Wir wollen unsere Wasserstoff-Einheit für die Tankstelle kleiner bauen, um Platz zu sparen”, sagt Hexeberg. „Außerdem möchten wir den Betriebsdruck der Anlage erhöhen. Wahrscheinlich werden künftige Fahrzeuge bei höherem Druck betrieben, um größere Reichweiten zu schaffen.”

Island ist weltweit Vorreiter bei der Nutzung erneuerbarer Energien. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg stellten die Reykjaviker ihre Heizungen um – von Kohle auf Fernwärme aus Geothermie. Der Strom wird seit Ende der sechziger Jahre aus Wasserkraft erzeugt. Dennoch entlässt jeder Einwohner pro Jahr mit elf Tonnen ebenso viel CO2 in die Atmosphäre wie der statistische Deutsche. Die CO2-Quellen sind zu gleichen Teilen Verkehr, Fischerei und Industrie. Bis 2050, so das ehrgeizige Ziel der Regierung, soll die Insel den Sprung zur emissionsfreien Wasserstoff-Wirtschaft geschafft haben.

ECTOS ist die erste Etappe des Plans, vorgezeichnet von der Firma Icelandic New Energy (INE), an der unter anderem Norsk Hydro und DaimlerChrysler beteiligt sind. ECTOS soll bis 2005 laufen, der nächste Schritt könnte eine Flotte von 30 Bussen sein. Nach 2010 sehen die INE-Visionäre erste kommerzielle Wasserstoff-Autos durch Reykjavik rollen, 2050 soll die Umstellung abgeschlossen sein. Dann müssten zur Versorgung des Verkehrs pro Jahr 81000 Tonnen Wasserstoff erzeugt werden, der Strombedarf der Insel stiege um 50 Prozent.

„Sicher ist das alles optimistisch, aber in unserem kleinen Land wäre es durchaus machbar”, meint Sigfusson. Er sieht es als Vorteil an, dass – im Gegensatz zu Mitteleuropa – Island nicht von einem dichten Straßennetz durchzogen ist. Ganze sechs Zapfstellen würden genügen, um die 1500 Kilometer lange Ringstraße rund um die Insel zu versorgen – was Island zum idealen Testfeld für die Wasserstoff-Wirtschaft macht.

 

KOMPAKT

• Im EU-Projekt CUTE werden derzeit in neun europäischen Großstädten, unter anderem in Hamburg, 27 Brennstoffzellen-Busse auf Alltagstauglichkeit getestet. • An Wasserstoff-Tankstellen erzeugen Elektrolyseure das Antriebsgas aus Wasser.

Frank Grotelüschen

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