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Angriff auf Tempel 1

Astronomie|Physik

Angriff auf Tempel 1
Die Raumsonde Deep Impact feuert erstmals eine Rakete auf einen Kometen ab, um dessen Zusammensetzung zu erforschen. Die Mission ist zugleich ein entscheidender Test, ob Abwehrstrategien gegen die Bedrohung aus dem All greifen.

4. Juli: Das Datum ist kein Zufall. Der amerikanische Unabhängigkeitstag feiert die Gründung der „Vereinigten Staaten von Amerika“ durch die aufständischen britischen Ostküsten-Kolonien im Jahr 1776. Zwar steht er heute eher für Picknick, Pathos und patriotische Paraden, aber er symbolisiert noch immer das Streben nach Selbstbestimmung. 2005 kommt zum irdischen ein außerirdisches Spektakel. Die Salut-Schüsse in die Luft werden übertrumpft durch eine Attacke auf einen leibhaftigen Himmelskörper: Erstmals wird ein Komet gezielt beschossen.

Freilich geht es dabei nicht um Show und Glamour. Denn die größte Bedrohung für die Menschheit – schaufelt sie sich nicht selbst ihr Grab – ist der Einschlag von erdnahen Kometen und Planetoiden. Die Brocken aus dem All haben immer wieder blutige Spuren in der Evolution hinterlassen, doch erstmals in der Erdgeschichte kann sich das Leben jetzt wehren: Hinreichende Kenntnis und auch genug Zeit vorausgesetzt, lassen sich die kosmischen Bomben vom Kollisionskurs abbringen. Diese neue Art von Autonomie – eine gewisse Unabhängigkeit von den Gefahren aus dem All – soll Deep Impact auch symbolisieren.

Die eigentliche Mission ist jedoch bescheidener: Die Raumsonde soll herausfinden, wie Kometen aufgebaut sind. Und dazu reichen weder nahe Vorbeiflüge wie bei den Kometen Halley (1986 durch die Raumsonde Giotto), Borrelly (2001 durch Deep Space 1) und Wild 2 (2004 durch Stardust) noch eine Landung, wie sie 2014 von der Sonde Rosetta auf dem Kometen Churyumov-Gerasimenko vorgesehen ist. Stattdessen muss die Oberfläche der eisigen Körper durchschlagen werden, um ihr Inneres freizulegen. Deshalb soll die Raumsonde Deep Impact erstmals in der Geschichte der Weltraumfahrt einen Krater auf einem Kometen schlagen.

Die Idee, die auf den Science-Fiction-Roman „2001 – Odyssee im Weltraum“ von Arthur C. Clarke zurückgeht, wurde von dem amerikanischen Astronomen Michael J. S. Belton forciert. Nach mehreren Studien, darunter der nie realisierten CRAF-Mission (Comet Rendezvous Asteroid Flyby) und einem ersten, abgelehnten Vorschlag im Jahr 1996 (Mission zum toten Kometen Phaeton), wurde Deep Impact 1999 als achte „Discovery Mission“ der amerikanischen Weltraumbehörde NASA beschlossen und begonnen. An dem 313 Millionen Dollar teuren Projekt sind über 250 Personen beteiligt. Realisiert wurde es von der University of Maryland, dem Jet Propulsion Laboratory des California Institute of Technology und der Firma Ball Aerospace & Technologies Corp.

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Am 12. Januar 2005 um 13.47 Uhr Ortszeit schoss eine Boeing Delta II-Rakete die 1020 Kilogramm schwere Sonde von Cape Canaveral, Florida, aus in den Weltraum. Am 4. Juli wird sie sich gegen 6 Uhr Weltzeit dem Kometen 9P/Tempel 1 bis auf 500 Kilometer nähern. Einen Tag vorher wird der 99 Zentimeter lange und 370 Kilogramm schwere „Impactor“ abgetrennt und geht, ausgerüstet mit einem eigenen Navigations- und Kamerasystem, auf Kollisionskurs. Er hat keinen Sprengstoff an Bord, wird aber aufgrund seiner kinetischen Energie – seine Relativgeschwindigkeit beträgt 10,2 Kilometer pro Sekunde – dennoch 19 Gigajoule (die Sprengkraft von 4,5 Tonnen TNT) auf Tempel 1 übertragen. Das ist mehr Energie, als ein durchschnittlicher amerikanischer Haushalt in einem Monat verbraucht.

Die Sonde wird mit ihren beiden Kameras und dem Infrarot-Spektrometer den Aufprall und dessen Folgen aus hoffentlich sicherer Distanz beobachten und die Messdaten über ihre ein Meter große Parabolantenne zur 134 Millionen Kilometer entfernten Erde funken. Videoaufnahmen sind bei einer Datenrate von 300 000 Bits pro Sekunde zwar nicht möglich, und mit höchster Auflösung kann nur ein Bild alle 1,7 Sekunden übertragen werden. Dennoch werden, wenn alles planmäßig verläuft, die entscheidenden 800 Sekunden das Wissen über Kometen enorm erweitern. „Wir erwarten die besten, detailliertesten Bilder eines Kometen, die jemals gewonnen wurden“, sagt Michael A’Hearn von der University of Maryland, der wissenschaftliche Leiter der Mission. Auch Satelliten wie das Hubble-Weltraumteleskop, das Infrarot-Teleskop Spitzer und das Chandra-Röntgenobservatorium sowie einige bodengebundene Teleskope werden Tempel 1 aus der Ferne ins Visier nehmen.

Die Hauptziele der Mission sind:

• Beobachtung der Kraterbildung,

• Messung seiner Tiefe und seines Durchmessers,

• Analyse der Auswürfe bei der Kollision und des Materials im Inneren des Kometen,

• Messung möglicher Aktivitätsänderungen des Kometen, etwa einer erhöhten Freisetzung von Gasen.

Was genau geschehen wird, lässt sich freilich nur abschätzen – wüsste man es, wäre das ganze Unternehmen überflüssig.

Fest steht: Der Impactor und seine Zielregion verdampfen bei dem Aufprall. Eis und Staubtrümmer werden aus der Kometenoberfläche herausgeschlagen. Ein Teil entweicht ins All, der Rest fällt auf die Kometenoberfläche zurück. Eine Schockwelle läuft durch den Kometen. Und durch die zugeführte Energie können allerhand chemische Reaktionen ablaufen, die komplexere Moleküle erzeugen.

Der Impactor wird auf Tempel 1 einen Krater hinterlassen, der – abhängig von der Zusammensetzung des Kometen – so groß wie ein Einfamilienhaus oder ein ganzes Fußballstadion und 2 bis 14 Stockwerke tief ist. Geophysiker unterscheiden drei Etappen der Kraterbildung.

• Das Kompressionsstadium: Es dauert nur 100 Mikrosekunden und läuft zu schnell ab, um von Deep Impact beobachtet zu werden.

• Das Excavationsstadium: Es dauert 300 Sekunden und ist Deep Impacts eigentliches Forschungsziel. Dabei wird geschmolzenes und verdampftes Material aus der Kollisionszone herausgeschleudert. Diese Auswürfe wird Deep Impact mittels Spektroskopie analysieren. Löst sich die aufgewirbelte Wolke aus Gas und Staub auf, ist der Blick auf den frischen Krater möglich.

• Das Modifikationsstadium: Es dauert ebenfalls etwa 300 Sekunden. Dabei rutschen Trümmerteile die Kraterwände hinab, und bei großen Einschlägen bildet sich in der Kratermitte durch eine elastische Reaktion des Bodens ein Zentralberg. Aufgrund der geringen Schwerkraft von Tempel 1 und der geringen Masse des Impactors werden diese Vorgänge aber wohl ausbleiben und können daher von Deep Impact nicht beobachtet werden.

Sicher sind sich die Forscher, dass der Krater ein kreisrundes Loch sein wird. Seine Größe können sie jedoch nicht gut voraussagen. Es gibt drei Möglichkeiten:

• Besteht Tempel 1 aus dem Urstaub, aus dem er sich wie die anderen Körper im Sonnensystem durch Akkretion gebildet hat, dann ist die Schwerkraft die beherrschende Größe. Es kommt zur „ gravitationsdominierten Kraterbildung“: Das Loch könnte bis zu 200 Meter groß und 50 Meter tief sein. Die Auswürfe erfolgen in einem Winkel von 45 bis 50 Grad zur Oberfläche. 75 Prozent der Trümmer würden zurück auf den Kometen prasseln.

• Überwiegt differenziertes Material, spricht man von „ festigkeitsdominierter Kraterbildung“: Dann ist der Krater höchstens 10 Meter groß, die ausgeworfene Trümmerwolke hat einen weiteren Winkel von 60 Grad. Und mehr als die Hälfte von ihr entweicht ins All. Doch die Menge der Auswürfe beträgt nur ein Tausendstel von der der gravitationsdominierten Kraterbildung.

• Ist Tempel 1 dagegen von überwiegend poröser Struktur, zumindest in seinen äußeren Bereichen, erfolgt eine „ kompressionsdominierte Kraterbildung“: Dann wird die meiste Einschlagsenergie absorbiert, es entsteht ein tiefer Krater und wenig Material wird ausgeworfen.

Deep Impacts Bilder und Messungen werden hoffentlich zeigen, welche Art von Kraterbildung stattfand. Die lässt dann Rückschlüsse auf die Zusammensetzung des Kometen und seine Dichte zu und dürfte entscheiden, welches der vielen konkurrierenden Kometen-Modelle für Tempel 1 zutrifft – und möglicherweise auch für viele andere Kometen.

Bleibt die bange Frage nach den Erfolgsaussichten der Mission: „Die Sonde fliegt durch ein gefährliches Gebiet voller Kometenmaterial. Sie muss unbehelligt die Bahnebene von Tempel 1 passieren, wo es viele Meteoriten gibt, die sie zerstören können“ , sagt Alan Delamere, ein Ingenieur der Firma Ball Aerospace & Technologies Corp., die Deep Impact gebaut hat. „Die größte Herausforderung für die Mission ist sicher zu stellen, dass die Raumsonde auf einer stabilen Flugbahn bleibt und den Einschlag des Impactors wirklich beobachten kann. 800 Sekunden – das ist nicht lange, um gute Daten und Bilder zu gewinnen.“

Deep Impact wird, wenn alles planmäßig verläuft, einen tiefen Eindruck hinterlassen – freilich nur bei den Wissenschaftlern und der interessierten Öffentlichkeit. Auf Tempel 1 erzeugt der Impactor jedoch nicht viel mehr als einen Kratzer. Trotzdem ist diese Kollision ein erster Test für eine gezielte Meteoriten-Abwehr. Dazu gehören sowohl die Analyse der Kometen-Zusammensetzung – je nach Festigkeit sind verschiedene Abwehrstrategien unterschiedlich erfolgreich – als auch die Demonstration, dass man einen solchen Himmelskörper überhaupt treffen kann.

Würde Tempel 1 auf die Erde stürzen, hätte dies fast so verheerende Folgen wie der etwa zehn Kilometer große Meteorit, der vor 65 Millionen Jahren auf die heutige Halbinsel Yucatán in Mexiko prallte. Er schlug einen 180 Kilometer großen Krater und löste eine Klimakatastrophe aus, der mehr als zwei Drittel aller damaligen Lebensformen zum Opfer fiel. Solche kosmischen Killer lassen sich jedoch ablenken – wenn die Vorwarnzeit genügend lang ist. Deshalb versuchen Astronomen seit einigen Jahren, die großen Erdbahnkreuzer möglichst vollständig aufzuspüren, ihre Bahnen zu bestimmen und vorauszuberechnen. Noch ist kein Komet auf Kollisionskurs bekannt, aber mit einer Yucatán-Bombe alle 100 Millionen Jahre rechnen die Astronomen durchaus – und kleinere Meteoriten fallen noch viel häufiger vom Himmel.

Freilich hätte die Menschheit mit dem Impactor im Ernstfall keine Chance gegen Tempel 1. „Weil der Komet viel größer und massereicher als der Impactor ist, wird sich die Kollision auf seine Bahn kaum auswirken“, sagt der Astronom und Kometen-Spezialist Donald K. Yeomans vom Jet Propulsion Laboratory. „Der Impactor wird die Geschwindigkeit des Kometen lediglich um 0,0001 Millimeter pro Sekunde verändern. Dadurch wird sich dessen sonnennächster Punkt um 10 Meter und seine Umlaufdauer um weit weniger als eine Sekunde verringern. Verglichen dazu ändert sich der Abstand des sonnennächsten Punkts um etwa 378 Millionen Kilometer, wenn Tempel 1 im Jahr 2024 an Jupiter vorüberzieht.“

Dennoch wären frontale Zusammenstöße mit höherer Geschwindigkeit und Masse eine effektive Verteidigungsstrategie. „ Über zehn Jahre hinweg würde eine Geschwindigkeitsänderung um sieben Millimeter pro Sekunde die Bahnposition von Kometen wie Tempel 1 um einen Erdradius verschieben – ein potenzieller Volltreffer würde die Erde dann also gerade verfehlen“, sagt Yeomans.

Für Tempel 1 wäre der Impactor zu schwach. Aber die Bahn eines kleineren Himmelskörpers – dessen Einschlag oder Explosion in der Erdatmosphäre eine Großstadt wie Berlin binnen Sekunden vollständig auslöschen könnte – hätte er genügend abändern können. „Der Impuls, der für Tempel 1 bestimmt ist, würde ausreichen, um einen Kometen mit 125 Meter Durchmesser innerhalb eines Jahrzehnts um einen Erdradius zu verschieben.“ ■

Rüdiger Vaas

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Kometen und ihre Gefahren:

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bild der wissenschaft 1/2004

Rüdiger Vaas

DER TOD KAM AUS DEM ALL

Franckh-Kosmos, Stuttgart 1995

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Homepage von Deep Impact:

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• Kometen sind Brocken aus Eis, Staub und Steinen, doch ihr innerer Aufbau ist noch völlig unbekannt. Ein künstlicher Krater auf einem von ihnen soll das Geheimnis bald lüften.

• Die NASA-Mission Deep Impact eröffnet den Kampf gegen die Erdbahnkreuzer: Es ist geplant, Kometen auf Kollisionskurs künftig gezielt abzulenken.

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