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Kriminelle Alte

Gesellschaft|Psychologie

Kriminelle Alte
Einige Senioren, die vom Pfad des ruhigen Rentnerdaseins abweichen, machen gern lange Finger und lassen auch schon mal die Fäuste sprechen. Für kriminelle Alte soll jetzt ein Sondergefängnis gebaut werden.

Bewaffnet mit Handgranate, Maschinenpistole, Pistole, Vorschlaghammer und Spaltaxt gingen sie jahrelang auf Beutezug in nordrhein-westfälischen Banken. Mit diesem martialischen Arsenal schüchterte das stets gut maskierte Verbrechertrio von 1988 bis 2004 in 14 Banken Angestellte und Kunden ein und erbeutete insgesamt mehr als eine Million Euro.

Dass die drei Bankräuber so lange unbehelligt ihr Unwesen treiben und ihren Reichtum mehren konnten, haben sie vor allem einem Umstand zu verdanken: ihrem Alter. Erst als die eigens eingerichtete Ermittlungsgruppe sich nicht mehr von Jeans und Turnschuhen blenden ließ und in den Kreis der möglichen Täter auch die über 60-jährigen einschlägig Vorbestraften einbezog, schnappte die Falle zu.

Kurz vor Ausführung eines geplanten Coups im vergangenen November kam die „Ermittlungsgruppe Opa“ der raubenden Rentnergang auf die Schliche und konnte ihr das Handwerk legen. Von „liebenswerten Opas“, so die Kripobeamten, konnte bei den Männern im Alter von 63, 73 und 74 Jahren allerdings nicht die Rede sein.

Lieb gewordene Gewohnheit, Nervenkitzel oder die Begeisterung für die Planung des perfekten Bankraubs – „über die Motive der wohl ältesten deutschen Bankräuber kann bislang nur spekuliert werden“, sagt der Hagener Oberstaatsanwalt Reinhard Rolfes. Finanzielle Not trieb die drei jedenfalls nicht, denn Geldsorgen plagten sie keine: Nach der Festnahme stellten die Ermittler 400 000 Euro Bargeld und ein Bankguthaben von 23 800 Euro sicher.

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Schwere Kriminalität im Alter ist in Deutschland bislang die Ausnahme. Die über 60-Jährigen sind hierzulande im Vergleich mit allen anderen Altersgruppen nach wie vor am wenigsten in strafbare Aktivitäten verwickelt – obwohl keine Bevölkerungsgruppe so stark wächst wie die der Senioren. Laut Statistischem Bundesamt stellte die Generation „60plus“ im Jahr 2003 nur 4,4 Prozent der Verurteilten, bei den 14- bis 21-Jährigen waren es über 17 Prozent. Weil dies so ist, sind die bösen Alten, anders als die schlimmen Jugendlichen, in Deutschland weitgehend wissenschaftliche Wüste.

Aber: Verschiedene Statistiken bezeugen, dass die älteren Herrschaften zunehmend kriminelle Energien entwickeln. So zählte 2003 die „Polizeiliche Kriminalstatistik“ (PKS) 147 000 Tatverdächtige, die das 60. Lebensjahr überschritten hatten. Das bedeutete einen Anstieg um 43 Prozent in 10 Jahren – bei einem gleichzeitigen Wachstum der älteren Bevölkerung um 22 Prozent. 1993 wurden nur 103 000 Senioren einer Tat verdächtigt.

Auch die jüngsten Statistiken verschiedener Landeskriminalämter bestätigen: Alter schützt vor Torheit nicht. Zwischen 1990 und 2003 stieg der Anteil der über 60-Jährigen, die rechtskräftig verurteilt wurden, um fast 39 Prozent. Ältere Herren gerieten dabei deutlich häufiger auf die schiefe Bahn als Damen über 60.

Zwar wird der überwiegende Teil der Senioren auch in Zukunft ehrlich und ehrbar sein, doch die Zahl der kriminellen Alten, so meinen Experten, wird weiter steigen. „Dafür sprechen vor allem zwei Gründe“, sagt Thomas Görgen, promovierter Psychologe am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen:

• Die demografische Entwicklung beschert dem Land immer mehr Alte und immer wenige Junge.

• Der verbesserte Gesundheitszustand gerade der „jungen Alten“ erleichtert kriminelle Handlungen im Alter: „Prügeleien, Betrügereien und Beleidigungen setzen schließlich voraus, dass der Mensch geistig und körperlich fit genug ist, um solche Taten zu begehen.“

Zu den ganz großen Fischen im kriminellen Haifischbecken gehören die Alten jedoch nicht. Schwerverbrechen wie Mord, Vergewaltigung oder bewaffneter Bankraub sind die Ausnahme. An erster Stelle verleitet der Straßenverkehr betagte Bürger zu Straftaten – bis ins höchste Alter, wie der erste Berliner Verkehrstote dieses Jahres belegt. Der 96-jährige Mann war den Beamten wegen seiner unsicheren Fahrweise aufgefallen. Der Aufforderung anzuhalten kam er zwar nach, doch als er seinen Führerschein vorzeigen sollte, gab er Gas und floh, kurz danach raste er gegen einen Brückenpfeiler. Die Fahrerlaubnis hatte er bereits ein Jahr zuvor abgeben müssen, weil er wegen seines fortgeschrittenen Alters nicht mehr für fahrtüchtig gehalten wurde.

Weniger gefährlich für sich und andere sind Diebstahlsdelikte. Fast jeder zweite der älteren Tatverdächtigen macht lange Finger – mit allerdings rückläufiger Tendenz. Im Kommen sind dagegen unter Senioren

• die einfache, aber vorsätzliche Körperverletzung,

• Betrügereien wie Schwarzfahren in Bus und U-Bahn und Kreditkartenmissbrauch,

• Beleidigungen.

Die kriminellen Alten bescheren nicht nur den Gerichten mehr Arbeit, sie belegen auch immer mehr Plätze in den Gefängnissen. 1994 waren lediglich 588 über 60-Jährige inhaftiert, 2003 hatten bereits 1516 Gefangene das 60. Lebensjahr überschritten. Unter ihnen waren sowohl Ersttäter als auch solche wie die drei Bankräuber, die auf eine lange „Karriere“ zurückblicken. Hinzu kommt die Klientel, die wegen langjähriger Haftstrafen hinter Gittern gealtert ist.

Die Bedürfnisse von älteren Gefangenen kommen in den meisten Justizvollzugsanstalten jedoch zu kurz. Resozialisierungskonzepte richten sich in erster Linie an jüngere Straftäter: Sie zielen vorrangig darauf, die jungen Menschen nach der Haft ins Berufsleben zu integrieren, um ihnen eine eigenständige wirtschaftliche Existenz und – im Idealfall – ein Leben ohne Straftaten zu ermöglichen. „Ältere Gefangene stellen ganz andere Herausforderungen an den Strafvollzug“, sagt Psychologe Görgen. „ Die sind nach ihrer Haft oft auf sich allein gestellt und haben nur selten ein intaktes familiäres Umfeld und weniger Optionen als Jüngere, sich privat, vor allem aber beruflich, etwas aufzubauen.“ Sie müssten deshalb während des Freiheitsentzugs auf Beschäftigungen trainiert werden, die ihr Leben ausfüllen können.

Außerdem sind Alte, so Görgen, meist keine gefährlichen Gefangenen mehr. Wichtiger als hohe Mauern mit Stacheldraht gegen Fluchtversuche sei im Seniorenknast eine altengerechte Ausstattung – etwa Rollstuhlrampen und möglichst wenig Treppen. Grundsätzlich müsse gerade bei älteren Straftätern nach Alternativen zur Haft gefragt werden. In Niedersachsen denkt das Justizministerium aktuell über die Einrichtung eines speziellen Seniorengefängnisses nach. Es wäre bundesweit das erste, im baden-württembergischen Singen und im hessischen Schwalmstadt gibt es bislang lediglich gesonderte Abteilungen für alte Ganoven.

Auf Vorzüge solcher Art dürfen die drei rabiaten Bankräuber in Nordrhein-Westfalen nicht hoffen. Ihnen wird gerade der Prozess gemacht, und sie müssen mit langen Haftstrafen rechnen. Womöglich werden sie – als hartnäckige Wiederholungstäter – ihren Lebensabend hinter Gittern verbringen. ■

Kathryn Kortmann

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