Voltaire erlaubte Intoleranz nur in einer einzigen Form: wenn sie sich gegen intolerante Menschen richtet. Trotz solch aufklärerischer Einsichten scheint die extremste Form von Intoleranz, der Rassismus, unauslöschbar. Mit ebenso unverständlicher Hartnäckigkeit hält sich das angeblich wissenschaftliche Argument von einer bereits in den Erbanlagen fixierten, „naturgegebenen“ Überlegenheit einer Rasse über die andere.
Luigi Luca Cavalli-Sforza, einer der renommiertesten Humangenetiker unserer Zeit, räumt mit diesem Gedankengut gleich im ersten Kapitel seines neuen Buches gründlich auf. Wer nach genetischen Unterschieden bei den Menschen sucht, wird sie finden. Was er außerdem finden wird, ist, daß wir trotz dieser Unterschiede alle gleich sind. Mit seiner ganzen wissenschaftlichen Kompetenz wendet sich der Humangenetiker gegen jede Form von Diskriminierung: Die Diskussion um Rassen hält er schlichtweg für unsinnig. Welchen Nutzen könnte es haben, die Erdbevölkerung nach Millionen von Rassen zu klassifizieren?
Cavalli-Sforza geht es vor allem um die Evolution der Menschen. Auf der Suche nach den biologischen Wurzeln unserer Zivilisation verläßt er oft die Hauptstraßen der Forschung und sucht auf vermeintlich abseitigen Nebenstraßen nach bislang verborgenen Hinweisen. Eine seiner wichtigsten Nebenstraßen ist die Linguistik, da zwischen der Evolution der Gene und der Evolution der Sprache bedeutsame Ähnlichkeiten bestehen. Derzeit werden auf der Welt etwa 5000 verschiedene Sprachen gesprochen. Auch Nicht-Linguisten fällt auf, daß bestimmte Sprachen eng miteinander verwandt sind, beispielsweise die französische mit der italienischen und spanischen Sprache. Der Grund für diese Ähnlichkeit ist die gemeinsame Quelle: das Lateinische.
Verwandtschaftliche Beziehungen verbinden auch die Sprachen germanischen Ursprungs: deutsch, holländisch, flämisch und englisch. Je mehr sich die Populationen in der Vergangenheit voneinander isolierten, desto größer wurden nicht nur ihre genetischen, sondern auch ihre sprachlichen Differenzen. Grundsätzlich müssen sich der sprachliche und der genetische Stammbaum also entsprechen. Cavalli-Sforza schildert die Zusammenhänge und den Forschungsstand verständlich, detailliert und spannend.
Für die Zukunft der Menschheit hat der Humangenetiker eine überraschend hoffnungsvolle Botschaft: Aufgrund der Migration, die zu einer ständigen und komplexen Vermischung von Bevölkerungsgruppen führt, werden die Unterschiede zwischen den Gruppen immer kleiner, ohne daß sich dabei die Variation zwischen den Individuen ändert. Und das hat den Vorteil, daß es immer weniger Vorwände für Rassismus gibt.
Luigi Luca Cavalli-Sforza GENE, VÖLKER UND SPRACHEN Die biologischen Grundlagen unserer Zivilisation Carl Hanser Verlag München/Wien 1999 251 S. , DM 45,-
Claudia Eberhard-Metzger / Luigi Luca Cavalli-Sforza