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Die Alternative

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Die Alternative
Die Forschung mit Embryonalen Stammzellen ist umstritten. Adulte Stammzellen, die aus dem Patienten stammen, bieten sich als ethisch unbedenkliche Alternative an. Doch was können sie leisten? Wie weit ist die Forschung?

Susan Bonner-Weir ist zuversichtlich. „Ja, unsere ,Inselknöspchen‘ in der Laborschale produzierten bereits etwa die Mengen an Insulin wie entsprechende Zellen bei Erwachsenen“, freut sich die Forscherin vom Joslin Diabetes Center in Boston, USA. Vergangenes Jahr gelang es ihrem Team erstmals, aus Bauchspeicheldrüsen sogenannte Adulte Stammzellen zu gewinnen und im Labor zur Produktion von Insulin anzuregen. Ihr Ziel: Diabetikern Ersatz für ihr nicht mehr funktionstüchtiges Gewebe der Bauchspeicheldrüse zu bieten. „Noch sind unsere Zellen sehr unreif“, schränkt Bonner-Weir ein. „Für einen klinischen Einsatz können wir derzeit nicht genügend von ihnen herstellen.“ Doch gelte das zur Zeit für alle derartigen Versuche mit Stammzellen, auch für die mit Embryonalen Stammzellen (ES-Zellen).

Seit ein Team um den US-Amerikaner James A. Thomson und den Israeli Joseph Itskovitz-Eldor Ende 1998 erstmals Stammzellen aus frühen menschlichen Embryonen gewonnen und vermehrt hat, haben die ES-Zellen in der öffentlichen Debatte die Nase vorn. Sie sollen dereinst Gewebe aller Art für die Heilung von Krankheiten liefern, für die es bislang keine Heilung gibt – etwa Parkinson, Multiple Sklerose oder Diabetes. Seit ihrem Kurswechsel vom Mai 2001 setzt auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) auf diese Quelle. Dabei lehnte DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker noch vor kurzem die Forschung mit menschlichen ES-Zellen ab, und wollte sie nur dann öffentlich diskutieren – nicht fordern – falls sich Adulte Stammzellen, die sich im Körper eines jeden Menschen als natürliches Reservoir finden, nicht für eine Herstellung von Gewebe oder Organen als tauglich erweisen (siehe „ Doppelmoral an allen Ecken und Enden“ in bdw 11/00).

Die DFG machte eine Kurskorrektur, obwohl in den letzten Jahren die Zahl spektakulärer Forschungsergebnisse über die Fähigkeiten Adulter Stammzellen lawinenartig angeschwollen ist. Rund 20 Haupttypen an Adulten Stammzellen werden im ausgewachsenen menschlichen Körper vermutet. Und zumindest einige Vertreter davon sind ähnlich vielfältig wie ES-Zellen, können möglicherweise, entsprechend im Labor präpariert, als Ersatz von Nerven-, Herzmuskel- oder Inselzellen dienen.

„Wir haben mit den Adulten Stammzellen ein sehr erfolgversprechendes Forschungsgebiet“, meint Dr. Hans-Georg Kuhn. Der 40jährige ist Leiter der Arbeitsgruppe Neuronale Stammzellen am Institut für Neurologie der Universität Regensburg. Für ihn haben die Adulten Stammzellen eindeutig Vorzüge:

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• Um Stammzellen zu gewinnen, muß kein menschlicher Embryo geopfert werden. Adulte Stammzellen lassen sich direkt aus dem Körper des Patienten gewinnen.

• Gewebe für eine Transplantation, individuell hergestellt aus Stammzellen eines Patienten, führt nicht zu immunologischen Abstoßungsreaktionen. Dieses Problem können Forscher bei ES-Zellen nur über den ethisch brisanten Umweg des „ Therapeutischen Klonens“ lösen, wie ihn Großbritannien seit kurzem erlaubt (siehe „Chronologie der Ereignisse“).

Für die Medizin sind Adulte Stammzellen kein völliges Neuland. Die Transplantation von Stammzellen aus Knochenmark und seit kurzem auch aus Nabelschnurblut ist heute fester Bestandteil der Therapie vieler Leukämiepatienten. Bis vor kurzem war es aber gängige Lehrmeinung, daß solche Stammzellen unwiderruflich nur auf einige wenige Entwicklungsrichtungen im Körper festgelegt sind, mithin, anders als ES-Zellen, nur begrenzt für die Nachzüchtung von Gewebe in Frage kommen.

Das ist überholt. So berichteten im Juli 2000 britische Forscher, daß sich bei Patienten, die Knochenmark transplantiert bekamen, einige Stammzellen auch zu Leberzellen entwickelten. Im Dezember veröffentlichten US-Forscher dann unter der Schlagzeile „ Blut in Gehirn verwandeln“ ihr Forschungsergebnis: Blutbildende Stammzellen aus dem Knochenmark wandern bei Mäusen bis in das Gehirn und reifen dort zu Zellen heran, die Eigenschaften von Nervenzellen aufweisen. Und im Mai 2001 zeigte ein Team um Diane Krause von der Yale University in New Haven, USA, daß sich bei Mäusen blutbildende Stammzellen auch in Haut, Lungen- oder Darmzellen verwandeln können.

Eine von rund 10000 Zellen im Knochenmark ist eine blutbildende Stammzelle. Noch ist diese vielversprechende Quelle aber nicht direkt zugänglich. Derzeit kann niemand blutbildende Stammzellen in Reinform gewinnen und in genügender Anzahl vermehren. Eine gezielte Vermehrung ist aber die Voraussetzung, um aus ihnen im Labor Gewebe wie Nervenzellen zu züchten.

„Was wir bislang kultivieren und was Ärzte für Transplantationen nützen, sind Mischungen vieler Zellen des Knochenmarks ganz unterschiedlicher Entwicklungsstufen auf dem Weg zu reifen Blutzellen“, erklärt Dr. Thomas Noll, der am Forschungszentrum Jülich nach besseren Kultivierungstechniken sucht.

„Verglichen damit lassen sich die Embryonalen Stammzellen leicht und in großer Reinheit in Laborkultur vermehren“, betont Dr. Klaus Drexler, Geschäftsführer bei der Firma Cytonet in Hannover. „Es ist eine Frage von Zeit und Forschungsanstrengung, bis dies auch für blutbildende Stammzellen gelingt“, meint dagegen Nicole Kirchhof vom Institut für Medizinische Strahlenkunde und Zellforschung der Universität Würzburg.

Eine zweite Form Adulter Stammzellen aus dem Knochenmark läßt sich bereits kultivieren: Mesenchymale Stammzellen, natürliche Vorläufer von Knorpel, Knochen, Sehnen, Fett und Muskelgewebe. Bei diesen Zellen stellt sich für Drexler allerdings ein ganz anderes Problem: „Die sind bereits wegpatentiert – die US-amerikanische Firma Osiris Therapeutics hält zentrale Patente.“

In der Tat laufen dort schon die ersten klinischen Studien. Untersucht wird beispielsweise, ob diese Zellen für die Bildung von neuem Knochengewebe bei Zahnimplantationen sorgen. „Wir haben Hinweise, daß sie an der Bildung von neuem Knochenmaterial teilnehmen“, meint Alan Smith, Vizepräsident der Abteilung Forschung und Entwicklung bei Osiris in Baltimore. Mesenchymale Zellen kämen außerdem als Ersatz für Muskeln, Fettgewebe, Knorpel und Sehnen in Betracht. Klinische Studien zum Ersatz von geschädigtem Herzmuskelgewebe bei Infarktpatienten sollen noch dieses Jahr beginnen. Bei den Möglichkeiten, die man bei Adulten Stammzellen entdecke, frage er sich, ob es nötig sei, auf ES-Zellen zurückzugreifen.

Die größte Hoffnung, die auf ES-Zellen ruht, speist sich aus Tierversuchen. Danach könnte es mit ihnen möglich sein, Ersatz für verlorengegangene Nerven- und Gliazellen in Gehirn und Rückenmark zu entwickeln – etwa zur Therapie von Parkinson oder Multipler Sklerose. Doch einige Forscher halten auch hier Adulte Stammzellen für die bessere Wahl. „Die Entdeckung durch den Schweden Peter Eriksson 1998, daß selbst im Gehirn erwachsener Menschen noch Stammzellen sind, war eine der ganz großen Überraschungen in der Hirnforschung überhaupt“, sagt Hans-Georg Kuhn (siehe bild der wissenschaft 8/2001 „Sterben und Werden in der Schädelhöhle“). Der Regensburger Forscher, der einige Zeit mit Eriksson am Salk Institute in La Jolla, USA, gearbeitet hat, züchtet solche Zellen bereits im Labor – allerdings bislang nur die von Mäusen.

„Beim Menschen“, erläutert er, „können wir solche Zellen isolieren – etwa aus Operationsmaterial – aber die Kultivierung gelingt uns bislang nur für kurze Zeit.“ Wie andere Forscher in aller Welt sucht auch er nach den nötigen Wachstumsfaktoren. Kuhn hält es für eine Frage der Zeit, bis sich aus solchen Kulturen einmal Nervengewebe für Versuche mit Transplantationen gewinnen läßt: „Ich denke, in zehn Jahren wird es zu klinischen Anwendungen kommen.“

Jeffery Kocsis von der Yale University, New Haven, USA, belegte unterdessen in Versuchen mit Affen, daß solche Zellen aus dem Gehirn der Tiere tatsächlich für eine Therapie taugen könnten. Im Labor vermehrt und zurücktransplantiert, sorgten sie teilweise für einen Ersatz an Nervenhüllen – ein Ansatz für die Entwicklung von Therapien bei Krankheiten wie Multiple Sklerose.

Anfang Juni 2000 berichteten schwedische Forscher von dem bislang faszinierendsten Experiment mit Adulten Stammzellen. Sie mischten solche Zellen aus dem Gehirn von ausgewachsenen Mäusen in frühe Embryonen, sogenannte Blastozysten, von Mäusen und Hühnern. Resultat: Die Zellen entwickelten sich zu Teilen von Herz, Leber, Darm und Nervensystem der neu entstehenden „ Mosaiktiere“, die sich aus Zellen verschiedener Lebewesen zusammensetzten. Damit bestanden die Adulten Stammzellen den wissenschaftlichen Test, der bislang als die Messerprobe für die Leistungsfähigkeit von ES-Zellen galt – die Fähigkeit, zu allen Gewebearten eines heranwachsenden Embryos zu werden. Hans-Georg Kuhn: „Angesichts dieses Potentials Adulter Stammzellen sind die Geldmittel, die hierzulande in ihre Erforschung fließen, ungenügend.“

Kompakt

• Wissenschaftler entdeckten in den letzten Monaten überraschend viele neue Stammzelltypen in Erwachsenen – nicht nur in Embryonen und Föten, wie bislang.

• Bislang haben sich sowohl Embryonale als auch Adulte Stammzellen nur im Tierexperiment zur Therapie bewährt.

19. Dezember 2000

Das britische Unterhaus verabschiedet einen Gesetzentwurf, der in Großbritannien das „Therapeutische Klonen“ erlaubt. Erstmals können Forscher mit Billigung des Gesetzgebers in einem Land differenzierte Zellen eines erwachsenen Menschen mittels Kloniertechnik wieder in Embryonen verwandeln.

März 2001

Ein Placebo-kontrollierter Versuch zur Transplantation fötaler Stammzellen in das Gehirn von Parkinson-Kranken schlägt fehl. Drei Jahre nach der Operation leiden einige Patienten unter extrem stark überschießenden Bewegungen (Dyskinesien).

April 2001

Zwei Teams aus den USA zeigen, daß Adulte Stammzellen aus dem Knochenmark bei Mäusen und Ratten nach einem Infarkt neue Herzmuskelzellen und Blutgefäße heranwachsen lassen.

2. Mai 2001

Das Bundeskabinett beschließt die Berufung eines 24köpfigen Nationalen Ethikrats, der die Regierung in Fragen der Bio- und Gentechnik unterstützen soll.

3. Mai 2001

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) vollzieht einen Kurswechsel. Präsident Ernst-Ludwig Winnacker erklärt in Bonn, daß die DFG jetzt unter bestimmten Voraussetzungen den Import von menschlichen ES-Zellen befürwortet. Für den Fall, daß die Arbeiten damit nicht ausreichen, empfiehlt die DFG obendrein bereits als nächsten Schritt die Änderung des Embryonenschutzgesetzes. Forscher müßten auch hierzulande die Möglichkeit haben, menschliche ES-Zellen aus „überschüssigen Embryonen“ zu gewinnen, die in Reproduktionskliniken keine Verwendung mehr finden.

18. Mai 2001

Bundespräsident Johannes Rau wendet sich in seiner „Berliner Rede“ strikt gegen eine Freigabe der Forschung an menschlichen Embryonen. Auch der Deutsche Ärztetag lehnt am 23. Mai 2001 Gewinnung und Forschung mit humanen ES-Zellen ab.

31. Mai 2001

Der Bundestag debattiert über Gen- und Biotechnik. Kanzler Schröder kleidet seinen Standpunkt zur Forschung an menschlichen ES-Zellen in die Frage: „Nach Schätzungen lagern in Deutschland mehr als 100 Embryonen … Ist es nicht doch vertretbar, angesichts der Alternative, daß diese Embryonen weggeworfen werden, begrenzte Forschung an ihnen zu ermöglichen?“

Mai 2001

Sieben führende Stammzellforscher verklagen die US-Regierung wegen ihrer Haltung zur Stammzellforschung. Präsident George W. Bush hatte staatliche Gelder für die Forschung an menschlichen ES-Zellen gesperrt.

Mai 2001

Forscher um Fred Gage vom Salk Institute in La Jolla, USA, gewinnen bis zu 20 Stunden nach dem Tod von Menschen noch Vorläuferzellen von Nerven aus deren Gehirn.

Juni 2001

Die französische Regierung bereitet einen Gesetzentwurf vor, nach dem in Frankreich die Forschung an „überzähligen“ menschlichen Embryonen für medizinische Zwecke erlaubt werden soll.

JuLi 2001

Das US-Unternehmen WiCell erklärt, es seien längst humane ES-Zellen nach Deutschland geliefert worden. Wenig später ist klar: Zumindest Forschergruppen in Köln und München haben solche Zellen bereits importiert.

3. Juli 2001

Die DFG verschiebt erneut eine Entscheidung über den Antrag der Bonner Neuroforscher Oliver Brüstle und Otmar Wiestler auf Import menschlicher ES-Zellen aus den USA. Die DFG geht jetzt davon aus, „daß der Hauptausschuß spätestens in seiner Dezembersitzung eine Entscheidung treffen kann“. Der Bundestag soll im Herbst über das Thema entscheiden.

Mitte JuLi 2001

Die Wissenschaftler vom Jones-Institut für Reproduktive Medizin in Norfolk, Virginia, USA stellen 50 Embryonen aus Samen- und Eizellen von bezahlten Spendern zum ersten Mal nur für die Stammzellforschung her.

bdw-Community

INTERNET

Die DFG zur Stammzellforschung:

www.dfg.de/aktuell/stellungnahmen/

dokumentation_genforschung.html

Die Firma Osiris und ihre Ergebnisse mit Adulten Stammzellen:

www.osiris.com

Bernhard Epping

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