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HEILSAME HITZE

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HEILSAME HITZE
Hyperthermie wirkt wie eine Entzündung des Tumors. Er schwindet.

Der Tumor hat sich im Oberschenkel von Bernhard B. eingenistet. Er hat sich gut getarnt und so das Immunsystem ausgetrickst. Und er hat Blutgefäße dazu gebracht, ihn mit Nährstoffen zu versorgen. Es gab zwar Ärger, als mit dem Blut chemische Giftstoffe ankamen. Aber damit wurde er schnell fertig: Er pumpte das Zeug einfach wieder hinaus. Doch als ihn jetzt eine Hitzewelle erfasst und seine Zellen unter Schock setzt, ist es mit ihm aus und vorbei: Die Krebszellen können sich nicht mehr wehren gegen den Schwall des tödlichen Gifts, das gleichzeitig mit der Wärme ins Innere dringt. Der doppelte Angriff vernichtet einen Großteil von ihnen. Bei denen, die übrig bleiben, wechselt der Immunstatus: Durch die Hitze verändern sich die Moleküle auf der Oberfläche, die vorher zur Tarnung dienten. Nun sind sie auf einmal sichtbar – und ein gefundenes Fressen für die Abwehrzellen des Körpers, die durch die Wärme angelockt wurden.

„Die Hyperthermie basiert auf der Erkenntnis, dass Tumorzellen bei einer Temperatur von 40 bis 43 Grad absterben“, sagt Rolf Issels, Leiter der Hyperthermieabteilung am Universitätsklinikum München-Großhadern. „Wenn wir gleichzeitig mit der Hitze die Standardtherapien für Krebs anwenden, ergibt sich ein hochinteressanter synergistischer Effekt: Die Wärme verbessert die Durchblutung im Tumor und bewirkt, dass sowohl Chemo- als auch Strahlentherapien signifikant besser wirken.“ Der Onkologe hat die bisher größte Studie für dieses Verfahren abgeschlossen und damit weltweit Aufsehen erregt: Patienten mit fortgeschrittenem Weichteilkrebs, sogenannten Hochrisiko-Sarkomen, die mit Hyperthermie behandelt wurden, leben im Schnitt doppelt so lange ohne erneutes Auftreten der Krankheit wie die Patienten aus der Kontrollgruppe.

Auch bei Bernhard B. ist der Krebs nach sechs Wochen Kombinationstherapie mit Chemo und Wärme deutlich geschrumpft. Der 58-jährige Elektrotechniker aus Wuppertal schöpft wieder Hoffnung. Eine Operation soll nun den Rest der Geschwulst entfernen. „Ohne Hyperthermie hätte man mir das Bein amputieren müssen“, sagt er, „weil sich das Sarkom schon über den ganzen Oberschenkel ausgebreitet hatte.“ Zweimal die Woche legte sich Bernhard B. in der Universitätsklinik München-Großhadern in einen sogenannten Ringapplikator. Unter der Kuppel dieses Geräts befindet sich ein Wasserkissen mit feinen Antennen, die hochfrequente elektromagnetische Wellen abstrahlen. Die Energie wird computergesteuert und unter ständiger Kontrolle auf die Stelle gerichtet, die vom Krebs befallen ist. Dadurch können im Tumor Temperaturen bis zu 43 Grad erzielt werden, ohne das gesunde Gewebe zu schädigen. Und die Nebenwirkungen? „Mit der Zeit wird es fast so heiß wie in der Sauna“, sagt B. „Aber da mein Herz gesund ist, hatte ich keine Probleme.“

FIEBER GAB DEN HINWEIS

Wärme gegen Krebs: Dieser Gedanke ist nicht neu. Ende des 19. Jahrhunderts beobachtete der US-amerikanische Chirurg William Coley, dass Tumorpatienten nach einer Operation vollständig gesund wurden, wenn sie eine starke Wundentzündung mit hohem Fieber durchgemacht hatten. Der Mediziner vermutete, dass der Temperaturanstieg die körpereigenen Abwehrkräfte auf den Plan rief, die nicht nur die Entzündung heilten, sondern gleichzeitig auch den Tumor vernichteten. An dieser Schnittstelle – der Verbindung von Wärme- und Immuntherapie – forscht heute die Münchner Hyperthermie-Gruppe um Rolf Issels, die aus Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums und der Universitätsklinik Großhadern besteht. Und es scheint, dass die Forscher dem biologischen Prinzip, das hinter Coleys mysteriösen Fieberheilungen stand, auf die Spur gekommen sind: Die Hyperthermie wirkt wie eine Entzündung am Tumor. Durch die Wärme werden sogenannte Hitzeschockproteine frei, die den Killerzellen des Immunsystems quasi zurufen: „Kommt hierher! Hier gibt es etwas zu fressen.“ Gleichzeitig signalisieren sie: „Gefahr im Verzug!“ und mobilisieren die Truppen der Abwehrzellen, die sich rasch vermehren. Die Hitze schädigt außerdem die DNA der Krebszellen und setzt deren Reparaturmechanismen außer Gefecht. So hat der Krebs weniger Chancen, wieder nachzuwachsen. Ob dadurch auch die besonders resistenten Krebsstammzellen (bild der wissenschaft 5/2009, „Die Jäger der Krebsstammzellen“) vernichtet werden, wissen die Forscher noch nicht. Denn solange man deren genetische Struktur und genaue Oberfläche nicht kennt, ist es nicht möglich, spezifische Angriffsziele für die Therapie zu definieren.

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DIE KOMBINATION WIRD STANDARD

„Die Chemo- oder Strahlentherapie allein kann oft wenig ausrichten“, fasst Biomediziner Issels die bisherigen Befunde zusammen, „ebenso wenig die Hyperthermie allein. Aber wenn wir zwei oder sogar drei Verfahren miteinander kombinieren, erzielen wir einen ungeheuren Verstärkungseffekt, der die Tumore zum Schmelzen bringt.“ Bereits vor acht Jahren erschien in der Wissenschaftszeitschrift Lancet eine Studie von Jacoba van der Zee, Strahlentherapeutin an der Universitätsklinik Rotterdam, zu Frauen mit Gebärmutterhalskrebs. Mit der Kombination Strahlentherapie und Hyperthermie konnte van der Zee zwei von drei Patientinnen erfolgreich behandeln. Mit der Strahlentherapie alleine gelang ihr das nur bei einer von drei erkrankten Frauen. Die Medizinerin gehört zu den Pionieren dieses Verfahrens. Sie hat es geschafft, dass in den Niederlanden bei der Therapie von Gebärmutterhalskrebs die Hyperthermie standardmäßig eingesetzt wird. Davon ist man in Deutschland noch weit entfernt. Nur in Bayern und teilweise in Baden-Württemberg übernehmen die Kassen die Kosten bei stationären Überwärmungsbehandlungen, die in wissenschaftliche Forschungsprojekte eingebunden sind. Rolf Sauer, Direktor des Universitäts-Krebszentrums Erlangen (UCC), kann die Zurückhaltung der Kassen sogar verstehen: „Es ist nicht überall Hyperthermie drin, wo Hyperthermie darauf steht. Leider wird damit sehr viel Quacksalberei betrieben. Wenn man Hyperthermie anbietet, muss man nachweisen können, dass am Tumor auch wirklich eine Erwärmung stattfindet und dass diese Erwärmung mindestens eine Stunde lang aufrechterhalten wird. Das ist technisch sehr schwierig.“ Geräte, die die Wärme exakt an die gewünschte Körperstelle bringen können, gibt es erst seit wenigen Jahren. Sie sind teuer und erfordern erheblichen personellen Aufwand. „An der Universitätsklinik Erlangen hat sich die Investition gelohnt“, sagt Sauer. „Bei ungefähr einem Viertel der Patienten mit Harnblasenkarzinom beispielsweise tritt der Krebs nach einer Standardtherapie erneut auf. Seit wir sie zusätzlich mit Hyperthermie behandeln, haben wir noch keinen einzigen Rückfall gesehen.“

AUCH KINDER ERFOLGREICH BEHANDELT

Die Liste der Erfolge lässt sich fortsetzen: Ellen Jones von der Duke University in South Carolina verglich die Behandlungsergebnisse bei Frauen mit wiederkehrendem Brustkrebs: Die Heilungsquote stieg von 24 auf 68 Prozent, wenn sie zusätzlich zur Strahlentherapie Hyperthermie einsetzte. Eine italienische Gruppe aus Trentino erreichte bei Kopf-Hals-Tumoren mit Hyperthermie die doppelte Remissionsrate, das heißt, der Tumor bildete sich doppelt so oft zurück, und die Fünf-Jahres-Überlebensrate stieg von Null auf 53 Prozent. Rüdiger Wessalowski von der Universität Düsseldorf – der einzigen Einrichtung, die Hyperthermie für Kinder anbietet – registriert bei wiederkehrenden Keimzelltumoren, die bei Jungen in den Hoden, bei Mädchen in den Eierstöcken auftreten können, eine Heilungsquote von 80 Prozent gegenüber 30 bis 40 Prozent mit herkömmlichen Behandlungsmethoden. Weitere Studien laufen europaweit. Michael Bamberg, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Tübingen und vormaliger Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, meint schon jetzt: „Ich sehe sowohl Kliniken als auch Kassen in der Pflicht, Krebskranken diese Chance auf Heilung und Verbesserung ihres Leidens nicht vorzuenthalten.“ Bernhard B., der wieder in seinem Beruf arbeitet, kann dem nur zustimmen. Er klopft auf Holz: „Die Operation ist zwei Jahre her. Und bisher ist der Krebs nicht zurückgekommen.“ ■

ERENTRAUD HÖMBERG, Medizinjournalistin in München, möchte Krebspatienten durch Informationen auf Augenhöhe mit ihren Ärzten bringen.

von Erentraud Hömberg

KOMPAKT

· Bei Hyperthermie wird der Tumor lokal gezielt erhitzt.

· Sie ist sehr wirksam, wenn man zusätzlich Strahlen- oder Chemotherapie einsetzt.

· Durch die Erwärmung verlieren die Tumorzellen ihre Tarnung und sind für das Immunsystem angreifbar.

VIELSEITIGE WAFFE

Für welche Patienten kommt die Hyperthermie zurzeit in Frage? In den Zentren der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Hyperthermie (IAH), einer Unterorganisation der Deutschen Krebsgesellschaft e.V., wird sie für folgende Tumorarten eingesetzt:

• Lokal fortgeschrittener oder erneut aufgetretener Darmkrebs („lokal fortgeschritten“ bedeutet: im späteren Stadium, aber noch nicht metastasiert)

• Weichgewebesarkome

• Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom)

• Wiederauftreten von Brustkrebs an der Brustwand

• Wiederauftreten von Schwarzem Hautkrebs (Malignes Melanom)

• Lokal fortgeschrittener oder erneut aufgetretener Blasenkrebs

• Lokal fortgeschrittener oder erneut aufgetretener Prostatakrebs

• Lokal fortgeschrittenes oder erneut aufgetretenes Analkarzinom

• Krebs der Bauchspeicheldrüse (Pankreaskarzinom)

• Lokal fortgeschrittene Kopf-Hals- Tumore

VON BERLIN BIS TÜBINGEN

In folgenden Kliniken wird die wissenschaftliche Hyperthermie bereits angeboten:

· Charité Berlin (Campus Buch und Campus Virchow)

· Universitätskinderklinik Düsseldorf

· Universitätsklinikum Erlangen

· Universitätsklinikum Essen

· Universitätsklinikum Lübeck

· Universitätsklinikum Mannheim

· Klinikum Großhadern der Universität München und angeschlossene Fachkliniken in Bayern

· Universitätsklinikum Tübingen

HYPERTHERMIE MIT NANOTEILCHEN

Noch Zukunftsmusik ist eine Methode der Hyperthermie, bei der die Hitze nicht von außen kommt, sondern aus magnetischen Nanoteilchen, die direkt in den Tumor gespritzt und dann durch ein Magnetfeld ins Rotieren gebracht werden (bild der wissenschaft berichtete darüber im Juni 2009: „Ferngelenkte Drogenkuriere“). In Tierversuchen war die Nano-Methode bereits erfolgreich, klinische Studien an Tumorpatienten werden derzeit durchgeführt. JR

MEHR ZUM THEMA

INTERNET

Website der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Hyperthermie (IAH): www.hyperthermie.org

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