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Die entschlüsselung des gehirns

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Die entschlüsselung des gehirns
Neurobiologen, Physiker und Mathematiker bereiten das bislang größte Projekt der Hirnforschung vor: Sie wollen den kompletten Schaltplan unseres Denkorgans mit allen Nervenzellen und Synapsen kartieren.

Überwältigend Klar: Van Wedeens Gehirnbilder zeigen Details, die keiner zuvor auch nur geahnt hat. Während man früher auf anatomischen Präparaten bestenfalls das „Autobahnsystem” des Hirns ausmachen konnte, geben die plastisch wirkenden bunten Bildern aus dem Magnetresonanz-Tomographen viele kleine „Feldwege” zuerkennen. Sie verraten, wie die Informationen durch das Zentralnervensystem fließen.

Der Hirnforscher von der Harvard Medical School in Cambridge, Massachusetts, gehört zu einer Gruppe von Neurobiologen, Physikern und Mathematikern, die mit modernster Technik das ganze Gehirn mit all seinen Fasern, Nervenzellen und Verbindungen erfassen wollen. „Connectom” nennen sie das System aller Nervenzellen und -verknüpfungen eines Gehirns – in Anlehnung an den Begriff „Genom” für die Summe aller Gene einer Zelle. Damit wollen sie endlich verstehen, wie das Gehirn denkt. Ob sie dabei allerdings auf dem richtigen Weg sind, ist unter Hirnforschern umstritten. Seit dem 19. Jahrhundert haben Anatomen und Zellforscher viele Gehirnregionen und deren Funktionen entdeckt, auch wichtige Nervenbahnen, etwa den Sehnerv. Mit großem Aufwand können sie mittlerweile selbst kleine Nervennetze mit ihren Synapsen im Mikroskop erkennen. Aber irgendwann kamen die Forscher nicht mehr weiter. Im Dunkeln blieb vor allem das Geschehen in der „weißen Substanz” im Inneren der Hirnrinde, wo die Verbindungen zwischen den Neuronen verlaufen.

Im Gehirn fehlen klare grenzen

„Das große Problem ist, dass die einzelnen Organe im Hirn nicht sauber voneinander abgegrenzt sind wie im Rest des Körpers” , erklärt Wedeen. „Ein Herz oder eine Niere kann man klar erkennen, aber im Hirn gibt es lauter überlappende Strukturen. An einer Stelle können sich mehrere Bahnen aus völlig verschiedenen Richtungen treffen. Kein Anatom kann das sauber herauspräparieren.” Auch die modernen bunten Bilder der funktionellen Magnetresonanz-Tomographie (MRT) helfen da nicht weiter. Sie zeigen zwar grob, dass im Gehirn an bestimmten Orten etwas passiert, aber nicht, welche Zellen dort was mit welchen anderen machen und warum sie das tun. Dabei ist die Magnetresonanz-Tomographie eine sehr gute Forschungsmethode. Mit ihr kann man gefahrlos lebende Gehirne untersuchen, da sie keine Strahlung oder Kontrastmittel braucht. Bei der MRT nutzt man die schwachen magnetischen Eigenschaften von Wasserstoff-Atomkernen, die im menschlichen Körper reichlich vorhanden sind, zum Beispiel im Wasser. Ein extrem starkes Magnetfeld – über 100 000 Mal stärker als das Erdmagnetfeld – richtet die Achsen der Atomkerne aus. Dann schickt man einen starken elektromagnetischen Impuls auf die Kerne. Die Folge: Die Kerne kommen ins „Torkeln”, und während sie sich wieder im Magnetfeld ausrichten, senden sie Radiowellen aus. Aus diesem Funksignal können Computer die Lage der Atome errechnen. Wedeen hat dieses Prinzip weiterentwickelt: „ Beim MRT braucht man Computer, um die Daten zu analysieren. Die Software ist so etwas wie die Linse bei einem Mikroskop. Mit einer angepassten Software sieht man wie mit einer starken neuen Linse auf einmal viel mehr.” Wedeen nutzt die minimalen Bewegungen der Wassermoleküle, die Diffusion. Dieser Trick verrät nicht nur, wo eine Nervenfaser liegt, sondern auch, in welcher Richtung sie verläuft. Der Computer erkennt diese Ausrichtung und ordnet der Faser daraufhin eine Farbe zu. Alle Fasern mit der gleichen „Laufrichtung” bekommen die gleiche Farbe. So können die Forscher sogar an Kreuzungspunkten erkennen, welche Faser wohin läuft. „Das ist der Clou”, sagt Wedeen. „Das hier sind nicht irgendwelche Bilder, sondern reale Darstellungen des Gehirns in fünf Dimensionen.” Drei Dimensionen zeigen die Lage an, zwei Zahlenwerte braucht man für die Ausrichtung. Einige Arbeitsgruppen nutzen die Methode bereits. Ein Team um den deutschen Hirnforscher Olaf Sporns von der Indiana University in Bloomington veröffentlichte letztes Jahr die erste hochauflösende Karte des menschlichen Großhirns (siehe Abbildung S. 29). „Wir haben dabei einen bisher unbekannten, immerhin handflächengroßen Hirnkern entdeckt, der so dicht mit anderen Hirnzentren in beiden Hemisphären verknüpft ist, dass er offensichtlich eine zentrale Rolle als Verbindungsknoten spielt”, sagt Sporns. Der Hirnkern liegt ganz oben im Kopf, am Scheitel des Großhirns. Andere Wissenschaftler hatten bereits festgestellt, dass diese Region ständig sehr aktiv ist, auch dann, wenn sich ein Mensch ausruht. Sie konnten aber mit den traditionellen Methoden keine Struktur darin erkennen. Wozu der Knoten dient, wissen die Forscher allerdings bis heute nicht.

Auch in der Krankenversorgung wird das Diffusions-MRT eingesetzt. Etliche neurologische Spezialkliniken in Deutschland haben bereits einen solchen Scanner. Er zeigt zum Beispiel, welche Schäden ein Schlaganfall angerichtet hat oder ob ein Hirntumor Nervenbahnen nur beiseite drückt oder sie sich einverleibt hat. Die klinische Psychologin Susan Bookheimer von der University of California in Los Angeles entwickelt zurzeit eine Technik, um Hirnchirurgen bei der Operationsplanung zu helfen. Denn: Skalpellschnitte in Nervenzell-Regionen kann das Gehirn relativ gut ausgleichen. Beschädigt der Chirurg jedoch Leitungsbahnen, bleiben irreversible Schäden.

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Atlas mit allen Schaltplänen

Mit dem Diffusions-MRT können die Forscher im lebenden Gehirn noch Nervenfasern von etwa zwei Millimeter Durchmesser erkennen. Das entspricht einem Bündel von rund 10 000 Neuronen. Etwa zehn Minuten muss ein Proband dafür still in der Tomographen-Röhre liegen. Gehirne von Toten können die Forscher noch intensiver scannen – bis zu 24 Stunden lang – und sehen so noch 0,3 Millimeter dicke Fasern. Andere Wissenschaftler wollen noch weiter ind Detail gehen, in den Millionstel-Millimeter-Bereich, allen voran Winfried Denk vom Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg und Jeff Lichtman von der Harvard University in Cambridge, Massachusetts. Die beiden Professoren wollen nicht nur erkennen, welche Nervenstränge von welcher Gehirnregion in welche anderen Regionen verlaufen, sondern sogar, wie jede einzelne Nervenzelle mit den anderen Neuronen verschaltet ist. Geplant ist ein Atlas des Gehirns, in dem jeder Forscher die für seine Fragestellung wichtigen Nervenschaltpläne findet. Eine Mammutaufgabe, denn das menschliche Gehirn besteht aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen mit insgesamt rund 100 Billionen Synapsen.

Bisher hat sich nur ein einziges Forscherteam daran gewagt, ein Gehirn dreidimensional mit allen Zellen und Verbindungen zu erfassen. 1972 begann der Biologe Sydney Brenner mit seinen Mitarbeitern im britischen Cambridge, das Gehirn des nur einen Millimeter großen Wurms Caenorhabditis elegans in Kunstharz zu gießen und mit einem sogenannten Mikrotom – einer Art Käsehobel für Gewebeschnitte – hauchdünne Scheiben abzuschneiden, um sie unter dem Elektronenmikroskop zu analysieren. Zellschicht für Zellschicht zeichneten die Forscher die Hirnstrukturen ab und fanden allmählich alle Verbindungen zwischen den Neuronen. Das Wurmgehirn ist ausgesprochen simpel. Es besteht stets aus exakt 302 Nervenzellen, die in allen Tieren gleich angeordnet sind. Eigentlich sind das ideale Voraussetzungen für eine Analyse. Trotzdem hat es 14 qualvolle Jahre gedauert, bis dieser einfache Schaltplan entschlüsselt war. Mit dieser Methode würde es ungefähr drei Millionen Menschenarbeitsjahre dauern, um nur eine einzige der zwei Millimeter großen Grundeinhei-ten unseres Großhirns – eine „kortikale Säule” – zu analysieren, schätzt Winfried Denk. So geht es also nicht. Der Prozess muss automatisiert werden, Computer müssen den Menschen ersetzen. Dafür müssen die Maschinen lernen, die Hirnschnitte auszuwerten.

Der Heidelberger Hirnhobel

Denk hat das Mikrotom in ein Elektronenmikroskop eingebaut, jetzt lässt er den Computer arbeiten. Und so funktioniert der „ Heidelberger Hobel”: Ein Stück Gehirn wird mit Kunstharz hart genug gemacht, um es gut schneiden zu können. Dann wird es in die Halterung des Mikrotoms gesetzt, der ganze Apparat wird verschlossen und der Rechner gestartet. Ein Elektronenstrahl scannt nun die Oberfläche des nur 0,3 mal 0,3 Millimeter großen Gehirnstücks ab. Das dauert eine gute Viertelstunde, da die Hirnstrukturen sehr komplex sind. Dann hobelt das Mikrotom eine unglaublich dünne Schicht von nur 25 Millionstel Millimeter ab – und der Elektronenstrahl beginnt wieder zu scannen. Stück für Stück wird so ein Stück Gehirn auseinandergenommen und im Rechner wieder zusammengesetzt. Dieser digitale Zusammenbau ist nicht leicht. Ein Mensch kann schnell lernen, wie die äußere Hülle einer Nervenzelle aussieht und verwechselt sie nicht mit anderen Zellstrukturen. Doch für einen Computer ist das eine schwierige Aufgabe.

Sebastian Seung ist einer der führenden Neuroinformatiker in diesem Fachgebiet. In seinen Labors am Massachusetts Institute of Technology (MIT) im amerikanischen Cambridge sitzen ebenso wie in Heidelberg viele Mathematiker, Physiker und Informatiker an Computern, um lernfähige Programme zu entwickeln, die „begreifen” , wie eine Nervenzelle aussieht. Noch haben die Rechner Schwierigkeiten. So interpretieren sie ein paar fehlende Pixel in einer durchgehenden Linie leicht als das Ende einer Nervenzelle. Ein menschliches Gehirn würde sofort die gesamte Struktur erfassen und erkennen, dass die Lücke nichts bedeutet. Hier zeigt sich, wie leistungsfähig unser Zentralnervensystem ist – und dass wir nicht wissen, wie es das macht.

Der Zellbiologe Jeff Lichtman von der nahe gelegenen Harvard University hat eine andere Lösung für die Automatisierung von Hirnscans gefunden. „Apfelschälmaschine” nennen seine Kollegen den raffinierten Apparat. Es ist eine Art Drehbank, in die ein Gehirnstück der Maus eingespannt und von oben nach unten schichtweise abgehobelt wird. Die hauchdünnen Gewebeschnitte sind nur 20 Millionstel Millimeter dick, 200 Mal so dick wie ein Wasserstoff-Atom. Sie werden vom Hobel direkt auf eine Art Film aufgetragen, einer nach dem anderen. Dieser Streifen speichert so im Prinzip eine Fahrstuhlfahrt abwärts durch ein Stück Gehirn – nur kann man sich den „Film” nicht direkt anschauen. Erst das Elektronenmikroskop macht die winzigen Details sichtbar. Die Analyse übernimmt wieder ein Computer.

Gentechnik bringt farbe

Lichtman beherrscht noch eine andere Technik der Connectom-Forschung: Brainbow nennt er die Methode, die im Gegensatz zur Elektronenmikroskopie farbenprächtige Bilder liefert. Hier trifft Gentechnik auf moderne Lichtmikroskopie. Lichtman hat Mäuse gentechnisch so verändert, dass ihre Nervenzellen fluoreszierende Farbstoffe produzieren. Sie schimmern in rund 100 verschiedenen Farbtönen. Da jede Zelle eine eigene Farbmischung herstellt, lassen sich selbst direkt nebeneinanderliegende Neuronen gut identifizieren. Diese Zellen müssen im Gegensatz zur Elektronenmikroskopie nicht mechanisch abgehobelt werden – sie werden „optisch” geschnitten. Moderne sogenannte Konfokale Lasermikroskope können die über oder unter der Schärfeebene liegenden Bildinformationen ausblenden, sodass man nur die Gewebeschicht sieht, um die es geht. Doch die Brainbow-Methode hat einen Haken: Sie liefert eine geringere Auflösung als das Elektronenmikroskop. Dafür lassen sich damit lebende Zellen untersuchen. Das Ziel der Connectom-Forscher ist der komplette Scan eines menschlichen Gehirns. Aber das liegt in weiter Ferne. Die Wissenschaftler müssen dafür noch viel Entwicklungsarbeit leisten, und die Computerindustrie muss gigantische Speichermedien liefern. Zellbiologe Lichtman erklärt: „Wir wollen in fünf Jahren einen Kubikmillimeter Mäusegehirn gescannt haben. Das würde Informationen von 1000 Terabyte liefern. Für das ganze menschliche Gehirn wären es eine Million Mal 1000 Terabyte. Das übertrifft die Menge der zurzeit weltweit gespeicherten Daten.”

Lichtman und seine Kollegen setzen sich deshalb kleinere, erreichbare Teilziele: Seung arbeitet am Fliegenhirn. Denk untersucht die Netzhaut, die so etwas wie ein Minigehirn für Bildverarbeitung ist. Aber selbst für diese Projekte muss die Connectom-Forschung „industrialisiert” werden, so wie es Ende des letzten Jahrhunderts mit der Genom-Forschung geschah. „Wir brauchen Firmen, die davon leben, Gehirne zu scannen. Sonst schaffen wir es nicht”, sagt Lichtman. Die „Connectomik” ist zwar Hightech-Forschung, doch ihre Herangehensweise ist eher altertümlich, wie Lichtman zugibt: „Ich bin ein altmodischer beschreibender Biologe, der erst seine Daten zusammenträgt und dann seine Schlüsse zieht – im Gegensatz zum heute üblichen deduktiven experimentellen Vorgehen, bei dem man eine Hypothese im Experiment überprüft.” Entsprechend umstritten ist die Connectom-Idee unter Gehirnforschern. „Ich bekomme viel Widerstand”, sagt Lichtman. „Es gibt ja nicht unbegrenzt Ressourcen in der Forschung. Und da sagen viele Kollegen: Lasst uns das Geld lieber in Experimente stecken als in so einen deskriptiven Kram!”

Zu den Kritikern gehört der Neurologe Christian Elger, Professor für Epileptologie an der Universitätsklinik Bonn und Mitinitiator der „Dekade des Gehirns”. „Ich bin da skeptisch”, sagt er. „Man erwartet, dass man über solche Bahnanalysen das Gehirn verstehen wird, aber davon sind wir meilenweit entfernt. Wir verstehen ja nicht einmal einfache Dinge wie das Speichern von Informationen.” Elger setzt stattdessen auf neue experimentelle Ansätze, mit denen man das Hirn beim Arbeiten beobachten kann, zum Beispiel auf eine verbesserte funktionelle MRT. „Momentan sind unsere Methoden noch viel zu grob, und wir berücksichtigen nicht, wie individuell verschieden jedes Gehirn ist. Da müssen wir ran!”

Hype mit hirnen

Winfried Denk mag sich an solchen Diskussionen nicht beteiligen: „Ich bin ja eigentlich Physiker und denke mir: Die Neurobiologen werden dieses Wissen bald brauchen – und dafür will ich Ihnen die Techniken bereitstellen.” Neurophysiologe Wolf Singer, Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main, ist dankbar dafür: „Diese Forschung muss sein. Gut, dass sie gemacht wird. Wenn wir realistische Gehirnmodelle haben wollen, müssen wir wissen, welcher Nerv mit welchem verknüpft ist.” Andere Forscher sind so begeistert, dass sie die Methoden der Connectomik selbst anwenden wollen. Zu ihnen gehört Alexander Borst, Direktor am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried. „Früher fanden die meisten Biologen solche mikroskopischen Untersuchungen langweilig”, sagt er. „Aber seit die neuen Techniken da sind, gibt es einen echten Hype.” Borst hat sich einen eigenen Heidelberger Hobel zugelegt, mit dem er Fliegenhirne hobelt. Der Neurobiologe will herausfinden, wie das Bewegungssehen in den Nervenzellen von Fliegen funktioniert. Dazu muss er wissen, wie die Neuronen verschaltet sind.

Von Würmern, Fliegen und Menschen

Aber er ist sich auch im Klaren, dass der Schaltplan alleine nicht viel hilft: „Da darf man nicht naiv sein. Das Gehirn erzählt einem nicht automatisch alles. Auf den Neuronen steht ja nicht drauf, was sie machen, ob sie andere Nervenzellen anregen oder dämpfen.” Aus diesem Grund brachte auch der Schaltplan von Caenorhabditis elegans nicht den großen Durchbruch, denn in dem winzigen Wurmhirn lassen sich die Aktivitäten einzelner Nervenzellen kaum messen. Im Fliegenhirn ist dies kein Problem. Borst ist sich deshalb sicher, dass er Anatomie, Mathematik und Physiologie erfolgreich zusammenbringen kann – und so eines Tages herausfinden wird, wie das Gehirn rechnet.

Außerdem glaubt er wie die meisten Connectom-Forscher, dass der komplette Scan eines Hirns noch manche Überraschung bringen wird. Borst: „Die komplette Sequenzierung unseres Genoms hat ja auch zu ganz neuen Erkenntnissen geführt. Oder hätten Sie gedacht, dass wir Menschen nur knapp 25 000 Gene besitzen – nicht viel mehr als die Taufliege Drosophila, obwohl wir uns immer als viel höher entwickelt betrachtet haben?” ■

THOMAS WILLKE (links), bdw-Korrespondent, nutzte für die Recherche sein Gehirn, von dem er nicht weiß, wie es funktioniert. bdw-Fotograf VOLKER STEGER setzte die Connectom-Forscher optisch in Szene.

von Thomas Willke (Text) und Volker Steger (Fotos)

Ohne Titel

Wissen hören: Ein Experten-Interview über die Entschlüsselung des Gehirns finden Sie unter „Podcasts” auf www.wissenschaft.de

DER HIRN-ATLAS

Welche Gene benutzt das Gehirn, wenn es denkt? Diese Frage treibt die Forscher des Allen Institute in Seattle um. Gegründet wurde es von Paul Allen, einem der Microsoft-Väter, der einen Teil seines Vermögens für die Grundlagenforschung gestiftet hat. Mit langen, extrem scharfen Hirnmessern zerlegen die Technischen Assistenten in Seattle die Gehirne von gerade Verstorbenen, die ihren Körper der Forschung zur Verfügung gestellt haben. Wie beim Connectom-Projekt schneidet ein Mikrotom das Gewebe in hauchdünne Scheiben. Die wandern aber nicht ins Elektronenmikroskop, sondern werden mit Gen-Sonden behandelt. Diese Sonden erkennen, welche Gene in den Nervenzellen aktiv waren und färben die Zellen so ein, dass unter dem Mikroskop die verschiedenen Gen-Aktivitäten sichtbar sind.

Ende 2006 veröffentlichte das Allen Institute den ersten hochauflösenden Gen-Atlas des Mäusegehirns. Er steht für alle Wissenschaftler im Internet als Informationsquelle zur Verfügung: www.brain-map.org. Vier Jahre Arbeit von etwa 100 Wissenschaftlern und Technischen Assistenten stecken darin. Das Projekt hat um die 40 Millionen Euro gekostet. Für den Gen-Atlas des menschlichen Gehirns sollen bis zu 15 menschliche Gehirne untersucht werden. Wie bei den Connectom-Projekten versuchen auch die Forscher aus Seattle die Prozesse so stark wie möglich zu automatisieren, um die riesige Menge an Gewebeproben und Informationen zu verarbeiten.

DAS GEHIRN IN ZAHLEN

· Das menschliche Gehirn hat schätzungsweise 100 Milliarden Nervenzellen. Damit sind wir allerdings nicht Spitzenreiter im Tierreich. Größere Tiere wie Wale oder Elefanten haben zwei- bis dreimal so viele Neuronen.

· Die Nervenzellen in der Großhirnrinde sind besonders intensiv verdrahtet. Jede Zelle verfügt dort über etwa 20 000 Synapsen, durch die sie mit anderen Neuronen verknüpft ist.

· Das Gehirn eines Menschen wiegt durchschnittlich 1,35 Kilogramm. Männergehirne sind im Schnitt schwerer, die von Frauen dagegen dichter gepackt.

· Ein einziger Kubikmillimeter Großhirnrinde beinhaltet etwa 90 000 Nervenzellen und über 4000 Meter Nervenbahnen, wenn man alle Axone (die den Langstreckentransport von Hirnsignalen erledigen) und alle Dendriten (die die Synapsensignale übertragen) zusammenzählt.

· Nervenzellen verbrauchen extrem viel Energie. Obwohl das Zentralnervensystem bei einem erwachsenen Menschen nur etwa 2 Prozent der Körpermasse ausmacht, verbraucht es etwa 18 Prozent des im Blut transportierten Sauerstoffs. (Der Sauerstoffverbrauch ist ein gutes Maß für die Stoffwechselaktivität, da er bei der Verbrennung des „Treibstoffs” Glukose benötigt wird.) Bei Kindern ist der Verbrauch noch höher.

· Die Behauptung, wir würden nur zehn Prozent unseres Gehirns nutzen, ist Unsinn. Es gibt nicht den geringsten Beleg, dass an diesem Gerücht etwas wahr sein könnte.

MEHR ZUM THEMA

INTERNET

Gen-Atlas des Mäusegehirns vom Allen Institute in Seattle: www.brain-map.org

KOMPAKT

· Forscher wollen die Geheimnisse des Gehirns in einer Großaktion enthüllen – ähnlich wie beim Humangenomprojekt.

· Die Aufgabe ist gigantisch: Das menschliche Gehirn besteht aus 100 Milliarden Nervenzellen mit 100 Billionen Synapsen.

· Moderne Techniken und Computerprogramme machen dieses Projekt erst möglich. Vor wenigen Jahren wäre es noch undenkbar gewesen.

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