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Schlechte Menschen und gute Forschung

Allgemein

Schlechte Menschen und gute Forschung

Zugegeben, ich bin nur mäßig historisch gebildet. Dennoch lese ich gern über Geschichte, da ich weiß, daß man nichts um uns herum ohne seine Geschichte verstehen kann – nicht das Weltall, nicht unsere Gesellschaft, nicht die Wissenschaft und keinen unserer Mitmenschen. Was man aus der Geschichte liest, läßt immer wieder auch erschrecken: Welch unmenschliche Ausmaße Verblendung erreichen kann. Und doch gibt es Beispiele, wo die gleiche Verblendung auf den richtigen Weg führt. Das zwingt zu besonders intensivem Nachdenken. Der amerikanische Historiker Robert N. Proctor etwa hat herausgefunden, daß die Gesundheitsschäden des Rauchens zuerst von den Medizinern der Nationalsozialisten erkannt wurden. In seinem jüngst erschienenen Buch “The Nazi War on Cancer” beschreibt er, daß es linientreue Deutsche waren, die in den dreißiger Jahren das Rauchen als Ursache für Lungenkrebs ermittelten – lange vor ihren Kollegen in den USA.

Heute wissen wir, daß die Tabakforscher damals richtig lagen. Zugleich widerspricht diese Erkenntnis allem, was wir bisher über die Forschung im Dritten Reich gedacht haben: Ideologische Forschung ist schlechte Forschung. Der Kampf gegen Einsteins Relativitätstheorie, Rassenhygiene und Euthanasie dienen als Beleg. Kann es sein, daß schlechte Menschen gute Forschung betrieben haben? Kann es überhaupt gute Forschung geben ohne einen Funken von Moral und Respekt vor den Werten der Menschlichkeit? Plötzlich sind wir mitten in der Gegenwart. Schlechte Menschen sind nicht nur Verbrecher, die massenweise Menschen umbringen lassen. Die Methoden sind heute feiner, die Ziele der Unmoralischen haben sich verschoben. Statt Rassenhygiene ist heute Eigennutz ihr Ziel, statt Giftspritze nutzen sie Tarnfirmen, verschweigen geistige Urheber oder manipulieren Patentrechte. Noch einen zweiten Bezug zur Gegenwart findet der amerikanische Historiker. Doch zuvor ist ein persönliches Bekenntnis nötig, um nicht in die falsche Ecke gedrängt zu werden: Ich bin überzeugter Nichtraucher (die letzte Zigarette liegt wohl 20 Jahre zurück), setze mich zugleich für ein tolerantes Zusammenleben aller Menschen ein – auch wenn ich verqualmte Restaurants oder Züge hasse. Der Geschichtsforscher Proctor sieht Parallelen zwischen den Anti-Tabak-Kampagnen der Nazis und der Anti-Raucher-Praxis in Amerika. Tatsächlich mag man faschistoide Züge erkennen, wenn man erlebt, wie in den USA bestens klimatisierte Gebäude zu Nichtraucherzonen erklärt werden, wie ganze Veranstaltungskomplexe für Zigaretten Off-Limits sind, und wie überall erwachsene Raucher – wie wir einst in den Ecken des Schulhofs – im Freien bei Regen und Schnee eine Lulle paffen müssen, weil sie es sonst nirgendwo mehr dürfen. In Deutschland befinden wir uns erst auf dem Weg dahin. Da mahnen die Erkenntnisse des Historikers zur Vorsicht. Können schlimme Menschen gute Forschung machen? Selbst wer diese Frage verneint, wird sich vor dem Umkehrschluß hüten: Nur gute Menschen machen gute Forschung. Oder gar: Wer schlecht forscht, ist kein guter Mensch. Damit sind wir aber wirklich bei den Zusammenhängen von Moral und Wissenschaft. Wenn es die nicht gibt, dann müssen wir uns fragen, warum wir Forschern so viel abnehmen, ohne es selbst zu prüfen, ja auch nur prüfen zu können.

Reiner Korbmann

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