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Titelthema – Einsteins Geniestreich: Krumm ist alle Theorie

Allgemein

Titelthema – Einsteins Geniestreich: Krumm ist alle Theorie
Wie Einstein der Gravitation auf die Schliche kam. Die Allgemeine Relativitätstheorie ist ein Glanzstück in der Geschichte der Physik. Lesen Sie, wie es dazu kam und warum Einsteins Geniestreich nach Meinung heutiger Physiker nicht der Weisheit letzter Schluß ist.

Eine Tasse Kaffee rutscht uns aus der Hand, fällt zu Boden und zerspringt. Beim Abschlag des Torwarts beschreibt der Ball eine gekrümmte Kurve und kommt nach einigen Dutzend Metern im Spielfeld auf. Der Mond rast mit 3700 Kilometern pro Sekunde um die Erde, ohne daß er nach außen geschleudert wird. Warum? Ganz klar: Weil sich zwei Körper aufgrund der Schwerkraft (oder Gravitation) gegenseitig anziehen. Aber wie „funktioniert“ die Gravitation? 200 Jahre lang hatte sich die Theorie des britischen Physikers Isaac Newton gehalten. Newton dachte sich die Gravitation als eine Kraft, mit der sich alle Körper gegenseitig anziehen, so als wären zwischen ihnen unsichtbare Gummibänder gespannt. Seiner Meinung nach überbrückt diese Kraftwirkung ohne Zeitverlust jede noch so große Distanz im Raum. Als Albert Einstein Anfang dieses Jahrhunderts über die Schwerkraft nachdachte, behagte ihm Newtons Theorie nicht. Zum einen widersprach sie seiner neuen Erkenntnis, daß sich keine Information schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten kann. Zum anderen störte es ihn, daß die Gravitation so gänzlich anderer Natur sein sollte als die elektromagnetische Kraft zwischen zwei elektrischen Ladungen. Sie sorgt beispielsweise dafür, daß sich in einem Atom Elektronen und Protonen gegenseitig anziehen. Diese Kraft aber, so hatte der Schotte James Clerk Maxwell gegen Mitte des letzten Jahrhunderts herausgefunden, ist ein Feld, das sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet. Der prinzipielle Unterschied zwischen Newtons Fernwirkungstheorie und Maxwells Feldtheorie war den Physikern ein halbes Jahrhundert lang ein Rätsel geblieben. Der entscheidende Gedanke kam Einstein an einem Tag Ende Oktober/Anfang November des Jahres 1907. „Ich saß auf meinem Stuhl im Patentamt in Bern“, erinnerte er sich später. „Plötzlich hatte ich einen Einfall: Wenn sich eine Person im freien Fall befindet, wird sie ihr eigenes Gewicht nicht spüren. Ich war verblüfft. Dieses einfache Gedankenexperiment machte auf mich einen tiefen Eindruck. Es führte mich zu einer Theorie der Gravitation.“

Warum diese Tatsache so verblüffend ist, läßt sich leichter einsehen, wenn man das Gedankenexperiment etwas abändert: Angenommen, ein Physiker steht in einem geschlossenen Kasten und hält einen Stein in der Hand. Läßt er ihn los und der Stein fällt zu Boden, gibt es dafür zwei Erklärungen: Der Kasten könnte auf der Erdoberfläche stehen, so daß der Stein aufgrund der Schwerkraft fällt. Der Physiker könnte sich aber genausogut in einem Raumschiff befinden und entgegen der Fallrichtung des Steines konstant beschleunigt werden. Der Forscher hat keine Chance, zwischen diesen Möglichkeiten zu unterscheiden, solange er nicht nach draußen schauen kann. Dieses Gedankenspiel offenbarte Einstein eine tiefe Wesensverwandtschaft zwischen einer beschleunigten Bewegung und der Schwerkraft. Es barg den „Schlüssel für ein tieferes Verständnis der Trägheit und Gravitation“. Schon Newton war dies im Grunde bekannt: Die Gravitation verleiht der Materie eine schwere Masse, die sich beispielsweise mit einer Federwaage messen läßt. Andererseits besitzt ein Körper auch eine träge Masse, mit der er sich Beschleunigungen widersetzt. Schwere und träge Masse sind gleich groß, wie Experimente immer wieder bestätigten. Eine physikalische Erklärung hierfür hatten die Physiker vor Einstein indes nicht. Einstein postulierte nun aufgrund seines Gedankenexperiments, daß beide Arten von Masse identisch oder äquivalent sind. Dieses sogenannte Äquivalenzprinzip war der Ausgangspunkt für die Suche nach einer neuen Gravitationstheorie. Einzige weitere Voraussetzung war die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Die hatte Einstein bereits 1905 entdeckt: Die Geschwindigkeit eines Lichtstrahls beträgt stets 299792 Kilometer pro Sekunde, ganz egal mit welcher Geschwindigkeit und in welcher Richtung sich der Beobachter relativ zum Strahl bewegt. Das widerspricht völlig der Alltagserfahrung, ist aber in Experimenten vielfach nachgewiesen worden.

Wieder denken wir uns ein Raumschiff in der Schwerelosigkeit. An einer Wand im Innern befinde sich ein Laser, der einen Lichtstrahl parallel zum Boden zur gegenüberliegenden Wand schickt. Solange das Raumschiff ruht oder sich mit gleichbleibender Geschwindigkeit bewegt, wird der Laserstrahl parallel zum Fußboden verlaufen. Nun wird die Kapsel beschleunigt, so daß der Astronaut an den Fußboden gedrückt wird. Da sich die Kabine zwischen dem Aussenden des Lichts und dem Eintreffen auf der gegenüberliegenden Wand beschleunigt weiterbewegt hat, wird der Laserstrahl etwas tiefer auf die Wand treffen. Der Astronaut stellt fest, daß der Lichtstrahl gekrümmt ist. Die Krümmung ist demnach eine Folge der beschleunigten Bewegung. Nach dem Äquivalenzprinzip sind aber die Wirkung einer Beschleunigung und der Gravitation nicht zu unterscheiden. Also, folgerte Einstein, wird ein Lichtstrahl auch von Materie abgelenkt. Die Vorstellung eines gebogenen Lichtstrahls barg indes ein Problem. Angenommen, der Strahl besitzt eine bestimmte Dicke, dann legt der Teil am Innenrand der Krümmung einen kürzeren Weg zurück als der äußere Teil. Kommt das Licht gleichzeitig beim Beobachter an, so muß es auf der Innenbahn langsamer gelaufen sein als auf der Außenbahn. Dies widerspricht aber dem Postulat, wonach die Lichtgeschwindigkeit stets gleich groß ist. Kurioser wird es noch, wenn man sich vorstellt, der Lichtstrahl sei zu einem Kreis gebogen. Dann besäße der Innenrand des Kreises einen geringeren Umfang als der Außenrand. Der Lichtstrahl muß also innen wieder langsamer laufen als außen. Wenn man weiter steif und fest behauptet, die Lichtgeschwindigkeit bliebe auch in diesem Fall konstant, so hieße das, der Umfang müßte innen genauso groß sein wie außen. Das erscheint ausgeschlossen, denn schließlich errechnet sich der Umfang eines Kreises mit dem Radius R aus 2¼R.

Der Zufall wollte es, daß sich Einsteins einstiger Studienkollege Marcel Grossmann, inzwischen Professor an der ETH Zürich, mit Geometrie beschäftigte. Ihm schrieb Einstein: „Grossmann, du mußt mir helfen, sonst werd‘ ich verrückt. Bitte gehe in die Bibliothek und schau, ob es eine Lösung (für das Radius-Umfang-Problem) gibt.“ Grossmann wußte eine Lösung. Es gab Geometrien, in denen der Umfang eines Kreises größer oder kleiner als 2¼R ist. In zwei Dimensionen sind dies beispielsweise die Oberflächen von Kugeln – oder auch Sombrero-Hüte. Steht man in einem Gebirgstal und markiert alle Punkte, die gleich weit entfernt sind, so ist die Verbindungslinie der Punkte länger als 2¼R. Eine Reihe der brillantesten Mathematiker hatte sich ein halbes Jahrhundert zuvor mit solchen „verbogenen“, nicht-euklidischen Geometrien beschäftigt. Sie waren die Lösung für Einsteins Problem: Nicht der Lichtstrahl krümmt sich im Raum, sondern der Raum ist gekrümmt, und der Lichtstrahl folgt dieser Biegung. Es mußten noch einige Jahre vergehen, bevor Einstein nach mehreren Fehlversuchen Ende 1915 seine neue Theorie der Gravitation, die Allgemeine Relativitätstheorie, präsentieren konnte. Jetzt gab es keine Schwerkraft mehr. Die Gravitation war ein Feld. Jede Materieansammlung, vom Atom bis zum Stern, krümmt den Raum um sich herum, wobei die Stärke der Krümmung mit der Masse des Körpers zunimmt und mit wachsender Entfernung von ihm abnimmt. Der Raum ist damit ein dynamisches Gebilde, das sich ständig um die sich bewegenden Himmelskörper herum verbiegt. Man kann sich dies an einem straff gespannten Gummituch veranschaulichen: Läßt man eine Eisenkugel darin herumlaufen, so erzeugt sie um sich herum eine Mulde, die sich mit der Kugel bewegt. Die Mulde entspricht der Raumkrümmung. Es genügt jedoch nicht, nur den Raum zu betrachten, die Zeit gehört als vierte Dimension dazu. Wie Einstein auch allein mit dem Äquivalenzprinzip zeigen konnte, vergeht die Zeit in der Nähe eines Planeten, also dort, wo der Raum gekrümmt ist, langsamer als fernab von ihm, wo der Raum nahezu flach ist. Raumkrümmung und Zeitdehnung sind also untrennbar miteinander verwoben, weswegen in der Allgemeinen Relativitätstheorie alle physikalischen Abläufe in einer vierdimensionalen Raum-Zeit betrachtet werden: Die Gravitation ist die gekrümmte Raum-Zeit. Die Materie bestimmt, wie sich die Raum-Zeit zu krümmen hat, und die Krümmung bestimmt, wie sich ein Körper in der Raum-Zeit zu bewegen hat. Am Beispiel des Gummituches lassen sich alle Gravitationsphänomene erklären: Die Erde dellt das Tuch ein, liegt also am Grund einer Raum-Zeit-Mulde. Fällt ein Stein zur Erde, so bewegt er sich im Gummituch-Modell am Hang der Mulde nach unten. Eine Flanke im Fußball bedeutet, daß der Ball an der Wand der Mulde geringfügig hochrutscht und dann zurückrollt. Der Mond umkreist den Rand der Mulde gerade so schnell, daß er weder nach unten fällt, noch über den oberen Rand hinausdriftet – ähnlich wie die Kugel beim Roulette. Albert Einsteins größter Wunsch war damit in Erfüllung gegangen: Die Schwerkraft ließ sich auf dieselbe Weise als Feld betrachten wie die elektromagnetische Kraft, und beide Felder breiteten sich mit Lichtgeschwindigkeit im Raum aus. Bereits zehn Jahre nach Einsteins Triumph setzte in der Physik eine Entwicklung ein, die diese schöne Harmonie der Grundkräfte zerstörte und eine Unvereinbarkeit offenbarte, die Theoretiker bis heute zur Verzweiflung bringt. Gemeint ist die Quantentheorie, die zweite tragende Beschreibung der Natur neben der Allgemeinen Relativitätstheorie. Experimente hatten schon zu Beginn dieses Jahrhunderts gezeigt, daß kleinste Teilchen, zum Beispiel Elektronen, sich manchmal wie Wellen verhalten. Umgekehrt verhalten sich Lichtwellen in manchen Situationen wie winzige Teilchen. Dies führte dazu, daß man Elementarteilchen heute nicht einfach als unteilbare Partikel ansieht, sondern als Wellenpakete, sogenannte Quanten. So wird das elektromagnetische Kraftfeld zwischen Elektronen und Protonen damit erklärt, daß diese untereinander Teilchen, virtuelle Photonen, austauschen. Damit war Maxwells Vorstellung eines Wellenfeldes durch Quanten ersetzt. Gequantelt ist auch die Energie, die beispielsweise ein Elektron im Atom aufnehmen kann. Verschluckt das Teilchen ein Energiepaket, so nimmt es einen anderen Zustand ein – im alten, anschaulichen Bohrschen Atommodell mit festgelegten Umlaufbahnen um den Kern hüpft es auf eine höhere Umlaufbahn. Entscheidend ist, daß es sich nur Energiehäppchen bestimmter Größe einverleiben kann, also auch nur auf ganz bestimmte Bahnen springen kann. Die Energiewerte in einem Atom bilden kein durchgängiges Kontinuum, sondern eine Art Stufenleiter. Dasselbe gilt für viele andere atomare Größen, wie den Drehimpuls oder den Spin. Die Natur macht im Kleinen Sprünge. Diese Vorstellung mag befremden. Die Quantentheorie ist aber heute nicht nur die bislang genaueste Theorie, die jemals aufgestellt worden ist. Mit ihr gelang es überdies vor 20 Jahren, zwei der vier bekannten Naturkräfte zu vereinen: Maxwells Theorie der elektromagnetischen Kraft und die schwache Kraft, die im Innern der Atomkerne wirkt. Derzeit arbeiten die Theoretiker daran, auch die andere Kernkraft, die starke Kraft, mit einzubeziehen.

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Ob dies gelingt und wie diese Vereinheitlichungstheorie dann aussieht, wird auch davon abhängen, ob man am Teilchenlabor CERN in Genf oder am Fermilab in Chicago das sogenannte Higgs-Teilchen entdecken wird. Es gilt als jenes Feld oder Teilchen, das allen anderen Teilchen ihre Masse verleiht. Einsteins Gravitationstheorie sträubt sich gegen die Vereinigung mit den drei anderen Theorien zur allumfassenden Quantengravitation. Die Schwerkraft nimmt einen Sonderstatus ein. So wirken die anderen Kräfte in Raum und Zeit, sie funktionieren sozusagen auf dem festen Gewebe des Raum-Zeit-Kontinuums. Die Gravitation aber ist die Raum-Zeit selbst. Nun könnte man meinen, daß gerade diese Verquickung den Ansatz für eine vereinheitlichte Theorie bilden könnte. Alle Versuche aber, das Kontinuum der Raum-Zeit auf ähnliche Weise zu „zerhacken“ wie die Felder in der Quantentheorie, sind bislang gescheitert. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß man als Überträger der Schwerkraft analog zur Quantenmechanik ein Teilchen, das Graviton, einführte.

Warum aber ist es überhaupt nötig, die Gravitation mit der Quantentheorie zu vereinen? Weil es ohne diese „feurige Hochzeit“, wie es der amerikanische Theoretiker John Archibald Wheeler einmal ausdrückte, nicht möglich ist, den Ursprung des Universums zu ergründen. Nach der klassischen Theorie war im Urknall alle Materie in einem Punkt mit unendlich hoher Dichte vereint. Hier versagt die Allgemeine Relativitätstheorie, denn eine unendlich hohe Dichte ist unphysikalisch. Es ist die einhellige Meinung der Experten, daß in einem ganz frühen Entwicklungsstadium des Weltalls Gravitation und Quantenkräfte eine Urkraft mit unbekannten Eigenschaften bildeten. Auch wenn die Theorie der Quantengravitation noch in weiter Ferne liegt, können die Forscher bereits sehr genau sagen, wann diese Mutter aller Kräfte herrschte: In den ersten 10-43 Sekunden. In dieser sogenannten Planck-Ära bildeten Zeit und Raum zusammen mit brodelnden Energiefeldern eine Einheit. Als die Temperatur auf 1032 Grad abgesunken war, machte sich die Gravitation selbständig und spannte das Netz der Raum-Zeit auf, auf dem die übrigen Naturkräfte fortan agieren konnten. Wahrscheinlich wird man die eine zukünftige Theorie der Quantengravitation nie direkt experimentell prüfen können. Ein Teilchenbeschleuniger, mit dem man die Verhältnisse nachvollziehen wollte, würde von der Erde bis zum Zentrum der Milchstraße reichen.

Infos im Internet Newtons Gravitationstheorie: http://csep10.phys.utk.edu/astr161/lect/history/newtongrav.html MPI für Gravitationsphysik: http://www.aei-potsdam.mpg.de

Thomas Bührke

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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Epi|gas|tri|um  auch:  Epi|gast|ri|um  〈n.; –s, –tri|en; Anat.〉 Magengrube … mehr

Kampf|schwim|mer  〈m. 3; Mil.〉 Einzelkämpfer der Marine, der mit Sauerstoffgerät, Schwimmflossen usw. ausgerüstet unter Wasser an feindliche Ziele heranschwimmt, um diese zu erkunden od. zu zerstören

Schä|del|dach  〈n. 12u; Anat.〉 = Schädeldecke

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