Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Wir rangeln um die besten Plätze

Erde|Umwelt

Wir rangeln um die besten Plätze
Das Alfred-Wegener-Institut (AWI) besteht seit 25 Jahren. Direktor Jörn Thiede erklärt die große Bedeutung der Polarforschung – auch für die aktuelle Klimadebatte.

bild der wissenschaft: Früher hießen die Stars der deutschen Polarforschung Erich von Drygalski, Georg von Neumayer, Wilhelm Filchner, Alfred Wegener. Heute gibt es einen einzigen Star, die Polarstern, ein Forschungsschiff. Sind Geräte in der Polarforschung heute wichtiger als Menschen, Herr Professor Thiede?

THIEDE: Wirklich bedeutende Polarforschung haben von diesen Herren nur Georg von Neumayer und Alfred Wegener geleistet. Alfred Wegener war einer der großen Geister in den Geowissenschaften: Bereits zu Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere erregte er Aufsehen, Ansehen genoss er deshalb noch lange nicht – zu umstritten waren seine Hypothesen.

bdw: Es ist also nicht nur seine Theorie der Kontinentalverschiebung, die ihn heute so bedeutend macht?

THIEDE: Wegener war Visionär und hat die Geowissenschaften beflügelt. Auch in der Atmosphärenforschung hinterließ er einen starken Eindruck, ebenso wie bei seinem Forschungseinsatz während Grönland-Expeditionen. Seine Arbeiten waren in gewissem Sinne ebenso revolutionär wie die von Einstein.

Anzeige

bdw: Auf den mir bekannten Fotos blickt er dennoch relativ ernst, um nicht zu sagen finster drein.

THIEDE: Er soll aber ein lebenslustiger Mensch gewesen sein, der kommunikativ war, mit dem man gut diskutieren konnte und der sich schon früh an die Tochter des weltberühmten Klimatologen Wladimir Köppen herangemacht hat, die er dann auch ehelichte. Köppens Wissen prägte den jungen Wegener, was schließlich in ein gemeinsames Lehrbuch über die Klimate der geologischen Vorzeit mündete. Wegener war ein moderner Denker: In seinen ersten Publikationen um 1912, in denen er die Kontinentalverschiebung darlegt, hat er den Prozess des Wachsens des Ozeanbodens – heute heißt das „Sea Floor Spreading“ – genau so beschrieben, wie er nun allgemein akzeptiert ist. Das hatte Wegener sich einfach ausgedacht, konkrete Ergebnisse konnte er damals dazu nicht beitragen. In späteren Publikationen taucht dann dieser Teil der Hypothese nicht mehr auf. Ich kann mir das nur so vorstellen, dass ältere Kollegen gesagt haben: „Komm Junge, lass mal deine Fantasie nicht so offen sprießen.“ Wie lange es gedauert hat, bis sich Wegeners Vision als allgemein gültige Theorie verfestigt hatte, sehen Sie schon daran, dass Wegener zu meiner Zeit als Student immer noch als Außenseiter abgetan wurde.

bdw: Nach dieser eindrucksvollen Exkursion in die Vergangenheit noch einmal zurück zu meiner Ausgangsfrage: Das Alfred-Wegener-Institut ist weithin bekannt, doch die dort Arbeitenden haben außerhalb der Scientific Community keinen Namen.

THIEDE: Das ist so nicht ganz richtig, denn unsere Forscher und Forscherinnen werden immer wieder mit hohen wissenschaftlichen Auszeichnungen und Preisen bedacht und sind deshalb auch über ihre Fachdisziplin hinaus bekannt. Wenn Sie die ganz große Bekanntheit vermissen, hat das mindestens zwei Ursachen. Einmal liegt das daran, dass man in unseren Forschungsfeldern alle großen Aufgaben in Teams angeht, in denen gerade auch viele junge Wissenschaftler einen guten Job machen. Die würden wir demotivieren, wenn wir einige wenige Köpfe am AWI pushen und sie als Stars in die Öffentlichkeit bringen wollten. Weiterhin mangelt es uns an Stars in den Geowissenschaften schon deshalb, weil es hier keinen Nobelpreis gibt.

bdw: Was sind denn für Sie die großen wissenschaftlichen Leistungen des Alfred-Wegener-Instituts?

THIEDE: Wir sind eines der weltweit wenigen Institute, das große Beiträge zum Verständnis der Biodiversität geleistet hat. So bearbeiten wir die extremsten Lebensräume der Erde, zu Land und im Meer. Zweitens sind wir wohl das Institut, das die wichtigsten geophysikalischen Beiträge zur Struktur der Erdkruste im arktischen Ozean und im Südpolarmeer geleistet hat. Beides liegt natürlich daran, dass wir mit der Polarstern ein sehr leistungsfähiges Forschungsschiff haben, mit dem man sich auch im Eis bedeckten Meer fast nach Wunsch bewegen kann. Weiterhin sind wir bahnbrechend in der Erforschung der ozeanographischen Geschichte des Nordpolarmeeres und des Südozeans. Viertens schließlich sind wir bei der Erbohrung und Beprobung von Eiskernen führend in der Welt. Es gibt kein Institut, das über eine bessere Analytik für Spurenstoffe in Eiskernen verfügt. Die kilometerlangen Eiskerne, die die Europäer in der Antarktis erbohren, lagern alle in Bremerhaven.

bdw: Kommen wir zum Beitrag der Polarstern.

THIEDE: Der ist erst dann richtig einzuschätzen, wenn man sich die Entwicklung der Polarforschungsschiffe anschaut. Das erste war die Fram des Fridtjof Nansen. Anschließend haben die Norweger noch die Maud gebaut und Deutschland die Gauß, mit der 1901 die erste deutsche Antarktis-Expedition stattfand. Weil diese Fahrt für keine Schlagzeilen in der Weltpresse sorgte, verweigerte der Kaiser dem Schiff weitere Expeditionen und ließ es verkaufen. Dann war acht Jahrzehnte Pause. Seit 1982 ist die Polarstern unterwegs. 2002 folgte als eigens konstruiertes Polarforschungsschiff die Healy, die für die USA fährt. Bei allen anderen Polarforschungsschiffen handelt es sich um aufgerüstete Eisbrecher, die eben nicht als Forschungsschiff konzipiert wurden und daher beträchtlich weniger leistungsfähig sind. Mit anderen Worten: Die Polarstern ist derzeit eines von weltweit zwei Polarforschungsschiffen. Insgesamt gibt es etwa 1500 Forschungsschiffe, die die Weltmeere erkunden.

bdw: Wie viele Wissenschaftler haben die Polarstern bisher zu ihren Forschungen genutzt?

THIEDE: Das Schiff ist im Schnitt an 320 Tagen eines Jahres im Einsatz, wobei wir die Hälfte der Forschungskapazitäten für die nationale und internationale Wissenschaft außerhalb des AWI zur Verfügung stellen. Insgesamt konnten bisher etwa 7000 Forscher auf der Polarstern arbeiten. Diese Forschungsplattform zu schaffen, war eine wegweisende Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland.

bdw: Die Polarstern kommt in die Jahre. Sie wurde zwar vor einen halben Dutzend Jahren generalüberholt und genügt jetzt wieder modernsten Forschungsansprüchen. Dennoch steht eine weitere Entscheidung von historischer Bedeutung an.

THIEDE: 35 bis 40 Jahre ist so ein Schiff schon leistungsfähig.

bdw: Erste Weichenstellungen für die Zukunft werden aber bereits getroffen.

THIEDE: Wenn man sich die Polarforschung ansieht, fehlen vor allem in den witterungsungünstigen Jahreszeiten Schiffe. Wir glauben daher, die Polarstern noch effektiver nutzen zu können, wenn sie nur in einer Hemisphäre, dann aber übers ganze Jahr hinweg zum Einsatz käme. Selbst bei Windstärke 12 liegt das Schiff top im Wasser, weshalb sich die Polarstern als Ganzjahresforschungsschiff für die raue antarktische See geradezu anbietet. Auf europäischer Ebene gibt es Gespräche, ein eigenes Schiff für die Zentralarktis mit dem Projektnamen „Aurora borealis“ zu bauen.

bdw: Wann könnte die Aurora borealis denn auf ihre erste große Fahrt gehen?

THIEDE: Wenn es gut läuft, gegen 2008/2009. So ein Schiff kostet zwischen 250 bis 350 Millionen Euro. Wenn auf politischer Ebene das „Go“ fällt, dauert es etwa weitere zwei Jahre, um die Kosten in die Haushalte einzuplanen.

bdw: Die Polarforschung scheint ein Günstling der deutschen Politik zu sein. Immerhin wurde der dritte Neubau der Georg-von-Neumayer-Station auf der Antarktis genehmigt. Da geht es doch vor allem um das Prestige, mit dabei zu sein unter jenen Nationen, deren Flagge das gesamte Jahr auf einer bewohnten Station flattert. Haben Sie schon einmal an eine weitgehend roboterisierte Polarforschungseinrichtung gedacht?

THIEDE: Erst einmal besetzt die Georg-von-Neumayer-Station eine Position auf dem antarktischen Schelfeis, die von keiner anderen Station gedoppelt wird. Zweitens werden dort Aufgaben ausgeführt, die gegenwärtig unbemannt nicht erledigt werden können. Sie dient auch als Basis für alle Erkundungsaufgabe im inneren Bereich der Antarktis. So läuft die gesamte Versorgung unserer Sommerstation – der Kohnen-Station – über die Neumayer-Station. Des Weiteren bietet diese Station die technische Infrastruktur, um 20 weitere Observatorien zu betreiben – etwa zur Erdbebenregistrierung oder als Beitrag zur Überwachung der Atomwaffensperrverträge.

bdw: Die Infrastrukturleistung ist gewiss beachtlich, und die Messungen werden ohne Zweifel mit großer Akribie vorgenommen. Doch ist das schon Wissenschaft?

THIEDE: Die Polargebiete verändern sich unter dem Einfluss der globalen Umweltvariabilität schneller und drastischer als andere Teile unserer Erde. Auch tragen sie wesentlich zu diesen Änderungen bei. Hier langfristige, qualitativ gut abgesicherte Daten zu erheben, ist unverzichtbar und stellt eine große wissenschaftliche Herausforderung dar.

bdw: Wie viele Menschen arbeiten gegenwärtig auf der Neumayer-Station?

THIEDE: Im antarktischen Sommer sind es bis zu 50. Überwinterer gibt es derzeit nur noch 9, und sie werden möglicherweise auf 7 reduziert. Weniger ist nicht möglich, da die Gruppe ja auch noch sozial funktionieren muss.

bdw: Wie ist die Polar- und Meeresforschung des AWI international platziert?

THIEDE: Wir rangeln uns mit unseren stärksten Konkurrenten um die besten Plätze, oft um die Führung.

bdw: Ihr Institut tritt in der Klimaforschung eher zurückhaltend auf, wenn es um deutliche Aussagen zu einer bevorstehenden Klimaveränderung geht.

THIEDE: Wir haben das Privileg, mit den Polargebieten solche Teilräume der Erde untersuchen zu können, die sich am drastischsten und schnellsten auf die Änderungen der globalen Umwelt einstellen. Und wir sind im Vorteil, beim AWI unterschiedliche Forschergruppen zu haben, die sich zum einen angewandten Forschungsaufgaben widmen – etwa technischen Entwicklungen –, zum anderen mit der Modellierung beschäftigen und drittens schließlich um alle Facetten der Beobachtungen kümmern. Wenn wir diese Forscher zusammenbringen, relativieren sich die Aussagen der Einzelnen.

bdw: Heißt das, der moderne Wissenschaftler sollte nicht nur der Modellierung vertrauen, sondern auch die Natur selbst beobachten?

THIEDE: Absolut. Um so mehr, als manche rechnergestützte Klimamodelle inzwischen zwei Jahrzehnte auf dem Buckel haben – eine Zeitspanne also, in der sich Klimaveränderungen in der Natur konkret messen lassen. Modellierer und Beobachter müssen engstens zusammenarbeiten.

bdw: Sie kritisieren die teilweise beängstigenden Klimaszenarien der Kollegen anderer Institutionen?

THIEDE: Normalerweise sind es ja nicht die Wissenschaftler, sondern die Journalisten, die zuspitzen.

bdw: Ich kenne eine Reihe von Wissenschaftlern, die den bevorstehenden Klimawandel sehr pointiert und beängstigend vortragen.

THIEDE: Natürlich muss man seine Verantwortung als Wissenschaftler wahrnehmen und die Politiker darauf hinweisen, was passieren könnte. Grundsätzlich bin ich für die Zukunft aber nicht so pessimistisch gestimmt. Ich glaube, dass wir in den nächsten 20 bis 50 Jahren die wesentlichen Prozesse verstehen werden, die die Erde kontrollieren. Damit könnte der Mensch – im guten Sinne – auch die globale Umwelt aktiv managen.

bdw: Sie vertrauen darauf, dass die nicht gewollten Umweltprozesse eines nicht allzu fernen Tages quasi ingenieursmäßig angegangen und schließlich als Problem aus der Welt geschafft werden können?

THIEDE: Das halte ich noch in diesem Jahrhundert zumindest zum Teil für wahrscheinlich.

Prof. Dr. Jörn Thiede

ist seit 1997 Direktor des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) für Polar- und Meeresforschung. Thiede (Jahrgang 1941) promovierte 1971 in Geologie und war von 1977 bis 1987 erst in Oslo, dann in Kiel Professor für Historische Geologie. 1987 wurde er geschäftsführender Direktor des Forschungszentrums für marine Geowissenschaften GEOMAR in Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte sind Meeresablagerungen und arktische Geologie. Das AWI hat insgesamt knapp 800 Mitarbeiter – die Hälfte davon sind Wissenschaftler – und unterhält neben Bremerhaven noch die Forschungsstelle Potsdam, die Biologische Anstalt Helgoland sowie die Wattenmeerstation Sylt.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess ■

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

sol|vie|ren  〈[–vi–] V. t.; hat; Chem.〉 lösen, auflösen [zu lat. solvere … mehr

Seg|ler  〈m. 3〉 1 Segelschiff 2 jmd., der Segelsport betreibt … mehr

Ein|strah|lung  〈f. 20; unz.; Phys.〉 das Einstrahlen, z. B. von Wärme–, Sonnenstrahlung auf einen Körper od. Stoff; →a. Insolation … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige