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Dürfen oder sollen Wissenschaftler lügen?

Allgemein

Dürfen oder sollen Wissenschaftler lügen?

Es gab eine Zeit, da hätte man Forschern alles zugetraut, nur nicht eines: daß sie bewußt die Unwahrheit sagen. Das hat sich gründlich geändert. Inzwischen ist der Nimbus des Unbestechlichen verblichen. Um so mehr erstaunt es mich, welches Echo der Fall eines Ulmer Gentherapeuten in den Medien ausgelöst hat, unter dessen Namen gefälschte Forschungsergebnisse veröffentlicht wurden.

Handelt es sich um einen Abgrund an Verdorbenheit oder um den Racheakt einer ehemaligen Geliebten? Wurde der ahnungslose Professor von seinen Mitarbeitern hereingelegt – oder benutzt er sie als Sündenböcke, um seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen? Hat hier ein skrupelloser Gauner vielleicht sogar Spendengelder der Deutschen Krebshilfe veruntreut? Der Fall erinnert fatal an einen Krimi.

Der Beruf des Wissenschaftlers schützt nicht vor der Versuchung, das eigene Glück durch illegale Tricks zu erzwingen. Tatsächlich ist in der Forschung der Pfad zwischen einer mutigen Interpretation und einem Betrug sehr schmal, da jeder Wissenschaftler auf ungesichertem Neuland wandelt. Vor allem aber geht es für jeden um persönlichen Ruhm, Lohn und Anerkennung. Da ist die Versuchung zur Korrektur der Wahrheit groß.

Forscher sind auch nur Menschen. Und wo Menschen sind, “menschelt” es. Ein System nach Treu und Glauben wäre selbst in einem Kloster unhaltbar – auch hier fänden sich genug schwarze Schafe. Dennoch funktioniert das deutsche Wissenschaftssystem bisher weitgehend so, als wären die Forscher allesamt ehrsam, ehrlich und bescheiden, als gäbe es kein Beziehungsgeflecht der Gutachter und Juroren, als gäbe es das Sprichwort von der Krähe nicht, die der anderen kein Auge aushackt. Dabei geht es um Milliarden von Forschungsgeldern.

“Nur nicht daran rühren”, hieß bislang die Devise, wenn die Sprache auf Manipulation, Fälschung und Betrug kam. Schwarze Schafe – so man sie denn überhaupt entdeckte – wurden intern kaltgestellt, ihr Fall nach außen abgeschirmt und bagatellisiert. Man gab vor, Betrug in der Forschung sei erstens die absolute Ausnahme und zweitens für Fachleute so leicht durchschaubar, daß sich die Gesellschaft darum nicht zu sorgen brauche. Juristische Sanktionen blieben fast immer aus.

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So kam es, daß das Bundesverwaltungsgericht der Universität Gießen sogar untersagte, einen Mediziner aus ihren Reihen zur Korrektur seiner Veröffentlichungen aufzufordern. Obwohl kein Kollege seine Messungen wiederholen konnte und die Original-Daten verschwunden blieben, meinte das Gericht, der Rüffel der Kollegen verstoße gegen die Freiheit der Forschung. Jetzt muß das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob das Beamtenrecht zur Wahrheitsfindung prädestiniert ist.

Der Fall des Ulmer Gentherapeuten könnte einen heilsamen Schock auslösen. Hier gibt es Zeugen, die bereit sind auszusagen. Vor allem aber enthält der Fall alle Ingredienzien, um ihn für die Massenmedien spannend zu machen: Sex and Crime, Schmerz und Trug. Der öffentliche Skandal scheint notwendig, um endlich die Diskussion über sinnvolle Schutzstrategien vor Wissenschaftsbetrug, über die Transparenz von Forschungsqualität und über Sanktionen für fälschende Wissenschaftler in Gang zu bringen.

Reiner Korbmann

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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