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Das Glück am fremden Missgeschick

Gesellschaft|Psychologie

Das Glück am fremden Missgeschick
Die Schadenfreude befriedigt auf unfeine Art unseren Gerechtigkeitssinn. Dabei dient sie der gesellschaftlichen Balance. Meist entzündet sich das höhnische Gefühl nur am kleinen Unglück von Mitmenschen.

Wir Menschen sind mit einem unstillbaren Appetit auf das Pech anderer Leute gesegnet: Millionen amüsieren sich diebisch bei Fernsehserien wie „Pleiten, Pech und Pannen“, und bei unseren Ländernachbarn grassiert die Häme, wann immer Deutschland eine Fußballmeisterschaft verliert.

Schonungslos definiert der amerikanische Schriftsteller Ambrose Bierce: „Glück erblüht aus der Betrachtung fremden Elends.“ Und sein Kollege Gore Vidal bestätigt die unfreundliche Weltsicht: „Es genügt nicht, Erfolg zu haben. Die anderen müssen scheitern.“

Sich am fremden Ungemach zu ergötzen, gilt aber zugleich als unanständig. Jetzt tritt die Psychologie zur Ehrenrettung der verpönten Wonne an: Schadenfreude ist Gerechtigkeit! Sie erfüllt eine wichtige psychohygienische Ventilfunktion, die uns mit dem Unbill des Lebens versöhnt.

Schadenfreude ist eine angenehme, meist heitere Gemütsbewegung, die bei der Beobachtung fremden Missgeschicks entsteht. Das Wort ist ein deutscher Exportartikel: Da im Angelsächsischen für diese Empfindung kein Begriff existiert, haben Engländer und Amerikaner den deutschen Terminus übernommen.

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Es sei jedoch vertiefter Unfug, aus diesem Sprachphänomen Rückschlüsse auf die deutsche Seele zu ziehen, mahnt Peter von Matt, Literaturwissenschaftler an der Universität Zürich: „Das Deutsche kann einfach leichter als die anderen Sprachen Wortzusammensetzungen (Komposita) bilden.“

Zu sehen, wie jemand anderes Schaden nimmt, lässt uns nicht automatisch Spaß empfinden. Ein solches Erlebnis kann auch Bestürzung und Mitgefühl auslösen. Es bedarf dreier mildernder Umstände, damit wir uns die höhnische Emotion erlauben, postuliert der Psychologie-Professor Aaron Ben Ze’ev von der University of Haifa in Israel in einer programmatischen Übersicht:

• Es muss so aussehen, als ob der andere sein Unglück verdient hat.

• Der Schaden muss relativ gering sein.

• Uns selbst trifft keine Schuld an dem Missgeschick.

Um den drohenden Vorwurf der Herzlosigkeit zu neutralisieren, muss der Schadenfrohe zunächst die moralisch angemessene Reaktion – das Mitleid – aus dem Wege räumen. Dazu wird im Kopf blitzschnell eine Gerichtsverhandlung inszeniert, die mit einem klaren Schuldspruch endet: „Geschieht ihm recht“ oder „Hat er sich selber eingebrockt“.

Die positive oder negative Anteilnahme hängt damit zusammen, dass wir als Primaten in eine hierarchische Hackordnung eingebunden sind, meint der Psychologe Richard F. Smith von der University of Kentucky. Die soziale Position innerhalb dieser Ordnung entscheidet über die Lebenschancen. Das hat zur Folge, dass wir uns selbst ständig durch den Vergleich mit anderen definieren. Geht es uns so gut wie diesem und jenem, steht der andere vielleicht zu Unrecht besser da?

Beim leisesten Verdacht, dass jemand unverdiente Vorzüge genießt, werden wir von Missgunst und Neid durchfahren. Wir empfinden fröhliche Genugtuung, wenn das Schicksal den Überflieger vom Sockel zerrt – und sei es nur für einen Wimpernschlag. „Es macht Spaß, zu sehen, wie jemand, der gerade noch über uns stand, für einen Moment auf eine niedrigere Position verfrachtet wird“, weiß der amerikanische Psychologe. Das wirkt so, als hätten höhere Mächte das verletzte kosmische Gleichgewicht wieder hergestellt.

Welche Rolle der Neid auf Mitmenschen spielt, die ohne eigenes Verdienst „besser gestellt“ sind, hat Smith mit einem Experiment gezeigt. Er konfrontierte seine Probanden mit Videoaufzeichnungen zweier Studenten, die sich um einen Platz an einer medizinischen Hochschule bewarben. Der eine war ein Sonnyboy aus reichem Hause, der sich damit brüstete, dass die guten Noten ihm ohne Mühe zugeflogen seien. Der andere stammte aus bescheidenen Verhältnissen und hatte hart büffeln müssen, um einigermaßen abzuschneiden. Wie zu erwarten, beneideten die Versuchspersonen nur den Begünstigten um seine Lebenschancen.

Später erfuhren die Teilnehmer, dass beide Anwärter abgewiesen wurden, weil sie im Labor Drogen entwendet hatten. Aber nur das Straucheln des vermeintlichen Snobs führte dazu, dass die Probanden sich ins Fäustchen lachten. „Der Neid“, meint Smith, „ ist ein potenter Motor der Schadenfreude.“

Das bestätigte der australische Psychologe Norman Feather, als er seinen Testpersonen Beispiele von Berühmtheiten vorlegte, die über einen Skandal gestürzt waren. Der Fall erzeugte die größte Häme, wenn der Erfolg des Promis ungerecht erschien. Die Schadenfreude war auch intensiver, wenn der mit unverdientem Glück Gesegnete von besonders großer Fallhöhe taumelte und wenn er auf einem Gebiet triumphiert hatte, das dem Beurteiler am Herzen lag.

Solange die Schadenfreude allein von Neid getrieben wird, entzündet sie sich nur an kleinen Missgeschicken. Den Beweis erbrachten der israelische Psychologe Shlomo Hareli und sein amerikanischer Kollege Bernard Weiner. Sie hatten ihre Versuchspersonen aufgefordert, sich in Szenarios hineinzuversetzen, in denen sie mit einem unerhört begünstigten Kommilitonen um gute Noten konkurrierten. In einer Version verpatzte der Beneidete lediglich eine Prüfung, in der anderen verscherzte er sich gleich das ganze Studium. Ergebnis: Nur die kleine Niederlage bereitete Schadenfreude. In einer weiteren Version des Versuchs wurde das Objekt des Neides als unerträglicher Widerling porträtiert. Ergebnis: Diesmal empfanden die Testpersonen auch beim großen Fall ein Mordsvergnügen.

Wenn die Schadenfreude sich aus Hass, Abscheu und anderen feindseligen Emotionen speist, machen wir uns offenbar auch über schlimme Dinge lustig. So lassen sich nach Meinung der Forscher einige „böse“ Beispiele von Schadenfreude erklären: Palästinenser, die beim Anschlag auf das World Trade Center auf den Straßen jubelten oder die 34 Prozent der Israelis, die bei einer Umfrage Genugtuung über den Tod des syrischen Präsidenten Hafez al Assad bekundeten.

Aber auch in der weniger bösartigen Variante der Schadenfreude kommt es vor, dass wir uns über Patzer und Fehlleistungen von Zeitgenossen mokieren, denen wir gar nicht abgeneigt sind und die keine unverdienten Vorzüge genießen. „Wir alle leben im Bewusstsein einer Fülle von Schwächen, die wir nicht zeigen dürfen“, erklärt der Literaturwissenschaftler von Matt das paradoxe Phänomen. Zugleich nehmen wir den anderen ihre zur Schau gestellte Selbstsicherheit und Gelassenheit ab – und jauchzen vor Vergnügen, wenn der scheinbar Überlegene vom hohen Ross fällt.

„Wenn ein Vierjähriger laut auflacht, weil sein geliebter Großvater auf einer Bananenschale ausrutscht, begeht er keine infantile Grausamkeit“, urteilt der Sprachexperte Wolf Schneider. „Er erlebt die Urlust, die irdischen Größenverhältnisse für eine kurze, kostbare Frist zu den eigenen Gunsten verschoben zu finden: Da ist einer, der größer war als er, plötzlich der Kleinere geworden.“

Alle Klamauk- und Slapstick-Streifen und ganze Heerscharen von Fernsehschaffenden setzen etwa bei „Verstehen Sie Spaß?“ und anderen Chaos-Shows auf das „Erfolgsprinzip Schadenfreude“. Schadenfreude ist „der Teil des Lachens, der am wenigstens sozial akzeptiert ist, gleichzeitig aber der verlässlichste und universellste“, sagt der erfolgreiche Berliner Bühnenkomiker Eckart von Hirschhausen. „Wenn alles andere nicht zieht, zieht die Mitmachnummer, in der ein Zuschauer der Lächerlichkeit preisgegeben wird.“

Schadenfreude als Urmotiv allen Lachens? Die Beweise für diese Hypothese, mit der bereits Sigmund Freud liebäugelte, stehen aus, meint der Düsseldorfer Psychologie-Professor Willibald Ruch. Seine Begründung: Bei Fragebogen-Erhebungen würden die Probanden keine ehrlichen Angaben über ihre Lachmotive machen und sich nicht offen zu ihrer Schadenfreude bekennen.

Ruch, der sich derzeit an der Universität Zürich in einem Forschungsschwerpunkt mit Humor ernsthaft auseinander setzt, konnte aber mit Laborexperimenten zeigen, was mit Menschen passiert, die sich gerade über die Blamage eines anderen amüsieren. Solche Probanden legten plötzlich einen Hang zum Konformismus an den Tag: Sie orientierten sich bei den verschiedensten Themen intensiv an der Mehrheitsmeinung und machten sich verstärkt die Normen ihrer Gruppe zu eigen – das Ausleben der Schadenfreude versöhnt offenbar den Menschen mit dem Leben in der Gemeinschaft.

Was es für die Ausgelachten bedeutet, vor aller Augen durch den Kakao gezogen zu werden, ist wissenschaftlich noch ungeklärt. Die Furcht, zum Opfer von Hohn und Haha zu werden, kann sich jedoch zu einer regelrechten Angststörung auswachsen, einer „ Gelotophobie“. Ruch hat gerade mit einer noch unveröffentlichten Fragebogen-Studie ermittelt, dass rund fünf Prozent der Menschen panische Angst haben, zum Gespött der Allgemeinheit zu werden. Die Gelotophobie trifft beide Geschlechter gleich häufig. Die Betroffenen meiden Geselligkeit und verkrampfen im Beisein anderer.

Die Schadenfreude ist vermutlich der einzige Lachanlass – außer Kitzeln –, der auch bei unseren haarigen Vettern im Tierreich zieht. Wie Moskauer Anthropologen beobachteten, hielt das Schimpansenmännchen Styopa seine Ausscheidung stets hinter dem Rücken versteckt. Wenn sich ihm ein Besucher ahnungslos näherte, wurde er mit der vollen Ladung eingedeckt. „Styopas Gesichtsausdruck dabei war eindeutig der von Schadenfreude: eine Mischung aus Boshaftigkeit, Verschmitztheit, Neugier und Verspieltheit.“ ■

Rolf Degen

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Brigitte Boothe, Wolfgang Marx (Hrsg.)

PANNE – IRRTUM – MISSGESCHICK

Die Psychopathologie des Alltagslebens aus interdisziplinärer Perspektive

Verlag Hans Huber, Bern 2003, € 29,95

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Humorforschung an der Universität Düsseldorf – mit Links und Adressen:

www.uni-duesseldorf.de/WWW/MathNat/Ruch/humor.html

Aktuelle Studie und weiterführende Links:

www.humorforschung.de

Eine Stiftung, die sich dem Humor verschrieben hat:

www.brueckner-kuehner.de

KONTAKT

Mail-Adresse des Schadenfreude-Experten Prof. Willibald Ruch

w.ruch@psychologie.unizh.ch

Ohne Titel

• Das Ergötzen an fremdem Missgeschick dient der Psychohygiene.

• Meist erregt nur das kleine Pech des anderen unseren klammheimlichen Jubel.

• Schadenfreude können anscheinend auch Schimpansen empfinden.

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