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Looping mit Suppe

Allgemein

Looping mit Suppe
Riskantes Manöver – Köpfchen und viel Übung machen’s möglich. Am Pendel läßt sich berechnen, welche Kräfte bei einem Looping auf einen Suppenteller wirken.

Kann ein geschickter Kellner einen mit Suppe randvollen Teller auf einem Tablett in elegantem Schwung über den Kopf wirbeln und ihn, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten, nach einigen Loopings ebenso rasch – wenn auch vorsichtig – wieder abbremsen, um die Suppe unversehrt dem nächsten Gast zu servieren?

Jonglieren beim Servieren? Wer jemals einen vollen Teller Suppe getragen hat, weiß, wie vorsichtig man ihn bewegen muß – und damit soll ein Looping möglich sein? In Josef Wittmanns Experimentierbüchlein „Trickkiste 1“ wird unter dem Titel „Das Glas in der Schwebe“ ein ähnlicher Versuch mit einem Wasserglas beschrieben, und zwar in einer Anordnung, mit der jeder – sogar der Ungeschickteste – ihn ausführen könnte. Der Autor traut sich allerdings nur zu, sein Glas auf einer Art Schaukel aus der Ruhelage bis knapp unter die Horizontale schwingen zu lassen, mit der Begründung, daß das Seil der Schaukel bei größeren Schwingungsweiten schlaff werde, das Glas gleichzeitig seine Standfestigkeit auf dem Schaukelbrett verliere und das Wasser nicht mehr halten könne.

Damit hat er recht. Aber wir sind unbescheiden genug, seine Warnung zu überhören und der Suppe einen vollen Looping oder gleich mehrere zuzumuten, bei denen sie, versteht sich, auf der Innenseite des Orbits bleibt – wo sonst?

Die Tellerschaukel: Als Minimaltablett für einen Suppenteller von 23 Zentimeter äußerem Durchmesser genügt für meinen Versuch ein dreieckiges Brett von 22 Zentimeter Kantenlänge. An seinen Ekken werden drei einen Meter lange Schnüre befestigt. Sie vereinigen sich an ihrem anderen Ende zu einem Knoten (A) und bilden jenseits davon eine Schlinge, an der sich die „Tellerschaukel“ bequem anfassen läßt. Der Teller – oder das Wasserglas – steht frei auf dem Tablett und muß nicht befestigt werden.

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Die Dreizahl der Schnüre hat den Vorteil, daß durch ihre Längen sowohl die Ebene des Tabletts – senkrecht zur geraden Verbindung des Dreiecksmittelpunkts (B) mit dem Knoten (A) – als auch der Abstand d des Knotens vom Schwerpunkt (S) festgelegt wird. Jede zusätzliche Schnur wäre in ihrer Länge davon linear abhängig, wie man vom Wackeln vierbeiniger Tische und Stühle auf ebenem Fußboden weiß.

Um die Schaukel in Gang zu setzen, ohne den Inhalt des Tellers überschwappen zu lassen, sollte man nicht am Tablett anfassen, sondern ausschließlich den weit entfernten Aufhängepunkt (A) bewegen. Die Steuerung der Bewegung geschieht kinematisch durch Beschleunigen des Aufhängepunkts. Dabei wekken ähnlich große Beschleunigungen in Richtung der Aufhängung oder quer dazu sehr verschieden große Kräfte F beziehungsweise Q.

Die Querkraft Q, die das Schwappen der Flüssigkeit antreibt, wird um so kleiner, je größer der Abstand ihrer Wirkungslinie vom Schwerpunkt (S) ist, das heißt, je länger die Schnüre sind. Es wäre viel zu aufwendig, die durch die Bewegung geweckten Reaktionskräfte zu berechnen. Für unsere Zwecke genügt es, ihre Größe mit einer einfachen Überschlagsrechnung abzuschätzen, die verständlich macht, warum die Schnüre lang sein müssen.

Um die Tellerschaukel am Knoten (A) längs der geraden Verbindung mit dem Schwerpunkt (S) – der fast mit dem Mittelpunkt (B) des dreieckigen Tabletts übereinstimmt, weil die Schnüre nicht ins Gewicht fallen – mit aF zu beschleunigen, muß man nach dem Newtonschen Gesetz (Kraft = Masse mal Beschleunigung) die zur Masse m proportionale Längskraft F ~ maF aufbringen.

Zur Beschleunigung aQ quer dazu ist die Querkraft Q erforderlich. Sie übt auf die Tellerschaukel das Drehmoment (Kraft mal Hebelarm) Qd aus, das die Drehung des Tabletts antreibt, durch die der Körper der Beschleunigung auszuweichen sucht. Es läßt sich durch das Produkt aus dem Trägheitsmoment mi2 und der Winkelbeschleunigung aQ/d um eine durch den Schwerpunkt gehende Drehachse abschätzen: Qd ~ mi2aQ/d. Darin bedeutet i den Trägheitsradius der Massenverteilung um die Drehachse, dessen Größenordnung sich durch ein Drittel ihres Durchmessers – hier des Tellerdurchmessers – abschätzen läßt. Man erkennt, daß sich die Querkraft Q mit zunehmendem Abstand d umgekehrt proportional zum Quadrat von d verkleinert und daher mit der Längskraft F näherungsweise im Verhältnis

Q/F ~ (i/d)2 * (aQ/aF)

steht. Lange Schnüre des Pendels (Abstand d sehr viel größer als der Trägheitsradius i der Massenverteilung) helfen also, Querkräfte Q zu unterdrücken, die das Schwappen der Flüssigkeit anregen könnten.

Schwingungen und Loopings: In ihrem Schwingungsverhalten unterscheidet sich die Tellerschaukel kaum von einem mathematischen Pendel gleicher Pendellänge. Beim Vergleich der verschiedenen möglichen Pendelschwingungen kommt es nicht darauf an, wie sie durch geschickte Bewegungen des Aufhängepunkts (A) entstanden sind. Deshalb vergleiche ich nur freie Pendelschwingungen, die nach vorherigem Antrieb mit den unterschiedlichsten Bahngeschwindigkeiten v0 in der tiefsten Lage des Schwerpunkts beginnen.

Je nach Größe und Richtung der Startgeschwindigkeit v0 führt das Pendel aus seiner Anfangslage heraus Schwingungen aus, bewegt sich auf einem Horizontalkreis oder macht kompliziertere Bewegungen. Ich beschränke die Diskussion auf Bewegungen in einer Vertikalebene. Dabei kommen nur drei Bewegungsformen vor:

periodische Pendelschwingungen, Schwingungen bis zum Erschlaffen der Schnur und die unerwünschte Fortsetzung der Bewegung im freien Fall, periodische Umläufe bei gespannter Schnur.

Sieht man vom Luftwiderstand ab, was sicher nur für kurze Zeit und auch nur dann zulässig ist, wenn das Pendel schwer genug ist und dem Fahrtwind wenig Fläche bietet, bleibt bei der Bewegung die Summe aus der Bewegungsenergie und der Lageenergie erhalten: mv02/2 = mv2/2 + mgl(1 – cosφ). Daraus folgt für die aktuelle Geschwindigkeitv: v2 = v02 – 2gl(1-cosφ). Die Zentripetalbeschleunigung v2/l auf den Drehpunkt (A) zu wird durch die Schnurkraft F hervorgerufen, vermindert um die Radialkomponente des Gewichts: mv2/l = F – mgcosφ.

Umkehren des Pendels bedeutet v = 0 beim Winkel j1 (cosφ 1 = 1 – v02/2gl). Schlaffwerden der Schnur heißt F = 0 beim Winkel j2 (cosφ 2 = (2/3)(1- v02/2gl)). Welcher Fall früher eintritt, das heißt, welcher der beiden Winkel kleiner ist, hängt von dem Parameter v02/2gl ab, der die Startgeschwindigkeit v0 in Einheiten der Fallgeschwindigkeit √2gl aus der Höhe l mißt. Für kleine Anfangsgeschwindigkeiten v0 (v02/2gl 1) schwingt das Pendel hin und zurück, höchstens bis 90 Grad hinauf. Größere Anfangsgeschwindigkeiten v0 (1 v02/2gl 5/2) kennzeichnen den kritischen Bereich, die „Verbotszone“. Für sie erschlafft die Schnur irgendwo zwischen 90 und 180 Grad: Teller und Suppe fallen vom Tablett.

Um das Ensemble heil in einen Looping zu bringen, muß man dem Pendel wesentlich mehr Schwung geben (v02/2gl > 5/2). Für so große Werte von v0 bleiben die Schnüre bis in die Überkopflage gespannt (F = mv2/l – mg >0 für φ = 180 Grad). Aus der Sicht eines Beobachters, der die Bewegung vom Drehpunkt des Pendels aus verfolgt, überwiegt die Zentrifugalkraft überall das Gewicht. Ist das Pendel erst einmal im Umlauf, kann man es rotieren lassen, solange man Lust hat – im Falle des Suppentellers ohne einen Tropfen zu verlieren.

Dieselbe Schwierigkeit wie beim Aufschaukeln tritt erneut auf, wenn man das Pendel zur Ruhe bringen möchte. Erst wenn man den kritischen Bereich – mit φ zwischen 90 und 180 Grad – genügend schnell durchfahren hat, darf man im unteren Halbraum – bei Winkeln unter 90 Grad – mit dem Bremsen durch Gegenbewegungen beginnen. Es gelingt, davon habe ich mich überzeugt. Nicht nur mit dem Suppenteller, sondern auch bei einer Variante des Experiments, die keinerlei Schweinerei macht, im Gegensatz zur Suppe. Mein empfindlicher Indikator war ein kleiner Gummiball, den ich oben auf ein schmales Plastikröhrchen setzte. Ich war selbst überrascht, daß diese wacklige Anordnung auf dem glatten Teller das rasante Looping-Manöver unbeschadet überstand.

Wolfgang Bürger

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