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„Die USA sind nicht mehr erste Sahne“

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„Die USA sind nicht mehr erste Sahne“
US-Universitäten werden hoch gelobt, die deutschen dagegen seien nur Mittelmaß, heißt es. Wie unsinnig eine undifferenzierte Betrachtung der Forschungsszene hier im Land ist, dokumentiert bild der wissenschaft durch drei Interviews mit führenden Vertretern ihres Fachs. Den Anfang macht der Maschinenbauer Engelbert Westkämper. Er schätzt die Qualität der Ingenieurausbildung in Deutschland als weltführend ein. Die beiden anderen Interviews, die Sie in unseren nächsten Ausgaben lesen können, beschäftigen sich mit der Entwicklung in Biotechnologie und Nanotechnologie.

bild der wissenschaft: In Deutschland gibt es zwei Millionen Studierende – alle Hochschularten zusammengerechnet. Wie viele davon wollen denn Ingenieur werden, Herr Prof. Westkämper?

Westkämper: Nach den mir vorliegenden Zahlen dürften das gut 300 000 sein. Der Anteil an allen Studierenden ist in den letzten Jahren allerdings gesunken: um etwa 15 Prozent.

bdw: Neuerdings steigt die Zahl aber doch wieder.

Westkämper: Der Rückgang war vor allem Anfang und Mitte der neunziger Jahre zu verzeichnen. Seit 2002 ist der Anteil in der Tat wieder größer geworden.

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bdw: Die PR-Kampagnen der Ingenieure haben also Erfolg?

Westkämper: Es gibt eine Reihe von Gründen. Die Öffentlichkeitsarbeit ist sicherlich einer. Dann ist die Stellennachfrage wieder sehr hoch, ebenso wie die Bezahlung. Die Eintrittsgehälter von jungen Diplom-Ingenieuren liegen zwischen 35 000 und 45 000 Euro. Weiterhin haben andere Fachgebiete an Attraktivität verloren – durch schlechte Berufschancen und durch Zulassungsbeschränkungen an den Universitäten.

bdw: Wenn sich jemand heute entschließt, ein Ingenieurstudium aufzunehmen, welche Chancen hat der- oder diejenige beim Abschluss in fünf oder sechs Jahren?

Westkämper: Nach einer Prognos-Studie, die 2003 veröffentlicht wurde, gibt es bis 2010 einen Fehlbedarf von 50 000 Ingenieuren, wobei die Hälfte reiner Ersatzbedarf für jene ist, die in Ruhestand gehen. Ich bin bei solchen Prognosen sehr vorsichtig. Gerade im Ingenieurbereich steht stets die Frage im Vordergrund, wie es der Wirtschaft geht. Wenn Flauten kommen, besteht die Gefahr, dass wir zu viele ausbilden. Tatsache ist allerdings, dass bei modernen Produktentwicklungen immer mehr Ingenieure gebraucht werden.

bdw: Welches internationale Ansehen hat die deutsche Ingenieurausbildung?

Westkämper: Das Ansehen der deutschen Ingenieure in der Welt ist hervorragend: Wir sind der Weltmaschinenbauer. Alleine in Baden-Württemberg werden fast doppelt so viele Werkzeugmaschinen gebaut wie in den USA. Gründe liegen mit Sicherheit in der Art und Weise, wie wir hier Wissenschaft und Forschung betreiben. Auch die Anwendungsnähe spielt eine entscheidende Rolle. Die führenden Köpfe des Maschinenbaus sitzen nicht in den USA, sondern im mittleren Europa, zu dem ich auch Schweden und Norditalien zähle, sowie in Japan und Südkorea.

bdw: Heißt das, die oft so gepriesene Forschungslandschaft USA ist für den mitteleuropäischen Ingenieurnachwuchs nicht attraktiv?

Westkämper: Die USA sind gegenwärtig nicht mehr erste Sahne, holen aber wieder auf. Man hat erkannt, dass mehr in die Universitäten und in eine qualifizierte Ausbildung investiert werden muss. Wo die USA wirklich stehen, ist schwierig einzuschätzen, weil dort sehr viel Forschung und Entwicklung durch die Wehrtechnik abgedeckt wird. Dort arbeiten allerdings nur wenige Wissenschaftler, und diese Forschung ist geheim.

bdw: Die Idee, die deutsche Forschung durch Elite-Universitäten zu puschen, scheint im Bereich der Ingenieurwissenschaften offenbar nicht viel zu bringen?

Westkämper: In Deutschland gibt es eine Gruppe von acht bis zehn technisch orientierten Universitäten, die in vielen Bereichen federführend in der Welt sind.

bdw: Trotz der hohen Zahl an Studierenden und auch ohne Studiengebühr?

Westkämper: Wer heute viele Studierende hat, wird als Massenuniversität abqualifiziert. Dass unter 1000 Studierenden auch viele Spitzenleute sind, wird dabei gerne vergessen. Uns interessieren doch die besten Studienabsolventen und nicht jene, die über ein gutes Abitur verfügen und deshalb in eine Eliteförderung aufgenommen werden. Was die Studiengebühren angeht: Nach unseren Statistiken stammen die Studierenden der Ingenieurwissenschaften eher aus sozial schwächeren Familien. Diese Studenten kommen bei Studiengebühren um die 500 Euro pro Semester – wie sie jetzt in der Diskussion sind – finanziell in Schwierigkeiten. Doch gerade sozial schwächere Studierende schließen ihre Ausbildung mit besserem Erfolg ab, auch dies zeigt die Statistik.

bdw: Die derzeitige Diskussion um Elite-Universitäten dreht sich ja vor allem um Modelle wie Cambridge, Harvard oder Stanford – also um Universitäten, die ihren internationalen Rang in hohem Maße über die Zahl der Publikationen in angesehenen englischsprachigen Fachblättern definieren. Da stehen die deutschen Ingenieure nicht so blendend da.

Westkämper: Wir sind es gewohnt, markt- und anwendungsnah, also oft auf Deutsch, zu veröffentlichen: Das ist unsere Welt. In unserem Fachgebiet sind viele englischsprachige Fachzeitschriften sogar regelrecht schlecht. Sie sind nicht verbreitet, werden nicht gelesen, spielen aber trotzdem im internationalen Rankingsystem eine große Rolle. Wenn man uns nach englischsprachigen Publikationen bewertet, sehen wir schlecht aus. Wenn man uns aber an Projekten misst, die durch Drittmittel finanziert werden, sind wir Weltspitze. Da kommen hier Summen zusammen, wie sie selbst am berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT) nicht zur Verfügung stehen. Dass dort dennoch viel Geld im Spiel ist, liegt an den eigenen Mitteln, über die die US-Eliteuniversitäten verfügen. Das Jahresgesamtbudget liegt bei 1,7 Milliarden Dollar. Der Universität Stuttgart mit ihren 20 000 Studierenden – 9000 davon wollen Ingenieur werden – stehen demgegenüber inklusive aller eingeworbenen Mittel pro Jahr 300 Millionen Euro zur Verfügung, um Forschung und Lehre voranzubringen.

bdw: Wenn wir schon das MIT mit einer guten deutschen Technischen Universität vergleichen – was fällt Ihnen noch ein?

Westkämper: Ich halte viel vom MIT. Dort werden hervorragende Entwicklungen zustande gebracht, die immer wieder für Impulse in der Technik sorgen. Viele der heutigen Technologien sind auf Forschungsarbeiten zurückzuführen, die dort durchgeführt wurden. In meinen Augen haben gute Technische Universitäten in Mitteleuropa aber auch ihre Vorzüge. Wir neigen viel weniger zum Theoretisieren und sind regelrecht Partner der Wirtschaft – was andere Wissenschaftsbereiche in Deutschland allerdings nicht gut heißen. Viele unserer Entwicklungen beschäftigen sich mit Anwendungsproblemen. Die Grundüberzeugung unserer Ingenieurwissenschaften ist, dass man Lösungen für ein konkretes Problem zu finden hat. Wir betreiben kaum Forschung nach dem Motto: Da gibt es ein Thema, mit dem könnte man sich mal auseinander setzen.

bdw: Warum lassen deutsche Unternehmen dann doch am MIT für sich forschen?

Westkämper: Das weiß ich auch nicht. Sie machen das sogar in Bereichen, in denen sie im eigenen Haus eine starke Forschung haben.

bdw: Um ein ingenieurwissenschaftliches Problem zu lösen, muss also niemand zum MIT gehen?

Westkämper: Das behaupte ich. Dafür gibt es in dem von mir skizzierten Teil Europas genügend Kompetenz. Die vielen Mittelständler, die es im deutschen Maschinenbau gibt, richten sich längst daran aus.

bdw: Bleibt zu fragen, wie lange sich im Zeitalter der Globalisierung die mittelständische Struktur des Maschinenbaus noch halten kann?

Westkämper: Für diese kleinen dynamischen Unternehmen sehe ich ein enormes Zukunftspotenzial. Es ist weit besser als das der großen Boliden. Die Stärke des Standortes ist nicht in der Zahl der Kleinen begründet, sondern darin, dass wir für jedes technische Problem im Umkreis von 500 Kilometern die weltführenden Spezialbetriebe haben. Es gibt keine andere Region der Welt, wo das der Fall ist. Wer verstehen will, um was es dabei geht, muss verstehen, was Maschinen sind. Maschinen bestehen aus Komponenten vielerlei Art: Antriebe, Getriebe, Steuerungen, Sensoren und, und, und…, für die Sie eine große Bandbreite unterschiedlichster Technologien brauchen. Die meisten Innovationen im Maschinenbau sind nicht solche, die völlig neue Maschinenkonzepte hervorbringen, sondern solche, die aus den Innovationen der kleinen Zulieferer resultieren.

bdw: Anders als die Bio-, Nano- oder Informationstechnologie wird der Maschinenbau aber nicht zur Hochtechnologie gezählt, die dadurch gekennzeichnet ist, dass über zehn Prozent des Jahresumsatzes für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden.

Westkämper: Das ist ärgerlich. Umso mehr als es auch im Maschinenbau eine Fülle von kleinen und mittelständischen Unternehmen gibt, die die Zehn-Prozent-Marke überschreiten. Wichtig ist mir noch eines: Um Innovationen zu haben, braucht man Unternehmer, die aus einer Technologie Produkte schmieden. Wenn man – wie in Deutschland – den Standort ständig schlecht redet, darf man sich nicht wundern, wenn das Unternehmertum nicht mitzieht. Dass es auch anders geht, zeigt die europäische Luftfahrtindustrie, die die der USA inzwischen überholt hat und deren Produktionstechnik weitestgehend aus Deutschland stammt.

bdw: Sie leiten ein Universitäts- und ein Fraunhofer-Institut in Personalunion und finanzieren ihre Forschung weitgehend durch jährliche Projektmittel in Höhe von 16 bis 18 Millionen Euro. Wie akquiriert man so viel Geld auf dem freien Markt?

Westkämper: Der überwiegende Teil unserer Professoren hat nach der Promotion drei bis zehn Jahre in der Wirtschaft gearbeitet und bringt dadurch ein hohes Maß an Führungs- und Management-Erfahrung sowie an Kontakten mit. Auf der anderen Seite trimmen wir unsere jungen Leute, dass sie erst mal zuhören, was der Kunde will, ehe sie sich seiner Probleme annehmen. Das spricht sich rum in der Wirtschaft und führt zu zufriedenen Kunden …

bdw: … und zu immer mehr Studierenden und Doktoranden aus den USA?

Westkämper: Von dort habe ich jetzt gerade mal eine Anfrage. Eine starke Nachfrage gibt es dagegen aus Fernost – vor allem aus China – und aus Osteuropa.

bdw: Ihre Antworten, Herr Westkämper, relativieren vieles von dem, was heute in der Öffentlichkeit über die Leistungsfähigkeit deutscher Hochschulen gesagt wird. Warum melden sich denn die Ingenieure nicht lautstark zu Wort, um auf die absolute internationale Konkurrenzfähigkeit in ihrer Sparte hinzuweisen?

Westkämper: In der Tat müssten wir in eigener Sache gesellschaftlich mehr machen. Wir leben in, von und mit der Technik. Ingenieure beeinflussen die Lebensweise der Menschen in allen Bereichen. Sie sind jedoch in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion nur als Sachverständige beteiligt. Die Sprachlosigkeit der Ingenieure hat viele Ursachen. Sie kann und muss überwunden werden.

Prof. Dr. Engelbert Westkämper

ist einer der weltweit renommiertesten Vertreter des Maschinenbaus und seit 1995 Direktor des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) an der Universität Stuttgart. Westkämper (Jahrgang 1946) studierte und promovierte an der RWTH Aachen. Von 1977 bis 1986 arbeitete er bei MBB, von 1987 bis 1988 war er Leiter des Zentralbereichs Produktionstechnik bei der AEG in Frankfurt. Anschließend wechselte er als Direktor des Instituts für Werkzeugmaschinen an die TU Braunschweig. Seit 1995 ist Westkämper zudem einer der beiden Leiter des Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart, des größten Einzelinstituts der Fraunhofer-Gesellschaft. Es hat mehr als 200 Mitarbeiter und verfügte 2002 über einen Etat von 32,4 Millionen Euro, der zu über 50 Prozent durch industrielle Forschungsprojekte finanziert wurde.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess ■

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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