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Heißer Hauch

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Heißer Hauch
Geysire, kochende Quellen, brodelnder Schlamm – phantastische Jagdgründe für Urbakterien. Vulkangebiete sind das Eldorado für wärmeliebende Bakterien. Bei der abenteuerlichen Suche nach ihnen scheut der Regensburger Mikrobiologe Karl Otto Stetter keine Strapazen.

Vulkangebiete mit ihren heißen Quellen, brodelnden Schlammtöpfen und stinkenden Schwefelmatten – das sind die Jagdgründe von Karl Otto Stetter. Der Regensburger Mikrobiologe sucht dort nach Archaeen, „den Extremisten unter den Bakterien“. Sie ernähren sich von den ätzenden vulkanischen Gasen, und können sogar bei über 100 Grad Celsius noch existieren. „Diese Organismen überleben die Hitze nicht nur“, sagt Stetter, „die fühlen sich dabei auch noch pudelwohl.“ Daß Leben auch bei Siedetemperaturen möglich ist, haben Wissenschaftler erst Mitte der siebziger Jahre in den heißen Quellen des amerikanischen Yellowstone Nationalpark entdeckt. Seither ist Stetter den Archaeen weltweit auf der Spur. Die ersten holte er aus dem von heißen Gasen durchströmten Meerwasser vor der Küste der italienischen Insel Vulcano. Andere Urtiere schöpfte er aus den Schwefelquellen Islands. Der Wissenschaftler scheut bei seiner Arbeit keine Strapazen. Auf White Island, einer Vulkaninsel vor der neuseeländischen Küste, ließ er sich von einem Hubschrauber für ein paar Minuten am Rand des dampfenden Kraters absetzen, um Proben aus einem kochenden Schlammloch zu nehmen. „Dem Piloten war nicht ganz wohl dabei“, erinnert sich Stetter, „wir brauchten Gasmasken, um uns vor den ätzenden Dämpfen zu schützen.“ Auf der russischen Halbinsel Kamtschatka im Nordosten Sibiriens schleppte er sich zusammen mit einigen Kollegen zehn Stunden durch unwegsame Sümpfe, um am Fuß der Vulkane dort an seine Studienobjekte heranzukommen. Und schon mehrmals hat er sich mit einem Tiefseetauchboot zu den „Schwarzen Rauchern“, den heißen Quellen auf dem Grund der Ozeane aufgemacht.

Bis heute wurden 58 Arten von Archaeen bestimmt, 38 davon an Stetters Lehrstuhl in Regensburg. Die Namen der einzelnen Arten sind vielsagend: Pyrococcus furiosus, der rasende Feuerball, ist ein besonders bewegliches Exemplar. Acidianus infernus, der „höllisch-saure Janus“, produziert entweder ätzende Schwefelsäure oder stinkenden Schwefelwasserstoff – je nachdem, ob er in einer Umgebung mit oder ohne Sauerstoff lebt. Über Ferroglobus placidus, die „friedliche Eisenkugel“, sagt Stetter: „Sie betreibt sozusagen aktiv Abrüstung, indem sie Nitrat verarbeitet, den Grundstoff von Schießpulver, und zweiwertiges Eisen in dreiwertiges umsetzt, also in Rost.“ Das Überleben bei hohen Temperaturen und das Talent, für die Umwelt giftige Stoffe durch Umwandeln „entschärfen“ zu können, macht die Bakterien interessant für die Industrie. Zum Beispiel: Archaeoglobus veneficus, der „Giftmischer“ – ursprünglich in den Vulkangebieten Islands zu Hause; ideale Lebenstemperatur: 70 Grad Celsius; Lieblingsspeise: Schwefelsäure – half bei einem Großversuch im niederländischen Kohlekraftwerk Geertruidenberg bei der Rauchgasentschwefelung. Archaeoglobus vermag die etwa 70 Grad Celsius heiße Schwefelbrühe so umzusetzen, daß daraus in einem weiteren Arbeitsgang hochreiner, wiederverwendbarer Schwefel entsteht. Das Verfahren ist bereits patentiert. In Stetters Archaeen-Zentrum stehen noch andere mikrobielle Hitzeexperten für den Einsatz in der Industrie abrufbereit. Einer davon ist Metallosphera sedula, der „fleißige Metallball“. Er frißt beim heißen Laugen von sulfidischen Erzen den Schwefel weg und kann so helfen, wertvolles Zink, Kupfer oder Gold auch aus Gestein mit geringem Erzanteil wirtschaftlich lohnend zu gewinnen. Doch dem Regensburger geht es nicht nur um praktische Anwendungen: „Noch aufregender ist herauszufinden, wie die Evolution des ganz frühen Lebens verlief und welche Rolle dabei die Archaeen gespielt haben.“ Durch Untersuchungen des Erbguts konnten Mikrobiologen 1990 nachweisen, daß die Archaeen zusammen mit den normalen Bakterien und den Zellen der höheren Lebewesen am untersten Ende vom Stammbaum des Lebens stehen. Ihre Ahnenreihe reicht vermutlich zurück bis zu den Anfängen des Planeten Erde vor etwa vier Milliarden Jahren, als sich gerade eine dünne Kruste über das geschmolzene Gestein gelegt hatte und der heiße Dampf aus den urzeitlichen Vulkanen kondensierte, um allmählich die Ozeane zu füllen. In dieser „Ursuppe“ haben sich die Ahnen der heutigen Archaeen entwickelt.

Ein Rest der urzeitlichen Lebensbedingungen – die hohen Temperaturen und die ätzenden Gase – ist in den heutigen Hydrothermalgebieten der Erde erhalten geblieben. „Das sind die ökologischen Nischen, in denen die urzeitlichen Bakterien überlebten“, sagt Stetter. Als er sich zusammen mit anderen Mikrobiologen an die Arbeit machte, die Verwandtschaftsbeziehungen der Urmikroben zu klären, stieß er auf eine Sensation: Es gibt Archaeen-Arten, die dem Menschen in manchen Eigenschaften näher stehen als den normalen Bakterien. „Bei Archaeoglobus etwa zeigen mehr als 90 Prozent der Informationsverarbeitungs-Gene Homologien zu Genen höherer Lebewesen, einschließlich des Menschen“, sagt der Wissenschaftler, „aber nur 20 Prozent Homologien zu den normalen Bakterien.“ Die Informationsverarbeitungs-Gene bewerkstelligen zum Beispiel die Eiweißsynthese. Für seine Untersuchungen muß Stetter die Winzlinge erst einmal lebend aus den heißen Quellen ins Tausende Kilometer entfernte Regensburger Labor verfrachten. „Obwohl wir die ersten Probenflaschen heiß transportierten, kamen die Kerle mausetot an“, erinnert er sich. „Sie waren verhungert, weil sie von den vulkanischen Gasen, also von ihrer Nährstoffzufuhr abgeschnitten waren.“ Seither werden die Bakterien bei Temperaturen verschickt, die der Mensch als normal empfindet. Stetter: „Dabei fallen sie in eine Art Kältestarre. Auch Sauerstoff dürfen die meisten nicht bekommen, für sie reines Gift.“ In Stetters „Hexenküche“ werden sie wieder aufgeheizt und so erneut zum Leben erweckt – vorausgesetzt, der Mikrobiologe findet rasch das richtige Nährmedium. Auf seiner „Menüliste“ stehen Meer- und Mineralwasser, Schwefel, Nitrat, Kohlendioxid, Wasserstoff, Hefe- und Fleischextrakt sowie Zucker. Mit Hilfe einer Laserpinzette werden aus den Proben einzelne Archaeen, die nur wenige Tausendstel Millimeter groß sind, für die Zucht in Reinkulturen isoliert. Eine Vielzahl davon lassen die Wissenschaftler des Archaeenzentrums dann in einem der acht Druckkessel aus sehr widerstandsfähigem emailliertem Stahl oder Titan heranwachsen. Denn „die Bakterien zersetzen alles, was sie kriegen können“, sagt Stetter. In einem Liter gut gewachsener Kultur sind ein Gramm Zellmasse enthalten – entsprechend etwa tausend Milliarden Einzelzellen. Das ist Stetters Grundstoff für seine bakterielle Verwandtensuche. Vielleicht bietet sich dem Regensburger Mikrobiologen bald die Chance, auch eine Gesteinsprobe vom Mars nach Bakterien zu durchforsten. Denn Stetter wurde kürzlich vom Astrobiologischen Institut der amerikanischen Weltraumbehörde NASA aufgenommen, das heißt er gehört jetzt zum erlesenen Kreis von Wissenschaftlern, die Zugang zu exklusiven Daten und Material erhalten. Und wer weiß – vielleicht birgt das Marsgestein tatsächlich ehemals hitzige Archaeen, wie der Forscher hofft.

Angelika Jung-Hüttl / Karl Otto Stetter / Bernhard Edmaier

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