Wer eine Diät ausprobiert hat, kennt das: Je mehr Nahrung man seinem Körper verweigert, desto größer wird der Heißhunger und desto schlechter die Laune. Der Abnehmerfolg droht zu scheitern. Warum das so ist, erklärt der Hirnforscher, Neurologe und Ernährungswissenschaftler Achim Peters, der an der Universität Lübeck die Forschungsgruppe „Selfish Brain“ leitet, in seinem Buch. Der Entschluss, weniger zu essen, setzt das Gehirn nämlich gehörig unter Druck. Es will auf Gedeih und Verderb seine Energieversorgung wahren. Dafür hat es ein ausgeklügeltes Regelsystem: Gelangt bei einer Diät weniger Glukose ins Blut, versucht das Gehirn den wichtigen Nährstoff anderswo aufzutreiben. Er wird über ein aktiviertes Stresssystem, das Kortisol ausschüttet, aus den Speichern in Muskeln und Leber herbeizitiert. Wenn das nicht reicht, schickt das Gehirn den darbenden Menschen auf Nahrungssuche, etwa zum Kühlschrank. Der erhöhte Kortisolspiegel drückt derweil auf die Stimmung.
Dass sich das Gehirn so despotisch zeigt, hat laut der Selfish-Brain-Theorie von Peters noch andere Folgen. Chronischer Stress etwa durch Mobbing oder einen schwelenden Familienstreit führen dazu, dass sich das Gehirn stets unterversorgt wähnt. Die Volksleiden Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Krankheiten gehen auf eine Störung des Gehirnstoffwechsels zurück und sind nicht etwa das Resultat allzu reichhaltiger Kost, ist Peters überzeugt. Auch manche Depressionen erklärt er mit dem egoistischen Gehirn: Bei einigen Menschen läuft das Stresssystem ständig auf Hochtouren. Zwar ist die vermehrte Zuckerversorgung des Gehirns bei ihnen normalerweise kein Problem – sie sind im Allgemeinen schlank. Allerdings können sie Niederlagen schwer verkraften, weil bei ihnen die körpereigenen Beruhigungsstoffe kaum wirken: Sie werden depressiv.
Der Stoffwechselexperte zeigt Möglichkeiten auf, wie man die Balance im Gehirn wiederherstellen kann: mehr Sport und häufiger Gefühle hinterfragen statt sie zu verdrängen. Übergewichtige und Diabetiker müssten in einer Therapie nicht lernen, wie sie ihr Verhalten ändern, sondern wie sie ihren Gefühlshaushalt in Ordnung bringen.
So umstritten der eine oder andere Punkt auch ist – Peters stellt zum Beispiel die Insulin-Therapie bei Diabetes infrage –, seine Argumentation ist überzeugend. Kathrin Burger
Achim Peters DAS EGOISTISCHE GEHIRN Ullstein, Berlin 2011 331 S., € 19,99 ISBN 978–3–550–08854–4