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Welt unter Wind und Wellen

Allgemein

Welt unter Wind und Wellen
Vor über 600 Millionen Jahren tobten heftige Stürme über den Globus und warfen gewaltige Brecher an die Küsten. Ihre Spuren im Sand haben sich bis heute erhalten.

Bevor das irdische Leben vor rund 540 Millionen Jahren richtig aufblühte, musste es eine harte Bewährungsprobe bestehen. Mindestens zweimal war die Erde fest im Griff von bitterem Frost. Viele Indizien sprechen dafür, dass im ausgehenden Präkambrium, vor 710 bis 635 Millionen Jahren, bei extremen Eiszeiten Gletscher bis zum Äquator vorrückten und für Jahrmillionen alles Land unter sich begruben. Auch große Teile der Ozeane froren zu. Manche Wissenschaftler sind sogar überzeugt, dass sämtliche Wasserflächen von Eis bedeckt waren: Die Erde war zum Schneeball geworden.

Neue Forschungen belegen, dass auch am Ende dieser Frostperioden auf der Erde ein ausgesprochen raues Klima herrschte: Als die Temperaturen über den Gefrierpunkt kletterten und große Teile der Eisschilde schmolzen, stieg nicht nur der Meeresspiegel rasant und setzte weite Flächen unter Wasser. Jahrtausendelang wüteten auch heftige Stürme, die das Meer aufwühlten und gewaltige Brecher gegen die Küsten schleuderten. Die großen Temperaturunterschiede zwischen den – noch teilweise – eisbedeckten Kontinenten und den offenen tropischen Ozeanen hatten das Wetter aufgemischt. Herausgefunden haben das Philip A. Allen von der ETH Zürich und Paul F. Hoffman von der Harvard University in Cambridge, Massachusetts.

Was die beiden Geowissenschaftler auf die Spur brachte, sind Wellenrippeln, die der Seegang einst in den Sand der Küsten gedrückt hatte. Jeder Strandbesucher kann solche regelmäßigen Muster unter seinen Fußsohlen spüren, wenn er durch das seichte Wasser läuft. Im Lauf der Erdgeschichte wurden einige dieser Spuren unter Sediment begraben, so dass sie versteinerten und Jahrmillionen überdauerten.

Die Relikte, die sich die Wissenschaftler vorgenommen haben, sind rund 635 Millionen Jahre alt, stammen also vom Ende der letzten Super-Eiszeit. Fast auf allen Kontinenten sind sie zu finden: in Brasilien, Australien, Namibia, Kanada und im norwegischen Svalbard. Ungewöhnlich ist ihre Größe: Während die Rippeln heutzutage – von einem Kamm zum nächsten – meist weniger als 20 Zentimeter messen, in Ausnahmen bis zu einem Meter, sind die urzeitlichen Pendants bis zu fünf Meter weit. „Zu keiner anderen Zeit in der Erdgeschichte“, sagt Allen, „haben Wellen so gigantische Marken hinterlassen.“

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Die Ablagerungen sind wie Fingerabdrücke vom einstigen Klima. Allen und sein Kollege haben aus ihnen mit einer Überschlagsrechnung auf den Seegang und den dafür verantwortlichen Wind geschlossen. Sie kamen auf Wellen von mindestens 10 bis 20 Meter Höhe – und zwar als Normalzustand. Wenn sich diese Wasserhügel überlagerten, entstanden Ungetüme von 30, 40 Metern und höher. An den Küsten türmten sie sich zu riesigen Brechern auf. Alle 20 bis 30 Sekunden kam ein solches Monster angerollt und klatschte gegen das Festland. Noch in 400 Meter Tiefe drückte es dem Meeresboden seinen Stempel auf und formte dort die gewaltigen Rippelmarken. Heute reicht die Wirkung der Wellen höchstens 50 Meter hinab.

Allen und Hoffman gingen bei ihrer Berechnung davon aus, dass der Wind ständig und gleichmäßig wehte und genug freie Fläche vorfand (mindestens 1000 Kilometer in jeder Richtung), um das Meer aufzuwühlen. Kurze Stürme, selbst sehr heftige, davon sind sie überzeugt, wären nicht in der Lage gewesen, den Meeresgrund derart zu gestalten. Der Wind, der die turmhohen Wellengiganten schuf, wehte nach den Abschätzungen der beiden Wissenschaftler mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von mindestens 72 Kilometer pro Stunde. Das entspricht Windstärke 8 bis 9, bei der heutzutage jeder vernünftige Segler im Hafen bleibt. Sturm war damals offenbar die Regel.

Ob es auch Unwetter gab, stärker als heute, darüber geben die Versteinerungen keinen Aufschluss. Der Meteorologe Christian-Dietrich Schönwiese glaubt allerdings nicht an präkambrische Super-Orkane. Denn dafür, meint der Professor an der Universität Frankfurt am Main, habe die nötige Wärme gefehlt.

Tropische Wirbelstürme, die heute den Wind bis auf 300 Kilometer pro Stunde beschleunigen und Milliardenschäden anrichten, können nur über handwarmen Wasserflächen entstehen. Er hält es für unwahrscheinlich, dass sich Teile der Ozeane damals schon auf mindestens 27 Grad aufgeheizt hätten. Auch Tornados, die stärksten heute bekannten Stürme mit Windgeschwindigkeiten bis zu 500 Kilometer pro Stunde, brauchen eine warme Unterlage. Sie saugen ihre Kraft aus der Temperaturdifferenz zwischen dem aufgeheizten Boden und der Kälte in großer Höhe.

Nach Ansicht von Schönwiese könnte das Klima dem der heutigen Antarktis geähnelt haben. Dort bildet sich über den ausgedehnten Eismassen ein stabiles Kältehoch und drückt die Luft in Sturmstärke zum Meer. Wochenlang toben im äußersten Süden Fallwinde mit mehr als 100 Kilometer pro Stunde. Doch diese Parallele zu ziehen, schränkt der Meteorologe ein, sei reine Spekulation.

Auf jeden Fall scheint die Küste damals ein ungemütlicher Ort gewesen zu sein: Die hohen Wellen nagten mit großer Kraft an den Kliffs und modellierten die Küstenlinien ständig neu. Wahrscheinlich lagerte das Meer zudem viel Sand ab, den die steife Brise von den bereits eisfreien Landflächen geblasen hatte.

Die stürmische Zeit dauerte, gemessen am erdgeschichtlichen Maßstab, nicht sehr lang. Nach wenigen Zehntausend Jahren hatte sich die Atmosphäre wieder beruhigt. Aus der Zeit danach fehlen fossile Sturmspuren. Möglicherweise hatte die Erde zu einem neuen, stabilen Klima gefunden.

Ob allerdings die Erde vor der stürmischen Zeit komplett oder nur teilweise vereist war, eine unter Wissenschaftlern heiß diskutierte Frage, darüber geben die Sandmuster keine Auskunft. Hoffman ist ein Anhänger der Schneeball-Theorie. Sein Kollege Allen dagegen glaubt, dass am Äquator das Wasser stets offen war. Der Sedimentologe hat ein gutes Argument: Er hat Wellenrippeln aus der Frostperiode gefunden – und die entstehen nur bei Seegang. ■

Klaus Jacob

COMMUNITY LESEN

Wind und Wellen:

Philip A. Allen, Paul F. Hoffman:

Extreme winds and waves in the aftermath of a Neoproterozoic glaciation

nature, Bd. 433, S. 123–127 (2005)

Zur Schneeball-Erde-Hypothese:

Risse im Schneeball

bild der wissenschaft 12/2000

Zweifel am Eisball

bild der wissenschaft 6/2002

INTERNET

Informationen zur Hypothese von der Schneeball-Erde:

www-eps.harvard.edu/people/faculty/hoffman/snowball_paper.html

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